Es ist mir bewusst, dass dieser Text nicht überall gut ankommen dürfte. Schon klar: Kaum jemand lässt sich gern sagen, worüber er oder sie bloggen sollte. Aber genau deshalb möchte ich das Thema einmal ansprechen – freundlich, aber nicht ohne Nachdruck.
Ich habe mir das Open Blogging Manifest (von 2014/2016) von Robert Lender angeschaut – diese zehn Gebote, die Blogs dazu ermuntern, offen, kritisch und dialogisch zu sein. Das klingt erstmal feierlich, fast wie eine kleine Selbstverpflichtung mit Pathos. Und ehrlich: Ich finde die Idee charmant. Ein, zwei Punkte würde ich anders sehen, doch das ist Nebensache. Was mich vielmehr beschäftigt, ist der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Der Artikel von Robert behandelt ein persönliches „Open Blogging Manifest“, das er vor etwa zehn Jahren entworfen hat. Das Manifest enthält Grundsätze für offenes Bloggen, wie die Nutzung einer offenen Lizenz, das Verlinken von Quellen, die Ermöglichung und Begrüßung von Kommentaren, das Vermeiden von Barrieren für Leser, Transparenz bei Kooperationen, das Respektieren der Rechte anderer und die Trennung von Meinung und Information. Robert reflektiert, wie sich seine Blogpraxis bis 2025 im Einklang mit diesen Prinzipien entwickelt hat. Er hebt hervor, dass er künstliche Intelligenz als Werkzeug, aber nicht als Stimme nutzt, und lädt andere dazu ein, ihr eigenes Blog-Verhalten zu reflektieren. Der Artikel ist Teil des kollektiven Projekts „BlogWochen 2025“.
Als jemand, der sich gern mit gesellschaftspolitischen Themen herumschlägt und damit nicht immer auf Applaus stößt, fällt mir auf, dass die Blogosphäre oft zur Selbstbespiegelung neigt. Überall lese ich, wie man bloggt, warum man bloggt, und was das Bloggen mit einem macht. Das hat seinen Reiz – bis es irgendwann kreisförmig wird. Es ist, als blickte man in einen Raum voller Spiegel: viel Bewegung, wenig Ausblick. Und dann begegnet man Sätzen wie:
- Mein Blog, meine Bühne.
- Mein Blog, meine Freiheit.
- Mein Blog, meine Filterblase.
- Mein Blog, mein Wohnzimmer.
- Mein Blog, meine Regeln.
Alles legitim, alles nachvollziehbar. Nur: Es wirkt ein bisschen, als drehe sich die Szene mehr um Hausordnung als um Nachbarschaft. Natürlich sind Themen wie Kommentarpolitik, Captchas oder KI im Blog relevant. Aber abendfüllend? Eher selten.
Was mir fehlt, sind die großen Bögen: politische Entwicklungen, gesellschaftliche Brüche, digitale Teilhabe, Rassismus, Klassenfragen, Machtverhältnisse. Ich weiß, solche Themen bringen keine Klicklawine. Und ja, vielleicht liest man sie auch nicht gern am Feierabend. Aber wäre es nicht spannend, sie öfter aufzugreifen – gerade, weil Blogs Freiräume bieten, die jenseits von Medienlogik und Hashtag-Hype liegen?
Ich will gar nicht behaupten, dass ich wüsste, wie’s besser ginge. Wer bin ich, anderen zu sagen, worüber sie schreiben sollen? Ich ertappe mich ja selbst dabei, wie ich über Blogs lese, die sich fragen: „Wie finde ich meine Leser?“, „Wie monetarisiere ich meinen Blog?“, „Braucht man Kommentare?“, „Was macht KI mit meinem Text?“ – alles verständlich. Aber es sind immer wieder dieselben Schleifen. Manchmal denke ich: Die Blogosphäre gleicht einem Café, in dem alle nur über die Einrichtung reden, während draußen die Stadt brennt.
Das Open Blogging Manifest ruft dazu auf, Verantwortung zu übernehmen, Räume zu öffnen, Perspektiven zu verbinden. Ein schöner Gedanke. Aber wo geschieht das tatsächlich? Kooperationen enden oft bei einer Blogparade – nett, aber selten nachhaltig. Ich frage mich, warum wir so selten Brücken schlagen: zu Initiativen, Journalistinnen, Aktivistinnen, vielleicht auch einfach zu Menschen, die nicht in dieser Szene stecken. Stattdessen: viele Einzeltänzer. (Keine Sorge, ich nehme mich da nicht aus – mein Blog ist manchmal eher mein Selbstgespräch als mein Schaufenster. Ob’s hilft? Wer weiß.)
Vielleicht braucht es gar keine neuen Manifeste, sondern nur ein bisschen mehr Lust, sich einzumischen. Weniger „Mein Blog, meine Regeln“, mehr „Unser Netz, unsere Verantwortung“. Offenheit, Neugier, auch mal Widerspruch – das würde dem Ganzen gut tun. Wir müssen uns ja nicht gleich alle in dieselbe Richtung bewegen, aber vielleicht wieder öfter miteinander.
Ich mag diese Bloglandschaft, wirklich. Sie ist unaufgeregt, unzensiert, manchmal herrlich trotzig. Nur schade, wenn sie sich selbst genügt. Wenn wir uns an die zehn Gebote erinnern, dann vielleicht nicht als Regelwerk, sondern als Einladung: zum Denken, zum Streiten, zum Weiterschreiben. Denn sonst bleibt das Manifest eben, was viele Manifeste sind – ein gut gemeinter Spiegel, in dem wir uns kurz betrachten und dann weitergehen.



Nur soviel:
Wir hatten das ja schon mal thematisiert.
Du schreibst für Dich, ziemlich hermetisch.
(Man muß sich da schon ehrlich machen!)
Ein Wunder, daß Du Kommentare kriegst, so wie jetzt von mir. 🙂
Sich selbst genügen ist im übrigen nicht schlimm oder verwerflich. Aber dann kann man ja auch eine Klade bemühen.
@Gerhard: Danke für diesen gut gemeinten Rat. 🙂
hallo horst, das ist es ja, was mich häufig irritiert zurücklässt: lauter schlaue köpfe, von denen ich gerne ihre meinung zu gesellschaftlichen themen, dem leben und auch zu kleinigkeiten lesen würde. aber zu oft dreht es sich dann doch wieder nur um das bloggen selbst. wie schreib ich, warum schreib ich und für wen schreib ich. und all die fantastischen themen bleiben liegen…
@Kalle: Normalerweise läufts, wenn man übers Bloggen oder KI oder beides schreibt. Und du siehst, wie wenig Resonanz es bringt, wenn man das anspricht. Nun, die Interessen sind halt sehr unterschiedlich. Damit muss man leben.