Wenn Männer Frauen töten: Gewalt, Migration und der Rassismus-Vorwurf

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von Horst Schulte

Lesezeit: 9 Min.

Meine Frage an ChatCPT:

„Laut ZDF wurden 104 Frauen in Deutschland von ihren Männern oder Partnern getötet. Das ist schlimm. Leider ist keine Bezugsgröße vorhanden. Mich interessiert, wie sich dieses Phänomen in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Spielt der Zuzug von Migranten aus türkisch/arabischen Ländern mit einem anderen als dem hiesigen Frauenbild eine Rolle und ist die Frage allein schon rassistisch konnotiert?“

Die Antwort von ChatCPT scheint ausgewogen zu sein und entspricht insofern meinen Erwartungen. Es fehlt alles in allem allerdings an Deutlichkeit. Politische Korrektheit muss man der KI offenbar nicht mehr beibringen.

Ich wollte zwar eine möglichst differenzierte Antwort zu einem der Probleme, über die wir in diesem Land kaum mehr vernünftig diskutieren können. Dass Ausländer häufiger Gewalt gegen Frauen ausüben, stimmt nicht. Jedenfalls, wenn man sich die absoluten Zahlen anschaut. Was bedeutet es jedoch, wenn Teile der Bevölkerungsgruppe, die ca. 15-16 % der Gesamteinwohner repräsentieren, ca. ein Drittel der infrage stehenden Straftaten begehen? Und das, obwohl insbesondere das Thema für alle Männer eines ist oder eines sein sollte, für das man(n) sich nur schämen kann. In diesem Text steckt sicher nicht alles, so aber doch vieles drin, was auch diese Debatte so explosiv macht: erschreckende, harte Fakten, weiche Begriffe, Migration, Kultur, Rassismus. Und das bescheuerte Gefühl, dass man schon mit seiner Frage „falsch“ liegen könnte.

Inwieweit es auch beim ZDF zum Konzept werden könnte, rechtslastige Journalisten stärker in den Fokus zu stellen, bleibt abzuwarten. Jedenfalls kommt diese Veränderung in seltsam trister Fernsehkulisse daher. Die „neue Talkshow, die keine ist“, dieser ZDF-Betonbunker, in dem Jan Fleischhauer mit Gästen eingesperrt wird. In der Folge mit der Linguistin Dr. Reyhan Şahin wirft sie ihm vor, bei Migrationsfragen rassistisch zu argumentieren – nicht nur bei diesem Thema, aber eben auch dort.

Da hängen auch viele Emotionen in der Luft, wenn man versucht, auf diese Fragen eine ehrliche Antwort zu finden.

Gewalt gegen Frauen: ein dauerhaft hoher Pegelstand

Die 104 Frauen, die das ZDF nennt, sind nur ein Ausschnitt – abhängig vom Zählzeitraum oder davon, welche Konstellationen genau mitgerechnet wurden. Wenn man das große Bild aufzieht, sieht es düsterer aus.

Die BKA-Lagebilder zur häuslichen und partnerschaftlichen Gewalt und die Auswertungen von UN Women Deutschland zeigen seit Jahren das Gleiche:

  • 2018 wurden 122 Frauen von ihrem (Ex-)Partner getötet.
  • 2019 waren es 117.
  • 2020 stieg die Zahl auf 139.
  • 2022 wurden 133 Frauen von ihrem aktuellen oder früheren Partner getötet.
  • 2023 waren es 155 – ein auffälliger Sprung nach oben.
  • 2024 lag die Zahl bei 132.

Die Zahlen schwanken, aber sie sinken nicht. Im Schnitt bleibt es bei diesem furchtbaren Satz, den man mittlerweile kennt und trotzdem kaum erträgt: Alle zweieinhalb bis drei Tage wird in Deutschland eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet.

Parallel dazu wächst die Zahl der registrierten Fälle von Partnerschaftsgewalt insgesamt: Hunderttausende von Anzeigen, überwiegend Körperverletzung, Bedrohung, Stalking, Nötigung. Der Berg aus Gewalt wird nicht kleiner. Wir sehen die bewegenden Schicksale. Wenn wieder eine Frau gestorben ist. Vor diesem Hintergrund ist die ZDF-Zahl „104“ kein Sensationswert, sondern ein aktuelles Symptom dieser traurigen Normalität. Schlimm ist nicht nur die Zahl, schlimm ist, wie sehr wir uns an solche Zahlen gewöhnt haben. Dabei muss uns bewusst sein, dass das Dunkelfeld durch eine vielleicht etwas erhöhte Sensibilität innerhalb der Bevölkerung etwas heller und die hohen Fallzahlen somit sichtbarer wurden, jedoch längst nicht hinreichend erleuchtet ist.

Gewalt, Migration und Milieus

Und dann kommt deine zweite Frage: Spielt der Zuzug von Migranten aus türkisch/arabischen Ländern mit „anderem Frauenbild“ eine Rolle? Wenn man die BKA-Lagebilder und verschiedene Studien anschaut, kommt man an einem Punkt nicht vorbei: Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind bei häuslicher und partnerschaftlicher Gewalt in den Statistiken überrepräsentiert – als Opfer und als Tatverdächtige.

Nach den deutschen Frauen stellen türkische Frauen die zweitgrößte Opfergruppe bei Partnerschaftsgewalt. Auch Frauen aus anderen Herkunftsländern – etwa Polen, Ukraine, Syrien, Rumänien, Afghanistan – tauchen deutlich auf. Studien zu „Gewalt, Gesundheit, Migration“ weisen seit Jahren darauf hin, dass Frauen mit türkischem Migrationshintergrund überdurchschnittlich oft und häufig schwer von Gewalt durch den Partner betroffen sind und länger in solchen Beziehungen bleiben.

Es wäre falsch, aus den Zahlen ein einfaches Narrativ zu stricken. Viele dieser Untersuchungen sind sehr klar: Die erhöhte Betroffenheit ist kein „blut- und bodenmäßiges“ Phänomen, sondern bildet eine Schnittmenge aus mehreren Faktoren:

  • patriarchalen Rollenbildern (die es in unterschiedlichen nationalen Milieus gibt, nicht nur im türkisch oder arabisch geprägten)
  • sozialer Lage: Arbeitslosigkeit, prekäre Jobs, beengtes Wohnen, Abhängigkeit von einem Einkommen
  • Flucht- und Migrationserfahrungen, Krieg, Traumata
  • rechtlichem Status, etwa wenn der Aufenthaltstitel vom Fortbestand der Ehe abhängt
  • Sprachbarrieren und fehlendem Zugang zu Beratung, Frauenhäusern, Polizei.

Migration verschiebt also etwas an der Verteilung, verstärkt Risiken, legt Brenngläser über Konflikte. Aber sie erklärt das Phänomen nicht. Der Großteil der Täter ist deutsch. Gewalt gegen Frauen ist kein exotischer Import, sondern eine verlässliche Konstante unserer eigenen Gesellschaft.

Zwischen Rassismus-Vorwurf und Verdrängung

In der ZDF-Sendung mit Jan Fleischhauer und Reyhan Şahin prallen genau diese Deutungen aufeinander.

Fleischhauer legt – wie so oft – den Fokus auf Problemgruppen: arabische Jugendliche, muslimische Milieus, Clan-Strukturen. Er benennt reale Konflikte, kriminalitätsbelastete Gruppen, gescheiterte Integrationsprojekte. Nur verdichtet er das alles sehr gern zum Bild vom „typischen Täter mit Migrationshintergrund“, während andere Milieus in seiner Erzählung erstaunlich glatt durchrutschen.

  • „Deutsch-Chinesen“ und „Deutsch-Vietnamesen“ ihre Finger bei sich behalten,
  • während die sexuellen Übergriffe im öffentlichen Raum „in der Regel“ von Männern mit arabischem Hintergrund ausgingen.

    Fleischhauer in seiner neuen ZDF-Sendung

Şahin dagegen bringt die andere Seite groß ins Bild. Sie verweist auf eine Umfrage unter Wiesn-Kellnerinnen, von denen ein Großteil sexuelle Belästigung erlebt hat – in einem Kontext, in dem die Täter eher nicht „junge Männer mit arabischem Hintergrund“ sind. Ihr Satz, der in dieser Sendung hängen bleibt, lautet in etwa: »Sexismus, sexuelle Übergriffe, Patriarchat sind kein Ausländerproblem. Es ist ein Männerproblem.«

Man kann diese Zuspitzung kritisieren, aber sie trifft einen wunden Punkt: Wenn Gewalt gegen Frauen nur dann zur Schlagzeile wird, wenn der Täter „fremd“ ist, dann stimmt etwas mit unserem moralischen Kompass nicht. Und damit sind wir wieder bei meiner Eingangsfrage, ob diese schon „rassistisch konnotiert“ ist.

Sie ist nicht rassistisch, eher den Zeiten angemessen. Also, vorsichtig. Man merkt meiner Frage wohl die Sorge an, ob ich einerseits etwas unterschlage, wenn ich nicht direkt über Migration und bestimmte Milieus spreche – und andererseits, ob die Frage selbst schon eine Provokation ist, weil unterschwelliger Rassismus durchscheint.

ChatGPT sagt, was legitim ist:

  • zu fragen, welche Gruppen besonders gefährdet sind – als Opfer und als Täter
  • Männlichkeitsbilder und Frauenrollen in verschiedenen Milieus zu vergleichen
  • darüber zu sprechen, wie rechtliche und soziale Rahmenbedingungen Gewalt fördern oder verhindern.

Problematisch wird es:

  • wenn aus statistischen Unterschieden Kollektiverzählungen werden: „die arabischen Männer“, „die türkischen Familien“
  • wenn die Gewalt in der Mehrheitsgesellschaft plötzlich unsichtbar wird
  • wenn der Zweck der Übung nicht Schutz der Betroffenen ist, sondern die Bestätigung eines Feindbildes.

Ein praktischer Test für die eigene Frage lautet vielleicht so: Würde ich diese Frage in derselben Schärfe auch über „deutsche Männer“ stellen? Wenn die Antwort nein ist, lohnt es sich, noch einmal hinzuschauen. In meinem Fall ist eher ein Unbehagen erkennbar. Der Wunsch, weder in die Fleischhauer-Falle (Migration als Hauptproblem) noch in die Komfort-Zone (Migration bloß nicht erwähnen) zu tappen.

Was bleibt für mich unter dem Strich? Die Zahlen zur Partnerschaftsgewalt sind seit Jahren ein Skandal, egal wie wir über Migration reden. Migration, Milieus und bestimmte Männlichkeitsbilder spielen eine Rolle.


Abschließend möchte ich noch auf die Themen eingehen, die in der Fleischhauer Sendung gesprochen wurden.

  • Zugehörigkeit und Integration Grundfrage der Folge: Wer muss sich wem anpassen? Fleischhauer-Linie: „Wer hier lebt, muss sich anpassen.“ Şahin kontert: Wer Menschen systematisch ausschließt, darf sich über fehlende Integration nicht wundern.
  • Parallelgesellschaften und „Kulturclash“ Es geht um die Vorstellung, es gebe abgeschlossene migrantische Milieus, die „unsere Werte“ ablehnen – Fleischhauer versucht, daran seine Kritik zu entzünden, Şahin stellt diese Erzählung selbst in Frage.
  • Sprachkenntnisse und Bildung Fleischhauer bringt Zahlen-Behauptungen zu Kindern mit Migrationshintergrund („40 % mit Migrationshintergrund, viele können kaum Deutsch“), als Beleg für Integrationsprobleme. Şahin hält dagegen mit ihrer eigenen Biografie und fragt, ob ihn Bildungsforschung wirklich nur als ethnische Statistik interessiert oder auch als Frage nach Startbedingungen und Chancen.
  • Sexismus, Übergriffe, „Männerproblem“ Der vielleicht heftigste Block: Fleischhauer behauptet, Übergriffe im öffentlichen Raum kämen „in der Regel“ von Männern mit arabischem Hintergrund (Schwimmbad-Beispiel). Şahin hält ihm das Oktoberfest vor, verweist auf eine Umfrage unter Kellnerinnen (76 % sexuelle Belästigung) und sagt sinngemäß: „Das sind besoffene weiße Bayern, nicht Ahmed und Mehmet.“ Ihr Kernsatz: „Sexismus, sexuelle Übergriffe oder Patriarchat sind kein Ausländerproblem. Es ist ein Männerproblem, verfickt noch mal!“ 
  • Antisemitismus, Homophobie, Schulprobleme Laut taz werden diese Themen eher im Schnelldurchlauf angerissen – kurze, zugespitzte Snippets, keine vertiefte Debatte. Es wirkt wie eine Liste von Reizworten: Antisemitismus, Homophobie, Konflikte an Schulen, alles stark verkürzt.
  • Rassismus-Vorwurf und „alter weißer Mann“ Ein roter Faden ist Şahins Vorwurf, Fleischhauer vertrete rassistische Positionen und sei der „Inbegriff des alten weißen Mannes“. Er verteidigt sich damit, dass er nur „Realitäten“ benenne und sich auf Bildungsforschung und Kriminalitätsstatistiken stütze. Der Konflikt: Sind seine Zuspitzungen legitime Kritik oder rassistische Stereotype?

Man darf also durchaus die Frage stellen, ob nicht der imaginierte Bunker, den das ZDF aus dem Studiobereich »gemacht« hat, etwas über den seit jeher existierenden schlechten Umgang mit Migration zu tun hat. Dass da bloß nichts nach außen dringt, das als Ansicht einer Mehrheitsgesellschaft verstanden werden könnte.


Horst Schulte

Herausgeber, Blogger, Amateurfotograf

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe auf dem Land.

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