Eine Gesellschaft ist eine Gruppe von Individuen, die in einem gemeinsamen Raum leben und durch soziale, wirtschaftliche, kulturelle und politische Strukturen miteinander verbunden sind. Als Thema eines Blogs bietet die Gesellschaft ein breites Spektrum an möglichen Inhalten und Perspektiven.
Vielleicht ist es der 71-jÀhrige (alte Sack) in mir. Vielleicht ist es aber auch nur gesunder Menschenverstand, der sich beim Lesen eines Artikels im Tagesspiegel ($) regt. Der Tenor: Höflichkeit, wie wir sie kannten, ist heute ein Ausdruck dressierter Seelenlosigkeit.
Na dann: Guten Appetit, Gesellschaft!
Ein Kind der guten Schule
Ich war ein schĂŒchternes, braves Kind. Vielleicht sogar ein bisschen zu brav. Der Typ, der sich bei der Lehrerin entschuldigt hat, weil er einen halben Ton zu laut gehustet hat. Meine Schwester und ich wuchsen in einem liebevollen Elternhaus auf â ein Zuhause, das uns keine goldenen Löffel, aber goldene Werte mit auf den Weg gab. Allen voran: Höflichkeit.
âBitteâ, âDankeâ, âEntschuldigungâ â diese Wörter waren keine Floskeln, sie waren Teil der Familien-DNA. Und ja, wir sagten sie auch dann, wenn wir nicht fĂŒhlten, was wir sagten. Wir sagten sie, weil sie dazugehören. Weil sie zeigen: Ich bin nicht allein auf der Welt. Es gibt andere, und die verdienen Respekt.
Floskel oder Fundament?
Heute sagen moderne Erziehungsratgeber: Wenn ein Kind nicht intrinsisch motiviert ist, soll es sich bitte nicht bedanken. Aha.
Was bitte ist das fĂŒr eine Haltung? Soll der Nachwuchs demnĂ€chst auch nur noch dann grĂŒĂen, wenn er vorher ein Sinnfindungsseminar absolviert hat? Oder den MĂŒll rausbringen, wenn er sich innerlich wirklich bereit dazu fĂŒhlt?
Nein, wirklich. Ich verstehe ja, dass Kinder heute selbstbewusster erzogen werden sollen. Aber Selbstbewusstsein ohne RĂŒcksichtnahme ist einfach nur Ego mit WLAN.
Die Sache mit der Birne (und dem Holzscheit)
Ich erinnere mich noch genau an eine Szene aus meiner Kindheit. Mein bester Freund und ich hatten eine kleine⊠nennen wirâs âUneinigkeitâ. Es ging um eine Birne. Eine groĂe, saftige, vom Baum gepflĂŒckte Birne. Ich hatte sie. Er wollte sie. Was folgte, war ein beherzter Schlag mit einem Holzscheit auf meinen Kopf.
Mein Vater nahm das nicht ganz so locker. Er zerrte mich samt Beule und Moralanspruch zum Vater meines Freundes. Er forderte eine Entschuldigung. Die Antwort meines Freundes? âDas muss ich mir aber noch mal ĂŒberlegen.â
Und doch: Wir blieben Freunde. Vielleicht, weil es damals noch normal war, dass eine Entschuldigung nicht immer spontan, aber eben notwendig war. Und weil niemand auf die Idee gekommen wĂ€re zu sagen: âWenn duâs nicht fĂŒhlst, sagâs halt nicht.â
Die neue Unverbindlichkeit
Heute erleben wir es hĂ€ufig: Kinder, die bei Geschenken nicht mal den Anstand haben, einen Blick ĂŒber das Geschenkpapier hinaus zu riskieren. Das PrĂ€sent wird kommentarlos in die Ecke gelegt, zwischen das kaputte ferngesteuerte Auto und den Amazon-Karton von letzter Woche.
Ach ja, die gute alte ErklĂ€rung: âDie Eltern haben sich halt keine MĂŒhe gegeben.â Stimmt. Das Geschenk kam ja nicht aus handgeschöpftem Filzpapier, sondern vom Wunschzettel. Und der kam von Amazon. Also: selbst schuld, liebe GroĂeltern.
Aber der eigentliche Skandal liegt nicht im Geschenk â sondern in der Grundhaltung. In einer Erziehung, die jegliches höfliche Verhalten nur gelten lĂ€sst, wenn es vermeintlich âechtâ ist. Wo sind wir denn da hingekommen?
Eltern, Experten und enthemmte Empathie
Die Erziehungsexperten unserer Zeit haben viele kluge BĂŒcher geschrieben, aber offenbar wenige Holzscheite abbekommen. Sie sagen: âErzwungene Höflichkeit ist keine.â
Ich sage: Erzwungene Höflichkeit ist besser als gar keine. Und vielleicht wird aus dem âDankeâ, das zuerst nur eine soziale Pflicht war, irgendwann ein echtes. Weil man erlebt, dass Höflichkeit TĂŒren öffnet, Herzen wĂ€rmt â und Beziehungen rettet.
Wir sind nicht nur Kopf und Bauch. Wir sind auch Gewohnheitstiere. Und wenn wir unseren Kindern beibringen, dass man andere grĂŒĂt, sich bedankt und sich auch mal ohne tieferliegende Sinnkrise entschuldigt, dann formen wir Menschen, die in einer Gemeinschaft bestehen können.
Fazit? Bitte. Danke. Gern geschehen.
Ich bleibe dabei: Manchmal ist eine Floskel doch besser als “moderne Erziehungsmethoden”. Und bevor wir die letzten Reste höflicher Umgangsformen auf dem Altar der AuthentizitĂ€t opfern, sollten wir uns vielleicht mal wieder gegenseitig daran erinnern, wie gut ein âDankeâ tut.
Und falls das jemandem zu oldschool ist â dem werfe ich keine Birne an den Kopf. Aber vielleicht einen Blick. Einen, der sagt: Ich wĂŒnsche mir ein bisschen mehr gegenseitigen Anstand. Nicht, weil ichâs fĂŒhle â sondern weil ichâs wichtig finde.
Das Bildungswesen in Deutschland funktioniert nicht besonders gut. Das war bereits vor der ersten PISA-Studie zu erkennen. Trotzdem taten schon vor 25 Jahren alle ĂŒberrascht bis entsetzt. Nun dĂŒrfte vielleicht der Einfluss auf politische EntscheidungstrĂ€ger selbst fĂŒr PrĂ€sidenten des deutschen Lehrerverbandes nicht allzu groĂ sein. Trotzdem habe ich ĂŒber den Kollegen ChatGPT mal die GrundĂŒberzeugungen der Leute recherchieren lassen, die ĂŒber die Jahre das Amt innehatten. Oh, ha, der politische Standpunkt aller PrĂ€sidenten war demnach konservativ.
Name
Amtszeit
Politische Haltung / Schwerpunkt
Clemens Christians
1969â1984
Konservativ, staatsverbunden, antiextremistisch
Ernst Kiel
1984â1987
Pragmatistisch-konservativ, Bildung & Lehrerstatus im Fokus
Konservativ-ordnungsorientiert, klar pro Beamtenstatus, Ukraine, Demokratie
Stefan DĂŒll
seit 2023
Konservativ-demokratisch, Sicherheit, Verfassungstreue, kritische Positionierung zur AfD
Die PrĂ€sidentenriege des Deutschen Lehrerverbandes wirkt fast wie ein kleiner Konvent der BildungsbĂŒrgerlichen, ein Zirkel, der den klassischen Bildungskanon, den Beamtenstatus und das mehrgliedrige Schulsystem wie ein Kulturgut verteidigt. Ob das angesichts unserer Probleme im Land zielfĂŒhrend war? Jedenfalls nicht, wenn man die Ergebnisse betrachtet.
Ich kenne einige Lehrer, die ich als Ă€uĂerst Meinungsstark beschreiben wĂŒrde. Dass sie diese MeinungsstĂ€rke nicht nur qua Amt zeigen, liegt vermutlich in der Natur des Jobs. Dass die PrĂ€sidenten des Lehrerverbandes von diesem Schlage sind, sollte mich also nicht wundern.
21711 0001 line Diagramm (Ausgaben der öffentlichen Haushalte fĂŒr Bildung: Deutschland, Jahre, Körperschaftsgruppen, Aufgabenbereiche der öffentlichen Haushalte)
Einen gewissen Hang zur Besserwisserei ist mir bei Leuten wie Josef Kraus aufgefallen. Rechte beschreiben ihn heute gern als streitbaren Publizisten. Nun wird er sein Handwerk als langjĂ€hriger Lehrer vertiefend erlernt haben. Ob die SchĂŒler ihn gut gefunden haben? Die in meinen Augen eher einseitig und rechtskonservativen Texte, die er in regelmĂ€Ăigen BeitrĂ€gen bei Tichys Einblick verfasst hat, lassen mich zweifeln.
Achtung: Vorsicht beim Anschauen dieses Videos. Zwei alte MĂ€nner erzĂ€hlen von der Dekadenz nachfolgender Generationen und vom “SĂŒndenstolz” der Deutschen. Wie hat Höcke das doch gleich formuliert?
Gerade Persönlichkeiten wie Josef Kraus oder Heinz-Peter Meidinger waren und sind auch auĂerhalb der Bildungspolitik als konservative Stimmen prĂ€sent â mit pointierten Kommentaren etwa zur Migrationspolitik, Genderdebatte oder Cancel Culture. (Kraus schrieb z.âŻB. BĂŒcher wie âWie man eine Bildungsnation an die Wand fĂ€hrtâ.) FĂŒr linkes Gedankengut ist wenig Raum. Ob das als Indiz dafĂŒr gewertet werden kann, dass bildungstechnisch nichts in diesem Land vorankommt? Ich setze auf Frau Priem (CDU). Allerdings stellte die CDU in den letzten Jahrzehnten hĂ€ufig die Bildungsminister.
Partei
Anzahl Perioden
ZeitrÀume
CDU/CSU
4
1969â1972, 2005â2009, 2009â2013, seit 2025
SPD
1
1998â2005
FDP
1
2021â2024
GrĂŒne (Ampel)
1
2022â2025 (Fam/Bildung)
Von Haus aus optimistisch stimmt mich diese Ausgangslage allerdings nicht.
Digitalisierung, Kompetenzorientierung, âLernen ohne Notenâ â das alles wird vom Deutschen Lehrerverband oft kritisch oder skeptisch begleitet, weniger aus Technikfeindlichkeit, sondern aus Sorge um Bildungssubstanz und pĂ€dagogische Haltelinien.
800px General government total expenditure on education, 2023
Wahrscheinlich hatten sie zu wenig Einfluss auf die Bildungspolitik unseres Landes. Deshalb steckt die Karre jetzt wohl auch im Dreck. Oder ist es andersherum und das deutsche Bildungswesen steckt in der Krise, weil es solche Konservativen an wichtigen Schaltstellen gab?
Es heiĂt, alles sei schon gesagt worden. Alle SĂ€tze, alle Gedanken, alle Mahnungen. Ich erwĂ€hnte das in den letzten Tagen und bezog mich auf die Eskalationsbereitschaft, die wir in manchen LĂ€ndern derzeit erleben.
Als hĂ€tte die Menschheit das Vokabular ihrer Vernunft bereits erschöpft. Vielleicht ist es genau dieses GefĂŒhl â der Eindruck, im LĂ€rm der Wiederholungen nichts Neues mehr sagen zu können â das unsere Diplomatie entwertet hat. Worte wirken schal, wenn niemand mehr zuhören mag.
Und wĂ€hrend die Welt komplexer wird, wird der Ton rauer. Die SchĂ€rfe in den Diskussionen ist kein NebengerĂ€usch mehr â sie ist zum Markenkern unserer Auseinandersetzungen geworden. Wo frĂŒher Streit ein Mittel zur KlĂ€rung war, ist heute oft das Ziel: Spaltung. Nicht das gemeinsame Ringen, sondern das gegenseitige Ăberbieten im Moralisieren, Abwerten, BloĂstellen.
Wie konnte es so weit kommen, dass selbst Familien an politischen Meinungsverschiedenheiten zerbrechen? Dass Freundschaften enden, weil die Wahl der Worte die Wahl des Menschen in Frage stellt? Vielleicht, weil wir Sprache nur noch als Waffe benutzen â nicht mehr als BrĂŒcke.
Doch Worte sind beides. Sie können verletzen â und heilen. Sie können Mauern bauen â und Wege bahnen. Sie sind nicht schuld an der Spaltung. Aber sie sind ihr Werkzeug.
Was wir tun können â ohne laut zu werden
Wie also gegensteuern, ohne gleich wieder eine neue LautstÀrke zu erzeugen? Ein paar Ideen, leise, aber nicht machtlos:
1. Sprache entgiften
Was wĂ€re, wenn wir unsere Streitkultur mit einem Korrektiv versĂ€hen â nicht durch Verbote, sondern durch Haltung? Wenn wir uns darin ĂŒbten, Kritik zu ĂŒben, ohne zu entwerten? Wenn wir âIch sehe das andersâ sagen, statt âWie kann man nur so denken?â?
2. Zuhören ĂŒben
Zuhören ist vielleicht die meistunterschĂ€tzte Kulturtechnik unserer Zeit. Wer zuhört, gewinnt. Nicht die Oberhand, sondern VerstĂ€ndnis. Vielleicht sogar einen Gedanken, den man so nicht kannte. Zuhören ist kein RĂŒckzug, sondern ein mutiger Akt der Zuwendung.
3. Medienverantwortung
Journalismus ist kein Boxkampf. Die Sucht nach Zuspitzung und Skandalisierung vergiftet das Klima, das wir atmen. Wir brauchen Medien, die BrĂŒcken bauen, nicht nur Klicks. Narrative, die KomplexitĂ€t nicht fĂŒr Quote opfern.
4. RÀume schaffen
Diskurs braucht Orte. Analoge wie digitale. Plattformen, auf denen Menschen nicht nur recht haben, sondern auch wachsen dĂŒrfen. In denen Fehler erlaubt sind. Wo Reue nicht SchwĂ€che, sondern Reife ist. Die Demokratie lebt nicht vom perfekten Argument, sondern vom Geduldsspiel.
5. Die Schulen des Herzens
Wenn wir von Bildung sprechen, meinen wir oft nur Wissen. Was wir aber brauchen, ist auch: WĂ€rme. Respekt. Die Kunst, sich in andere hineinzuversetzen. Schulen sollten Orte sein, in denen Streitkultur genauso gelehrt wird wie Algebra.
Ein PlĂ€doyer fĂŒr die zweite Stimme
Es ist nicht schlimm, sich zu streiten. Es ist schlimm, es nicht mehr zu können. Oder nicht mehr zu wollen. Wir sollten lernen, unsere erste Stimme â die des Reflexes â von der zweiten zu unterscheiden: der Stimme der Reflexion.
Denn wer nur mit dem ersten Impuls spricht, spricht selten in ganzen SĂ€tzen. Aber wir brauchen ganze SĂ€tze. Wir brauchen das Halten von Pausen. Das Innehalten. Den Mut, nicht immer das letzte Wort zu haben.
Die Welt ist nicht fertig erzĂ€hlt. Und auch wenn schon vieles gesagt wurde â vielleicht ist noch nicht alles verstanden. In diesem Sinne: Lasst uns weitersprechen. Mit Achtung. Und mit Hoffnung.
Ob der Titel bewusst falsch ist? Vielleicht fĂŒhrt Netzinfakt zum Netzinfarkt?
Das ist alles ebenso komplex wie Ă€rgerlich. Was sagt eigentlich Quaschning dazu? Und bitte … keine grĂŒne Propaganda!
TL;DR
Solaranlagen ĂŒberlasten das Stromnetz, da der Ausbau und die Speicherung nicht mitgehalten haben. Dies fĂŒhrt zu negativen Strompreisen und geringeren NetzdurchleitungsgebĂŒhren. Um die Kosten zu decken, sollen Solaranlagenbetreiber in Zukunft fĂŒr die Einspeisung zahlen.
Fiktive Einspeisepreise fĂŒhren zu Fehlentscheidungen, wie dem Bau zu vieler Photovoltaikanlagen ohne individuelle Speicher. Ein eigener Speicher ermöglicht es, ĂŒberschĂŒssigen Strom tagsĂŒber zu speichern und nachts einzuspeisen, was bei einer möglichen Einspeisestrafenregelung im Sommer vorteilhaft wĂ€re. Die zukĂŒnftige VergĂŒtung soll die Netzdienlichkeit berĂŒcksichtigen, mit zeitvariablen Tarifen und möglichen Lastspitzenbelastungen, was besonders Mieter benachteiligen könnte.
Es werden drei Möglichkeiten zur Nutzung von Solarstrom diskutiert: Batterien, KlimasplitgerĂ€te und Warmwasserboiler. Batterien können sowohl bei Netzmangel als auch bei Ăberschuss genutzt werden, indem sie nachts geladen werden und tagsĂŒber Strom abgeben. KlimasplitgerĂ€te und Warmwasserboiler können ebenfalls Solarstrom nutzen, um den KĂŒhl- und Warmwasserbedarf zu decken.
Die EinspeisevergĂŒtung fĂŒr Solaranlagen wird reduziert, da diese das Stromnetz belasten und die VergĂŒtung nicht mehr das Hauptmotiv fĂŒr HĂ€uslebauer ist. Stattdessen nutzen sie den Strom selbst. Die Sanierungsquoten fĂŒr BestandsgebĂ€ude sind niedrig, was zu gestrandeten Vermögenswerten und hohen CO2-Emissionen fĂŒhrt. Eine Lösung könnte die Flatrate-Miete fĂŒr energieeffiziente GebĂ€ude sein, bei der der Vermieter die Energiekosten optimiert und die Netzdienlichkeit steuert.
Eine energieeffiziente Mietwohnung mit Flatrate kann durch Fensterkontakte und Mietvertragsklauseln gegen Energiemissbrauch geschĂŒtzt werden. Fensterkontakte verhindern, dass Mieter im Winter Fenster offen lassen und die Heizung ausstellen. Eine Website bietet einfache und kostengĂŒnstige MaĂnahmen fĂŒr EinfamilienhĂ€user zur Netzdienlichkeit.
Die Tarife werden in anderthalb bis zwei Jahren verfĂŒgbar sein. Zuschauer sind eingeladen, ihre Ideen und Fragen in den Kommentaren zu hinterlassen.
In schöner RegelmĂ€Ăigkeit ($) flammt sie wieder auf â die Debatte um Schönheit und beruflichen Erfolg. Gerade befeuert durch eine Studie, die mittels kĂŒnstlicher Intelligenz sprachliche Muster in 68 Sprachen analysierte. Sie kommt zum Ergebnis: In vielen LĂ€ndern â besonders in Finnland und Japan â wird Schönheit stark mit Erfolg und Kompetenz verknĂŒpft. Auch in Deutschland zeigt sich dieser Zusammenhang, wenn auch schwĂ€cher.
Mich wundert, dass Finnland besonders heraussticht. Diese Nation soll doch, wenn ich richtig informiert bin, die oder jedenfalls eine der GlĂŒcklichsten in Europa sein. Geht das zusammen?
Laut dem World Happiness Report leben die glĂŒcklichsten Menschen in Finnland. Die Finnen sind bereits zum achten Mal in Folge auf Platz eins der weltweiten GlĂŒcksrangliste.
Und doch wirkt die Reaktion hierzulande fast typischer als die Studie selbst: Der Ruf nach Regelungen ist nicht fern. Bewerbungen ohne Foto, heiĂt es, könnten helfen, den sogenannten âSchönheitsbonusâ zu neutralisieren. Doch ist dieser Schritt wirklich sinnvoll? Und wie weit reicht unser Glaube, dass Fairness durch FormalitĂ€ten entsteht?
AttraktivitĂ€t wirkt â das lĂ€sst sich kaum leugnen
ZunÀchst einmal: Ja, es gibt ihn, diesen Effekt. Studien aus der Verhaltenspsychologie und den Wirtschaftswissenschaften belegen seit Jahrzehnten, dass schöne Menschen im Durchschnitt höher eingeschÀtzt, hÀufiger eingeladen und besser bezahlt werden. Sie gelten als durchsetzungsfÀhiger, sympathischer, kompetenter.
Das hat weniger mit objektiver Qualifikation zu tun als mit tief verankerten Urteilen. Wir Menschen neigen dazu, positive Eigenschaften miteinander zu verknĂŒpfen â ein kognitiver Kurzschluss, der unter dem Begriff Halo-Effekt bekannt ist.
Dass solche PrĂ€gungen auch in Bewerbungssituationen greifen, ist wenig ĂŒberraschend. Ein Foto, auf dem ein sympathisches, gepflegtes Gesicht zu sehen ist, kann â bewusst oder unbewusst â die ganze Bewerbung aufwerten. Und ja, das ist problematisch.
Der deutsche Reflex: regulieren statt reflektieren?
Doch ist das Verbot von Bewerbungsfotos der richtige Weg? In Deutschland wird dieser Vorschlag seit Jahren diskutiert. Die BefĂŒrworter argumentieren: Wenn das Foto entfĂ€llt, zĂ€hlt endlich nur noch, was inhaltlich vorliegt â Ausbildung, Erfahrung, Motivation. Die Bewertung wird objektiver, Chancengleichheit wahrscheinlicher.
Aber diese Hoffnung könnte trĂŒgen. Denn Schönheit lĂ€sst sich nicht durch den Verzicht auf Bilder aus der Welt schaffen. Menschen mit Ausstrahlung, Stil, Charme â all das sind oft sichtbare oder hörbare QualitĂ€ten, die spĂ€testens im VorstellungsgesprĂ€ch wieder zum Tragen kommen. Ein Bild lĂ€sst sich streichen, der Eindruck bleibt!
Was zÀhlt wirklich? Und wann?
Zudem: In vielen Berufsfeldern sind Auftreten, Kommunikation, Ăsthetik durchaus relevante FĂ€higkeiten â etwa im Kundenkontakt, in der Beratung, in Medien oder Werbung. Schönheit wird dort oft mit ProfessionalitĂ€t gleichgesetzt. Ist das verwerflich? Oder schlicht realistisch?
Und umgekehrt: In den allermeisten Jobs â ob in der Pflege, im Handwerk, in der Wissenschaft oder der öffentlichen Verwaltung â zĂ€hlen andere Dinge weit mehr: TeamfĂ€higkeit, ZuverlĂ€ssigkeit, Know-how. Dort mögen schöne Menschen beim ersten Eindruck punkten. Aber sie allein tragen ein Projekt nicht zum Erfolg.
Schönheit als âsoziale WĂ€hrungâ?
Man könnte sagen: Schönheit ist eine Art sozialer Startvorteil â aber kein Garant fĂŒr den Aufstieg. In der Tiefe des Berufslebens, wo es um Verantwortung, Zusammenarbeit, Krisenfestigkeit geht, greifen andere Kriterien.
Die Herausforderung besteht darin, diesen Startvorteil bewusst zu machen â ohne daraus eine neue BĂŒrokratie zu stricken. Nicht jedes Unrecht lĂ€sst sich per Formular verhindern.
Ein PlĂ€doyer fĂŒr bewusstes Entscheiden
Vielleicht brauchen wir nicht weniger Bilder, sondern mehr Bewusstsein. Wer einstellt, sollte wissen, dass der erste Eindruck trĂŒgen kann. Und dass Qualifikationen sich nicht im LĂ€cheln zeigen. Wer sich bewirbt, sollte wissen: Schönheit kann TĂŒren öffnen, aber dahinter beginnt ein anderes Spiel.
Und vielleicht sollten wir alle öfter innehalten, wenn wir jemanden als âkompetentâ wahrnehmen â und uns fragen, warum eigentlich.
Schönheit verschafft Vorteile â das ist menschlich, aber nicht fair. Doch statt neue Verbote zu schaffen, wĂ€re es klĂŒger, den Umgang mit solchen Effekten zu reflektieren. Die Welt ist nicht gerecht. Aber sie wird gerechter, wenn wir unsere MaĂstĂ€be hinterfragen â nicht nur unsere Fotos.
Ein Ministerialrat, der sich ĂŒber die einseitige Berichterstattung des dĂ€nischen Rundfunks beklagt. Eine deutsche Urlauberin, die ihre Begeisterung fĂŒr den âFĂŒhrerâ nicht hinter dem Berg hĂ€lt. Und HotelgĂ€ste, die lieber ĂŒber das Wetter plaudern als ĂŒber die politische Lage. Willkommen im Seebadhotel â einem Mikrokosmos der Apathie.
Die dĂ€nische Serie Badehotellet (dt. Seebadhotel) spielt in den Sommermonaten der Jahre 1928 bis 1947 an der NordseekĂŒste. Europa taumelt auf die Katastrophe zu, aber in den komfortablen Suiten des Badehotels scheint die Welt in Ordnung. Die Serie ist nicht laut, nicht dramatisch. Und genau deshalb trifft sie einen Nerv: Sie zeigt, wie die NormalitĂ€t des Alltags politische Entwicklungen stillschweigend begleitet, mit einem LĂ€cheln und einem Gin Tonic in der Hand.
Nur der Ministerialrat wirft gelegentlich einen Blick auf die Welt auĂerhalb der KĂŒste. Er kritisiert die mangelnde ObjektivitĂ€t der Rundfunk-Berichterstattung. Das klingt vertraut. Damals wie heute ist die Frage: Wer kontrolliert die Wahrheit? Die anderen HotelgĂ€ste ziehen es vor, sich damit nicht zu beschĂ€ftigen. Politik stört die Ferienlaune.
Diese GleichgĂŒltigkeit, dieses âLieber nicht darĂŒber redenâ oder âwir können es ohnehin nicht Ă€ndernâ, zieht sich durch die Serie wie der Horizont am Meer. Und sie erinnert schmerzhaft daran, wie leicht wir bereit sind, den Blick abzuwenden, wenn die Dinge unangenehm werden.
Zwischen Glanz und Abgrund: Weitere Serien der Zwischenkriegszeit
Badehotellet ist nicht allein. Zahlreiche Serien der letzten Jahre haben die Zwischenkriegszeit als erzĂ€hlerisches Labor entdeckt â und sie alle werfen Fragen auf, die uns auch heute betreffen.
Berlin, 1929: Im legendĂ€ren Tanzlokal Moka Efti drĂ€ngen sich NachtschwĂ€rmer zu JazzklĂ€ngen, wĂ€hrend drauĂen Arbeitslose und Kriegsveteranen auf den StraĂen ums Ăberleben kĂ€mpfen. Solche kontrastreichen Bilder zeichnen die TV-Serie Babylon Berlin (Deutschland, seit 2017), die den Zeitgeist der spĂ€ten Weimarer Republik einfĂ€ngt. Berlin wird darin als âMetropole in Aufruhrâ gezeigt â eine zerrissene Stadt im radikalen Wandel. TatsĂ€chlich standen in der Hauptstadt der 1920er-Rausch und Elend nebeneinander: rauschhafter Exzess und extreme Armut, Emanzipation und Extremismus prallen aufeinander. Die âGoldenen Zwanzigerâ brachten kĂŒnstlerische BlĂŒte und nĂ€chtliches VergnĂŒgen, lieĂen aber auch KriminalitĂ€t blĂŒhen und politische Spannungen eskalieren. Babylon Berlin lĂ€sst uns in diese schillernde und zugleich brĂŒchige Welt eintauchen â eine Welt, die ahnen lĂ€sst, wie die Gesellschaft am Abgrund balanciert, kurz bevor der Nationalsozialismus alles in die Katastrophe stĂŒrzt.
Auch international widmen sich erfolgreiche Serien jener Zwischenkriegszeit als Spiegel der Gesellschaft. Peaky Blinders (GroĂbritannien, 2013â2022) etwa versetzt uns nach Birmingham 1919, in eine vom Krieg gezeichnete Industriestadt. Eine ehemalige Gang von Kriegsveteranen um Tommy Shelby kĂ€mpft sich durch das Milieu aus Armut, Erwerbslosigkeit und organisiertem Verbrechen â und sieht sich bald neuen Bedrohungen gegenĂŒber. SpĂ€testens in den spĂ€ten Staffeln tritt mit Sir Oswald Mosley ein berĂŒchtigter Faschist auf den Plan, der im GroĂbritannien der 1930er die rechtsextreme British Union of Fascists anfĂŒhrt. Die Serie zeigt so nicht nur das Elend und die Wut der Arbeiterklasse nach dem Ersten Weltkrieg, sondern auch das Aufkommen radikaler Ideologien im Untergrund der Gesellschaft.
Einen ganz anderen Blickwinkel bietet Downton Abbey (GroĂbritannien, 2010â2015): Hier stehen ein aristokratisches Landgut in Yorkshire und sein Personal im Mittelpunkt. Zwischen 1912 und 1926 erlebt die Adelsfamilie Crawley eine Folge tiefgreifender UmbrĂŒche. Der Untergang der Titanic markiert den Auftakt, gefolgt vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der Spanischen Grippe, der EinfĂŒhrung des Frauenwahlrechts und dem irischen UnabhĂ€ngigkeitskrieg.
Downton Abbey zeigt diesen Wandel mit prachtvollen Kulissen â und dennoch mit realistischer Detailtreue. Alte Hierarchien beginnen zu bröckeln. Diener verlassen traditionelle Lebenswege. Und Frauen erobern sich nach und nach neue Rollen in einer sich verĂ€ndernden Gesellschaft.
Eine weitere Facette liefert Las chicas del cable â Die Telefonistinnen (Spanien, 2017â2020). Diese spanische Netflix-Serie folgt vier jungen Telefonistinnen im Madrid des Jahres 1928, die alle aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammen. Vor dem Hintergrund der technischen Moderne â dem Aufkommen der Fernsprech-Technologie â kĂ€mpfen Lidia, Carlota, Ăngeles und Marga um persönliche Freiheit und Gleichberechtigung in einer mĂ€nnlich dominierten Gesellschaft.
Zugleich werden sie Zeuginnen der politischen Entwicklung Spaniens jener Jahre. Die Serie beginnt in den spĂ€ten 20ern und fĂŒhrt durch die turbulente Zweite Spanische Republik bis an den Vorabend des spanischen BĂŒrgerkriegs 1936. Damit zeigt Die Telefonistinnen eindrĂŒcklich, wie eng private Schicksale und gesellschaftliche UmbrĂŒche verflochten sind: WĂ€hrend die Protagonistinnen um Selbstbestimmung ringen, verdunkeln sich nach und nach die politischen Wolken â eine Parallele, die viele europĂ€ische LĂ€nder der Zwischenkriegszeit teilen.
Diese und andere historische Serien dienen also nicht nur der Unterhaltung, sondern als Fenster in die Vergangenheit. Sie machen spĂŒrbar, wie die Menschen in den Jahren zwischen den Weltkriegen lebten, liebten und litten. Vor allem zeigen sie, wie instabil die VerhĂ€ltnisse nach dem Schock des Ersten Weltkriegs waren: Demokratien waren neu und fragil, alte Monarchien verschwunden, die Wirtschaft mal hyperaktiv (Spekulationsblase, âRoaring Twentiesâ), mal am Boden (Weltwirtschaftskrise). Arbeitslosigkeit und Armut standen glitzerndem GroĂstadtleben gegenĂŒber.
Zugleich radikalisierten sich RĂ€nder von links und rechts; viele fĂŒhlten, die etablierte Politik habe versagt. Serien wie diese sind ein Spiegel: Sie fangen die AtmosphĂ€re jener Zeit ein â das Flirren zwischen Aufbruch und Absturz â und machen die GefĂŒhlslage greifbar, die damals viele umtrieb.
Nationalistische Tendenzen in Europa heute
Fast ein Jahrhundert spĂ€ter blickt Europa erneut in einen Abgrund wachsender politischer Extreme. Was einst Geschichte schien, wirkt plötzlich beklemmend aktuell: In mehreren europĂ€ischen LĂ€ndern haben nationalistische oder rechtspopulistische Parteien heute Regierungsverantwortung ĂŒbernommen â oder stehen kurz davor.
In gleich sechs EU-Staaten â darunter Italien, Finnland, die Slowakei, Ungarn, Kroatien und Tschechien â sitzen inzwischen rechtspopulistische oder nationalkonservative Parteien mit am Regierungstisch.
In Schweden etwa mischt die Partei Sverigedemokraterna krĂ€ftig mit: Sie stellt zwar keine Minister, gibt aber als Tolerierungspartner den Ton an â der Einfluss ist spĂŒrbar, auch ohne Kabinettsposten.
Finnland wird seit 2023 von einer Koalition regiert, an der die Finnische Partei beteiligt ist â frĂŒher bekannt als âWahre Finnenâ. Ihre Linie ist klar: strikter Kurs bei Migration, kritische Haltung gegenĂŒber der EU.
Und in Italien steht seit den Neuwahlen 2022 erstmals eine postfaschistische Partei an der Spitze des Staates. Giorgia Meloni und ihre Fratelli dâItalia stellen die MinisterprĂ€sidentin â und prĂ€gen die Regierung mit nationalistischem Ton und konservativer Weltanschauung. Ihre Regierung aus nationalistischen und rechtskonservativen KrĂ€ften hat u.a. eine harte Linie in Migrationsfragen und ein betont traditionalistisches Gesellschaftsbild in ihr Programm geschrieben.
Auch in Osteuropa schlagen rechte Töne an. In Ungarn regiert Viktor OrbĂĄn bereits seit 2010; seine Fidesz-Partei hat ein System âilliberaler Demokratieâ geschaffen, das unabhĂ€ngige Medien und Gerichte gezielt schwĂ€cht und mit nationalistischer Rhetorik die eigene Macht zementiert.
In Polen lenkte die nationalkonservative PiS (Prawo i SprawiedliwoĆÄ, Law and Justice) acht Jahre lang (2015â2023) die Regierung und baute in dieser Zeit Justiz und öffentlich-rechtliche Medien nach ihrem Gusto um â ein Kurs, der das Land mehrfach in Konflikt mit der EU brachte. (Erst Ende 2023 wurde PiS durch ein pro-europĂ€isches OppositionsbĂŒndnis abgewĂ€hlt, was viele als Votum gegen den autoritĂ€ren Kurs werteten.)
Am 1. Juni 2025 gewann Karol Nawrocki, unterstĂŒtzt von der nationalkonservativen PiS-Partei, knapp die PrĂ€sidentschaftswahl in Polen mit 50,89 % der Stimmen. Sein Sieg könnte die pro-europĂ€ischen Reformen der Regierung unter Premierminister Donald Tusk erheblich behindern, da der PrĂ€sident in Polen ĂŒber weitreichende Befugnisse verfĂŒgt, einschlieĂlich eines Vetorechts. Nawrockis EU-skeptische Haltung und seine NĂ€he zu anderen nationalistischen FĂŒhrern in Europa lassen befĂŒrchten, dass Polen sich weiter von der EU entfernt und demokratische Institutionen geschwĂ€cht werden könnten.
Auch Slowenien und Serbien standen zeitweise unter dem Einfluss populistischer FĂŒhrungspersonen, die mit markigen Parolen und autoritĂ€rem Gestus auf Stimmenfang gingen. In der Slowakei kehrte 2023 der umstrittene Ex-Premier Robert Fico zurĂŒck an die Macht â gemeinsam mit der rechtsextremen SNS, die im Wahlkampf mit ultranationalistischen Tönen auf sich aufmerksam machte.
Doch selbst vermeintlich stabile Demokratien sind nicht immun. In den Niederlanden etwa landete der islamfeindliche Provokateur Geert Wilders mit seiner PVV Ende 2023 einen Wahlsieg. Im FrĂŒhjahr 2024 wurde daraus ein handfestes RegierungsbĂŒndnis â und vermutlich die rechteste Regierung, die das Land seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen hat.
Gleichzeitig wachsen klassische Rechtsparteien europaweit: Sie gewinnen WĂ€hler, rĂŒcken in die Parlamente vor â und drĂ€ngen die politische Mitte zunehmend an den Rand. In Frankreich erreicht Marine Le Pens Rassemblement National in Umfragen bereits ĂŒber 30âŻ% und liegt damit klar vor Emmanuel Macrons zentristischer Partei. Und in Deutschland schlieĂlich erstarkt die AfD: Sie liegt mit rund 20âŻ% zeitweise gleichauf mit den Volksparteien. In einigen ostdeutschen BundeslĂ€ndern wurde sie zuletzt sogar stĂ€rkste Kraft. Erstmals seit 1945 gewann mit der AfD ein rechter AuĂenseiter einen Landratsposten, und die Partei zieht â wenngleich bislang isoliert â in immer mehr Landtage ein. Die Alarmglocken lĂ€uten also lĂ€ngst.
Echo der Geschichte? Diese aktuellen Entwicklungen lassen unweigerlich Parallelen zur Zwischenkriegszeit erkennen. NatĂŒrlich wiederholt sich Geschichte nie eins zu eins, doch gewisse Muster Ă€hneln sich auf frappierende Weise. So befinden sich auch heute viele BĂŒrger in einem GefĂŒhl der Unsicherheit: Krisen und UmbrĂŒche erschĂŒttern die Gesellschaft, von Finanzkrisen ĂŒber Pandemien bis hin zu rasanten technologischen VerĂ€nderungen. Inflation und EnergieengpĂ€sse nagen in manchen LĂ€ndern am Wohlstand, globale Migration und Kulturwandel verunsichern Teile der Bevölkerung. Vor 100 Jahren litten die Menschen unter ganz Ă€hnlichen Problemen â der Vergleich mit der Weimarer Zeit drĂ€ngt sich auf.
Damals hatten Krieg, Hyperinflation und Arbeitslosigkeit breite Schichten in Verzweiflung gestĂŒrzt. Gesellschaften âbuckelten unter Stressâ: Erst Weltkrieg, dann eine tödliche Pandemie, dann galoppierende Teuerung â extreme wirtschaftliche Not und soziale Ăngste schĂŒrten Wut auf das Establishment . Populisten fanden darin ihren NĂ€hrboden. Wie in den 1920ern ein Mussolini oder Hitler versprechen heutige RechtsauĂen-Politiker einfache Lösungen und nationale Wiederauferstehung.
Sie verstehen es meisterhaft, auf den Klaviaturen von Angst und DemĂŒtigung zu spielen. Sie geben dem Zorn der Menschen Raum â nicht, um ihn zu lindern, sondern um ihn zu lenken. Die Schuld wird SĂŒndenböcken zugeschoben, die Ursachen vereinfacht, und sich selbst inszenieren sie als Retter aus der Not.
Und wie damals verfĂ€ngt diese Botschaft bei vielen. Wer enttĂ€uscht ist, wer sich abgehĂ€ngt oder ĂŒbersehen fĂŒhlt, ist eher bereit, hartes Durchgreifen zu akzeptieren â auch wenn dafĂŒr liberale Werte ĂŒber Bord geworfen werden. Hauptsache, das GefĂŒhl von Kontrolle und âGröĂeâ kehrt zurĂŒck.
Dennoch ist Vorsicht geboten bei allzu simplen Vergleichen.
Europa heute ist nicht das Europa von 1933 â die Demokratie ist gefestigter, die LebensrealitĂ€ten sind andere. Und doch lohnt der Blick in den historischen Spiegel, den uns Serien wie Babylon Berlin oder Peaky Blinders bieten.
Er dient als Mahnung, wie rasch eine offene Gesellschaft ins Kippen geraten kann, wenn Krisen und Ăngste sie erschĂŒttern. Die gedankliche BrĂŒcke zwischen den 1920er/30er-Jahren und der Gegenwart ist kein Gleichsetzen, aber ein Warnsignal. Die damaligen Serien-Charaktere ahnten oft nicht, wie knapp ihre Welt vor dem Abgrund stand â wir als Zuschauer wissen es im RĂŒckblick besser. Diese historische Erfahrung sollten wir in die Gegenwart mitnehmen. Die aktuellen rechten Tendenzen in Europa mögen auf demokratischem Wege entstanden sein, doch sie erinnern uns daran, dass Demokratie keine SelbstverstĂ€ndlichkeit ist. Gesellschaftliche Spannungen, wirtschaftliche Not und IdentitĂ€tskonflikte können â damals wie heute â politische Extreme hervorbringen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich alleine mit solchen Gedanken bin, wenn ich solche Serien anschaue. Sie stellen fĂŒr mich eine Gelegenheit dar, mich in diese Zeit und die mögliche GefĂŒhlswelt der Menschen von damals hineinzuversetzen.
Die Welt von gestern spricht zu uns â leise vielleicht, aber unĂŒberhörbar: Bleibt wachsam. Verteidigt, was euch schĂŒtzt. Und nehmt den Extremisten den NĂ€hrboden, bevor daraus ein FlĂ€chenbrand wird. Nein, Geschichte wiederholt sich nicht in Reinkopie. Aber sie reimt sich. Und mancher Vers, den wir heute hören, klingt erschreckend vertraut.
Die Serien der Zwischenkriegszeit halten uns den Spiegel hin â nicht aus Nostalgie, sondern als Mahnung. Sie zeigen, wie schnell aus GleichgĂŒltigkeit Gefahr wird.
Nutzen wir diesen Blick zurĂŒck, um klĂŒger voranzugehen. Denn es geht lĂ€ngst nicht mehr nur um den Zustand der Demokratie. Vielleicht, so warnen manche, stehen wir am Vorabend eines tieferen, existenziellen Konflikts â wenn man jenen Glauben schenkt, die Russland als auferstandene, imperiale Zentrifuge begreifen. Ob Ăbertreibung oder Vorahnung: Die Zeichen mehren sich. Es liegt an uns, daraus Konsequenzen zu ziehen â entschlossen, bevor der Preis zu hoch wird.
Wir leben von der Substanz â und tun so, als gĂ€be es unendlich viel davon.
Seit Jahren flieĂen dreistellige MilliardenbetrĂ€ge aus dem Bundeshaushalt in unsere Sozialversicherungen, um deren wachsende FinanzierungslĂŒcken zu stopfen. Allein fĂŒr Renten und Pensionen mĂŒssen jĂ€hrlich ĂŒber 100 Milliarden Euro an Steuermitteln aufgebracht werden â eine stille SelbstverstĂ€ndlichkeit, die kaum noch hinterfragt wird.
Statt struktureller Reformen erleben wir ein politisches Wegducken, kaschiert durch neue Schuldenberge, die mehr ĂŒber die Hilflosigkeit der Verantwortlichen verraten als ĂŒber nachhaltige Zukunftssicherung. Wer glaubt, dass sich durch das Einsetzen immer neuer Kommissionen und Expertenrunden echte Reformen abzeichnen, verkennt die politische RealitĂ€t: Hier wird moderiert, nicht gestaltet.
Im heutigen Presseclub wurde diskutiert, was uns allen unter den NĂ€geln brennt: Die rasant steigenden Kosten unserer Kranken- und Pflegeversicherungen, das Ăchzen der Sozialkassen unter der demografischen und wirtschaftlichen Last â aber auch unter den politischen Entscheidungen der letzten Jahre.
Ein Aspekt blieb leider unerwÀhnt. Einer, der unbequem ist, der polarisiert und deshalb hÀufig ausgespart wird. Der aber zur Wahrheit dazugehört: die Migrationspolitik seit 2015 und ihre Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme.
Fakten, die selten genannt werden
Zwischen 2015 und 2025 kamen laut Statistiken rund 12,5 Millionen Menschen nach Deutschland â ĂŒberwiegend aus Krisen- und Armutsregionen. UngefĂ€hr 7 Millionen verlieĂen das Land wieder. Es verbleiben etwa 5,5 Millionen, die â zumindest vorerst â bleiben. Der Streit unter den Gelehrten ist abhĂ€ngig von ihrer Weltanschauung. Man kennt es (vor allem hier in Deutschland) nicht anders, wenn man diese Themen öffentlich diskutiert.
Von diesen lebt nur etwa die HĂ€lfte in sozialversicherungspflichtiger BeschĂ€ftigung. Die andere HĂ€lfte bezieht Transferleistungen oder befindet sich in QualifikationsmaĂnahmen, Sprachkursen oder informellen Strukturen.
NatĂŒrlich sind viele dieser Menschen nicht unbedingt freiwillig hier. Sie flohen vor Krieg, Hunger, Hoffnungslosigkeit. Dass Deutschland hilft, ehrt unser Land. Aber Hilfe hat Grenzen, wenn sie nicht durchdacht, strukturell abgesichert und ehrlich kommuniziert wird.
Im Juni 2022 ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschÀftigten AuslÀnder laut DRV Bund um rund 450 000 höher gewesen als ein Jahr zuvor. Im 5-Jahres-Vergleich ab Juni 2017 sei ihre Zahl sogar um 1,5 Millionen gestiegen. Damit haben AuslÀnder in dieser Periode rund zwei Drittel zum gesamten Anstieg der sozialversicherungspflichtig BeschÀftigten um insgesamt knapp 2,3 Millionen beigetragen.
In den letzten Jahren kostete die Migration Jahr fĂŒr Jahr etwa 30 Mrd. EUR. Gigantisch â vor allem, wenn man sich vor Augen hĂ€lt â dass die Ampel-Regierung im Grunde an 40 Mrd. EUR scheiterte.
Vielen Schutzsuchenden in Deutschland steht ein solcher Kraftakt noch bevor. Bisher arbeitet nur jeder dritte GeflĂŒchtete. Der tatsĂ€chliche Anteil dĂŒrfte höher liegen â bei etwa 40 Prozent -, denn die Zahlen der Arbeitsagentur sind unvollstĂ€ndig. Unter Deutschen liegt die Quote dagegen bei gut 70 Prozent. SelbststĂ€ndige werden dabei nicht berĂŒcksichtigt. Schutzsuchende brauchen also hĂ€ufiger staatliche UnterstĂŒtzung – und zwar oft auch dann noch, wenn sie schon eine Arbeitsstelle gefunden haben.
Migranten belasten die Sozialsysteme deshalb weniger stark als die Einheimischen, weil sie aufgrund ihres vergleichsweise jungen Alters weniger hĂ€ufig auf Ă€rztliche Hilfe angewiesen sind. Eine Untersuchung der Techniker Krankenkasse ergab vor ca. fĂŒnf Jahren, dass sozialversicherungspflichtig beschĂ€ftigte Migranten die Krankenkassen entlasteten. Was natĂŒrlich ĂŒberhaupt nichts darĂŒber aussagt, wie sich die Gesamtkosten fĂŒr die Migration darstellen. Hier wird suggeriert, dass Krankheitskosten der Ă€lteren Generation durch die geringere Inanspruchnahme der Kassen durch Migranten ĂŒberkompensiert wĂŒrden.
Das spricht gegen die These der Zuwanderungskritiker, Migranten trĂŒgen nur unterdurchschnittlich zum Beitragsaufkommen der GKV bei, weil sie im Durchschnitt weniger verdienen, als die Stammbevölkerung.
Inwieweit die Aussage Ăberzeugungskraft besitzt, hĂ€ngt vom Betrachter ab.
Eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt wÀre wirksamer als sich auf solche Aussagen, die wiederum auch nur einen Teil des ganzen Problems erfasst, zu verlassen.
Bei den Ukrainern gelingt eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt nicht, obwohl genau das in unseren NachbarlĂ€ndern gut funktioniert. Trotz dieser Erkenntnis und angeblichen MaĂnahmen hat sich die BeschĂ€ftigungsquote im Land nicht groĂ verĂ€ndert.
Die groĂe Unwucht
JEDER Sozialstaat lebt vom SolidaritĂ€tsprinzip: Die, die arbeiten, zahlen ein â fĂŒr die, die nicht können. Doch was passiert, wenn der Kreis der Nicht-Zahlenden wĂ€chst und die Zahl der Einzahlenden stagniert â oder gar schrumpft? Die DĂ€nen haben das lĂ€ngst verstanden und ausgerechnet Sozialdemokraten haben die MaĂnahmen getroffen, die nötig waren. Deutschland strĂ€ubt sich (immer noch) gegen jeden Erkenntnisgewinn. Auch nach dem Regierungswechsel. Nun, so allmĂ€hlich zeichnet sich zwar ein anderes Bild ab. Aber die Reaktionen unserer Regierung sind ob ihrer hilflos wirkenden âGrenzsicherungsmaĂnahmenâ eher verzweifelt als ĂŒberzeugend.
Die Kosten fĂŒr Gesundheitsversorgung, Pflege, Wohnraumförderung, Integrationsleistungen und viele weitere UnterstĂŒtzungsbereiche steigen. Gleichzeitig verlieren wir durch den demografischen Wandel jĂ€hrlich Tausende Beitragszahler aus der Babyboomer-Generation.
Und nun steht im Raum: Die Gesamtsozialversicherungsbelastung könnte bald ĂŒber 50 % des Einkommens hinauswachsen â eine Schallmauer, die das solidarische Modell in Schieflage bringen wĂŒrde. FĂŒr Arbeitgeber wie Arbeitnehmer.
Warum das kaum offen diskutiert wird
Das Thema Migration ist ein vermintes GelÀnde. Wer es anspricht, riskiert, als populistisch oder gar rechts abgestempelt zu werden. Doch Schweigen hilft nicht. Es braucht eine ehrliche, differenzierte Debatte, ohne Schuldzuweisungen, aber auch ohne Tabus.
Die bloĂe Hoffnung, dass sich Zuwanderung irgendwann ârechnetâ, ist naiv. Integration braucht Zeit, Ressourcen und Geduld â und eine klare Erwartungshaltung an beide Seiten.
Was passieren sollte
Es gibt Alternativen zu blindem Weiter-So:
Realistische Zuwanderungspolitik: Deutschland braucht qualifizierte Zuwanderung, nicht unkontrollierte Migration in die Sozialsysteme. Hier ist eine klare Unterscheidung nötig â auch im Gesetz.
Mehr Ehrlichkeit in der Debatte: Die Medien und die Politik mĂŒssen den Mut haben, Zahlen offen zu benennen, ohne Angst vor Etikettierungen.
Zielgerichtete Förderung statt DauerunterstĂŒtzung: Wer kommen darf, muss eine realistische Perspektive auf Teilhabe bekommen â aber auch Anreize, sich einzubringen, nicht sich einrichten zu können.
StĂ€rkung der Beitragsseite: Das geht nur mit mehr produktiver Arbeit â und das bedeutet: Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Digitalisierung und ein attraktiver Arbeitsmarkt.
Zwischen Empathie und ökonomischer Vernunft
Deutschland hat seit 2015 viel geleistet. Vielleicht zu viel, ohne das Fundament stabil genug zu machen. Ein Sozialstaat kann kein globales Auffangbecken sein â zumindest nicht auf Dauer und nicht ohne klar definierte Grenzen.
Wer helfen will, muss klug helfen. Wer FlĂŒchtlinge schĂŒtzt, muss auch die eigene Gesellschaft im Blick behalten. Wer ĂŒber Kosten spricht, darf nicht schweigen, wenn es um die Ursachen geht.
Und vielleicht sollte man sich kĂŒnftig in Talkshows wie dem Presseclub trauen, auch mal die komplexen Wahrheiten auszusprechen. Nicht, um zu spalten â sondern um Lösungen zu finden, bevor uns das System entgleitet.
Wir sprechen ĂŒber Hunderte Milliarden EURO, die Migration dieses Land in den letzten 10 Jahren gekostet hat. Nehmen wir als Basis doch einfach die untere Marke. Von diesem Wert ist hĂ€ufig zu lesen. Das wĂ€ren 25 Mrd. EUR pro Jahr. Da ist es geradezu kleinlich, sich an diesem vergleichsweise kleinen Thema aufzureiben. Oder ihm gleich einen Blogpost zu widmen, der dann auch noch bei vielen zu SchĂŒttelfrostanfĂ€llen fĂŒhren wird.
Wer sich von der RĂŒckkehr nach Deutschland ĂŒberfordert fĂŒhlt, weil der Supermarkt nicht nach KirschblĂŒte duftet, darf gerne reflektieren â aber bitte mit MaĂ und Mitte.
Ich verstehe den Impuls. Man kommt zurĂŒck aus einem Land, in dem Höflichkeit zur DNA gehört wie Reis zum Bento. Und dann steht man plötzlich wieder zwischen Wursttheke und WutbĂŒrger, sieht sich konfrontiert mit schiefen Blicken, schroffen Tönen, schmuddeligen Bahnhöfen. Kein Zweifel â unser Alltag hat raue Kanten.
Aber daraus gleich einen Abgesang auf das ganze Land zu komponieren? Das ist nicht Kulturschock â das ist Hochmut mit Jetlag.
Ich will nichts beschönigen. Ja, (auch) an (unseren) Bahnhöfen riecht es nicht immer nach Chanel No.âŻ5. Und ja, wer sich durch Menschenmengen wuchtet, spĂŒrt bisweilen mehr Ellbogen als Etikette. Doch ich frage mich: Was wiegt schwerer â ein muffiger U-Bahn-Eingang oder ein warmherziges Wort zur rechten Zeit?
Wie oft habe ich selbst erlebt, dass mir fremde Leute halfen oder es ist mir davon erzĂ€hlt worden. Die Leute helfen: sei es, um Auskunft zu geben oder mit einem schlichten LĂ€cheln. Meine Frau hatte kĂŒrzlich einen Unfall. Gleich haben sich Menschen, fremde Menschen, um sie gekĂŒmmert. Und meine Frau ist keine alte, hilfsbedĂŒrftig aussehende Oma. Es passiert nicht mit tiefem Knicks, aber es kommt von Herzen. Und das zĂ€hlt mehr als die Temperatur eines Brötchens oder die Haltung beim Aussteigen.
Was sagt es ĂŒber uns aus, wenn wir lieber ĂŒber die âRentnerschrapnelleâ meckern, statt zu sehen, dass in demselben Bus vielleicht eine Mutter gerade ein Kind tröstet oder ein Jugendlicher (oft Migranten!) einem Ălteren den Platz ĂŒberlĂ€sst?
Man kann â wie Hadmut Danisch â empfundene RealitĂ€t mit SchĂ€rfe beschreiben. Das ist sein gutes Recht. Aber der Ton macht die Musik. Und dieses Land hat mehr als nur Misstöne zu bieten.
Was soll man von einem Blogger wie Danisch erwarten, wenn er aus der Ferne so etwas ĂŒber âseinâ Land bloggt:
Sorry, wenn ich es mal so direkt sage, aber was ich ĂŒber den Mai aus Deutschland an Nachrichten gelesen habe â vielleicht habe ich einiges verpasst â war eigentlich nur gequirlte ScheiĂe. Kaum oder keine inhaltlichen Nachrichten. DafĂŒr solcher Mist, dass Person X irgendeinen Mist Y geredet hat, ĂŒber den sich irgendwer aufregt, und all so einen Quatsch. Irgendwie hatte ich da durch die Japan-Brille den Eindruck, dass in Deutschland gar nichts mehr passiert, was noch wirklich wichtig ist, stattdessen jeder irgendetwas schwĂ€tzt, um sich wichtig zu machen und ins GesprĂ€ch zu bringen, und die Medien das dann eben hochkochen, durchkneten, auswringen. So etwas wie ein Schild rauszuhĂ€ngen, auf dem steht âSorry, heute keine Meldungen, denn es ist in Deutschland einfach nichts passiert, was unseren qualitativen Mindestanforderungen entspricht, und fĂŒr das ganze blöde GeschwĂ€tz sind wir uns zu schadeâ ist nicht drin.
Bei Danisch habe ich gefĂŒhlt Jahre nichts mehr gelesen. Jetzt bin ich ânurâ durch die Suchanzeigen nach dem verschollenen Fefe dort gelandet. Gott, herrscht dort ein Frust. Dabei ist der nicht mal Rentner!
Was fehlt, ist oft nicht Höflichkeit, sondern im Augenblick etwas mehr Hoffnung. Nicht Ordnung, sondern Orientierung.
Wir alle haben unsere Brillen auf â sei es eine rosarote vom Urlaub oder eine tiefblaue vom Alltag. Aber bevor wir unser Land in ein Zerrbild pressen, sollten wir vielleicht erst mal den Fokus justieren.
Wenn wir wirklich etwas Ă€ndern wollen, dann helfen keine pauschalen Abrechnungen, sondern offene Augen und ein wenig Nachsicht â auch mit uns selbst.
Neu ist die Information nicht: In Deutschland gibt es 3 Mio. junge Menschen ohne Berufsabschluss. Was auch immer das im Vergleich zu frĂŒher ™ bedeuten mag, mich beunruhigt die Nachricht immer wieder neu, seit ich sie zum ersten Mal hörte. Gestern sprach die Gewerkschaftsvorsitzende der IG Metall, Christiane Brenner, bei Carmen Miosga darĂŒber. Ich hatte das GefĂŒhl, sie wĂŒrde am liebsten Politik fĂŒr diese Ungeheuerlichkeit verantwortlich machen und nicht die Betreffenden selbst. So ist das oft in unserem Land!
Heute hat Carsten Linnemann bestimmt wieder viel Freude, wenn er die kritischen Einlassungen gröĂerer Teile unserer Arbeitnehmerschaft am Hals hat. Aber er hatte â selbstredend â damit angefangen. SchlieĂlich stand er fĂŒr den Unions-Behauptung ein, wir (die Deutschen) mĂŒssten mehr arbeiten. Oh, das kommt nicht gut. Und Linnemann weiĂ das.
Wenn ich als Rentner mich auf solche Diskussionen einlasse, muss ich mit dem Schlimmsten rechnen. Was nehme ich mir heraus, wenn ich zu fĂŒr mich abstrakten Fragen ĂŒberhaupt Ă€uĂere? So in etwa denken viele.
Ich hatte 2014 nach ungefĂ€hr 47 Jahren und Motivationsproblemen keinen Bock mehr zu arbeiten und fand fĂŒr mich einen Ausweg, der nur durch die SPD, besser gesagt, Frau Nahles gangbar war. Ja, die Rente mit 63. Heute, wenn nur das Wort darauf fĂ€llt, ist dies eine Provokation. Jedenfalls fĂŒr die Vielen, die ĂŒberzeugt davon sind, Alte wĂŒrden bevorzugt. Na, und das stimmt ja auch. Wer möchte das allerdings schon zugeben?
Mir ist im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen aufgefallen, wie sich die Arbeitsmoral wĂ€hrend meiner vielen Arbeitsjahre verĂ€ndert hat. Jetzt lacht nicht, ich war natĂŒrlich immer eine Speerspitze fĂŒr Arbeitseifer und -moral.
Als Abteilungsleiter hatte ich einen gewissen Ăberblick. Nicht nur ĂŒber »meine Leute«, sondern auch durch den naturbedingten Austausch mit anderen Personalverantwortlichen. Deshalb kann ich mir ein Bild machen und erlaube mir, darĂŒber zu sprechen.
Ich beobachtete, wie sich die Anzahl der Jahresurlaube (nicht nur bei mir) vermehrte. SchlieĂlich lagen wir bei drei Auslandsaufenthalten (FlĂŒgen) oder zwei und dafĂŒr gings einmal ins Sauerland oder die Eifel. Darunter machte man es nicht mehr. Die schamlose Nutzung von BrĂŒckentagen nahm derweil auch in Behörden und bei Ărzten immer weiter zu. Hatte man Pech, hatten sich die Leute aus dem ĂŒppigen Jahresurlaubskonto eine Woche zurĂŒckgestellt, um diese Chance weidlich auszunutzen und sich ein sogenanntes langes Wochenende zu gönnen. Die wenigen Arbeitssamen durften sich mit Mehrbelastung und Frust herumschlagen, wĂ€hrend andere der selbstverstĂ€ndlichen Nutzung von MEHR FREI widmeten.
Ich hatte lange Jahre das Privileg, die Inventur unseres Unternehmens nicht zu begleiten und zu ĂŒberwachen, sondern selbst mitzuzĂ€hlen. Gott, war das schön. Zwischen den Tagen (also Weihnachten und Silvester) hatte ich nie frei, viele andere allerdings sehr wohl. Und die wurden ĂŒber die Jahre immer mehr. Entsprechend zĂ€h war der Kampf zwischen denen, die dabei unverzichtbar schienen und denen, die mal locker ein Jahr im Voraus ihren Urlaubsanspruch fĂŒr diese kritische Zeitspanne anmeldeten. Mir ist immer wieder passiert, dass ich UrlaubsantrĂ€ge von Leuten abgezeichnet habe, die ich eigentlich (fĂŒr die Inventur) gut hĂ€tte gebrauchen können. Aber sie hatten nun mal Besseres zu tun. Urlaub machen ist halt das Lebenselixier fĂŒr ganz viele Arbeitnehmer. Ich hingegen war manchmal sogar froh, wenn ich endlich wieder arbeiten durfte. Ja, so war ich. Bis ins letzte Arbeitsjahrzehnt hinein.
Ich habe gemerkt, dass ich als ĂŒber 60-JĂ€hriger nicht mehr so richtig in der Szene war. Möglicherweise lag es am Altersdurchschnitt im Unternehmen, möglicherweise hatte ich aber auch immer weniger Bock, auf diesem Niveau (wie frĂŒher) weiterzumachen. AuĂer gesundheitlichen Fehlalarmen war die Motivation durch die FĂŒhrung des Unternehmens maĂgeblich fĂŒr meine zunehmend mangelhafte Einstellung zur Arbeit.
Das hatte ich in vielen Jahrzehnten zuvor NIE gekannt. Nun, immer wieder gab es Zeiten, in denen ich nicht mindestens 10 Stunden gearbeitet hĂ€tte. Oft waren es 12 und mehr Stunden tĂ€glich. Dann habe ich mir von jĂŒngeren Kollegen anhören mĂŒssen, dass ich da wohl etwas falsch machen wĂŒrde. Sonst wĂ€re ich in 8 Stunden fertig mit meiner Arbeit. Ja, ja. Solche SprĂŒche habe ich geliebt und selten, aber auch selbst manchmal benutzt â in MitarbeitergesprĂ€chen. Was fĂŒr ein ScheiĂ!
Wenn ich höre, wie dringend Rentner auf unserem Arbeitsmarkt benötigt werden und die Rente mit 63 so ein schwerer Fehler gewesen wĂ€re, muss ich mich immer zur Ruhe zwingen. Haben sich die Leute in den Chefetagen unserer Firmen mal Gedanken darĂŒber gemacht, weshalb so viele diese Chance auf vorzeitigen Ausstieg nicht entgehen lieĂen? Das Signal in unseren Unternehmen geht doch eindeutig und viel zu hĂ€ufig gegen Ă€ltere Mitarbeiter. NatĂŒrlich gibt es Ausnahmen.
Ich hĂ€tte mir gewĂŒnscht, als anerkannter, geschĂ€tzter Mitarbeiter aus dem Dienst zu scheiden, wenn man das so sagen kann. Stattdessen weiĂ ich: Die waren froh, als sie mich los waren. Und so ist es ganz vielen anderen auch ergangen. Auch heute geht mir deshalb das Gequatsche voll auf den Zeiger, wenn nicht nur die Rente mit 63 mies gemacht, sondern auch so getan wird, als wĂŒrden Mitarbeiter ĂŒber 60 doch sooo geschĂ€tzt. Blödsinn! Die möchten die Alten möglichst preiswert loswerden. Das ist alles.
Trotz dieser Einstellung zu denen, die es immer noch zum gröĂten Teil in der Hand haben (ja, ich meine natĂŒrlich die Unternehmer!) weiĂ ich, dass die Entwicklung im Land eine unheilvolle Richtung genommen hat. Mehr als genug bilden sich ein, sich zum Beispiel mit einem bedingungslosen Grundeinkommen oder ganz ohne Kapitalismus aus der Misere befreien zu können. Bullshit!
Wenn wir auch nur annÀhernd den gewohnten Lebensstandard halten wollen, muss viel geschehen. Ja, es muss wieder mehr gearbeitet werden. Und es wird nicht klappen, wenn wir bei jedem Problem nach dem Staat rufen. Der hat nÀmlich bald sehr viel weniger Geld in den 2010er Jahren. Ich glaube, viele haben das nicht verstanden und denken, dass trotz allem irgendwie schon alles weiterlaufen wird.
Ich denke, uns stehen schwere Zeiten bevor. Gerade wegen dieser Denkweisen. Viele wissen oder ahnen das. Dass sie dieses Wissen nicht reflektieren und stattdessen weiter so tun, als könne man die vielen Baustellen und Missgriffe in unserem Land kaschieren und dies bliebe ohne Auswirkung fĂŒr sie, ist schon eine Meisterleistung in Sachen SelbsttĂ€uschung.
Wir sind ein Haufen verwöhnter Menschen, die, wenn es um Ehrlichkeit und nötige Einsichten in notwendige VerĂ€nderungen geht, kneifen oder sogar auf die Barrikaden gehen â verbal zumindest. Keiner will Verantwortung ĂŒbernehmen (s. Politik) und arbeiten wollen die meisten am liebsten nur noch 4 Tage und das bei vollem Lohnausgleich. Der Letzte macht das Licht aus.
Wo frĂŒher diskutiert wurde, wird heute dominiert. Wer laut ist, hat recht â so scheint es. Die TonalitĂ€t, in der wir miteinander sprechen, hat sich verĂ€ndert. Nicht ĂŒberall, aber oft genug, um ein dumpfes, wachsendes Unbehagen zurĂŒckzulassen. Was ist passiert?
Es fehlt nicht an Stimmen wie der von Tom, der gerade in einem lesenswerten Beitrag das PhÀnomen skizzierte. Auch ich beobachte: Der gegenseitige Respekt ist vielerorts erodiert, Duldsamkeit wird zur Mangelware.
Die neuen Regeln des Diskurses
In Kommentarspalten, auf X (vormals Twitter), Facebook, TikTok, YouTube oder Reddit hat sich ein Klima etabliert, das nicht mehr auf Austausch, sondern auf Ăbertrumpfung zielt. Ironie ist oft das Mittel der Wahl, Sarkasmus eine Waffengattung. Aggression scheint ein Schutzschild, das inflationĂ€r verwendet wird. Die Plattformen befördern genau das: kurze Reizimpulse, schnelle Likes, wenig Kontext. Die Algorithmen belohnen Empörung. Wir wissen das, wir reflektieren es und uns, aber nur manchmal. Wie ist das entstanden?
Doch sind die sozialen Medien allein schuld?
Der Mensch als VerstÀrker
Die Netzwerke mögen Werkzeuge sein â aber wir bedienen sie. Vielleicht sind sie nur ein Brennglas, das lĂ€ngst vorhandene gesellschaftliche Spannungen sichtbar macht. Die Polarisierung nimmt zu, nicht nur politisch. Wer sich widerspricht, wird nicht mehr als GesprĂ€chspartner betrachtet, auch nicht als Gegner, sondern als Feind.
Manch einer spricht von einer âKultur des Abschaltensâ. Debatten enden nicht mehr mit Nachdenken, sondern mit Abbruch. Ghosting fĂŒr die Seele.
Was ging uns verloren?
Es gibt Untersuchungen zu dieser Entwicklung. Kluge Leute haben sich intensiv mit dem PhĂ€nomen beschĂ€ftigt. Vielleicht kennen wir einige der GrĂŒnde dafĂŒr, dass die Dinge sind, wie sie sind. Aber Einfluss scheint man auf die unerwĂŒnschten Nebenwirkungen der erweiterten Kommunikation bzw. der Tatsache, dass wir seit Langem nicht mehr nur EmpfĂ€nger, sondern auch Sender wurden, nicht zu haben.
Vielleicht fehlt die Geduld. Vielleicht das Vertrauen. Oder vielleicht nur die Ahnung, dass Meinungsverschiedenheit auch ein Geschenk sein kann â eine Einladung, zu wachsen. NatĂŒrlich gibt es diese schrecklichen Vorbilder, die wir jenseits des Atlantiks tĂ€glich von unseren Medien vorgesetzt bekommen.
Es ist kein Naturgesetz, dass der Ton rauer wird. Aber es scheint ein Zeitzeichen zu sein. Eines, dem wir nicht tatenlos zusehen sollten. Denn wer nicht mehr zuhören kann, hat auch bald auch nichts mehr zu sagen.
âBleiben ist das neue Reisenâ, sagen manche. FĂŒr uns war es keine Mode, kein stiller Klimaprotest. Es war schlicht unser Leben â getragen von familiĂ€ren GrĂŒnden, schon gar nicht verstanden als ökologische Heldentat. Und mit dem Alter hat es sicher auch zu tun.
Alltag als Klimafaktor
Ob manche es glauben wollen oder nicht: Der gröĂte Hebel fĂŒr unseren ökologischen FuĂabdruck liegt nicht im Griff zum Papierbeutel beim BĂ€cker â sondern in grundlegenden Alltagsentscheidungen: Wohnen, MobilitĂ€t, ErnĂ€hrung, Konsum. Und: Urlaub.
Laut Umweltbundesamt verursacht jeder Deutsche durchschnittlich rund 10,4 Tonnen COâ-Ăquivalente pro Jahr. (UBA, 2025)
Durchschnittlicher CO2 FuĂabdruck pro Kopf in Deutschland Umweltbundesamt 2025
Die groĂen Bereiche teilen sich grob so auf:
Wohnen und Energie: ca. 2,7 Tonnen
ErnÀhrung: ca. 1,6 Tonnen
MobilitÀt (inkl. Auto & Flug): rund 2,0 Tonnen
Konsum, Dienstleistungen & Sonstiges: ca. 4,1 Tonnen
Das klingt abstrakt â bis man sich fragt, was davon vermeidbar ist.
Der Flug, der nicht stattfand
Seit ĂŒber zehn Jahren sind meine Frau und ich nicht mehr verreist. Kein Flugzeug, kein Auto, keine Wochen an der Adria oder in Skandinavien. Aber: Nicht aus ökologischer Ăberzeugung. Es gab familiĂ€re GrĂŒnde. Und ganz ehrlich â irgendwann war das Fernweh einfach still geworden. Wir könnten jetzt wieder reisen und tun es nicht. Einen Tag vor unserem geplanten Urlaub an der niederlĂ€ndischen NordseekĂŒste verstarb meine Mutter. Das war genau heute vor zwei Jahren. Seitdem haben wir keinen weiteren Anlauf mehr genommen.
Erstaunlich ist, was ein solcher Verzicht ârein rechnerischâ bedeutet:
Ein Flug von Köln nach Mallorca (Hin- und RĂŒckflug) verursacht etwa 700âŻkg COâ pro Person (Atmosfair) â ein Langstreckenflug nach Thailand ĂŒber 3 Tonnen COâ. Pro Kopf, wohlgemerkt.
Ăber zehn Jahre nicht zu fliegen bedeutet also â ohne dass wir es wollten â eine Einsparung von etwa 6 bis 20 Tonnen COâ. Das entspricht dem JahresausstoĂ eines durchschnittlichen Deutschen.
Der kleine Alltag zÀhlt ebenfalls
Nicht nur Fernreisen wiegen schwer. Auch unser Alltag ist voller versteckter COâ-Fallen â und Potenziale.
Vegetarische ErnĂ€hrung kann den FuĂabdruck um etwa 0,5 bis 1 Tonne pro Jahr senken. (WWF)
Second-Hand-KĂ€ufe statt Neuware: Ein neues Smartphone verursacht rund 80âŻkg COâ, ein Fernseher sogar bis zu 400âŻkg.
Strom aus erneuerbaren Quellen senkt jĂ€hrlich ca. 0,6 Tonnen COâ pro Haushalt. (UBA, 2023)
Wir selbst haben sicher nicht alles richtig gemacht und nur begrenzt in vollem Bewusstsein unseres Handelns â jedenfalls ohne es groĂ zu thematisieren, sind wir offenbar in einer COâ-Ă€rmeren Nische gelandet.
Bleiben ist nicht gleich Stillstand
NatĂŒrlich könnte man sagen: âWas bringt es schon, wenn zwei Menschen nicht fliegen?â Und genau das passiert ja. Viele mögen nichts mehr vom Klimaschutz hören. Sie sind froh, welchen Kurs die neue Regierung eingeschlagen hat. Allein die Signale werden von vielen bejubelt. Kurzfristiges und kleinliches Denken ist schon lange eine besondere StĂ€rke unserer leider viel zu alten Bevölkerung!
Ich denke konkret an Frau Reiches (Wirtschaftsministerin und damit Nachfolgerin von Robert Habeck) ĂuĂerungen zu EinspeisevergĂŒtungen. SĂ€tze wie »Schluss mit der Ăkowirtschaft« finden trotzdem nicht ĂŒberall Anklang.
Gedanken wie unsere beschĂ€ftigen wohl mehr Menschen, als man in diesen Zeiten (Trump) annehmen sollte. Ich tröste mich damit, dass jeder Kiesel im Wasser Kreise zieht und die Einsicht nicht zuletzt in dem MaĂe zurĂŒckkehrt, in dem die Natur uns die Rechnung fĂŒr unsere brutale Ignoranz vorhalten wird. Das ist im Gange, auch wenn die Maulaffen einer wachsenden Schar von Ignoranten das ausblenden.
Wir sind einfach nicht mehr weggefahren. Doch heute â im Licht der Zahlen â merken wir: Vielleicht war das Bleiben auch mehr als eine Notlösung. Vielleicht war es eine still gelebte Form der Nachhaltigkeit. Ungewollt, aber doch wirksam.
Kein Heldentum oder die Ambition, sich hervorzutun â nur Leben
Verzicht ist heute oft moralisch aufgeladen. Aber bei uns war es keine bewusste Enthaltsamkeit und auch kein Statement. Und vielleicht liegt gerade darin ein Wert: Wenn das Bleiben zur Geste wird, ohne sich als Geste zu inszenieren.
Ich wĂŒnsche allen einen schönen Sommerurlaub. Das ist nicht ironisch, sondern ehrlich gemeint.