Nicht alles, was wir als Fachkräftemangel verkauft bekommen, ist auch Fachkräftemangel

Der hohe Bedarf an Psy­cho­the­ra­peu­ten und der angeb­li­che Fach­kräf­te­man­gel bei Ärz­ten haben offen­sicht­lich Grün­de, die öffent­lich nicht immer dif­fe­ren­ziert betrach­tet und beschrie­ben wer­den. Oder inter­pre­tie­re ich die Daten falsch?

HS230625

Horst Schulte

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2012 gab es in Deutsch­land 22.000 kas­sen­ärzt­lich zuge­las­se­nen Psy­cho­the­ra­peu­ten. Das wur­de beklagt, weil der Bedarf viel höher lag. Ende 2023 waren in Deutsch­land 32.500 Psy­cho­the­ra­peu­ten (+48%) tätig, die über eine sol­che Zulas­sung ver­fügt haben.

Warum brauchen wir so viele Psychotherapeuten? Macht uns die Arbeit kaputt?

Dem rasant gestie­ge­nen Bedarf genügt auch die­ser gewal­ti­ge Auf­bau inner­halb von etwa 11 Jah­ren nicht. Die Kla­ge wird wei­ter­ge­führt, dass es (viel) mehr sein müs­sen. In Deutsch­land gibt es 48.000 Psy­cho­the­ra­peu­ten aber „nur“ 32.500 davon haben eine kas­sen­ärzt­li­che Zulas­sung. Hin­zu kommt, dass die Hälf­te die­ser The­ra­peu­ten nur über einen hal­ben Kas­sen­sitz ver­fü­gen. Das heißt, sie kön­nen nur die Hälf­te ihrer the­ra­peu­ti­schen Leis­tun­gen mit den Kas­sen abrech­nen. Die 15.500 Psy­cho­the­ra­peu­ten, also die, die über kei­nen Kas­sen­sitz ver­fü­gen, kön­nen prak­ti­zie­ren, müs­sen ihre Leis­tun­gen jedoch pri­vat abrechnen.

Welche Rolle spielen die Ökonomie bzw. die Krankenkassen?

Ich ver­ste­he das so, dass sich die Kran­ken­kas­sen die Aus­schöp­fung des Poten­zi­als an vor­han­de­nen Psy­cho­the­ra­peu­ten nicht leis­ten kön­nen oder wollen. 

Die Gesund­heit der Bevöl­ke­rung scheint nach die­ser Sach­la­ge also nicht im Vor­der­grund zu ste­hen, son­dern öko­no­mi­sche Aspek­te. Vie­le wer­den sagen, dass dies kei­ne Über­ra­schung wäre. 

Immer mehr Ärzte im Land

Bei Ärz­ten (im All­ge­mei­nen) sieht die Ent­wick­lung (ich habe über die Jah­re immer mal wie­der die Sta­tis­tik bemüht) auch selt­sam aus. Ich wur­de anläss­lich eines alten Arti­kels ein­mal dar­über auf­ge­klärt, dass die Zuwäch­se an Medi­zi­nern rela­ti­viert wer­den müs­sen. Vie­le gin­gen in die For­schung oder zie­hen Beschäf­ti­gun­gen in Behör­den vor. 

Aber trotz­dem! In Deutsch­land gibt es immer mehr Ärz­te, und trotz­dem gibt es gewal­ti­ge Eng­päs­se bei der ärzt­li­chen Ver­sor­gung vor allem im länd­li­chen Raum. War­um ist es nicht mög­lich, die an sich doch erheb­li­chen Zunah­men bes­ser, sprich bedarfs­ori­en­tiert, zu steu­ern? Ja, wir leben nicht in Chi­na – schon klar. Aber lässt es sich durch Anrei­ze nicht irgend­wie hin­be­kom­men, bei einer kon­ti­nu­ier­lich stei­gen­den Zahl von Medi­zi­nern, Ver­sor­gungs­lü­cken zu ver­mei­den und mög­lichst zu schlie­ßen? Viel­leicht ver­die­nen die Medi­zi­ner als ein­fa­che Haus­ärz­te nicht genug oder wol­len nicht aufs Land. Das wird ver­mut­lich alles sein können. 

Fachkräftemangel als falsches Etikett

Wie man es auch betrach­tet: Das in der öffent­li­chen Dis­kus­si­on benutz­te Label „Fach­kräf­te­man­gel“ in die­sen Fäl­len doch eher irre­füh­rend bzw. falsch. 

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Ärzte

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5 Gedanken zu „Nicht alles, was wir als Fachkräftemangel verkauft bekommen, ist auch Fachkräftemangel“

  1. Man kann es kei­nem ver­übeln, wenn er das Bes­te für sich her­aus­ho­len möch­te. Eine Pra­xis am Ende der Welt mit schlech­ter Anbin­dung ist nun mal nur wenig attrak­tiv. Die Fach­kraft hat ja im Ide­al­fall auch Fami­lie und übt ihre Tätig­keit auch nicht ehren­amt­lich aus… Mit dem Fach­kräf­te­man­gel kann man die Pro­ble­me aber so schön ein­fach erschla­gen und ein­fa­che Erklä­run­gen für kom­ple­xe Zusam­men­hän­ge – das mögen auch die Wähler 😉

  2. Ich lese immer wie­der davon, dass es viel zu weni­ge Psy­cho­the­ra­peu­ten für den Bedarf gibt und z.B. Men­schen mit Depres­sio­nen und Trau­ma­ta viel zu lan­ge war­ten müs­sen, bis sie einen The­ra­pie­platz bekom­men. Die­ser Arti­kel geht ins Detail, war­um das so ist:
    https://​www1​.wdr​.de/​n​a​c​h​r​i​c​h​t​e​n​/​z​u​-​w​e​n​i​g​-​t​h​e​r​a​p​i​e​p​l​a​e​t​z​e​-​t​r​o​t​z​-​g​e​n​u​e​g​e​n​d​-​t​h​e​r​a​p​e​u​t​e​n​-​1​0​0​.​h​tml
    Letzt­end­lich gehts ums Geld: Wenn deut­lich mehr Kas­sen­sit­ze zuge­las­sen wür­den, müss­ten die Bei­trä­ge steigen.

  3. @Clau­dia­Ber­lin: Ich den­ke man muss hier für eine Lösung nicht nur auf die Anzahl der The­ra­pie­plät­ze schau­en, son­dern auch das Übel an der Wur­zel packen: War­um gibt es so erschre­ckend viel mehr Bedarf an Psy­cho­the­ra­peu­ten als noch im Jahr 2012? War­um lebt die Mehr­heit heu­te so viel weni­ger „gesund“ als frü­her (wenig Bewe­gung, wenig Gemein­schafts­ge­fühl, mehr Medi­en­kon­sum etc.)? Allein die Aus­bil­dung von mehr The­ra­peu­ten wird lei­der wenig helfen

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