
Das Gespräch, das leiser wird
Früher rauschten Blogkommentare wie kleine Flüsse unter den Texten hindurch – mal wild, mal sanft, aber immer spürbar. Heute plätschert es oft nur noch leise oder versiegt ganz. In meinen eigenen Blogs habe ich diese Entwicklung hautnah erlebt: Die Resonanz sank über die Jahre, nicht nur wegen meiner eigenen Themenwahl, sondern auch, weil Blogkommentare ihre einstige Selbstverständlichkeit verloren haben. Die Art von Trostpflaster in Form kurzer Lobpreisungen wie „schöner Text” oder „Word” zählt wohl für kaum einen Blogger als Kommentar.
Dieser Trend ist nicht allein mein Schicksal. Manche Bloggerin und mancher Blogger berichten Ähnliches. Die Gründe sind vielfältig: soziale Netzwerke, die Diskussionen ins eigene Territorium ziehen, veränderte Lesegewohnheiten – und nicht zuletzt technische und rechtliche Hürden.
Hürden auf dem Weg zum Wort
Die Stimmen aus der Blogosphäre sind eindeutig: Allzu oft verbauen wir uns selbst die Chance auf Austausch. Da ist die Rede von Captchas, Pflichtfeldern für E‑Mail-Adressen, Registrierungspflichten oder gar der Notwendigkeit, sich erst irgendwo anzumelden, bevor man auch nur lesen darf.
Beide Artikel von c0d1.eu und rausgerufen.de sprechen eine deutliche Sprache: Wer Feedback möchte, sollte die Schwelle niedrig halten. Kein Mensch schreibt gern spontan einen Kommentar, wenn er vorher durch ein digitales Minenfeld muss. Und doch – die Angst vor Spam, Trollen und DSGVO-Verstößen ist nicht aus der Luft gegriffen.
Technik als Schutz und Barriere
Hier beginnt der Balanceakt: Blogger wollen und müssen sich schützen, aber jede Schutzmaßnahme kann auch eine Einladung weniger sein. In meinem Artikel „WordPress-Kommentare erleichtern und verfolgen“ wird gezeigt, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, den Komfort zu erhöhen – etwa durch Bearbeitungsfunktionen, die Nachverfolgung von Antworten oder Plugins, die rechtssicher und benutzerfreundlich zugleich sind.
Allerdings bedeutet jede zusätzliche Funktion auch technische Pflege und potenzielle Sicherheitsrisiken. Nicht jeder möchte diese Verantwortung tragen.
Die abnehmende Relevanz – Realität oder Resignation?
In einem weiteren Artikel „Jetzt neu: Blog ohne Kommentar-Komfort“ habe ich über die schwindende Bedeutung von Kommentaren reflektiert. Nicht, weil ich den Dialog nicht schätze, sondern weil er seltener geworden ist. Manche Kommentare waren ohnehin oberflächlich oder reiner Formalismus („Schöner Artikel“ – ohne weiteren Inhalt). Das lässt einen nachdenken, ob der Aufwand in einem guten Verhältnis zum Ertrag steht. Aber dazu müsste zunächst einmal überhaupt Einigkeit darüber herrschen, welchen Wert Kommentare haben.
Und doch – ganz abschreiben möchte ich die Kommentarfunktion nicht. Sie ist wie ein kleines Fenster, das man offen lässt, auch wenn der Wind nur selten durchweht. Man weiß nie, wer hineinschaut.
Kommunikation neu denken
Die c0d1.eu-Perspektive erweitert diesen Gedanken: Kommunikation muss nicht allein in der Kommentarspalte stattfinden. Manche Leser bevorzugen E‑Mail, Messenger oder soziale Medien. Vielleicht ist das kein Verlust, sondern eine Verschiebung – solange der Dialog nicht verstummt und nur der Kanal gewechselt wird. Aber dann könnten wir womöglich den Stellenwert der asozialen Medien nochmals vergrößern. Darauf habe ich persönlich keine Lust.
Einladende Kultur statt geschlossener Kreise
Der Artikel auf rausgerufen.de erinnert daran, dass „Mein Blog, meine Regeln“ zwar legitim ist, aber nicht zur Festung werden sollte. Offene Türen, klare Netiquette, und die Bereitschaft, Anonymität zu akzeptieren – das könnten Bausteine einer neuen, niedrigschwelligen Kommentar-Kultur sein.
Denn am Ende geht es nicht nur um Technik, sondern um Haltung: Will ich ein Gespräch anregen, auch wenn es vielleicht nur selten zustande kommt? Oder möchte ich den eigenen Text als alleinstehendes Statement im digitalen Raum belassen? In meinem Fall ist es beides. Manchmal wünsche ich einfach mal ein Statement (gern einen Rant) herauszuhauen, manchmal würde es mich interessieren, wie andere über das behandelte aktuelle Thema denken.
Erst vor ein paar Tagen habe ich etwas gemacht, was nicht von gutem Stil zeugt. Ich kann zwar von mir behaupten, dass ich fast nie einen Kommentar gelöscht hätte. In diesem Fall habe ich einen Link zu den Nachdenkseiten gelöscht, weil mir gerade in der Causa Brosius-Gersdorf jedes relativierende Gequatsche gegen den Strich geht. Meine Toleranzschwelle gerade in diesem Fall ist ganz knapp über der Grasnarbe. Darüber war der Leser, der diesen Link mit knappen Worten hinterließ, gar nicht erbaut. Verstehe ich und entschuldige mich für mein Verhalten. So sollte ich mit meinen Lesern nicht umgehen!
Zwischen Für und Wider
Für weniger Hürden:
- Fördert Spontanität und Vielfalt der Stimmen
- Senkt die Hemmschwelle für neue oder zurückhaltende Leser
- Signalisierte Offenheit kann Vertrauen schaffen
Für mehr Kontrolle:
- Schützt vor Spam, Trollen und rechtlichen Problemen
- Sichert die Qualität der Diskussion
- Erleichtert die Moderation und reduziert Pflegeaufwand
Vielleicht liegt die Zukunft nicht in einem „alles offen“ oder „alles zu“, sondern in einer Mischung: Einladung ja, aber mit sanften Leitplanken. Die Kunst wird sein, diese Balance so zu gestalten, dass der Fluss des Gesprächs wieder hörbar wird – auch wenn er nur leise plätschert.
So kann man über Kommentare natürlich auch denken/urteilen:
Sowas dient doch letztlich auch nur der Messbarkeit¹ (der Relevanz der Artikel?) und da hab ich ehrlich gesagt keinen Bock drauf. So Narzisstengewichse wie Matomo, Google Analytics und Konsorten sucht man hier schließlich auch vergeblich.
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Hallo, danke für die Erwähnung.
Du schreibst:
Stimmt absolut aber ich finde man sollte genau davor nicht abschrecken lassen. Zur Zukunft, wer weiß das schon. Warten wir mal ab was da so kommt.
Gruß John
@John: Danke! Du siehst an manchen Reaktionen (ohne Links), dass dieses Thema von manchen ganz schön eindeutig behandelt wird. Das haben wir Blogger irgendwie nicht verdient.
Signal und Threema ID, werde ich auch mal in mein Blog packen.
Danke für die Anregung.
@SuMu: Dort bin ich nicht mal Mitglied. Meine Mitgliedschaften in asozialen Netzwerken sind auf FB und IN beschränkt. Achja, Flickr und WhatsApp habe ich unterschlagen. Das muss reichen. 🙂
@Horst Schulte: Signal + Threema ist ein Messenger wie WhatsApp 🥶
Zur Quelle: spöttisch, provokativ, bewusst vulgär, um die eigene Haltung klar zu markieren und Distanz zu „den anderen“ zu schaffen. Er ist der Beste …
Zum Thema: Soll doch jeder oder jede machen, wie er oder sie will. Ein Formular als Service schadet niemandem, und ich mag Zahlen nun mal. Darum läuft bei mir im Hintergrund brav ein Statistiktool mit – ganz ohne Narzissmus-Schweiss.
P.S.: Dein Formular-Layout gefällt. Mal sehen, wie lange … ich tipp’ auf spätestens morgen ein neues Design. 😉
@Oliver: Das ist das Schicksal meiner LeserInnen. Jeden Tag eine Neuigkeit – jedenfalls designtechnisch. 🙂
Die Meinungen werden teilweise ein wenig krass vertreten. Ich meine, man könnte das gelassener angehen. So, wie damals die Genderdiskussion. 🙂
Wir Blogger, jedenfalls einige von uns, haben ja nichts anderes im Sinn als dieses sprichwörtliche Narzisstengewichse. Bloggen könnte so schön sein.