Schlimme Dinge passier(t)en zu jeder Zeit. Verschiedene Meinungen sind heute ein Problem.

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Unterschiedliche Meinungen machen den Reiz jeder Diskussion aus. Darin unter­schei­det sich der öffent­li­che Bereich (Talk-​Shows, Podcasts) nicht vom per­sön­li­chen. Im Privaten ver­zeiht man sicher leich­ter. Je ver­trau­ter ich mit einem Menschen bin, des­to weni­ger bin ich bereit, über einen Streit mei­ne Beziehung zu beschä­di­gen. Hoffentlich ist das – trotz allem – so sel­ten, wie ich denke.

Es ist bedrü­ckend, dass sich Familien auf den bri­ti­schen Inseln über den Brexit-​Streit ent­zweit haben. Ich ken­ne es aus eige­ner Erfahrung, wie erbit­tert und unver­söhn­lich Diskussionen über die Einwanderungspolitik unse­rer Regierung geführt wur­den. Das Thema hat das Potenzial, auch lang­jäh­ri­ge Freundschaften zu belasten. 

Aktuell ist es die Debatte um Corona, die eine wach­sen­de Gegenöffentlichkeit her­vor­bringt. Einerseits ver­ste­he ich, dass Widerspruch her­vor­ge­ru­fen wird, wenn, wie in sol­chen Fällen, weit­rei­chen­de Maßnahmen sei­tens der Regierungen getrof­fen wer­den. Aber was hat das noch mit Demokratie zu tun, wenn der Widerspruch zum einen so selt­sam „begrün­det” wird, wie die Corona-​Leugner es tun und wenn sich zum ande­ren Allianzen fin­den, die so beschaf­fen sind, wie wir es am 29.08. erneut vor­ge­führt bekamen?

USA als schlechtestes Vorbild überhaupt

Der Riss geht auch bei dem Thema durch die Familien. In den USA ver­lau­fen die „geg­ne­ri­schen” Lager ent­lang der Front zwi­schen Republikanern und Demokraten. Ob das so stimmt? Ich hör­te, dass es Mitglieder der Republikaner gibt, die angeb­lich Joe Biden wäh­len wer­den. So kom­pli­ziert ist es bei uns zum Glück noch nicht.

Die Folgen sol­cher Entwicklungen beschrei­ben wir mit dem pla­ka­ti­ven Begriff einer „Polarisierung der Gesellschaft”.

Hoffentlich fra­gen wir uns nicht irgend­wann, wenn wir vor den Trümmern unse­rer Demokratie ste­hen, war­um wir die­se Übertreibungen nur so weit kom­men las­sen konn­ten. Wie konn­te es pas­sie­ren, dass wir uns von demo­kra­ti­schen Tugenden wie Toleranz, Solidarität, Kompromissbereitschaft oder einer ent­wi­ckel­ten Streitkultur so leicht lösen konn­ten? Warum kön­nen wir Meinungen, die uns wider­stre­ben, nur so schwer akzeptieren?

Die Beispiele der Vergangenheit

Es gab in der Vergangenheit immer wie­der gro­ße gesell­schaft­li­che Themen, die von har­ten Kontroversen geprägt waren. Die Wiederbewaffnung der Bundeswehr, die Mitbestimmung, die Ost-​Verträge sind nur eini­ge der Themen, die mir spon­tan ein­fal­len. Es gab dar­über erbit­ter­te Auseinandersetzungen im Bundestag und – vor dem Internet – an den Stammtischen der Republik. 

Interessant, wie geschmei­dig dage­gen der Atomausstieg beschlos­sen und umge­setzt wur­de oder die Abschaffung der Wehrpflicht. Dass es heu­te vie­le gibt, die auf üble Art und Weise nach­kar­ten und Kanzlerin Merkel für alle ihre Frustrationen haft­bar machen wol­len, ist nur ein Beleg dafür, wie sich die Dinge in den ver­gan­ge­nen Jahren ver­än­dert haben.

Die erwähn­ten alten Themen, sofern ich alters­be­dingt dazu schon in der Lage war, habe ich nur ober­fläch­lich ver­folgt. Eine Meinung dazu hat­te ich höchs­tens ansatzweise. 

Friday for Future

So wich­tig war mir kein Thema, dass ich mich dafür in der Weise expo­niert hät­te, wie es heu­te die FFF-​Bewegung in Sachen Klimawandel tut.

Daraus lässt sich man­ches schlie­ßen. Mir zeigt es, wie ele­men­tar die Forderungen sind und wie wich­tig es wäre, dass end­lich mehr in Gang kommt als es bis­her der Fall war. Inwieweit die gesell­schaft­li­chen Diskussionen zu die­sem Thema die deut­sche Politik beein­flus­sen, ver­mag ich nicht zu sagen. Vermutlich spie­len hier eher die ver­schie­de­nen Lobbygruppen eine Rolle, die vor den wirt­schaft­li­chen Konsequenzen not­wen­di­ger Maßnahmen warnen.

Schlimme Dinge passier(t)en zu jeder Zeit

Der Jugoslawienkrieg erschüt­ter­te die trü­ge­ri­sche Gewissheit, Europa habe aus den schreck­li­chen Erfahrungen bei­der Weltkriege gelernt. Mittendrin trach­te­ten sich „plötz­lich” Menschen, die vor­her Jahrzehnte lang in fried­li­cher Nachbarschaft mit­ein­an­der aus­ge­kom­men waren, gegen­sei­tig nach dem Leben. 

Bis heu­te ver­steht man die­se schreck­li­che Entwicklung nur dann, wenn man sich die Auswirkungen einer lan­ge bestehen­den Diktatur mit ihren Zwangsklammern vor Augen führt. Damals sind Tausende von Kriegsflüchtlingen nach Deutschland gekom­men. Es gab Widerstand von Rechten, als Anfang der 90er Jahre ca. 48 % aller Flüchtlinge wegen des Balkankrieges nach Deutschland kamen. 

Die Nazis und die Wiedervereinigung

Es waren über 350.000 Menschen, die in Deutschland Zuflucht such­ten. In der Folge wur­de 1993 das deut­sche Asylrecht stark ein­ge­schränkt. Das pas­sier­te fol­ge­rich­tig noch ein­mal im Jahr 2015. 

Die poli­ti­schen Maßnahmen waren dem Druck und den Übergriffen von deut­schen Nazis geschul­det. Die Bilder aus Rostock-​Lichtenhagen, Mölln und Solingen haben wir noch vor Augen. 

Aus mei­ner Sicht haben wir die­se xeno­pho­ben Entwicklungen Deutschlands nie mehr in den Griff bekom­men. Die Grundgesetzänderungen soll­ten in mei­nen Augen nur bewir­ken, dass sich die Aktionen der Nazis abschwä­chen. Dass das nur bedingt gelun­gen ist, hat sich aller­spä­tes­tens 2015 gezeigt. 

Die NSU-​Morde, Halle, Hanau und was noch alles, gehen auf das Konto von Leuten, sich durch die gesell­schaft­li­che Veränderung im Land ange­spornt fühlten. 

Mich macht das alles ganz schön mür­be. Wie kann sich eine frei­heit­lich, plu­ra­lis­ti­sche Gesellschaft bloß in einem sol­chen Tempo und in die­ser Art und Weise zu ihrem Nachteil entwickeln?

Was war früher?

In mei­nen frü­he­ren Jahren haben mich im Wesentlichen Themen beschäf­tigt, bei denen ich eine gro­ße Ungerechtigkeit gese­hen habe. 

Als die USA unter Präsident George Bush 1991 den ers­ten Irakkrieg begann, war ich immer­hin schon 37 Jahre alt. Kaum ein Ereignis davor, hat mich so beschäf­tigt. Ich fand den Krieg und die Begründungen faden­schei­nig. Ich folg­te denen, die behaup­te­ten, dass die USA nur wegen des Öls ein­ge­grif­fen hat. 

Zu viele schreckliche Erfahrungen

1962 gab es die Kuba-​Krise. Ich war 8 und ich spür­te die Angst mei­nes Vaters.

Mein Vater war damals 40 Jahre alt, Kriegsteilnehmer und von 1939 bis 1949 weg von zu Hause. 5 Jahre Kriegseinsatz und 5 Jahre rus­si­sche Kriegsgefangenschaft. Er hat mir den Schrecken des Krieges ver­ständ­lich gemacht und dass es dazu nie wie­der kom­men dürfe.

Er erzähl­te nur ganz sel­ten vom Krieg. Eigentlich nur dann, wenn er ein paar Bier zu viel hat­te. Er war ein fröh­li­cher, immer gut auf­ge­leg­ter Mann. Aber die­se Erinnerungen kos­te­te ihn manch­mal die Fassung. Ich moch­te es nicht, wenn mein Vater weinte. 

Das erwähn­te Gerechtigkeitsempfinden war von der Berichterstattung unse­rer Medien geprägt. Den har­ten Realität in die­sen Jahren hät­te ich kaum etwas ent­ge­gen­zu­set­zen gehabt, ich war unkri­tisch und habe Positionen über­nom­men, die ich mit heu­ti­gem Wissen nur infra­ge stel­len kann. 

Der „eigent­li­che” Vietnamkrieg begann im August 1964. Ich war 10 Jahre alt und hielt es mit den Amerikanern. Erste Zweifel dar­an, ob die­ser Krieg ver­tret­bar war, kamen mir durch die Ende der 60er Jahre ein­set­zen­den Studentenproteste in den USA und in Europa. 

Wie ande­re Kriege (2. Irak-​Krieg und ande­re), wur­de auch die­ser von den US-​Amerikanern insze­niert. Dass wir die Amerikaner als west­li­che Führungsmacht begrei­fen, ist vor sol­chen Hintergründen maxi­mal irritierend.

Kriege auf der Welt

Die Berichte über Kriege – über­all auf der Welt – haben sich gegen­über die­sen Zeiten ver­än­dert. Solche Bilder, die uns trotz der lan­gen Zeitspanne, die ver­gan­gen ist, immer noch im Gedächtnis sind, wer­den nicht mehr ermög­licht. Die Propaganda auf allen Seiten der Kriegsparteien wis­sen die­se Bilder zu ver­hin­dern, weil sie ihre Wirkung fürch­ten müs­sen. Der direk­te Vergleich mit den Bildern aus den Irak-​Kriegen zeigt das sehr deutlich.

Wir wur­den beein­flusst. Nicht nur von unse­ren Gegnern, son­dern auch von unse­ren Verbündeten. Die Amerikaner wun­dern sich nichts­des­to­trotz dar­über, dass ihnen in Deutschland Skepsis und Ablehnung ent­ge­gen­ge­bracht werden. 

Dabei ist Deutschland für die US-​Amerikaner doch nichts als ein stra­te­gi­scher Brückenkopf. Er könn­te im Fall einer Konfrontation mit den Russen oder viel­leicht spä­ter ein­mal den Chinesen, nütz­lich sein. Insofern bin ich Trump dank­bar dafür, dass er US-​Truppen aus Deutschland abzieht – auch wenn es längst nicht alle sind. Er soll vor allem die Atomwaffen nicht vergessen!

Seit Egon Bahr erklärt hat, dass Länder kei­ne Freundschaften mit ande­ren Ländern unter­hal­ten, son­dern nur gemein­sa­me Interessen, 

Als die paläs­ti­nen­si­schen Terroristen 1972 die Olympiamannschaft Israels ange­grif­fen und vie­le Sportler getö­tet haben, war die gan­ze Welt ent­setzt. Ich war nicht mal zwan­zig und mein Bild war ange­sichts des Grauens, das ich damals emp­fand, ein­deu­tig. Diese Tat steht für sich und sie ist abso­lut ver­ab­scheu­ens­wür­dig. Aber was ist von der Politik der aktu­el­len israe­li­schen Regierung zu hal­ten – bei­spiels­wei­se von ihrer Siedlungspolitik und von den kon­zer­tier­ten Aktionen, die sie mit der Trump-​Administration durchziehen? 


Bis du auch schon polarisiert?

Es gab vie­le ande­re Ereignisse, die ich anfüh­ren könn­te. Alle hat­ten sie das Potenzial die Menschen auf die Palme zu brin­gen und wohl im Sinne des heu­te so oft benutz­ten Wortes, zu pola­ri­sie­ren. Damals habe ich sol­che Dinge viel locke­rer genom­men. Vielleicht gab es auch mal einen Streit mit Freunden über ver­schie­de­ne Sichtweisen dar­auf. An wirk­lich schlim­men, nach­hal­ti­gen Streit, der bis zur Entzweiung von Menschen hät­te füh­ren kön­nen, erin­ne­re ich mich zum Glück nicht.

Warum ist das heute ganz anders? 

Das Internet soll­te Demokratien ver­bes­sern und stär­ken. Es pas­siert aus mei­ner Sicht jedoch das Gegenteil. Der Diskurs zu wich­ti­gen Themen hat sich einer so gra­vie­ren­den Art und Weise ver­än­dert, dass dies unmit­tel­bar zu der Frage füh­ren muss, was die­se Veränderungen ver­ur­sacht hat. Vordergründig mal eine Verschlechterung der Streitkultur. Die Aktionen gegen Hass im Netz zeu­gen davon. Daneben haben wir es aber auch fer­tig bekom­men, den Spielraum für Diskussionen stark ein­zu­schrän­ken. Meinungen soll man haben, aber doch bit­te nur dann äußern, wenn sie mit der Mehrheitsmeinung irgend­wie noch in Einklang zu brin­gen sind.

Haben sich die Menschen ver­än­dert oder gibt es Umstände, die auf das Verhalten vie­ler Menschen wir­ken? Soziologen wer­den die Frage doch für lächer­lich hal­ten, weil bekannt­lich fast immer die äuße­ren Umstände dafür ver­ant­wort­lich sind, wie der Menschen sich entwickelt. 

Entsolidarisierung per Egoismus

Da wäre die viel­fach beklag­te Entsolidarisierung. Ob es die­se nun gibt oder nicht (Hilfsbereitschaft in 2015 ff), das Heer von ehren­amt­li­chen HelferInnen spricht gar nicht dafür. Auch wäh­rend der Corona-​Zeit gab es eine gro­ße Hilfsbereitschaft untereinander. 

Manche schrei­ben die­se Entsolidarisierung neo­li­be­ra­len Einflüssen zu. Ist man in den Unternehmen heu­te gehal­ten, die Ellenbogen aus­zu­fah­ren und die eige­ne Position zu ver­tei­di­gen? Kann sein. Ich habe es bis zu mei­nem Eintritt in die Rente eigent­lich nicht so emp­fun­den. Ich fürch­te, der Egoismus hat sich – viel­leicht durch fal­sche Vorbilder – durch­ge­setzt. Individualismus und Egoismus sind inso­fern viel­leicht zwei Begriffe für eine Unart des Menschen? 

Wenn wir uns doch so gern ein­re­den, dass Authentizität so imma­nent wich­tig sei, muss man sich in die­ser Medienwelt auch die Frage stel­len, wie man die­ses „Prädikat” errei­chen könnte. 

Man möch­te sich schließ­lich eine Position erar­bei­ten, die sich von der ande­rer abhebt. Bei Instagram Selfies vor wun­der­vol­len Locations zu pos­ten, hilft da wenig, weil man erahnt, dass Tausende ande­re Instagramer genau dies auch machen werden. 

Nimmt man mit dem Smartphone die mög­lichst schreck­lichs­te aller mög­li­chen Begebenheiten auf und stellt den Film bei Youtube ein, kann das den Durchbruch bedeu­ten. Oder das Nasenrümpfen wei­ter Teile der Gesellschaft, die das näm­lich für ver­werf­lich oder ein­fach für total schreck­lich hält.

Dass Journalisten, die betont regie­rungs­kri­ti­sche Positionen ver­tre­ten (und jetzt sag mir kei­ner, die gebe es doch gar nicht!), ihren links­grü­nen Journalistenkollegen ankrei­den, über­wie­gend in mora­li­schen Kategorien zu argu­men­tier­ten, ist viel zu oft unfair und des­halb inak­zep­ta­bel. Es scheint, denen haupt­säch­lich dar­um zu gehen, die Deutungshoheit über irgend­was von den bösen links­grü­nen Kollegen zurück­zu­er­obern. Wahrscheinlich eint das alle. 

Erkenntnisgewinn ist nicht so wich­tig wie Deutungshoheit. Das ist rich­tig schlecht für den Journalismus, fin­de ich.

Inzwischen geht es weni­ger dar­um, wie mit Qualität oder Stichhaltigkeit von Argumenten und Fakten zu über­zeu­gen ist, son­dern um die Frage, wie man ganz ohne sowas auskommt. 

Man gibt sich gefüh­lig und unter­streicht das mit emo­tio­na­ler Ansprache den geneig­ten Zuhörer. Trump, genau­so Boris Johnson aber auch vie­le ande­re Politiker lügen, dass sich die Balken bie­gen und erfül­len so das Vorurteil aus frü­he­ren Jahren, dass ja alle Politiker lügen.

Entschuldigung für die Länge die­ses Textes. Sie ist mei­ner Frustration über all die Dinge geschul­det, die in letz­ter Zeit auf uns alle her­nie­der­pras­seln. Vielleicht wirkt der Text nicht gera­de strin­gent, son­dern eher kon­fus. Ich hab das Gefühl, vie­len gehts in die­ser Zeit ähnlich.


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2 Gedanken zu „Schlimme Dinge passier(t)en zu jeder Zeit. Verschiedene Meinungen sind heute ein Problem.“

  1. Ach, lan­ge Texte… irgend­wie mag ich die ja schon. Es gibt aller­dings nicht mehr vie­le davon. Ich könn­te dir so viel ant­wor­ten, im Wesentlichen stim­me ich dir ja zu. Ich will aber kei­ne Kommentare schrei­ben, die län­ger sind als die zu kom­men­tie­ren­den Artikel.

    Heute mor­gen habe ich beim Kaffee (ja, ich habe Urlaub…) ein län­ge­res Interview mit einer Wissenschaftlerin (Prof. Annelies Blom, Uni Mannheim) gese­hen, die über eine reprä­sen­ta­ti­ve Langfrist-​Studie** zur Einstellungen und Verhalten der Bevölkerung ange­sichts der Corona-​Pandemie berichtete.

    Kurz und knapp: Die über­wie­gen­de, gro­ße Mehrheit der Bevölkerung unter­stützt nach wie vor die ein­ge­lei­te­ten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie hier im Land, auch wenn sie die per­sön­li­che Bewegungsfreiheit und den gewohn­ten Lebenskomfort ein­schrän­ken. Zu ver­zeich­nen­der Rückgang der Zustimmung in mess­ba­rem, aber immer noch rela­tiv gerin­gem Maß betrifft vor allem Bereiche, wo es die per­sön­li­che Lebensführung mas­siv betrifft: Kinder in Kitas und Schulen, uni­ver­si­tä­res Leben u.a.m.

    Mit Nachlassen der Zustimmung ist aber ein­fach über die Dauer der Maßnahmen hin­weg zu rech­nen, das ist wohl nor­mal und erwartbar.

    ** mehr hier zur 100-​Tage Mannheimer Corona-Studie
    (https://www.sowi.uni-mannheim.de/blom/news/?tx_news_pi1%5Bnews%5D=8582&cHash=1c5f5a8dad5b587d999523bb8233fdee)

    Mir jeden­falls bestä­tig­te die­ses Interview heu­te früh ganz klar das, was ich sowie­so schon seit gerau­mer Zeit (viel­fach bestä­tig­ter­ma­ßen) ange­nom­men habe:

    Auch ich als nicht teil­neh­men­der Beobachter (kei­ne „Sozialen Medien”, du kennst ja mei­ne Haltung…) muss eben­falls auf­pas­sen, nicht einer gro­ßen, fast schon umfas­sen­den Wahrnehmungsverzerrung auf­zu­sit­zen, die sich eine sehr klei­ne Minderheit von Rechtsradikalen und ande­ren Lügnern sowie eini­ger markt­schreie­ri­scher Verschwörungs-​Schwätzern bestän­dig zu Nutze zu machen ver­sucht. Es herrscht zur Zeit ein mäch­ti­ges Geschrei die­ser klei­nen Minderheit samt ihrer rabul­si­s­ie­ren­den par­la­men­ta­ri­schen Vertretung um die Deutungshoheit gegen einen künst­lich auf­ge­bau­ten Riesen-​Popanz: den sogen­n­an­ten „Mainstream” in Medien und Politik.

    Wer am lau­tes­ten schreit, wird gehört und wahr­ge­nom­men. Und je atem­be­rau­ben­der der her­aus­ge­brüll­te Inhalt, des­to bes­ser ver­haf­tet er sich bei einer schwei­gen­den Minderheit an fol­ge­wil­li­gen Unzufriedenen. 

    Du sprachst oben vom Streit an den Stammtischen, wie es ihn frü­her gab. Am Wirkungsprinzip hat sich nichts ver­än­dert, nur an den Austragungsorten und Größenordnungen:

    Damals blök­ten die­je­ni­gen, die bloß glaub­ten, infor­miert zu sein – weil sie ihre Fehlinfomationen und Lügen aus BILD bezo­gen – ihren Unsinn laut­stark an den Stammtischen und den Kiosken. Das waren die Orte, die den heu­ti­gen „Sozialen Medien” im Detail ent­spre­chen. Damals lief man dem Dünnpfiff hin­ter­her, den deren Redakteure ver­zapf­ten (und dem ten­den­ziö­sen ’ZDF-​Magazin’ und sei­nem rechts­ge­rich­te­ten Chef-​Radebrecher, wenn du dich erin­nerst). Heute läuft man Schreihälsen aus der Ecke der weit rechts ange­sie­del­ten Sonderlinge hin­ter­her, selbst wenn sie mal soge­nannn­te „Vegan-​Köche” waren.

    Das da natür­lich ande­re, inzwi­schen gut orga­ni­sier­te Sonderlinge aus der rechts­extre­mis­ti­schen Ecke mas­siv drauf­sat­teln, wie soge­nann­te „Reichsbürger” und „Identitäre”, ist nach­ge­ra­de unver­meid­bar. Und damit kom­men auch die Verschwörungsmythen ans Tageslicht. Die Corona-​Krise ist ein idea­les Vehikel. Du kannst gera­de­zu jeden belie­bi­gen idio­ti­schen Schei…dreck (Bill Gates, George Soros, Impfstoffe, Chemtrails, Reptioiden, Juden u.a.m.) als Bedrohungsszenario kon­stru­ie­ren, du wirst immer eine gewis­se Menge ’Follower’ fin­den, die glau­ben, dass sie sonst nie­man­dem mehr glau­ben können. 

    Die triffst du dann zur Zeit mas­ken­be­freit und dicht gesta­pelt in Berlin, wo sie ihrem selbst­ver­schul­de­ten Unmut laut­stark war­me Luft machen.

    Aber es ist eben bloß eine klei­ne fünf­stel­li­ge Anzahl, die media­len Aushub macht, der nach Millionen klingt, die jetzt end­lich das ver­hass­te „System” stür­zen wol­len. Ok, zuge­ge­ben ;-), es waren vor ein paar Wochen 12 Millionen und am ver­gan­ge­nen Wochenende 19 Millionen, die in Berlin zusam­men­ka­men und bei­na­he den Umsturz geschafft hätten.

    Wenn da nicht drei oder vier Polizisten gewe­sen wären… :-))

    Aber Spaß beiseite.

    Man soll­te die­se Angelegenheiten nicht ver­harm­lo­sen, und es ist auch nicht so, wie es poli­ti­sche Sprachregelung gewor­den zu sein scheint: dass es näm­lich eine Situation gibt, in der „besorg­te Bürger” demo­kra­tisch recht­schaf­fen ihrem Unmut und ihrem Unverständnis ange­sichts der Anti-​Corona-​Maßnahmen auf Demonstrationen Ausdruck ver­lei­hen und die­se dann von Rechtsextremen und ande­ren inter­es­sier­ten extre­men Kreisen sozu­sa­gen „geka­pert” und für deren eige­ne Agenda miss­braucht werden.

    Wir sahen in Berlin (und anders­wo, Stuttgart, Frankfurt) schon einen demo­kra­tie­feind­li­chen rech­ten Bodensatz laut­stark aktiv, der im Rahmen die­ser „Hygiene- und Anti-​Corona-​Maßnahmen-​Demos” eben nicht die Minderheit stell­te. Da ist nach mei­ner Überzeugung wenig „geka­pert”, da ist man mehr­heit­lich unter sich und fühlt sich wohl dabei.

    Der Anteil der deut­schen Bevölkerung, der sich leicht und bil­lig rechts­ra­di­kal auf­wie­geln lässt, ist in den letz­ten zwan­zig Jahren sicher­lich grö­ßer gewor­den. Und dank „Sozialer Medien” auch sichtbarer…

    (Uff, jetzt ist es doch ein lan­ger Kommentar geworden…)

🧡 Danke, dass du hier warst.

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