Politik

Türken, Deutschtürken und Deutsche in Deutschland

Ich bin gegen Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder oder gar des türkischen Staatspräsidenten Erdogan in Deutschland. Vorgestern habe ich meine Haltung dazu relativiert – ausgelöst (ausgerechnet) durch den türkischen Journalisten Can Dündar. Dieser sagte in einem Interview

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Ich bin gegen Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder oder gar des türkischen Staatspräsidenten Erdogan in Deutschland. Vorgestern habe ich meine Haltung dazu relativiert – ausgelöst (ausgerechnet) durch den türkischen Journalisten Can Dündar.

Dieser sagte in einem Interview mit Marietta Slomka angesprochen auf dieses Thema folgendes.

Ich bin weiterhin gegen solche Wahlkampfauftritte in Deutschland. Und zwar deshalb, weil mithilfe dieser Auftritte die Demokratie abgeschafft werden soll. Ich bin bereit, mich dafür kritisieren zu lassen, dass ich mich in die Belange eines anderen Landes einmische. Schließlich machen die Verantwortlichen der Türkei das mit ihren Auftritten ebenfalls. Sie bringen die Türken und türkischstämmigen Deutschen in Deutschland gegeneinander auf.


Das Prinzip „Meinungsfreiheit“

Die Meinungsfreiheit „als Prinzip verteidigen“, sagte Can Dündar. Das hat mich nachdenklich gemacht. Nachdenklich, obwohl diese Haltung doch eigentlich ganz selbstverständlich für Demokraten sein müsste.

Dass sie es offenbar nicht (mehr) ist, wirft einen dunklen Schatten auf das, was wir in den vergangenen Jahren unter dem Stichwort „Polarisierung“ am eigenen Leib erfahren haben. Damit meine ich die Art und Weise, wie wir uns zwar über wenige dafür aber sehr brisante Themen miteinander streiten.

Polarisierung der Gesellschaften

Beide Seiten beklagen diese Entwicklung. Aber wir ändern nichts daran. Im Gegenteil. Die Streitigkeiten nehmen an Schärfe zu. Diese Entwicklung ist nicht auf Deutschland beschränkt. Wir sehen sie in einigen europäischen Ländern, in den USA und – obwohl unsere Medien darüber wenig berichten – auch in der Türkei. Die beiden gegeneinanderstehenden Sichtweisen prallen in einer Härte und Unnachgiebigkeit aufeinander, dass wir alle besorgt sein sollten.

In Deutschland tut sich ein neuer Konflikt auf. Dieser ist von dem bereits bestehenden (Flüchtlingsdebatte) nicht zu trennen. Die Rechten haben es verstanden über die irrationale Verstärkung angeblicher Folgen der Flüchtlingskrise, wie z.B. die gestiegene Terrorgefahr durch Islamisten das gesellschaftliche Klima stark zu beeinflussen.

Als die AfD in ihr Programm den Satz aufgenommen hat, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, hätte allen Bürger/innen klar sein sollen, dass eine solche Ab- und Ausgrenzung von Menschen weitreichende Folgen hat. Nach Wikipedia leben in Deutschland 3 Mio. ethnische Türken. Insgesamt leben wir mit ca. 4,7 Mio. Muslimen zusammen.

Religion Islam

Viele dieser Menschen haben die harten Debatten um den Islam und die pauschalen Vorbehalte gegen ihre Religion zwar aus nächster Nähe miterlebt, sich aber mit eigenen Aussagen dazu stark zurückgehalten.

Wie das wohl ist, wenn man im eigenen Land permanent mit mehr oder minder offenen Verdächtigungen konfrontiert ist? Ich will mir das nicht ausmalen.

Auch die Leute, die sich doch so sehr davor fürchten, ihre deutsche Identität zu verlieren, werden sich wohl im Klaren darüber sein, wie viel „Porzellan“ mit diesen ständigen Pauschalisierungen zerschlagen wurde. Ich mach mir nichts vor, das war gewollt.

Wenn es denn stimmte, dass „die Integration“ vieler Einwanderer, auch mit türkischer Herkunft, so schlecht funktioniert hat, wie gering mag die Chance dafür sein, jetzt – nachdem all diese Dinge passieren?

Ich habe in einigen Zeitungsbeiträgen gelesen oder im TV gesehen, was Muslimas und Muslime zu den Veränderungen ihrer Heimat denken. Das Klima habe sich negativ verändert. Das ist zu abstrakt. Konreter wird es, wenn man hört, dass man komisch angeguckt oder sogar auf offener Straße angespuckt wird. Und das sind eher noch seltene und oberflächliche Aussagen. Es geht viel tiefer.

Held von Gaggenau

Heute ist der Bürgermeister von Gaggenau ein Held. Er hat auf etwas spitzbübische Art und Weise den Wahlkampfauftritt des türkischen Justizministers verhindert. Dazu gibt es in den sozialen Medien tosenden Applaus. Und im Vergleich dazu sind eher wenige Äußerungen von Türken zu lesen.

Es lohnt sich, deren Äußerungen genauer anzuschauen.

Mir ist aufgefallen, dass auf beiden Seiten (der deutschen wie der türkischen) ein aggressiver Grundton herrscht. Ich bin kein Psychologe und will auch nicht so tun. Auf mich wirken viele Kommentare türkischer Leser/innen etwas hilflos und so – sorry -, als fühle man sich persönlich beleidigt.

Mir fällt dazu ein Begriff ein, den Türken gern gebrauchen, wenn es um ihr Verhältnis zur deutschen Mehrheitsgesellschaft geht. „Respekt“ ist das Wort, das man häufig hört.

Ich denke, wir – die Bio-Deutschen natürlich – sind damit direkt angesprochen. Aber wie verhält es sich mit dem Respekt, wenn Türken sich mit Deutschen auseinandersetzen? Soviel ist sicher – die Sozialen Medien werden dafür nicht der Gradmesser sein dürfen. Anders gesagt, hoffentlich sind die Dialoge zwischen Türken und Deutschen im Reallife freundlicher und konstruktiver!

Kein Wahlkampf in Deutschland für Despoten

Wir begegnen uns in den Sozialen Medien respektlos. Zu diesem Schluss komme ich, wenn ich mir die Masse der Kommentare, die zur Absage der Wahlkampfrede des türkischen Justizministers, abgegeben wurden, durchlese.

Wohin das alles führen soll, weiß ich nicht. Jedenfalls ist es eine schlechte und bedenkliche Entwicklung. Sie wäre vermeidbar gewesen, wenn unsere politische Führung gegenüber Ankara nicht aus Gründen viel zu lange viel zu nachsichtig gewesen wäre.

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Quelle Featured-Image: HorstSchulte.com

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