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Ein stellvertretender Chefredakteur bei BILD – das klingt nach Karrieresprosse, aber eben auch nach Macht eines tendenziell rechtslastigen Medienhauses, das seit Jahrzehnten den Puls (und oft auch den Blutdruck) der Republik mitbestimmt. Und dann sitzt da dieser „BILD-Vize“ Paul Ronzheimer im Podcast und wirkt plötzlich nicht mehr wie der abgeklärte Kriegsreporter, sondern wie jemand, dem der eigene Laden, dieses Land und seine politische Stimmung unter die Haut gehen.
Der Mann sammelt Auszeichnungen für seine journalistische Arbeit: Journalist des Jahres, Bambi (2025), Pressefreiheitspreis (2025). Ich glaube, er hat viele Sympathien gesammelt, nicht zuletzt durch seine ehrliche Art. Für mich ist er – ich möchte nicht übertreiben – der sympathischste Vertreter der Art von Medien, die ich grundsätzlich eher kritisch sehe.
Genau dieses Spannungsfeld lohnt es sich anzuschauen: die Funktion, die Figur – und die Szene von Gießen, von der er berichtet.
Was heißt es, BILD-Vize zu sein?
Formal ist die Sache klar: Ronzheimer ist stellvertretender Chefredakteur der BILD-Zeitung, dazu Kriegs- und Krisenreporter, Moderator und markenübergreifendes Aushängeschild für den Springer-Konzern.
Das ist kein schmückender Ehrentitel, sondern ein Posten in der Schaltzentrale eines Mediums, das mit Schlagzeilen Politik macht, Themen setzt, Karrieren befördern oder beschädigen kann.
Ein stellvertretender Chefredakteur bei BILD
- entscheidet mit, welche Geschichten ganz nach oben gespült werden – und mit welcher Tonlage
- verantwortet im Zweifel Kampagnen, Zuspitzungen, Bilderwelten
- repräsentiert den Laden nach außen, im Fernsehen, in Podcasts, auf Social Media
Im Fall Ronzheimer kommt noch seine zweite Identität dazu: der Reporter aus Kiew, Tel Aviv, Gaza, Libanon, der mit Helm und Schutzweste vor zerstörten Häusern steht und sich seit Jahren in Kriegs- und Krisengebiete begibt.
Das macht ihn zu einer interessanten Figur: Teil einer hochgradig polarisierenden Boulevardmaschine – und gleichzeitig jemand, der persönlich ein reales Risiko trägt, das weit über einen Shitstorm hinausgeht. Man kann BILD hart kritisieren und Ronzheimer trotzdem als ernsthaften Reporter wahrnehmen. Beides schließt sich nicht aus, im Gegenteil: genau dieser Widerspruch springt einem in Gießen ins Gesicht.
Gießen: Wenn die Anti-AfD-Demo kippt
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Die Ausgangslage: In Gießen gründet die AfD ihre neue Jugendorganisation „Generation Deutschland“ – Nachfolgerin der aufgelösten „Jungen Alternative“, eingeordnet als rechtspopulistisch bis rechtsextrem.
Draußen demonstrieren zehntausende Menschen aus ganz Deutschland gegen diese neue AfD-Jugend – nach Polizeiangaben rund 25.000, das Bündnis „Widersetzen“ spricht von deutlich mehr.
Es ist ein Wochenende, an dem ohnehin alles nach Eskalation riecht: Großeinsatz der Polizei mit mehreren Tausend Beamt:innen, Wasserwerfern, Räumungen von Blockaden, am Ende Dutzende Verletzte auf beiden Seiten.
Und mittendrin: Ronzheimer, der – so beschreibt es die offizielle Episoden-Zusammenfassung seines Podcasts – vom Rand der Demonstration plötzlich in den Fokus eines wütenden Teils der Menge gerät. Menschen bedrängen ihn, beschimpfen ihn als Journalisten, die Situation kippt, bis schließlich die Polizei einen Korridor bildet und ihn aus der Menge herausleitet.
Der Mann, der sonst aus Charkiw oder Rafah berichtet, steht dieses Mal in Gießen. Kein Autokrat, kein Geheimdienst, keine Miliz – sondern Demonstrierende, die sich selbst als antifaschistisch verstehen, die gegen eine rechtsextreme Jugendorganisation protestieren. Und trotzdem: Die Szene, die er schildert, erinnert in ihrer Dynamik an Bilder, die wir sonst aus anderen Kontexten kennen – mobartige Stimmung, persönliches Feindbild, „da vorn ist der, auf den wir unseren Frust projizieren“. Nur dass es hier nicht um einen Minister oder Oligarchen geht, sondern um einen Journalisten.
Ronzheimer sagt in der Folge, dieser Vorfall habe ihn persönlich erschüttert – obwohl er als Kriegsreporter einiges erlebt hat. Er und sein Kollege Filipp Piatov deuten das als Symptom einer politischen Stimmung, in der der Hass auf „die da“ inzwischen auch sehr konkret Journalisten trifft.
Und ja, natürlich arbeitet dieser Journalist für BILD, für ein Medium, das selbst seit Jahrzehnten polarisierende Bilder über „die da“ produziert. Aber in diesem Moment ist er einfach nur jemand mit Kamera und Mikrofon, der seine Arbeit macht und zum Ziel eines Teils der Menge wird.
Gewalt, Polarisierung – und die unbequeme Frage an „die eigene Seite“
Das Bittere an Gießen ist: Beide Lager können Bilder finden, die ihre Erzählung stützen.
- Gegner der AfD zeigen Videos von Wasserwerfern, Körpereinsätzen der Polizei, verletzten Demonstrierenden und sprechen von unverhältnismäßiger Härte, „wahlloser Prügelei“, Bürgerrechtsverletzungen.
- Innenminister, Polizeiführung und AfD verweisen auf Blockaden, Angriffe, Böllerwürfe, Dutzende verletzte Polizist:innen und sprechen von „linken Gewalttätern“, von einem Einsatz, der Schlimmeres verhindert habe.
Ronzheimers Perspektive fügt dem ein weiteres Element hinzu: die Frage, was es bedeutet, wenn Teile einer linken oder linksradikalen Szene Journalisten körperlich bedrängen – nicht, weil diese offen rechtsextrem auftreten, sondern weil sie sie als Teil eines verhassten Mediensystems markieren.
Das ist die unbequeme Frage an „die eigene Seite“: Wenn ich mich gegen eine rechtsextreme Jugendorganisation stelle, aber Journalist:innen einschüchtere oder angreife, weil sie bei BILD arbeiten – wie viel demokratische Glaubwürdigkeit bleibt dann übrig? Und umgekehrt: Wenn jemand wie Ronzheimer mit der moralischen Autorität des Kriegsreporters auftritt, aber für ein Blatt arbeitet, das ständig zuspitzt, vereinfacht, Feindbilder baut – wie sehr ist dieses Erschrecken auch selbst verschuldet durch die Medienlogik, die man mit am Laufen hält?
Ich finde, man muss beides gleichzeitig aushalten:
- Dass ein Angriff auf einen Journalisten – egal aus welchem Lager – ein Problem für die Demokratie ist. Punkt.
- Dass BILD mit seiner Art der Berichterstattung genau zu der Polarisierung beiträgt, die solche Szenen erst möglich macht.
Ein stellvertretender Chefredakteur bei BILD sitzt genau zwischen diesen Stühlen. Er trägt Verantwortung für Schlagzeilen, die Emotionen hochdrehen – und erlebt dann, wie diese Emotionen irgendwann nicht mehr nur „in Richtung Politik“ gehen, sondern auf Journalist:innen selbst zurückschlagen. In Gießen war das plötzlich sehr körperlich sichtbar.
Vielleicht erklärt das, warum Ronzheimer in diesem Podcast so anders wirkt, so berührt: Weil er merkt, dass die Fronten nicht mehr klar sind. Dass es nicht nur „wir gegen Putin“ oder „wir gegen Hamas“ ist, sondern zunehmend „wir gegen uns selbst“, mitten in einer deutschen Mittelstadt, zwischen Messehalle und Polizeikessel.
Und vielleicht ist genau das die ehrlichste Beschreibung dessen, was der Posten als BILD-Vize heute bedeutet: Er ist nicht nur Karriere, Reichweite und Preise – er ist auch ein Job auf einem Pulverfass, das Medien, Politik und Straße gemeinsam gebaut haben.



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