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Wer will das schon?

Die nächste Hasswelle gegen Migranten rollt. Dafür sorgt die Befürchtung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, dass Menschen gezielt nach Deutschland gekommen sind, um hier Kindergeld zu erhalten.

Diese Diskussion, so schrieb ein Facebook-Freund, sei ekelhaft. Diesen Reflex kenne ich gut. Mir geht es oft nicht anders. Es ist nur leider unvermeidlich, sich mit den Fakten auseinanderzusetzen. Und das ist oft schwer genug.

Es geht (angeblich) also um den Missbrauch von Kindergeldleistungen, insbesondere durch Osteuropäer, die in Deutschland Kindergeld für ihre nicht hier lebenden Kinder erhalten. Immerhin gab es im Juni 2018 268.000 Kindergeldempfänger im Ausland. 2017 erfolgten Überweisungen von Kindergeld für 243.000 Kinder ins Ausland. Das Gesamtvolumen der Zahlungen belief sich auf 343 Millionen Euro.

2010 zahlte der deutsche Staat noch 89.261 Empfängern Kindergeld – davon waren rund 31.500 deutsche Staatsbürger, die im Ausland leben. Diese Zahl ist bis heute konstant geblieben, während die Zahl von Beziehern mit Ursprung in Osteuropa steigt: Rumänien tauchte 2010 noch gar nicht in der Statistik auf, aus Bulgarien waren es 12. Ende Juni gab es 18.850 rumänische Empfänger und rund 7000 aus Bulgarien. Link: Kindergeld für Kinder, die gar nicht existieren – wie ist das möglich? | STERN.de

Jetzt sind es nicht mehr 89k Empfänger von Kindergeld, sondern 268k. Nun, diese Steigerung um 200 % muss man nicht auffällig finden. Jedenfalls braucht man dafür ein paar Jahre. Die Zahl bulgarischer und rumänischer Beschäftigter stieg seit dem Jahr 2012 bis Jahresende 2017 um über 430 % (85k auf 456k). Die Zahl der Kinder, für die seitdem Kindergeld ins Ausland (nur Bulgarien und Rumänien) überwiesen wurde, stieg von 40 auf 23.000 Kinder. (Quelle) Etwa 100.000 polnische Kinder erhalten in ihrer Heimat deutsches Kindergeld.

Die Nettozuwanderung aus anderen EU-Staaten stieg hingegen überdurchschnittlich: 2017 wanderten der Statistik zufolge 439.000 Menschen aus der EU nach Deutschland ein – 2016 waren es noch 277.000 gewesen. Besonders viele Menschen kamen demnach aus Osteuropa: Ein Drittel stammte aus Polen, ein weiteres Drittel aus Rumänien, gefolgt von Bulgarien. Link: Migrations-Statistik: 10,6 Millionen Ausländer in Deutschland | tagesschau.de

Ich bin überzeugt, dass das Thema keines wäre, wenn die geäußerte Missbrauchs – Vermutung, die plötzlich von politischer Seite zu hören ist, unterblieben wäre!

Ausländische Mitbürger haben Anspruch auf die Auszahlung von Kindergeld, wenn folgende Situationen zutreffen:

  • Sie sind Staatsangehöriger der EU, des europäischen Wirtschaftsraums (EWR) oder der Schweiz,
  • Sie sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, erhalten Arbeitslosengeld oder Sozialgeld und sind Staatsangehöriger von Algerien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Marokko, Montenegro, Serbien, Tunesien oder der Türkei,
  • Sie haben eine Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis und dürfen damit in Deutschland arbeiten,
  • Sie sind als Flüchtling oder Asylberechtigter anerkannt.

Es ist also klar, dass nicht nur Arbeitnehmer Kindergeld erhalten, sondern auch Menschen, die keiner Beschäftigung nachgehen, sofern sie zu einer der Gruppen gehören, die oben aufgeführt sind.

Bei diesem Thema stoßen wir auf Sachverhalte, die von migrationskritischer Seite nachvollziehbarerweise schon seit Langem kritisch hinterfragt werden: Setzen wir falsche Anreize, wenn wir vielen Migranten Sozialleistungen gewähren, die jeder einheimische BürgerInnen in dieser Größenordnung erhält, obwohl diese/r seit Jahren Beiträge in die Sozialsysteme eingezahlt haben? Gehen Menschen einer Arbeit nach und tragen sie zu ihrem Lebensunterhalt eigenverantwortlich bei, stellt sich die Frage zwar nicht in dieser zugespitzten Form, sie steht aber dennoch im Raum. Wie lange sollte jemand Beiträge entrichtet haben, bis er von den Sozialsystemen profitieren kann? Schließlich ist eine Leistung wie das Arbeitslosengeld auch an bestimmte Bedingungen gebunden.

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Nun äußern Politiker verschiedener Parteien den Verdacht, dass Kindergeldleistungen abgegriffen werden, obwohl dafür kein Anspruch bestehen würde. Es soll Fälle von Fälschungen von Geburtsurkunden geben. Auf diese Beispiele wird Bezug genommen.

Das Beantragen von Kindergeld ist denkbar einfach. Man meldet sich als Familie in Deutschland mit einem festen Wohnsitz an. Dann geht die Meldung an die Familienkasse, die überprüft das Vorliegen von Kindern und zahlt das Geld aus. „Ob die Kinder in Deutschland leben, ob sie in Rumänien oder Bulgarien leben, ob sie überhaupt existieren, das ist dann noch mal eine ganz andere Frage“, sagt Oberbürgermeister Link.

Auch der Deutsche Städtetag sieht Probleme, Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy betont aber: „Die meisten Menschen aus Südosteuropa sind in Deutschland gut integriert.“ Da sind zum Beispiel bestens ausgebildete Pflegekräfte aus Polen, ohne die in vielen Heimen nichts mehr laufen würde. Link: Kindergeld für Kinder, die gar nicht existieren – wie ist das möglich? | STERN.de

Bei Sören Link (SPD) fiel mir übrigens gleich der Fall des angeblich in Duisburg von der Polizei misshandelten Türken ein. Damals hatte sich der Duisburger OB ebenfalls ziemlich barsch geäußert und sich die Kritik der türkischen Community eingehandelt. Zum Glück hat er, fand ich, die Forderung, sich für seine Aussagen zu entschuldigen, nicht erfüllt.

Wir können nicht ernsthaft über solche Fragen hinweggehen, in dem wir beispielsweise andere ungelöste Probleme gegen diese aufrechnen. Natürlich sollte man Steuerschlupflöcher schließen oder die Kapitalertragssteuern endlich auf ein anständiges Niveau hochsetzen. Aber was haben solche Maßnahmen mit dem Missbrauch von Sozialleistungen zu tun?

So geht vieles auch weiterhin durcheinander. Mein Standpunkt bleibt der, dass Menschen, die in unserem Land leben, einen Anspruch auf die für alle gültigen Sozialleistungen haben. Der Spaß hört auf, wenn zur Durchsetzung des Anspruchs gelogen und betrogen wird.

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2 Gedanken zu „Wer will das schon?“

  1. Hi Horst,

    eins verstehe ich nicht:
    „2010 zahlte der deutsche Staat noch 89.261 Empfängern Kindergeld“

    Das erscheint mir viel zu wenig. Bekommt denn nicht mehr jedes Kind Kindergeld? Das müssten doch viel mehr sein?

    AntwortenAntworten
  2. Das sind (waren) nur die Kinder, die im Ausland leben. Der hohe Anstieg auf den die Meldungen Bezug nahmen hat natürlich mit den vielen neuen Arbeitskräften aus dem osteuropäischen Ausland zu tun, die seitdem ins Land kamen. Was ich mich frage ist, ob die Behörden bei ihren Recherchen oder Abläufen so lange brauchen müssen, um darauf zu kommen, dass Missbrauch in einem kritischen Umfang stattfindet.

    AntwortenAntworten

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