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Der Rückzug aus Afghanistan war richtig – der Preis war zu hoch

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von Horst Schulte

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Die Medien sind voll von Schuldzuweisungen. Gegen die Amis und gegen ihre Alliierten, also auch der deutschen Bundesregierung werden völlig zu Recht Vorwürfe gemacht. Ich kann alles verstehen und teile auf alle Fälle den Vorwurf, dass der Abzug nicht so vorbereitet war, wie es nötig gewesen wäre. Das hätte Menschenleben retten können. Jedenfalls, soweit man dies von hier aus überhaupt beurteilen kann.

Es ist erbärmlich, wie die deutsche Bundesregierung Menschen im Stich gelassen hat, die jahrelang für unsere Bundeswehr und andere deutsche Institutionen gearbeitet haben.

Die Medien meldeten, dass der deutsche Botschafter in Kabul bereits vor Monaten, die rechtzeitig Evakuierung der „Ortskräfte“ (was für eine blöde Bezeichnung übrigens!) angemahnt hatte. Wahrscheinlich ließ Außenminister Maas gerade bei Brioni Maß nehmen. Für die nötigen Maßnahmen im Auswärtigen Amt war jedenfalls keine Zeit.

Dass auch die Amis keine Vorbereitungen für diesen Fall getroffen haben, kann man als Indiz dafür werten, wie wichtig ihnen und uns die einheimischen Verbündeten im Land der Taliban sind.

Erschütternd ist, dass Biden erst vor Kurzem großspurig erklärt hatte, dass es Bilder wie damals in Saigon nicht geben werde. Nun wirken sie aber ziemlich genauso. Es gibt Bilder, die an die unheimliche Szenerie zum Ende des Vietnam-Krieges erinnern. Auch damals hatten die Amis Mühe, ihre Leute noch rechtzeitig zu evakuieren.

Es war die Rede davon, dass „unsere Ortskräfte“ aus ungefähr 2000 Personen bestehen. Von diesen wurden nach aktuellen Meldungen erst 20 % evakuiert. Offenbar dachten die Verantwortlichen in Berlin, man habe alle Zeit der Welt. Gut, die tollen Geheimdienste der Vereinigten Staaten haben die Lage ebenso falsch eingeschätzt. Kein Trost aber sehr wohl ein Ausweis von Ignoranz und totaler Inkompetenz! Es ist längst keine Überraschung mehr: Geheimdiensten darfst du nichts glauben. KEINEM! Außerdem kochen die ihr eigenes Süppchen. Ich erinnere daran, dass sie vor dem letzten Irak-Krieg die eigene Regierung belogen haben. Oder die haben gelogen – oder beide.

Ich frage mich nun, wie viele Leute wir wirklich retten müssten, damit unser Gewissen einigermaßen beruhigt ist.

Denn die Aufregung im Land ist riesig. Es wurden Spendenkonten eingerichtet. Mit dem Geld sollen Menschen aus dem Taliban-Land gerettet werden. Rührend ist das und menschlich voll OK. Leider müssen wir aber auch damit leben, dass es (auch hier) Leute gibt, die das falsch finden.

Wir sind uns hoffentlich einige: Menschen retten ist immer richtig.

Schließlich aber war trotzdem richtig, diesen Krieg zu beenden!

Denn eins ist sicher, die Taliban wären auch in fünf oder zehn Jahren weiterer Anwesenheit der Alliierten nicht besiegt, sie verbreiten so oder so weiter ihren Schrecken. Wenn ich mir das Verhalten der regulären afghanischen Armee vor Augen halte, deren Stärke und Ausrüstung von Fachleuten grundlegend falsch eingeschätzt wurde, kommt mir der Gedanke, dass breite Teile der Bevölkerung vielleicht doch mehr mit den religiösen Fanatikern sympathisieren, als wir glauben. Unsere Mission wäre während der vergangenen zwanzig Jahre schlechter zu begründen gewesen, wenn der Verdacht aufgekommen wäre, dass viele Afghanen einem Kalifat gar nicht abgeneigt wären. Was wir von Afghanen in Großstädten manchmal hören, muss diesbezüglich nicht die Mehrheitsmeinung widerspiegeln. Auch, wenn wir es gern geglaubt haben.

Ich komme nur deshalb darauf, weil die Bevölkerung zum einen keine Regierung hat, hinter der sie sich versammeln könnte. Die Führung des Landes gilt als korrupt. Der aktuelle Präsident hat sich in Sicherheit gebracht und Karsai, der frühere afghanische Präsident, will nun mit den Taliban verhandeln. Ein mutiger Mann, finde ich. Ich wünsche seinen Bemühungen Erfolg, bin aber sehr, sehr skeptisch, ob mit den Taliban jetzt überhaupt Verhandlungen Erfolg versprechend wären.

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Was für ein unerträgliches Gelaber… Der Mann hats genauso verpennt wie die komplette Regierung. Sie hat sehenden Auges in Kauf genommen, was jetzt vor unser aller Augen abläuft.

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