Wähler: Was für ein hin und her

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von Horst Schulte

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Mit der Präsenz der Wähler der AfD und den poli­ti­schen Auswirkungen befas­sen wir uns per­ma­nent. Wir regen uns furcht­bar dar­über auf, wenn ihre Parteifunktionäre und Anhänger ihre unsäg­li­chen Tiraden ver­brei­ten und wun­dern uns gleich­zei­tig dar­über, dass die Zahl derer, die dem irgend­et­was abge­win­nen kön­nen, so groß ist, gefühlt jedenfalls. 

Genau die­se Wahrnehmung zeigt, dass wir trotz unse­res all­täg­li­chen Umganges mit den inzwi­schen nicht mehr so ganz neu­en Medien offen­bar nicht all­zu viel dazu­ge­lernt haben. Wir spre­chen von Medienkompetenz, Quellenkritik, sind aber über Absichten und gewis­se Einsichten bis­her kaum hin­aus­ge­kom­men. Auch die­je­ni­gen nicht, die als so genann­te «Natives» eigent­lich einen ande­ren Zugang haben soll­ten. Dazu gibt es auf­schluss­rei­che Reportagen. 

Nehmen wir den Einfluss der «WerteUnion». Leute wie der ehe­ma­li­ge Chef des deut­schen Verfassungsschutzes, Maaßen, sind bei Twitter omni­prä­sent. Einen gro­ßen Einfluss kann die­ser Verein auf die CDU nicht haben, denn er hat nur ca. 4000 Mitglieder. Das ist ca. ein Prozent der Mitgliedszahl der gesam­ten CDU. Wir schlie­ßen aus dem Schmerz, den uns die stän­di­gen Tiraden der «WerteUnion» und der AfD berei­ten, dass die­se Leute eine grö­ße­re Bedeutung inner­halb unse­rer Gesellschaft haben, als es tat­säch­lich der Fall ist. Im Netz sind sie stark prä­sent, das ist bekannt. Von der Meinungsführerschaft sind die­se Leute zum Glück weit ent­fernt. Es liegt an uns, etwas gegen den Eindruck zu unter­neh­men, dass ras­sis­ti­sches und völ­kisch-natio­na­lis­ti­sches Gedankengut im Internet zu häu­fig unwi­der­spro­chen, weil unkom­men­tiert bleibt.

Millionen von Wechselwählern

Die AfD steht bun­des­weit nach wie vor bei maxi­mal 14 bis 15 %. In einer Umfrage Anfang Februar wur­de die AfD sogar nur mit 10% taxiert – ein Ausreißer, der für mich immer auch ein Hoffnungsschimmer ist. Im Osten genießt die AfD eine höhe­re Wertschätzung, als im Westen. Die AfD in Hamburg liegt in den Umfragen aktu­ell bei 7%. Bei den letz­ten Wahlen in Ostdeutschland erhielt sie bis zu 27% der Wählerstimmen. Für Sachsen-Anhalt, in dem nächs­tes Jahr gewählt wird, gab es angeb­lich eine Umfrage, die die AfD bei 25% sieht. Damit wäre sie größ­te Partei. Die AfD jubelt schon. In den offi­zi­el­len Wahlumfragen taucht die Umfrage nicht auf. Ich habe die­sen Wert, außer in einen Tweet der AfD, nir­gends gelesen. 

Gegenüber den Ergebnissen der letz­ten Bundestagswahl (2017) haben sich die Werte für die AfD (12,6%) nicht all­zu stark bewegt. Bei den Bundestagswahlen ent­sprach ein Stimmenanteil von einem Prozent unge­fähr 500.000 WählerInnen. Die AfD hät­te seit 2017 also nach die­sen Umfragen ca. 1,5 Mio. WählerInnen hin­zu­ge­won­nen. Was ist das gegen den Verlust der SPD, der sich unge­fähr auf 3,3 Mio. WählerInnen beläuft? Die Union ist auch nicht viel bes­ser dran. Gegenüber dem amt­li­chen Endergebnis von 2017 ver­liert sie nach aktu­el­len Umfragen auf Bundesebene ca. 6 %, also eben­falls unge­fähr 3 Mio. Wählerstimmen. Die Linkspartei hält ihr Ergebnis der Bundestagswahl eini­ger­ma­ßen, die FDP ver­zeich­net mitt­le­re Verluste. 

Keine Konstanz

Die Grünen haben seit dem Herbst 2017 (8,9%!) sage und schrei­be ca. 6,6 Mio. WählerInnen hin­zu­ge­won­nen. Wenn wir statt auf die Prozentzahlen zu schau­en, dar­auf ach­ten, wie vie­le WählerInnen seit 2017, ori­en­tiert an den aktu­el­len Umfragen, ihre Parteipräferenzen ver­än­dert haben, ist das viel­leicht die mas­sivs­te Veränderung mit der wir es in der Geschichte unse­rer Demokratie bis­her zu tun hatten. 

Dass der Gewinn der Grünen sich rech­ne­risch aus den Verlusten der Union und der SPD speist, ist bemer­kens­wert. Dagegen sind die ca. 1,5 Mio., die die AfD seit­her gewon­nen hat, doch eher ein «Fliegenschiss», der zudem wohl mit den für mich eigen­ar­ti­gen Präferenzen unse­rer ost­deut­schen BürgerInnen erklär­bar ist.


Vielleicht ist die Frustration so vie­ler Menschen gar nicht mal damit zu erklä­ren, dass unse­re Groko-Regierung kon­kre­te Fehler gemacht oder sich zu sehr im «Klein-Klein» ver­fan­gen hat. Gibt es Veränderungen in unse­rer Gesellschaft, die von der Regierung nicht oder nicht hin­rei­chend beach­tet wur­den? Jedem wer­den dazu Politikfelder ein­fal­len, die auch von der Politik zwar oft ange­spro­chen aber nicht effek­tiv bear­bei­tet wurden.

Migration, Gewaltkriminalität, Klima, Digitalisierung, Rente, Bildung, Infrastruktur. Alles Bereiche, die wie aus der Pistole geschos­sen kom­men. Viele sagen zu Recht, dass es die AfD nur des­halb gibt, weil die­se Themen nicht so bear­bei­tet wur­den, wie die BürgerInnen sich dies von der Regierung gewünscht hät­ten. Keine Angst, ich stei­ge jetzt nicht in die ein­zel­nen Themenfelder ein oder begrün­de, wes­halb ich über­haupt zual­ler­erst auf die­se gekom­men bin. 

Volksparteien ver­lie­ren

Unterschiedliche Ansichten über die Bearbeitung gibt es in allen Parteien. So gibt es in der Union («WerteUnion») ein­ge­schlos­sen, in der SPD, der FDP und auch den Linken sehr unter­schied­li­che Haltungen zur Migration. Das ist bei ande­ren Kernthemen auch nicht anders. In den ehe­ma­li­gen Volksparteien ist das nichts beson­de­res, soll­te man mei­nen. Sie soll­ten eini­ger­ma­ßen geübt sein mit dem Zusammenführen unter­schied­li­cher Positionen. Das soll­te doch der Vorteil von Volksparteien sein, jeden­falls wird es von Politikern und Medien gern so dar­ge­stellt. Warum funk­tio­niert das heu­te nicht mehr? Vielleicht des­halb, weil die Stimmenanteile der ehe­ma­li­gen Volksparteien so krass dahin­schmel­zen und die Spannungen inner­halb der Partei das nicht mehr zulassen?

Auch auch ande­ren Parteien (ein­schließ­lich der Linken) sind unein­heit­li­che Standpunkte zu wich­ti­gen Fragen zu hören. 

Warum soll­te sich die­se hohe Volatilität, die sich in den Parteien fin­det, nicht auch auf die Wähler aus­wir­ken? Wundern und ärgern wir uns vor die­sem Hintergrund zu Recht, dass vie­le Menschen gegen­über der Demokratie skep­tisch sind und des­halb für auto­kra­ti­sche «Führer» Sympathien entwickeln? 

Theorie und Praxis

Wie ist in die­sem Zusammenhang die hef­ti­ge Diskussion zu sehen, die die Äquidistanz der Union zu den rech­ten und lin­ken Rändern des poli­ti­schen Spektrums aus­ge­löst hat? Was wür­de pas­sie­ren, wenn die Union ihren Parteitagsbeschluss teil­wei­se auf­he­ben wür­de? Oder ande­res gefragt: sind die Sorgen der Funktionäre der Union berech­tigt? Würden die Wähler eine, wenn auch bloß sin­gu­lä­re, Zusammenarbeit mit der Linken in Thüringen gou­tie­ren oder wäre auch das ein «Dammbruch», den so vie­le in der hin­ter­fot­zi­gen Aktion der AfD bei der Wahl des Ministerpräsidenten sehen? Wahrscheinlich ist der rie­si­ge Parteiapparat der Union zu plötz­li­chen Korrekturen sol­cher Beschlüsse nicht in der Lage. Sie wären nicht ohne Risiko, kön­nen aber ande­rer­seits eine Stärkung der Demokratie bedeu­ten. Wir sehen die Grenzen, die der Demokratie und ihren Institutionen auf­er­legt sind. Solche Korrekturen sind lang­wie­rig und bedin­gen das inner­par­tei­li­che Engagement von Menschen mit Überzeugungskraft und Charisma.

Ich für mei­nen Teil sehe sel­ten sol­che Menschen in unse­ren Parteien, wobei ich beob­ach­te, dass die Leute, die ich für fähig hal­te, im Handumdrehen von ande­ren abqua­li­fi­ziert wer­den. Und so weiter. 

Größe des Parlaments /​Kosten

Seit der Wiedervereinigung ist die Zahl der Bundestagsabgeordneten stän­dig ange­wach­sen. Inzwischen hat Deutschland das zah­len­mä­ßig zweit­größ­te Parlament aller demo­kra­ti­schen Staaten (welt­weit!), in Europa ist es sogar das Größte. Dass es die Politik bis­her nicht schafft, die­se Situation in ver­nünf­ti­ger Weise zu ändern, beschä­digt die Demokratie. Dabei ist die Soll – Größe des Parlaments gesetz­lich gere­gelt. Und das wis­sen die Politiker auch. Was sind das für Menschen, die sich in die Verantwortung wäh­len las­sen und die­se dann so wahrnehmen? 

Schlussfolgerungen, die nicht nur AfD-Wähler aus sol­chem anhal­ten­den Missverhalten zie­hen, wer­den igno­riert, obwohl das Thema immer wie­der mal auf der Agenda auf­taucht. Das glei­che gilt übri­gens für die vom Bundestag beschlos­se­nen Erhöhungen von Diäten und ande­ren Leistungen für Mitglieder des Bundestages. Natürlich hän­gen bei­de Punkte, die Größe des Parlaments und die Frage von Diäten und ande­ren Leistungen zusam­men. Entsprechend kri­tisch wer­den die­se Dinge in der Öffentlichkeit bewer­tet. Die Kosten für den Politikbetrieb betra­gen inzwi­schen fast eine Milliarde Euro jährlich. 

Wer sich ein wenig mit den Auswirkungen der Cum-Ex-Geschäfte für den Bundeshaushalt befasst hat, der wird mit Abscheu davon erfah­ren haben, dass Verantwortliche von maß­geb­li­chen Politikern geschützt wer­den. Es wird auf Steuergelder in Milliardengrößenordnungen aus Gründen ver­zich­tet für die schwer­lich nach­voll­zieh­ba­re Erklärungen gefun­den wer­den dürf­ten. Sofern die­se über­haupt mög­lich wären. Dass die­se Geschichte kurz vor den Hamburger Bürgerschaftswahlen an die Öffentlichkeit kom­men, lässt nur den Schluss zu, dass es sich ein­mal mehr um wider­li­che poli­ti­sche Machenschaften han­delt. Die Handlung und ihre Öffentlichmachung sind inso­fern gleich­wer­tig und natür­lich dazu geeig­net, jede Illusion einer wenigs­tens halb­wegs kor­rup­ti­ons­freie Republik zu erschüttern.

Es gibt neben den immer wie­der genann­ten Politikthemen also wei­te­re Problemfelder, die den AfD-Leuten in die Hände spielen. 


Horst Schulte

Herausgeber, Blogger, Amateurfotograf

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe auf dem Land.

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Artikelinformationen

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4 Gedanken zu „Wähler: Was für ein hin und her“

  1. Zur Größe des Bundestags und der beharr­li­chen Weigerung der bestehen­den Regierung, des­sen Besetzung in eine (unge­fäh­re) Größenordnung zu ver­set­zen, die geset­zes­kon­form ist, habe ich für mich Folgendes beschlossen:

    Sollte es zu kei­ner Reformregelung kom­men und der nächs­te zu wäh­len­de Bundestag wie­der in der­art exor­bi­tan­te Größenordnungen aus­zu­ufern dro­hen, dann wer­de ich zur Bundestagswahl nicht wäh­len. Punktum, Thema für mich beendet.

  2. In mei­nem Fall ist es ja bloß Regierungsverdrossenheit, bezo­gen auf die aktu­el­le Regierung bzw. dau­er­haft auf die regie­ren­den Parteien und deren Missbrauch von poli­ti­scher Macht (und der gefäl­li­gen Selbstbedienung aus dem öffent­li­chen Steuertopf).
    Der aktu­el­le Bundestag ist nur des­we­gen auf­ge­bläht – und der nächs­te wird es wohl (noch mehr) sein, weil die­se Parteien es nicht anders wol­len. Der Bundestag ist unter ihrer Ägide zu einer wohl­fei­len Alimentierungsplattform für gewähl­te Abgeordnete ver­kom­men (wor­den), sei­ne poli­ti­sche Wirksamkeit dage­gen abge­wirt­schaf­tet zu einer rei­nen Abnickanstalt für Regierungsentscheidungen.

    Die Korrektur wenigs­tens in Richtung des gesetz­lich vor­ge­ge­be­nen Rahmens der Bundestagsgröße wäre das Mindeste, was die­se Regierung voll­brin­gen könn­te, wenn sie in mei­nen Augen noch einen klei­nen Rest an Glaubwürdigkeit und Redlichkeit behal­ten wollte.

    Andererseits:
    Mich demo­kra­tie­ver­dros­sen zu machen wird auch die­ser Regierung nie­mals gelin­gen, auf gar kei­nen Fall.

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