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„Wandel durch Handel“ war für Kapitalisten.

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Den 41-minütigen Vortrag Lars Klingbeils habe ich mir bei YouTube angehört. Es stimmt, viele Debatten werden im Keim erstickt, weil die einzelnen Beiträge oft nicht komplett zur Kenntnis genommen werden.

Nun ändert sich jedoch an meiner zuvor beschriebenen Einstellung zu den zitierten Aussagen des SPD-Co-Chefs nichts!

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Im Gegenteil! Ich fühle mich, als sollte ich nachlegen.

Warum erwähnt Klingbeil die großen SPD-Politiker Willy Brandt und Helmut Schmidt, versäumt es jedoch – trotz mehrfacher Nennung der SPD-Granden – im Kontext seiner Darlegung, ein Zitat Willy Brandts zu erwähnen?

Der Krieg darf kein

Mittel der Politik sein. Es geht darum, Kriege abzuschaffen, nicht nur, sie zu begrenzen. Kein nationales Interesse läßt sich heute noch von der Gesamtverantwortung für den Frieden trennen. Jede Außenpolitik muß dieser Einsicht dienen. Als Mittel einer europäischen und weltweiten Sicherheitspolitik hat sie Spannungen abzubauen und die Kommunikation über die Grenzen hinweg zu fördern

Willy Brandt – Rede anlässlich der Verleihung des Friedens­nobelpreises in Oslo, 11. Dezember 1971

Warum erwähnt Lars Klingbeil in seiner Rede zudem nicht den für seinen Anteil an der großartigen und erfolgreiche Ostpolitik Willy Brandts verantwortlichen Egon Bahr? Hat er die falschen Worte geprägt? Ich finde das schändlich und Geschichtswerkessen zudem. Außerdem möchte ich daran erinnern, dass Bahr von „Wandel durch Annäherung“ gesprochen hat.

Den bis vor Kurzem noch so oft von Sozialdemokraten gepriesenen Architekten der SPD-Ostpolitik, Egon Bahr, lässt Klingbeil unerwähnt. Zu sehr steht dieser inzwischen für ein Denken, in dem akzeptiert wurde, dass Großmächte wie Russland kleine Länder wie Polen als Verfügungsmasse handhaben können. LINK

Mit Brandt, aber ohne Bahr: Klingbeil mutet der SPD einiges zu – n-tv.de

In einem Beitrag des den Grünen nahestehenden „Zentrums liberale Moderne“, mit dem Titel: Ukraine verstehen, wird die Formel Egon Bahrs umgedeutet zu dem, was Jahrzehnte später darunter verstanden wurde. Der ukrainische Autor vergleicht die damals „neue Ostpolitik“ Westdeutschlands, die in mancher Hinsicht weitaus härter gewesen sei (atomare Abschreckung), mit der Appeasementpolitik der jüngeren Vergangenheit.

Der größte Mythos der ehe­ma­li­gen Ost­po­li­tik besteht wohl in dem Glauben, im Fall der Sowjet­union etwas Grund­sätz­li­ches mittels des „Wandel durch Handel“ bewegt zu haben. Der Handel West­deutsch­lands mit der UdSSR übte jedoch, wenn über­haupt, eher einen nega­ti­ven Ein­fluss auf die poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen in der späten Sowjet­union aus. LINK

Der Mythos vom „Wandel durch Handel“ und das Problem von Nord Stream 2

Völlig unerwähnt bleiben die Auswirkungen, die die Politik der Grünen, inkl. ihrer außerparlamentarischen Aktivitäten hatte. Der seinerzeit überraschende Atomausstieg der Regierung Merkel und die danach kurzfristig startenden Debatten um den möglichst schnellen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern riefen die Lobbyisten und Akteure der deutschen Wirtschaft auf den Plan.

Wie schnell wäre es um die Prosperität des größten Teiles der deutschen Wirtschaft geschehen gewesen und wie wäre es um den Reichtum des Landes bestellt, hätte Deutschland von Russland nicht dieses heute so verpönte günstige Öl und Gas zum Ausgleich der Atomenergie und der abgeschalteten Kohlekraftwerke eingekauft? Wir werden das nie zweifelsfrei klären können, weil ideologische Standpunkte jede Debatte dazu verunmöglicht haben. Die Hauptschuld daran gebe ich den Grünen.

Wir sehen, wie Debatten um die Verlängerung weniger Atomkraftwerke ablaufen. In anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit, hier beschuldigen sich alle gegenseitig ideologischer Voreingenommenheit.

Die Fehler, die die Große Koalition und zwischendrin schwarz/gelb gemacht haben, bestanden darin, günstige Energieressourcen für unser Industrieland zu sichern und damit Arbeitsplätze und Wohlstand.

Ich glaube, eine Führungsmacht zeigt sich hauptsächlich darin, dass sie zunächst einmal ihre eigenen Interessen im Blick hat. Für Deutschland ist dieses Konzept also überhaupt nicht geeignet! Wir wollen ja immer allen gefallen.

Und übrigens: Ich halte die dialektische Verbindung der beiden Formeln „Wandel durch Annäherung“ bzw. „Wandel durch Handel“ für unzulässig. Handel mag einer Annäherung dienen, auch bei gegensätzlichen politischen Systemen. Annäherung hat in meinen Augen doch einen völlig anderen Wert als das, was während der vielen Jahrzehnte nach Brandt und Bahr daraus gemacht wurde.

Hier noch ein Zitat aus einer Rede Egon Bahrs von 1963:

Die Bundesregierung hat in ihrer letzten Regierungserklärung gesagt, sie sei bereit, „über vieles mit sich reden zu lassen, wenn unsere Brüder in der Zone sich einrichten können, wie sie wollen. Überlegungen der Menschlichkeit spielen hier für uns eine größere Rolle als nationale Überlegungen“. Als einen Diskussionsbeitrag in diesem Rahmen möchte ich meine Ausführungen verstanden wissen. Wir haben gesagt, daß die Mauer ein Zeichen der Schwäche ist. Man könnte auch sagen, sie war ein Zeichen der Angst und des Selbsterhaltungstriebes des kommunistischen Regimes. Die Frage ist, ob es nicht Möglichkeiten gibt, diese durchaus berechtigten Sorgen dem Regime graduell so weit zu nehmen, daß auch die Auflockerung der Grenzen und der Mauer praktikabel wird, weil das Risiko erträglich ist. Das ist eine Politik, die man auf die Formel bringen könnte: Wandel durch Annäherung. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir Selbstbewußtsein genug haben können, um eine solche Politik ohne Illusionen zu verfolgen, die sich außerdem nahtlos in das westliche Konzept der Strategie des Friedens einpaßt, denn sonst müßten wir auf Wunder warten, und das ist keine Politik. LINK

Volltext Egon Bahr, Wandel durch Annäherung. Rede in der Evangelischen Akademie Tutzing [Tutzinger Rede], 15. Juli 1963 / Bayerische Staatsbibliothek (BSB, München)

Sie zeigt, in welchem Sinne er die heute bewusst missverstandene Formel gemeint hat. Ihm schwebten Erleichterungen für die Menschen im damaligen Deutschland vor. Er brachte es auf die Formel: „Wandel durch Annäherung“.

Wirtschaftliche Interessen bewegten ihn nicht. Dass die SPD es zulässt, die großen Verdienste dieses fantastischen Mannes von Medien und Opposition kleinreden zu lassen, finde ich sehr ärgerlich.

Artikelinformationen:

Politik

Deutschland, Putin, Russland, Sicherheit

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