Ein Lacher, viele Vorurteile: Bas, Rente und der Umgang mit Politikerinnen

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von Horst Schulte

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baerbel bas rente und bias
baerbel bas rente und bias

Wenn ein Lacher mehr erzählt

Der Auftritt von Bärbel Bas beim Arbeitgebertag ist längst zur Chiffre geworden. In Clips sieht man die ehemalige Bundestagspräsidentin und heutige Bundesarbeitsministerin, und hört sie den Satz von den Beitragszahlern sagen, die angeblich nicht belastet würden. Im Saal setzt schallendes Gelächter ein. Diese Szene wird seitdem in Kommentaren und Videos durchgenudelt, als sei dort der ultimative Beweis erbracht worden, dass an der Spitze des Parlaments eine Frau saß, die nun als Bundesministerin die einfachsten Zusammenhänge nicht versteht. Das hat System! Wir kennen diese Art Verunglimpfung hinlänglich aus der Ampel-Zeit. Die Koalition zwischen rechten Medien, Union und AfD ist augenfällig. Manche scheinen das zu brauchen wie die Luft zum Atmen. Aber nicht für alle Menschen im Land, hat die Klassenkampfattitüde der SPD ihre Berechtigung verloren. Wohin entwickelt sich die Vermögensentwicklung in diesem Land, wie sieht die Konzentration der Vermögen aus und welche rhetorischen und intellektuell nicht immer redlichen Kniffe haben in unserer Öffentlichkeit in einer Weise verfangen, die mit dem, was wir einst unter sozialer Marktwirtschaft verstanden haben, wenig zu tun hat? Vor diesem Hintergrund fand Bas‘ Auftritt beim Arbeitgebertag statt, und so ordne ich das ein, was dort vorgefallen ist.

Rieck vs Bas 12 13 13 42 35
Rieck vs Bas 12 13 13 42 35

Prof. Christian Rieck hat diesen Moment nun in einem Video seziert. Er zeigt auf seine Art, also eher nüchtern, dass staatliche Zuschüsse zur Rente natürlich nicht vom Himmel fallen, sondern über Steuern finanziert werden. Dass also die Belastung nicht verschwindet, sondern verschoben wird. Ökonomisch ist das banal und richtig. Problematisch wird es dort, wo aus dieser Korrektur mehr wird als eine notwendige Klarstellung. Wo Bas nicht mehr als Politikerin mit einem schlecht erklärten Gerechtigkeitsargument vorkommt, sondern als Projektionsfläche für Inkompetenz hingestellt wird. Rieck macht das in seinen ersten Sätzen klar: großen Stuss, fürchterlich dämlich, stammelt sie u.s.w. So beginnt Riecks Vortrag. Und darin allein sehe ich den Vorwurf belegt, dass nicht nur das Auditorium des Arbeitgebertages, sondern auch Rieck selbst, völlig respektlos agiert. Männern in politischen Ämtern passiert das, soweit ich es beurteilen kann, nicht so häufig und schon gar nicht in dieser massiven Art und Weise.

So beginnt Prof. Rieck sein heutiges Video / Transkript YouTube

Eine Bundesministerin hält einen Vortrag vor einer  Gruppe von Arbeitgebern und da erzählt sie solchen großen Stuss, dass die Zuschauer plötzlich  anfangen spontan darüber zu lachen, einfach weil der Inhalt, der gerade erzählt worden ist, so  fürchterlich dämlich ist.

Die Ministerin hat keine  Ahnung, worüber da gerade gelacht wird. Also ich versteht das überhaupt gar nicht.

Dann stammelt  sie anschließend rum und stellt ihre Inkompetenz  auch noch allein weiter beim Stammeln zur Schau und zieht die ganze Sache nachträglich auch noch  durch. Das sieht natürlich ein bisschen peinlich.

In meinen früheren Beiträgen habe ich beschrieben, dass Bas’ Satz objektiv angreifbar ist, ihr Anliegen aber keineswegs absurd. Es geht darum, die Rente als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu definieren und die Finanzierung stärker über Steuern zu verbreitern – also auch jene stärker zu beteiligen, die bisher im Umlagesystem eher am Rand stehen. Man kann das kritisieren, man kann andere Lösungen besser finden. Aber es ist ein politisch nachvollziehbarer Ansatz, kein intellektueller Totalschaden.

Der kommunikative Fehler – und was daraus gemacht wird

Bas’ eigentlicher Fehler bestand darin, diesen Ansatz in einem Saal voller Arbeitgeber so verkürzt zu formulieren, dass es nach „kostenloser“ Politik wirkte. Dass das Gelächter kam, überrascht niemanden. Dass ein Ökonom den logischen Bruch markiert, ebenso wenig. Entscheidend ist die Frage, was danach passiert. Wird sachlich erklärt, wo die Schieflage in der Argumentation liegt? Oder wird aus einem Satz die große Erzählung über eine Frau gestrickt, die angeblich überfordert ist?

Jan Fleischhauer hat in seinem Podcast die Gelegenheit genutzt, um Bas’ Bildungsweg und Herkunft als Steigbügel für seinen Spott zu verwenden. Ihr Hauptschulabschluss, ihr sozialer Hintergrund – das alles wird plötzlich anschlussfähig an die Geschichte der Frau, die „es eben nicht bringt“. Diese Mischung aus sozialer Distinktion und herablassendem Ton war in einem meiner früheren Texte bereits Thema. Der Arbeitgebertag liefert nur das dankbare Bildmaterial dazu.

Rieck wiederum ordnet Bas’ Reaktion auf die Kritik in das Strategem der „Zikade“ ein: die Flucht, indem man eine leere Hülle zurücklässt, also die Debatte von der Sachebene auf das Ausgelachtwerden, auf Männer in Maßanzügen, auf Geschlechterfragen verschiebt. Das ist analytisch elegant, aber nicht unschuldig. Denn damit wird der Eindruck erzeugt, als sei jede Bezugnahme auf Geschlechterverhältnisse bereits ein Ablenkungsmanöver. Als könne das Lachen im Saal gar nichts mit alten Mustern im Umgang mit Frauen in Machtpositionen zu tun haben, sondern müsse zwangsläufig rein fachlich motiviert sein.

Was die Forschung über den Umgang mit Politikerinnen sagt

An diesem Punkt hilft ein Blick über den Tellerrand der deutschen Talkshow- und YouTube-Welt hinaus. Studien zur politischen Kommunikation zeigen seit Jahren, dass Politikerinnen im Schnitt anders behandelt werden als ihre männlichen Kollegen. Sie werden häufiger auf Persönlichkeit, Auftreten und Biografie reduziert. Kritik an ihnen kippt schneller ins Grundsätzliche: Aus einem Fehler wird eine Charakterfrage, aus einem Versprecher ein Zweifel an der grundsätzlichen Eignung.

Metaanalysen zur Medienberichterstattung belegen, dass Frauen in der Politik öfter mit einem skeptischen, manchmal offen herablassenden Unterton präsentiert werden. Schon bei der Auswahl der Themen und Bilder setzt sich das fort: Männer stehen für Kompetenz, Führung, „harte“ Politikfelder – Frauen werden eher in den weicheren Ecken verortet und, wenn es schiefgeht, als nicht belastbar genug dargestellt. Das gilt nicht nur für klassische Medien. In sozialen Netzwerken fällt die Reaktion auf zugespitzte Äußerungen von Politikerinnen in der Regel deutlich feindseliger aus als bei inhaltlich ähnlichen Aussagen von Männern.

Wer all das ignoriert, erzählt sich eine bequeme Geschichte: Hier steht einfach „die Wahrheit“ der Ökonomie gegen den „Unsinn“ einer unfähigen Politikerin. Wer diese Forschung ernst nimmt, sieht ein komplexeres Bild. Dann wird der Arbeitgebertag nicht zum singulären Beweis für Bas’ Unfähigkeit, sondern zum Beispiel dafür, wie schnell bei Frauen die Schwelle überschritten wird, ab der nicht mehr der Inhalt im Zentrum steht, sondern die Person. Und genau so fühlt sich diese Debatte über weite Strecken an.

Bas als Fall und Symptom

Für mich ist die Art, wie Bas’ vermeintlicher Fehltritt durch die Öffentlichkeit gedreht wird, selbst ein empirischer Hinweis auf diese doppelten Standards. Hier hat niemand eine Regierungserklärung abgegeben, die das Haushaltsrecht verändert. Es war ein Satz in einer Rede, der ökonomisch wacklig und politisch erklärungsbedürftig war. Aus diesem Satz ist eine Fallstudie geworden – nicht nur für Steuer- und Beitragslogik, sondern für die Lust, eine Frau an einem exponierten Posten vorzuführen.

Das heißt nicht, dass Bas von Kritik freizuhalten wäre. Im Gegenteil: Wer an der Spitze des Bundestages steht, muss es aushalten, wenn Ökonomen und Kommentatoren sich ihre Sätze genau anschauen. Aber der Ton, die Dauer und die Art der Attacken sind kein Zufall. Es ist bezeichnend, dass in der anschließenden Debatte kaum versucht wurde, ihr Gerechtigkeitsargument fair zu rekonstruieren. Dass Medien lieber den Lacher wiederholten als die Frage zu stellen, ob eine breitere steuerliche Finanzierung der Rente vielleicht doch eine ernst zu nehmende Option sein könnte.

Dass ausgerechnet Leute, die sonst so viel Wert auf intellektuelle Redlichkeit legen, diesen Kontext ausblenden, macht die Sache für mich so enttäuschend. Denn es geht nicht nur um eine Fehlleistung, sondern um die Bereitschaft, bekannte geschlechtsspezifische Schieflagen schlicht zu ignorieren. Wer das Lachen im Saal, die Häme in den Kolumnen und die Lust an der biografischen Herabsetzung nicht als Teil eines Musters erkennt, erzählt nur die halbe Wahrheit

Worum es eigentlich gehen müsste

Im Kern stehen zwei Fragen nebeneinander, die beide ernst genommen werden sollten. Erstens: Wie finanziert eine alternde Gesellschaft ihre Renten fair, transparent und nachhaltig? Zweitens: Wer darf in dieser Gesellschaft Fehler machen, ohne dass gleich über sein oder ihr grundsätzliches Recht, an der Spitze mitzuspielen, verhandelt wird?

Eine ehrliche Debatte über Rente müsste offenlegen, wer durch Steuerzuschüsse tatsächlich entlastet oder belastet wird. Sie müsste anerkennen, dass Beitragszahler fast immer auch Steuerzahler sind – und dass man trotzdem politisch entscheiden kann, stärker die zu belasten, die mehr haben. Eine ehrliche Debatte über den Umgang mit Politikerinnen müsste anerkennen, dass dieselbe Fehlleistung bei einem Mann vermutlich anders einsortiert worden wäre: als Stoff für ein, zwei spitze Kommentare – und nicht als moralische und intellektuelle Totalabrechnung.

Wer beides zusammendenkt, kommt zu einem weniger bequemen, aber ehrlicheren Fazit. Ja, Bas hat sich kommunikativ verrannt. Ja, es ist legitim, das aufzudröseln. Aber die Wucht, mit der sie dafür abgeurteilt wird, erzählt viel über den Zustand des politischen Diskurses – und darüber, wie weit wir davon entfernt sind, Frauen und Männer in der Politik wirklich mit demselben Maßstab zu messen.

Ich halte es für entlarvend, wie die deutschen Medien mit Merz‘ letztem Ausfall umgingen. Nachdem der Inhalt der neuen US-Sicherheitsstrategie bekannt wurde und die Resonanz zwischen Irritation und blanker Wut schwanke, sagte er:

„Ihr braucht auf der Welt auch Partner, und einer der Partner kann Europa sein. Und wenn Ihr mit Europa nichts anfangen könnt, dann macht wenigstens Deutschland zu eurem Partner.“

Die Reaktionen blieben fast ganz aus. Von Empörung war im Vergleich zu den Bas‘ Äußerungen jedenfalls kaum etwas wahrzunehmen.

Zur Erinnerung hier noch einmal die relevanten Links:

YouTube-Video von Prof. Christian Rieck:

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Meine bisherigen Beiträge zum Thema:
https://horstschulte.com/arroganz-im-podcast-nur-was-fuer-solche-nicht-fuer-sone-ueber-den-herablassenden-ton-gegen-baerbel-bas/
https://horstschulte.com/warum-baerbel-bas-ausgelacht-wurde-und-ihr-gerechtigkeitsargument-trotzdem-zaehlt/
https://horstschulte.com/merz-und-bas-beim-arbeitgebertag/


Horst Schulte

Herausgeber, Blogger, Amateurfotograf

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe auf dem Land.

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Artikelinformationen

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2 Gedanken zu „Ein Lacher, viele Vorurteile: Bas, Rente und der Umgang mit Politikerinnen“

  1. Bärbel Bas hat nicht vergessen, wo sie herkommt, sie weiß wovon sie redet. Dass die Arbeitgeber versuchen, sie zu diskreditieren, wundert mich nicht. Wer so unverantwortlich daherquatscht wie BDI-Präsident Peter Leibinger, der die deutsche Wirtschaft „im freien Fall“ sieht, disqualifiziert sich selber. Mit dem Gerede über den unaufhaltsamen Abstieg Deutschlands ist nur einem geholfen: Der AFD.

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