Thema: Afghanistan

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Die Zahl der Ortskräfte: Wie kommt man von einer kleinen vierstelligen auf eine fünfstellige Zahl?

Was ich allen Verantwortlichen im Fall der unorganisierten Evakuierung sogenannter Ortskräfte aus Afghanistan übel nehme, ist, dass sie in der Debatte von Beginn an nie die Wahrheit gesagt haben. Wie bei vielen anderen Themen geschah das aus Angst vor der Reaktionen der Rechten. Die zweite Möglichkeit wäre die, dass die betreffenden Menschen den Verantwortlichen egal sind.

In den Medien war zu Beginn von vielen unterschiedlichen Zahlen die Rede. Dabei ging es stets um die gleiche Frage. Meistens war es eine Zahl um die 2000 Menschen. Manche Medien berichteten von einer Zahl im niedrigen vierstelligen Bereich.

Inzwischen wissen wir, dass wir inklusive der Familienangehörigen mit ungefähr 40.000 Menschen aus Afghanistan rechnen. Und das nach all den Diskussionen. Ob das Auswärtige Amt die Ausreise dieser Leute organisieren kann, bleibt fraglich.

Alle Debatten, die daraus entstanden sind oder jetzt geführt werden, hätte man vermeiden können, wenn von vornherein klar gewesen wäre, dass wir alle Menschen, die durch die Zusammenarbeit mit unseren Institutionen (einschließlich der Bundeswehr) durch das neue Regime gefährdet wären, nach Deutschland holen. Ich hatte an anderer Stelle eine selbstkreierte Zahl von 50.000 als Höchstgrenze definiert. So schlecht lag ich nicht.

Foto: “Simulated casualty” by The U.S. Army is licensed under CC BY 2.0

Falsche Propheten und die deutsche Bürokratie

Merz hatte gut vorgelegt, indem er Laschets “Coup” mit dem achtköpfigen Team für seinen Wahlkampf in einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten vom Dienstag im Prinzip in die Erde stampfte. Dabei ist er selbst Mitglied. Er soll Wirtschaftsminister werden.

Dass jetzt der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende, Andreas Jung (guter Mann – ganz ohne Zweifel!), die Umweltbelange vertritt und nicht, wie es bei Lanz doch zu sein schien, die Mitgründerin der Klimaunion und CDU-Vorstandsmitglied, Wiebke Winter, hat mich überrascht. Auf den Fotos des Teams war Andreas Jung zu sehen, Wiebke Winter aber nicht.

Vielleicht habe ich da auch nur etwas falsch verstanden. Dass Jung statt Winter nun im Wahlkampfteam ist, hat hoffentlich nichts mit den reichlich unverschämten Attacken des Markus Lanz in seiner Sendung von Dienstag zu tun?!

Der mögliche Bundeswirtschaftsminister, der Merz heißen könnte, will also von Klimaschutzmaßnahmen, die den Namen vielleicht verdient haben, nichts wissen. Aber auch nicht von den Alibimaßnahmen, die die EU unter Führung einer anderen CDU-Legende, namens Uschi von der Leyen.

Merz hält den geplanten CO₂-Grenzausgleich für die Abkehr von der Idee der Freihandelsabkommen.

Merz sagte am Dienstag bei einer Veranstaltung des CDU-Wirtschaftsrats, wenn es dazu komme, „dann ist das nicht nur das Ende der Freihandelspolitik, dann ist das der Beginn eines neuen Welthandelskonflikts, bei dem es nur Verlierer geben wird“. Die kommende Regierung müsse alles tun, „um diesen Unsinn zu verhindern, der da in der Europäischen Kommission – leider unter Führung einer deutschen Kommissionspräsidentin – geplant wird“.

Heftiger Klimastreit in der Union – Stuttgarter Nachrichten

Dass Laschets Wahlkampfteam Merz’ Aussage einkassierte, ist deshalb pikant, weil Merz schließlich Mitglied ebendieses Teams ist.

Im Interview wird erwähnt, dass Wiebke Winter Mitglied von Laschets Wahlkampfteam sei, zuständig für Klimaschutz. Dass nicht sie auf dem heute veröffentlichten Bild zu sehen ist, sondern Andreas Jung, fiel mir auf. Aber ich ziehe vielleicht voreilige Schlüsse?

Der “Spiegel” hat herausgefunden (wieder mit ganz großer Besetzung…Matthias Bartsch, Jürgen Dahlkamp, Jörg Diehl, Matthias Gebauer, Roman Lehberger und Wolf Wiedmann-Schmidt), dass unter den aus Kabul Geretteten ein verurteilter Sexualstraftäter befand, den Deutschland in sein Heimatland Afghanistan abgeschoben hatte. Wie konnte es nur dazu kommen, fragten sich die klugen Journalisten vom “Spiegel”, dass ein verurteilter Straftäter einem Schutzsuchenden vorgezogen wurde? Ach, der ist einfach durchgerutscht! Das ist ein Skandal und wieder einer von (ich habe aufgehört zu zählen) hunderten von Sargnägeln, die unsere (ach so kritische) Presse immer im Schlepptau solcher Vokabeln wie Politikversagen und dergleichen an die BürgerInnen dieses Landes schickt.

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Wochenlang arbeiten sich Journalisten, auch und vor allem beim “Spiegel” daran ab, wie schwerfällig deutsche Technokraten und Bürokraten sich bei den nötigen Evakuierungen angestellt hätten. Jetzt empören sie sich über das Chaos, das trotz dieser beklagenswerten Schwerfälligkeit, angerichtet wurde. Also eben darüber, dass dieser Import von Kriminellen nicht vermieden wurde.

Wieder sind es die Behörden, die Politiker schuld. Ein Anflug von Selbstzweifeln kennen Journalisten nicht. Aber dieses Versagen macht niemand öffentlich!

Dabei betonen die Spiegel-Journalisten, dass der Mann, nachdem er nun seine Reststrafe in Deutschland abgesessen habe, hier in unserem Land bleibt. Denn: “Ins Reich der Gotteskrieger wird zu Recht nicht mehr abgeschoben.” Meine Meinung ist bekanntlich eine andere. Aber wen juckts?

Die krassesten Fehler im System sind nun Straftäter, die Deutschland verlassen mussten, weil sie hierzulande als Gefahr galten, aber jetzt unter den Geretteten sind. Wie viele es sind, ist umstritten. Im Innenministerium war zunächst von vier Personen die Rede. Aus der Bundespolizei, die am Flughafen Frankfurt die Personalien der Neuankömmlinge aufnahm, hieß es dazu nur, »mehr«.

Abgeschobener Sexualstraftäter kam mit deutscher Luftbrücke zurück – DER SPIEGEL

Als mit einer Bundeswehrmaschine nur sieben Menschen aus Kabul ausgeflogen wurden, hieß es zunächst, dass eine Liste nicht vorgelegen habe, nach der die Evakuierungen hätten vorgenommen werden sollen. Was so viel heißen sollte, dass doch genug andere Menschen am Flughafen gewesen sind, die mit diesem Flieger hätten gerettet werden können. Wäre also ein bisschen Ordnung, Bürokratie also doch wünschenswert gewesen? Entscheidet euch mal, ihr Dummschwätzer! Na, zum Glück, haben sie den Verbrecher gefunden. Der Artikel nährt den Zweifel, ob nicht noch mehr afghanische Straftäter nach Deutschland evakuiert worden sein könnten… Wer sich über diese Informationen am meisten freuen dürfte, muss ich hier nicht erwähnen.

Die Presse in Deutschland schreibt unser Land in einer Art und Weise herunter, die ich für unverantwortlich halte. Aber dieses Versagen der Medien wird von all den Großkopferten Journalisten, die uns ständig im Fernsehen erzählen, wie Scheiße Deutschland ist, nicht einmal angesprochen, viel weniger selbstkritisch hinterfragt.

Afghanistan: Bisherige Abschiebungspraxis in Deutschland

Die Abschiebepraxis der letzten Jahre für Afghanistan war gestern auch Thema bei “Markus Lanz”. Ich fand es interessant, dass Robin Alexander, einer der meiner Meinung nach bestinformiertesten Journalisten des Landes, an diesem Punkt nicht ganz auf der Höhe war. Er hat dies heute in einem Tweet anhand der Informationen von Pro Asyl dankenswerterweise klargestellt.

Die, je nach Bundesland, unterschiedliche Handhabung der Abschiebungen in das Land könnte man skandalös nennen. Das passiert aber nicht – wohl, weil wiederum keine schlafenden Hunde geweckt werden sollten.

Um meinen Standpunkt dazu ganz klar zu sagen: Ich finde, Gefährder und Straftäter sind auszuweisen. Auch jetzt, nachdem die Taliban das Land unter ihre Kontrolle gebracht haben! Dass man Afghanen abschiebt, weil sie schwarzgefahren sind, ist allerdings ebenso lächerlich wie die Ausweisung von Menschen, die juristisch als Identitätsverweigerer bezeichnet werden. An dieser Stelle werden doch wohl hoffentlich noch eindeutige Kriterien festzulegen sein?!

Wenn unsere Behörden es nicht fertigbringen, schon bei der Ankunft von Geflüchteten diese wichtigen Fragen zu regeln bzw. keine korrekte Antwort auf die Frage nach der Herkunft gegeben wird, muss direkt abgeschoben werden, ein Asyl-Verfahren kann nicht erfolgen, weil die- oder derjenige später aufgrund der fehlenden Angaben nicht mehr abgeschoben werden können. Wer kein Herkunftsland angibt, hat im Grund einen Aufenthaltstitel in der Tasche. Das ist nicht in Ordnung.

Dass dieses Paradoxon immer noch besteht, zeigt nur, wie feige Politiker und Juristen bei diesen Fragen sind.

Und jetzt zu der aktuellen Situation. Ich bin dafür, dass wir alle “Ortskräfte” und ihre Familien nach Deutschland holen. Die Politik hat die Verpflichtung der Öffentlichkeit eine Zahl von Menschen zu nennen, für die diese Regelung gelten soll. Für mich wäre es in Ordnung, wenn die Zahl nicht 2.000, nicht 20.000, sondern 50.000 lauten würde. Klar muss allerdings sein, dass alles dafür getan wird, dass diese Regelung nicht wieder dazu führt, dass immer mehr Menschen aus Afghanistan in Richtung Europa aufbrechen.

Nach den Informationen, die wir aus Afghanistan hören (geschlossene und überwachte Grenzübergänge) ist das unter den momentanen Bedingungen auch nicht zu erwarten. Ein Sprecher der Taliban hatte Journalisten gesagt, dass sie keine BürgerInnen ausreisen lassen würden, weil sie diese Menschen zum Aufbau des Landes brauchen würden. Nun mag man solche Aussagen grundsätzlich mit einigem Recht infrage stellen können. Aber die Situation ist nicht vergleichbar mit der 2015. Insofern ist die Aussage, die vor allem von Unionspolitikern ständig wiederholt wurde: “2015 darf sich nicht wiederholen” ausgemachter Unsinn und dient nur dazu, die ganz rechten Unionswähler doch noch an die Urne zu locken.

Ich würde zu gern wissen, welchen Grund die Verzögerungstaktik der deutschen Regierung hatte, sich nicht rechtzeitig um die Evakuierung der Ortskräfte oder besonders gefährdeter Personen zu kümmern, sondern die notwendigen Maßnahmen auf so schändliche Art und Weise auf die lange Bank zu schieben. War es nicht doch die Sorge, Stimmenverluste bei den Wahlen zu riskieren, wenn man menschlich gehandelt und Menschenleben gerettet hätte?

Oder war es diese der deutschen Politik häufig nachgesagte Bräsig – und Verantwortungslosigkeit, die den Verantwortlichen ihr ihren Rest von Menschlichkeit genommen hat?

Ein dritter Grund käme noch infrage. Glaubte die Regierung etwa, dass sie mit diesem Verhalten im Land einfach so durchkäme? Haben die Amis und die anderen das auch so gesehen? Was ist mit uns los? War den Verantwortlichen das Schicksal der betroffenen Menschen etwa so gleichgültig, dass sie nicht einmal glaubten, es könnte zu einer gewaltigen öffentlichen Empörung kommen? Wie blöd kann man sein? Und dieser Kurz, der ständig in die Mikros labert, Österreich werde keine Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen, scheint auch bei uns im Land immer mehr Freunde zu gewinnen. Das wiederum spricht zumindest dafür, dass die Sorge unserer Politiker doch nicht ganz unbegründet war.

Ganz vielen Leuten (Twitter, Insta und der ganze Rotz) in Deutschland geht das Schicksal der Menschen, die unsere Bundeswehr und andere offizielle Stellen Deutschlands in Afghanistan jahrelang unterstützt haben, nicht nahe. Sie äußern sich allgemein besorgt (will nicht schon wieder ausfallend werden!), egoistisch und haben insofern ja doch die Erwartungen unserer Regierung in dieser Hinsicht erfüllt.

Motive gesucht

Es wird darüber spekuliert, ob die Bundesregierung Gründe für ihre Verzögerungstaktik in Afghanistan hatte oder ob dieses furchtbare Desaster, das so viele Menschen in Lebensgefahr gebracht hat, “nur” dadurch entstand, dass es ihr an der nötigen Weitsicht mangelte. Oder hat sie sich etwa bewusst dafür entschieden, die “Ortskräfte” im Stich zu lassen?

Sätze wie “2015 darf sich nicht wiederholen” könnten das nahelegen. Aber dürfen wir unserer Regierung so viel Zynismus unterstellen? Ich meine, wäre das fair?

In diesem Land herrscht keine Einigkeit. Ungefähr die Hälfte der Befragten bei Umfragen würde Flüchtlinge aufnehmen, die andere spricht sich klar dagegen aus. Für beide Positionen gibt es Gründe. Leider sind sie nicht verhandel- und damit unvereinbar.

Wäre es so, dass die Politik auf dieser schlechten Grundlage entschieden hätte und befänden wir uns nicht im Wahlkampf, wäre das Verhalten leichter zu begründen. Allerdings kommen auch aus den Ländern anderer Alliierten klare Ansagen. Auch sie möchten keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen, obwohl dort keine Wahlen stattfinden.

Österreich als “neutrales” Land war nicht in den Krieg in Afghanistan involviert, es gibt nichtsdestoweniger klare Ansagen der Regierung zur Nichtaufnahme von Flüchtlingen.

Anna Schneider, österreichische Journalistin in Springer-Diensten, hat sich bei “Maischberger” gestern wieder mal als Schnell-Schwatzbase erwiesen und durfte ihr voll tätowiertes Unverständnis für das deutsche Versagen äußern. Schade, dass die nicht bei der NZZ geblieben ist! Das war die passende Umgebung für sie und ihr penetrantes Deutschland-Bashing. Vielleicht wäre sie ja irgendwann von dort weggelobt worden und hätte ihr Gift in den USA oder Russland verspritzen dürfen. Natürlich gefällt so einer die herzlose Absage ihrer Kurz-Regierung viel besser.

Es gehört zu meiner Voreiligkeit, die ich immerhin auch schon eingeräumt habe, dass ich unserer Regierung schnell mal das Schlimmste unterstelle. Meine Voreiligkeit kommt allerdings auch zustande, weil sich Unionspolitiker in Reihe so geäußert haben wie ihr Kanzlerkandidat. Sie waren ja so einig, dass sich 2015 auf keinen Fall wiederholen dürfe. Dabei haben sie immer die schon erwähnten 50 % der Bevölkerung im Kopf, die der Meinung sind, dass das Boot voll sei. Ich formuliere das bewusst so!

Aber bevor ich falsch verstanden werde: Ich habe auch etwas dagegen, dass sich das wiederholt, was wir 2015 erlebt haben. Man kann das klar kommunizieren und begründen. Keiner braucht deshalb rumzudrucksen, wie die Regierung es leider seit Langem macht.

Ich versuche, meine Positionen immer wieder zu begründen.

In diesem Fall geht es aber um etwas anderes. Wir haben als Deutsche eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die uns in den letzten 20 Jahren in Afghanistan unterstützt haben. Und wenn es 20.000 sind, dann ist es eben so. Diesen Menschen müssen wir schon aus moralischen Gründen helfen. Wir reden doch so gern von unseren Werten. Wollen wir sie nicht auch mal einlösen, einfach mal zeigen, dass wir sie noch haben und nicht nur darüber reden?

Merkel sprach davon, dass wir versuchen wollen, 10.000 Menschen aus Afghanistan zu evakuieren. Sie meinte wohl nicht damit, dass wir sie nach Deutschland holen, sondern dass sie in einem Nachbarstaat von Afghanistan ihr Leben fristen sollen. Mit dem, was wir dann als finanziell gut ausgestattete Flüchtlingscamps bezeichnen werden. Furchtbar, diese Politikkacke!

Zurück zur Verantwortung. Wahrscheinlich hat die Regierung die Evakuierungsmaßnahmen nicht deshalb hinausgezögert, weil sie davon ausging, dass die menschlichen Tragödien, denen wir nun via TV und Internet beiwohnen, noch vor den Wahlen stattfänden und man solche Bilder vermeiden wollte…

Obwohl – nein! Sie hat schlicht nicht den erforderlichen Weitblick gezeigt, sie hat wie bei anderen Katastrophen der letzten Jahre bewiesen, dass sie verflucht wenig von dem versteht, was man gemeinhin als Führung bezeichnet. Dazu gehört es eben, dass man bestimmte Entwicklungen antizipiert und rechtzeitig erforderliche Schritte einleitet. Wozu brauchen wir noch den BND oder die anderen Dienste? Das dürften sich die Amis für ihre Geheimdienste sicher auch fragen.

Wer will schon von einer solchen Regierung was wissen, die so ganz ohne Voraussicht und Plan agiert? Oder, was auch nicht besser wäre, von einer Regierung regiert würden, die zwar mehr weiß als ihre dummgehaltenen Bürger/- Innen (es könnte uns schließlich verunsichern, wenn wir zu viel wüssten…), bzw. dies aus Sorge um unsere Reaktion an den Wahlurnen verschweigt. Ja, die selbst, nachdem diese Machenschaften aufgeflogen sind, das typische politisch-verschleiernde Kauderwelsch darüber legen.

Dass diese deutsche Regierung nun dasteht, wie ein Haufen Dilettanten und darüber hinaus wie moralisch abgewrackte Gestalten, hat sie sich ganz allein zuzuschreiben. Wer mal die Bundespressekonferenzen in den letzten Monaten und Jahren verfolgt hat (dankenswerterweise gibts ja Formate, die sie komplett aufzeichnen und zum Anschauen bereithalten), der kommt nicht um das Gefühl herum, dass unser System desolat ist und dringend erneuert werden sollte. Ob die Chance am 26.9. dafür Gelegenheit bietet? Ich habe diesbezüglich meine Hoffnung aufgegeben.

Social-Media-Wut als politisches Korrektiv? Das ist so. Aber es ist IMHO destruktiv!

Ich finde, Sascha Lobo hat die Lage in seiner heutigen Spiegel – Kolumne spannend und im Großen und Ganzen zutreffend beschrieben.

Seine Diagnose trifft auch auf mich zu. Ob ich mich bzw. meine Reaktionen auf den Afghanistan-Gau als bigott empfinde, weiß ich heute noch nicht. Es könnte aber sein, dass diese Einsicht noch kommt.

Lobo hat eine Reihe wichtiger Punkte angesprochen, denen ich nur zustimmen kann. Wir brauchen eine schlagkräftige Armee. Vor allem brauchen wir mehr mutige Politiker, die sich trauen, ihre Positionen ganz offen auszusprechen. Auch, wenn es dafür Kritik hagelt. Hätten sich in Wahlkampfzeiten nicht zu viele Politiker vor den vielen gefürchtet, die alle Flüchtlinge am liebsten zum Teufel jagen würden und nicht in vorauseilendem Gehorsam den Satz: “2015 darf sich auf keinen Fall wiederholen” in die Mikrofone gebrabbelt, wäre diese schreckliche Lage erst gar nicht entstanden, weil wir die betreffenden Menschen längst in Sicherheit gebracht hätten.

Mit anderen Worten: Ja, ich bin überzeugt davon, dass die Politik aus Angst vor den ungefähr 50 % der Bevölkerung, die Flüchtlinge ablehnen, das Desaster verursacht hat. Ob ich damit übers Ziel hinausschieße? Das zu beurteilen überlasse ich euch.

Mich mit dem Gedanken zu begnügen, die Politik sei Opfer einer typisch deutschen Bürokratie oder ihrer Bräsigkeit, wäre mir zu billig. Die Atmosphäre im Land hat in diese Sackgasse geführt, die jetzt vielleicht viele Menschen in Afghanistan das Leben kosten könnte.

Was jetzt getan wird, dürfte vermutlich nicht ausreichend sein, die Fehler der letzten Monate auszubügeln. Ich hoffe, ich irre mich.

Ich gebe zu, auch ich neige wie zu viele zur Voreiligkeit und zu virtuellen Gefühlsausbrüchen (qed). Meine Frau meint sogar, genau das gehe langsam fließend ins Reallife über. Ob es am Alter liegt?

Lediglich eine – zugegebenermaßen zentrale Bewertung – teile ich absolut nicht:

Das Fatale ist leider, dass mit jedem nicht faktengedeckten Ausbruch die Kraft der gerechtfertigten Wut schwächer und irrelevanter wird. Und gerade aufrechte Social-Media-Wut wird gebraucht. Sie ist ein wichtiges politisches Korrektiv.

Afghanistan und die Reaktionen in sozialen Medien: Hilflose Übersprungswut – Kolumne – DER SPIEGEL

Dass ich an diesem Punkt anderer Meinung bin, wird meine Leser/-innen nicht wundern. Wenn diese Äußerungen so bigott und voreilig sind, dann sind sie auch nicht dazu angetan, irgendwas in eine positive Richtung zu bewegen. Oder ist Aufregung, Wut und unangemessene, oft auch ungerechtfertigte Kritik an Politikern konstruktiv?

Besonders grässlich finde ich, wenn ich feststelle, dass ich (wieder einmal) auf eine Falschmeldung hereingefallen bin und sie prompt verarbeitet habe. Sei es “nur” in meiner Denkweise oder in einem Posting. Beides ist nicht nur peinlich, sondern es trägt zu einem Ruf bei, den eigentlich kein Blogger braucht. Der Mensch ist ein lernendes System.

CDU/CSU und SPD fast gleichauf – -Aber: Afghanistan wird sich erst noch auswirken.

Die Forsa-Umfrage von heute ergibt folgende % – Anteile:

  1. CDU/CSU 23 %
  2. SPD 21 %
  3. Grüne 19 %
  4. FDP 12 %
  5. Die Linke 6 %
  6. AfD 10 %
  7. Sonstige 6 %

Die Ereignisse in Afghanistan und die Bewertung der Schuld einzelner Minister an diesem Desaster haben sich noch nicht ausgewirkt. Insofern wird sich das Bild sowohl für CDU / CSU als auch für die SPD erwartungsgemäß noch sehr verändern. Was soll man nur noch dazu sagen, wenn man Laschet oder Maas zuhört? Es ist ein einziges Trauerspiel. Wie da gelogen und betrogen wird, ist unerträglich. Statt wenigstens jetzt zurückzutreten – das gilt für mehrere Minister in diesem Bundeskabinett aber auch für Laschet, machen die weiter, als wären sie davon überzeugt, uns auch weiter verarschen zu können.

Ich schätze mal, dass die Wahl eine fundamentale Veränderungen bringen wird. Wenn nicht jetzt, dann passiert es niemals.

Der Rückzug aus Afghanistan war richtig – der Preis war zu hoch

Die Medien sind voll von Schuldzuweisungen. Gegen die Amis und gegen ihre Alliierten, also auch der deutschen Bundesregierung werden völlig zu Recht Vorwürfe gemacht. Ich kann alles verstehen und teile auf alle Fälle den Vorwurf, dass der Abzug nicht so vorbereitet war, wie es nötig gewesen wäre. Das hätte Menschenleben retten können. Jedenfalls, soweit man dies von hier aus überhaupt beurteilen kann.

Es ist erbärmlich, wie die deutsche Bundesregierung Menschen im Stich gelassen hat, die jahrelang für unsere Bundeswehr und andere deutsche Institutionen gearbeitet haben.

Die Medien meldeten, dass der deutsche Botschafter in Kabul bereits vor Monaten, die rechtzeitig Evakuierung der “Ortskräfte” (was für eine blöde Bezeichnung übrigens!) angemahnt hatte. Wahrscheinlich ließ Außenminister Maas gerade bei Brioni Maß nehmen. Für die nötigen Maßnahmen im Auswärtigen Amt war jedenfalls keine Zeit.

Dass auch die Amis keine Vorbereitungen für diesen Fall getroffen haben, kann man als Indiz dafür werten, wie wichtig ihnen und uns die einheimischen Verbündeten im Land der Taliban sind.

Erschütternd ist, dass Biden erst vor Kurzem großspurig erklärt hatte, dass es Bilder wie damals in Saigon nicht geben werde. Nun wirken sie aber ziemlich genauso. Es gibt Bilder, die an die unheimliche Szenerie zum Ende des Vietnam-Krieges erinnern. Auch damals hatten die Amis Mühe, ihre Leute noch rechtzeitig zu evakuieren.

Es war die Rede davon, dass “unsere Ortskräfte” aus ungefähr 2000 Personen bestehen. Von diesen wurden nach aktuellen Meldungen erst 20 % evakuiert. Offenbar dachten die Verantwortlichen in Berlin, man habe alle Zeit der Welt. Gut, die tollen Geheimdienste der Vereinigten Staaten haben die Lage ebenso falsch eingeschätzt. Kein Trost aber sehr wohl ein Ausweis von Ignoranz und totaler Inkompetenz! Es ist längst keine Überraschung mehr: Geheimdiensten darfst du nichts glauben. KEINEM! Außerdem kochen die ihr eigenes Süppchen. Ich erinnere daran, dass sie vor dem letzten Irak-Krieg die eigene Regierung belogen haben. Oder die haben gelogen – oder beide.

Ich frage mich nun, wie viele Leute wir wirklich retten müssten, damit unser Gewissen einigermaßen beruhigt ist.

Denn die Aufregung im Land ist riesig. Es wurden Spendenkonten eingerichtet. Mit dem Geld sollen Menschen aus dem Taliban-Land gerettet werden. Rührend ist das und menschlich voll OK. Leider müssen wir aber auch damit leben, dass es (auch hier) Leute gibt, die das falsch finden.

Wir sind uns hoffentlich einige: Menschen retten ist immer richtig.

Schließlich aber war trotzdem richtig, diesen Krieg zu beenden!

Denn eins ist sicher, die Taliban wären auch in fünf oder zehn Jahren weiterer Anwesenheit der Alliierten nicht besiegt, sie verbreiten so oder so weiter ihren Schrecken. Wenn ich mir das Verhalten der regulären afghanischen Armee vor Augen halte, deren Stärke und Ausrüstung von Fachleuten grundlegend falsch eingeschätzt wurde, kommt mir der Gedanke, dass breite Teile der Bevölkerung vielleicht doch mehr mit den religiösen Fanatikern sympathisieren, als wir glauben. Unsere Mission wäre während der vergangenen zwanzig Jahre schlechter zu begründen gewesen, wenn der Verdacht aufgekommen wäre, dass viele Afghanen einem Kalifat gar nicht abgeneigt wären. Was wir von Afghanen in Großstädten manchmal hören, muss diesbezüglich nicht die Mehrheitsmeinung widerspiegeln. Auch, wenn wir es gern geglaubt haben.

Ich komme nur deshalb darauf, weil die Bevölkerung zum einen keine Regierung hat, hinter der sie sich versammeln könnte. Die Führung des Landes gilt als korrupt. Der aktuelle Präsident hat sich in Sicherheit gebracht und Karsai, der frühere afghanische Präsident, will nun mit den Taliban verhandeln. Ein mutiger Mann, finde ich. Ich wünsche seinen Bemühungen Erfolg, bin aber sehr, sehr skeptisch, ob mit den Taliban jetzt überhaupt Verhandlungen Erfolg versprechend wären.

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Was für ein unerträgliches Gelaber… Der Mann hats genauso verpennt wie die komplette Regierung. Sie hat sehenden Auges in Kauf genommen, was jetzt vor unser aller Augen abläuft.

Was sagen andere BloggerInnen?

Mitgefühl, Empathie. Alles gut und schön.

Als die Bundeswehr nach Afghanistan geschickt wurde, nachdem Schröder den Amis unsere uneingeschränkte Solidarität versichert hatte, war das eher als Racheakt gemeint. So habe ich den Krieg von Anfang an gesehen. Man wollte Al Kaida und die Taliban für das bluten lassen, was sie und ihre Führer dem Volk der mächtigsten Nation der Welt angetan hatten.

Statt sich schnell wieder zu verziehen, nachdem der Job einigermaßen erledigt war, zog die Politik es vor, das afghanische Volk nachhaltig von der Tyrannei zu befreien und ihnen ein alternatives Gesellschaftssystem zu verpassen. Nationbuilding im Sinne des American Way Of Life. Ich streiche die Polemik und ersetze das durch das Wort Demokratie. Demokratie soll auf korruptem Boden gedeihen?

Die Verbündeten spielten jedenfalls mit. Man glaubte sich in der Pflicht. Ein gerechter Krieg würde geführt werden. Also nicht einer von der Sorte, die wenige Jahre später mit Lug und Trug westlicher Regierungen gegen den Irak begonnen wurde. Dass verbrecherische Militärs Zivilisten getötet haben und das durch Helden wie Julian Assange öffentlich gemacht wurde, scheint heute keinen mehr zu interessieren. Der Mann fristet sein Dasein in einem englischen Gefängnis, weil keine westliche Nation den Mut aufgebracht hat, ihm politisches Asyl zu gewähren. Auf Assange warten 175 Jahre Gefängnis, weil er Verbrechen der USA aufgedeckt hat.

So kam es, dass in den Jahren insgesamt 150.000 deutsche Soldatinnen eingesetzt wurden, 59 davon starben, 35 im Kampfeinsatz oder durch Attentate. Jene Attentate für die islamistischen Verbrecher weltberühmt sind und sich nicht auf deren heimatliche Gefilde beschränkten.

Manche Leute in den USA wollten diesen sinnlosen Kampf gegen die religiösen Fanatiker eher beenden. Die Entscheidung jedoch blieb Trump überlassen, Biden setzte es um mit bemerkenswerter Konsequenz. Jetzt sagen Kommentatoren (jedenfalls hier in Deutschland), dass sich diese Entscheidung Bidens noch als sein schwerster außenpolitischer Fehler erweisen könnte. Ausgeschlossen ist das nicht, weil alles in erster Linie davon abhängt, wie die Medien ein möglichst emotionales Framing inszeniert bekommen.

Die Taliban hatten “versprochen”, sich den großen Städten vorerst nicht zu nähern. Die Amis haben das geglaubt. Wie die Barbaren in den Regionen, in denen sie bisher nichts zu sagen hatten, wüten werden, bleibt zwar abzuwarten. Für Optimismus besteht diesbezüglich allerdings kein Anlass. Es wird berichtet, dass Hunderttausende von Menschen auf der Flucht sind. Der UNHCR berichtet, dass allein seit Mai 244.000 Menschen ihre Heimat verlassen haben. Seit Anfang dieses Jahres waren es bereits fast 400.000.

Deutsche Medien berichten derweil mit beschwichtigendem Grundton, dass die Zahl von Flüchtlingen aus Afghanistan steigen werde. Sollte uns das wundern, angesichts der Tatsache, dass wir Deutsche das zweitstärkste Truppenkontingent nach den USA gestellt haben? Oder hat das mit dem Grad an Verantwortung für dieses Elende nichts zu tun?

Biden sagte, dass es jetzt die Aufgabe des afghanischen Volkes sei, die Dinge im Land zu regeln. Man werde das Land mit Militärausrüstung und finanziell unterstützen. Mit anderen Worten: Rein gar nichts, was wir in den nächsten Monaten und Jahren aus Afghanistan hören werden – und ich glaube, das wird nichts Gutes sein! – wird dazu führen, dass die Amis oder einer ihrer Verbündeten militärisch intervenieren werden.

Ich finde das richtig und wir hätten uns viel früher aus dieser merkwürdigen Solidarität verabschieden müssen. Also eigentlich so, wie wir es doch ständig getan haben und wohl auch weiter tun. Dass mit dem Einsatz der Bundeswehr, von dem Ex-Verteidigungsminister Peter Struck (+), SPD, vor Jahren im speziellen Fall von Afghanistan einmal sagte, dass unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde, dürfte jedenfalls nicht auf andere Einsatzorte übertragbar sein. Deutsche Soldaten sollten – wie es lange selbstverständlich war – keine wie auch immer gearteten Militäreinsätze übernehmen. Erst dann, wenn Deutschland angegriffen würde, ändert sich das. So sollte es sein, als die Bundeswehr gegründet wurde. Dann kam die uneingeschränkte Solidarität. Allerdings hatte Rot-Grün diese Regel schon vorher außer Kraft gesetzt.

So brutal Bidens Aussage ist, fremde Nationen sollten sich nicht in interne Angelegenheiten eines Landes einmischen. Schon gar nicht militärisch.

Dass der Rückzug existenzielle Auswirkungen auf viele Menschen in Afghanistan hat, ist eine beklemmende Erkenntnis. Es ist uns nicht möglich, all die Menschen vor der Rache der Taliban zu schützen, die jetzt geschützt werden müssten. Das Minimum an Freiheit, das manche Afghaninnen und Afghanen in den Jahren schätzen gelernt haben, kann nicht mit Waffengewalt auf Dauer verteidigt werden – so sehr wir uns das auch wünschen mögen.

Demokratie ist in islamischen Ländern nicht gefragt.

Wenn überhaupt, habe ich bisher über den Truppenabzug aus Afghanistan wenig Worte verloren. Meine Meinung zu diesem Vorgang ist emotional und überaus zwiespältig.

Einerseits habe ich nicht vergessen, unter welchen Umständen die Alliierten diesen Krieg vor zwanzig Jahren begonnen haben. Andererseits fand ich irritierend, dass der Truppenabzug nicht viel früher erfolgte, obwohl Al Kaida und Taliban nach verhältnismäßig kurzer Zeit doch empfindlich getroffen waren.

Die Suche nach Osama bin Laden wird es hoffentlich nicht gewesen sein, das die Verantwortlichen dazu veranlasst hat, im Land zu bleiben. Und dieser Auftrag war im Jahre 2011 auch erledigt.

Manche glaubten, der Bevölkerung dieser fundamental-muslimischen Nation die Demokratie lehren zu müssen. Die in jeder Hinsicht kostspieligen Nachteile ideologischer Verstrickungen haben die Amerikaner und ihre Alliierten zuletzt hoffentlich begriffen.

Die Medien bemängelten zu Recht, dass die USA und ihre Verbündeten nie einen Ausstiegsplan entwickelt hätten.

Was auch immer dieses Wort an technischen und bürokratischen Inhalten hätte aufweisen können, eigentlich ging es von Beginn an nur um die politischen Dimensionen eines rechtzeitigen Ausstieges. Der Streit über einen Rückzug wurde in Deutschland bereits zu Lebzeiten von Außenminister Westerwelle (FDP) geführt.

In den letzten Wochen gab es im TV einige Beiträge zum Komplettabzug der Alliierten aus Afghanistan. Die Menschen spielten darin eine Hauptrolle, die ihre Träume von einer pluralistisch und demokratisch geprägten Heimat begraben müssen. Denn die gibt es natürlich auch. Vor allem sind es junge Menschen, vielleicht zuallererst die jungen Frauen.

Die Taliban erobern immer größere Gebiete des Landes in immer kürzer Zeit. Es ist wohl nur eine Zeitfrage bis die zarten Knospen einer Freiheit nach westlichem Vorbild von den muslimischen Furien zertreten sind.

Ich mag gar nicht darüber nachdenken, was vor allem die Frauen und Mädchen in diesem Land erleiden werden und wie viele Hoffnungen brutal zerstört werden.

In deutschen Medien (allen voran die BLÖD-Zeitung) zeichnet man derweil das Horrorszenarium, dass Millionen von Afghanen nach Deutschland kommen wollen. Bei vielen Deutschen wird eine solche Ansage die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlen. Nicht nur bei AfD-WählerInnen.

Kollaborateure in den Augen der Taliban

Es gab viele AfghanInnen, die deutsche Stellen in ihrem Land unterstützt bzw. mit ihnen zusammengearbeitet haben. Dass die Bundeswehr und andere deutsche Stellen die Menschen deshalb mit einem Visum für Deutschland ausgestattet haben, finde ich richtig.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich dabei wirklich “nur” um 2000 Menschen gehandelt hat. Von dieser Zahl war in unseren Medien die Rede. Ich finde, die Bundesregierung hätte das Thema transparent machen müssen.

Stattdessen hat sie sich aber darum herumgedrückt. Und zwar vermutlich deshalb, weil es den rechten Schreihälsen von AfD bis BLÖD wieder viel Anlass für ihren Hass geboten hätte. Aber selbst in den Regierungsparteien sitzen ja Leute, die ihre Kreise in diesen Zeiten nicht zu so was gestört sehen möchten…

Das ist aber nur die eine Seite.

Attraktives Exportgut “Demokratie”

Heute lese ich im Spiegel, dass wir Europäer in Tunesien in der Verantwortung stehen würden. Dort hat es einen Putsch gegeben, die junge Demokratie steht auf dem Spiel.

Wenn ein Spiegel-Redakteur aber meint: “Europa muss Tunesiens Demokratie verteidigen” fass’ ich mir ehrlich gesagt an den Kopf. Hat der Mensch nicht verstanden, dass es nicht die Aufgabe Deutschlands oder Europas sein kann, die Demokratie anderswo zu schützen? Hat er nicht verstanden, dass die Mehrheit in islamischen Länder nicht dazu in der Lage ist, demokratische Spielregeln zu verstehen und in den eigenen Ländern umzusetzen? Selbst für viele hier seit Jahren und Jahrzehnten lebenden Muslime gilt die Scharia und das Wort ihrer Imame mehr als die regionalen Gesetze. So furchtbar und schmerzhaft diese Erkenntnis für die Traumtänzer einer multikulturellen Gesellschaft auch sind, es sind die Tatsachen!

Was bilden wir uns eigentlich ein auf diese desolaten Staatsgebilde, die eine immer kraftlosere Klammer namens EU nur noch mühsam zusammenhält?

Der so genannte arabische Frühling hat eine neue Demokratie geboren. Welche Probleme es allein in Tunesien seitdem dabei gab, durften wir alle miterleben. Und jetzt der Putsch. Die Demokratie war kaum zu spüren, jetzt wird sie vielleicht begraben.

Das Argument des Spiegel-Redakteurs ist immerhin ehrlich. Er hat die mit dieser Entwicklung verbundene Sorge, dass nun viele Flüchtlinge aus Tunesien nach Europa kommen. Nun, manche sollte den Leuten über alle zur Verfügung stehenden Kanäle klarmachen, dass sie in Deutschland keine Chance auf Asyl haben. Diese Vorkehrungen wären effektiver als darauf zu vertrauen, dass die bisherigen Verfahrensprozesse dafür sorgen.

Wir sollten einsehen, dass Interventionen in diesen Ländern nichts bewirken, sondern oft nur zu einer Verschlimmerung der Lage führen. Ich sage nur Libyen. Selbst wenn keine starken Partikular-Interessen Europa daran hindern würden, gemeinsame Aktionen zu beschließen, wir Europäer sind einfach schwach und benehmen uns erbärmlich.

Radikal wie die Taliban ?

Viele – hoffe ich – wundern sich darüber, dass Antisemitismus in unserem Land in solchen Ausprägungen und Größenordnungen existiert. Jede jüdische Veranstaltung, Synagogen und Schulen müssen durch Polizei geschützt werden.

Hanau und Halle

Der versuchte Anschlag auf die Synagoge in Halle war in dieser Hinsicht “nur” ein Beispiel, das besonders viel Aufmerksamkeit erlangte. Die Wahrheit ist viel schlimmer. Und zwar deshalb, weil sich unsere Gesellschaft auf solche Erfahrungen eingestellt hat. Wir haben uns daran gewöhnt. Es klingt schrecklich, ist aber so.

Ebenso war es in Hanau. Ein Deutscher hat neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet, das Entsetzen war groß. Gedenkfeiern helfen nicht dabei, das Problem mit Stumpf und Stiel auszumerzen.

Gleichzeitig ist die Beobachtung all der Diskussionen über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit fast immer geprägt, manchmal sogar überlagert von Unverständnis und Ablehnung der Thesen, die von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit betroffene Menschen gern als Grundlage für einen gesellschaftlichen Diskurs nach vorn gestellt sehen möchten.

Corona und radikale Meinungen

In der Corona-Krise, die verständlicherweise viele von uns krass überfordert, zeigen viele Menschen eine Seite von sich, die erschreckend ist. Extreme Meinungen und Gedanken werden von denen offenbart, die gegen eine Fortsetzung des so genannten Lockdowns sind. Die gleiche Radikalität sehen wir allerdings auch auf Seiten derjenigen, denen die Maßnahmen der Regierung noch nicht weit genug gehen.

Zwischen den Polen unterschiedlicher Überzeugungen entwickelten sich teils krasse Sichtweisen zum Teil auch mit abwegigen oder diffusen Zuordnungen von Verantwortlichkeiten. Existenzielle Zukunftssorgen auf der einen, gesundheitliche Vorsorge auf der anderen Seite stoßen so aufeinander, dass eine Übereinkunft nicht mehr möglich scheint.

Manchmal habe ich das Gefühl, als stünde die Demokratie auf dem Spiel. So radikal und unversöhnlich stoßen Meinungsbilder zusammen. Über 75 Jahre liegt ein faschistisches Regime hinter uns. Eines, das auch deshalb installiert werden konnte, weil die Menschen mit ihrer bisherigen Geschichte wenig bis keine Erfahrung mit dem entwickeln konnten, was wir Demokratie nennen. Manche glauben bis heute, dass wir die Implementation dieser bis dahin unbekannten Gesellschaftsform (von Weimar abgesehen) ohne die Hilfe der Amerikaner nicht hinbekommen hätten. Insofern sind wir womöglich zu unserem Glück gezwungen worden.

Dass westliche Demokratien bis heute glauben, sie könnten ihre Werte anderen Nationen notfalls mit Gewalt beibringen und diesen einen Sinn für freiheitliche Strukturen, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit u.s.w. einhauchen, hat sich in den letzten Jahrzehnten als Fehlannahme erwiesen.

Wie Nazis und andere Menschenfeinde das Land aufmischen

Wenn wir Nazis und Menschenfeinde in diesem Land mit dieser Geschichte und Tradition nicht kleinhalten konnten, wie zum Teufel kommen wir nur darauf, einem Land wie Afghanistan Demokratie verordnen zu können? Ob die Amerikaner diesen “Auftrag” nun erfunden haben, um ihren Kampf gegen den Terror halbwegs rechtfertigen zu können oder nicht, wir haben uns darauf eingelassen, dabei mitgemacht und sind nun seit zwanzig Jahren in diesem Land militärisch engagiert. Es hat zum einen keine Friedenstradition vorzuweisen.

Anfang der 1970er Jahre endete in Afghanistan eine 40-jährige Friedensperiode. Seither befindet sich dieses Land im Krieg. Wir stehen heute vor dem Dilemma, dass die Alliierten immer noch keinen Weg kennen, sich aus dem Land zurückzuziehen. Jeder, der sich auch nur ein bisschen für die Lage interessiert, weiß, dass die Taliban sehnlichst darauf warten, das Kommando wieder übernehmen zu können.

Fehlende Exitstrategien – wie bei Corona

Der Versuch, das Land von den Taliban zu befreien, ist gescheitert. Mehr noch. Die Erkenntnis ist gereift, dass “der Westen”, der ohnehin dabei ist, sich in seine Einzelteile zu zerlegen (Nationalismus), dem Land weder Frieden noch Demokratie gebracht hat. Alle Fortschritte für die Menschen, alle Hoffnungen, die es dort zu verzeichnen gab, werden sich mit dem Rückzug der Alliierten aus Afghanistan in Luft auflösen.

Darüber, dass die westlichen Strategen diese Wirkung ihres “Kampfes gegen den Terrorismus” nicht bedacht haben, dürfen wir uns nicht wundern (fehlende Exitstrategie). Solche Überlegungen spielen bei Kriegstreibern nie eine Rolle. Die Maxime war bekanntlich eine andere. Und auch diese ist kläglich gescheitert.

So wird es also ein bisschen so werden wie derzeit in Deutschland. Radikale, reaktionäre Kräfte werden erstarken und gegen die kämpfen, die versuchen, ein Minimum des Fortschrittes auf gesellschaftlichen Feldern (Frauenrechte, Bildungschancen) zu erhalten.

Zukunft der Demokratie

Die Auswirkungen, die die Pandemie auf die Stabilität ganzer Gesellschaften möglicherweise noch haben wird, können umso schwerwiegender sein, je weniger Zuspruch und gesellschaftliche Solidarität die gewählten Vertreter unseres Gemeinwesens erfahren. Wir wissen, dass Politiker aller Lager von Extremen nicht nur verbal angefeindet, sondern mit Morddrohungen überzogen werden.

Diesen Grad an Unzivilisiertheit und Dummheit hätte ich vor 10 oder 15 Jahren nicht für möglich gehalten. Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt auch bei den Medien. Zu viel ist ungesund. Das gilt am Ende auch für alarmistische Bericht der Medien. Irgendwann stumpfen die Leute ab und nehmen Gefahren vielleicht gar nicht mehr als solche wahr.

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