Die Milch kocht über

stroke="currentColor" stroke-width="1.5" stroke-linejoin="round" stroke-linecap="round" /> 13 Kommentare

318

7 Min.

Standardbild

Der Sonnenhof hat­te für uns Kinder etwas Paradiesisches. Meine Schwester wur­de dort gebo­ren. Ich bin fünf Jahre älter als sie und war etwa 3 Jahre alt als wir dort­hin gezo­gen sind.

Mein Vater war 29 Jahre alt als er aus 5jähriger rus­si­scher Kriegsgefangenschaft nach Hause zurück­ge­kehr­te. 1939 war er ein­be­ru­fen wor­den und erst 1949 nach Hause zurück­ge­kehrt. Ich den­ke, wie vie­le in die­ser Lage, hat er ver­sucht, wenigs­tens ein Fitzelchen der durch den Krieg ver­lo­re­nen zehn Lebensjahre nach- oder aufzuholen.

Meine Mutter und er lern­ten sich im Sommer in der «Badeanstalt» unse­res Städtchens ken­nen. Meine Mutter erzählt heu­te noch, dass sie von sei­nen wun­der­ba­ren wei­ßen und makel­lo­sen Zähnen begeis­tert gewe­sen wäre. Ich glau­be ja, ein biss­chen mehr wird es wohl gewe­sen sein. Schließlich hat ihre Ehe über fünf­zig Jahre gedauert.

Meine Mutter war 19 Jahre alt als sie mei­nen Vater ken­nen­lern­te. Sie küm­mer­te sich als Älteste ganz allein um ihren Bruder und ihre klei­ne Schwester. Die drei Geschwister waren schon seit eini­gen Jahren Vollwaisen. Mein Vater nahm gewis­ser­ma­ßen die väter­li­che Rolle ein.

Als gelern­ter Gärtner bekam er eine ent­spre­chen­de Stelle auf dem Sonnenhof. Seine Aufgabe bestand in der gärt­ne­ri­schen Pflege eines, jeden­falls für heu­ti­ge Verhältnisse, sehr gro­ßen Privatbesitzes. Dieser gehör­te einem der Industriellen, die es damals noch in unse­rer Stadt gege­ben hat. Neben sei­nem Chef gab es außer mei­nem Vater in der Gärtnerei noch drei Kollegen – alle eben­falls Gärtner.

Als Mitte der 50er-Jahre der Chef mei­nes Vaters ver­starb, trat er des­sen Nachfolge an.

Damit war unser Umzug auf den Sonnenhof in ein «eige­nes» Haus beschlos­se­ne Sache. Übrigens, ein Haus mit Zentralheizung und Badezimmer. Ich war damals noch zu klein, um mich an die­se gera­de­zu luxu­riö­sen Veränderungen für unse­re Familie erin­nern zu kön­nen. Anfang der 1970er, der Sonnenhof muss­te dem Rheinbraun – Tagebau wei­chen, zogen wir in eine Mietwohnung in Blerichen. Dort gab es kei­ne Heizung. Den Unterschied habe ich damals ken­nen­ge­lernt. War nicht schön. Man gewöhnt sich halt leich­ter an posi­ti­ve Veränderungen 🙂

Bilder vom alten Sonnenhof:

Wir wohn­ten gleich neben der Gärtnerei, zwei rie­si­ge Gärten lagen kei­nen Steinwurf von unse­rem Wohnhaus ent­fernt. Die Familie Holtkott, die Besitzer des Anwesens, führ­ten neben den RLB Werken in Bedburg u.a. noch ein mit­tel­gro­ßes Hotel in Köln auf dem Kaiser-Wilhelm-Ring. Dafür wur­den unzäh­li­ge Blumen, Gemüse und eben alles Mögliche gebraucht.

(Luftaufnahme Sonnenhof. Das ist das Hauptgebäude. Um die­ses her­um erstreck­te sich ein Waldgebiet mit zwei gro­ße Gärten und eini­ge Kilometer Wanderwege.)

Meiner Schwester und mir man­gelt es nicht an wun­der­ba­ren Erinnerungen an eine rich­tig schö­ne Kindheit. Unsere Freunde, die den Sonnenhof ken­nen­ge­lernt haben, tei­len bis heu­te unse­re Begeisterung.


Ich möch­te eine Geschichte erzäh­len, die pas­siert ist, als ich unge­fähr fünf Jahre alt war. Also zu einer Zeit, als mei­ne Schwester noch nicht gebo­ren war. Ich erin­ne­re mich noch ziem­lich genau.

Auf dem Gelände des Sonnenhofs gab es einen klei­nen land­wirt­schaft­li­chen Betrieb, einen Tennisplatz, ein Schwimmbecken, einen Seerosenteich und zwei gro­ße Weiden für Kühe. Ich glau­be, es waren 5 oder 6. Schweine und Hühner gab es auch. Für die Pflege der Kühe war ein so genann­ter «Schweizer» zustän­dig.

Jeden Abend gab es für uns einen Liter fri­sche Milch. Diese wur­de nach dem Melken in der so genann­ten Milchküche (sie­he Bildbeschreibung in der Foto-Galerie) bear­bei­tet, so dass sie danach nur noch abge­kocht wer­den muss­te. Meine Aufgabe war es, unse­ren Liter Milch abends abzu­ho­len und in unse­re Küche zu bringen.

Eines Abends, drau­ßen war es schon fast dun­kel, woll­te mein Vater die gera­de von mir abge­lie­fer­te Milch kochen. Meine Mutter war noch zum Einkauf in Bedburg. Übrigens hat­ten wir nie ein Auto. Deshalb wur­den die wöchent­li­chen Einkäufe grund­sätz­lich zu Fuß oder mit dem Rad erledigt.

Bedburg lag ca. 3 bis 4 km (?) vom Sonnenhof ent­fernt, genau­er gesagt von unse­rem Haus. Das war eine der Schattenseiten unse­rer ansons­ten pri­vi­le­gier­ten Wohnlage. Zur Bedburger Schule war es ein lan­ger Weg, auch mit Rad. Im Winter lag lei­der schon damals nicht so häu­fig Schnee, dass ich oft in die Verlegenheit gekom­men wäre, mei­ne gelieb­ten Gleitschuhe anzu­le­gen. Was hat das für einen Spaß gemacht, wenn man mit die­sen Dingern auf noch unbe­rühr­ten wei­ßen Wegen unter­wegs war! Sogar dann, wenn es in die Schule ging.

Unsere Küche war groß. Neben dem Kohleofen gab es noch einen Elektroherd, einen Tisch mit vier Stühlen und eine gro­ße Couch. In der Ecke stand ein altes Radio, das stän­dig lief. Ein Kühlschrank fehl­te damals noch. Zum Kühlen dien­te der Keller. Es gab ein mit Fliegendraht abge­trenn­tes Schränkchen. Das war’s.

Der Lichtschalter in der Küche bestand in einer Quaste, den ich (spä­ter) gern als einen Hauch von Luxus bezeich­net habe. Das Ding ins­ge­samt kann man sich unge­fähr so vorstellen.

Mein Vater stand am Herd und war dabei die Milch abzu­ko­chen. Ich hat­te Langeweile. Große Langeweile. Ich wedel­te ein biss­chen mit der Quaste (dem Lichtschalter) und ließ ihn kreuz und quer, hin und her pen­deln. Mein Vater bekam das mit und ermahn­te mich, jetzt bloß nicht das Licht aus­zu­schal­ten. «Die Milch kocht gleich!»

Gute Idee, dach­te ich. Ich war­te­te, bis die Milch auf­koch­te und mein Vater Anstalten mach­te, mit den zwei Topflappen den hei­ßen Milchtopf vor­sich­tig vom Herd zu neh­men. In die­sem Moment…

Klick. Licht aus. Es war (inzwi­schen) stock­fins­ter. Ein Schrei, Wut. Hooooorst.

Die Operation war also gelun­gen, und ich war des­halb schon eiligst unter­wegs nach drau­ßen. Ich durch­quer­te schnell den lan­gen mit einem «Teppich» aus bedruck­ter Teerpappe (Feltbase war damals in) aus­ge­leg­ten Flur. Gleich vor unse­rem Haus stand eine Hecke (s. Foto). Sie umgab bei­na­he die gesam­te Front der Gärtnerei und stell­te für mich als damals Fünfjährigen noch ein Hindernis dar. Mein Vater und ich spiel­ten zwi­schen­durch gern mal Olympiade. Eine der Disziplinen war das Überspringen die­ser Hecke. Würde mir das aus­ge­rech­net heu­te in die­ser Notlage zum ers­ten Mal gelingen?

Es war drin­gend nötig, denn mein Vater war bereits kurz hin­ter mir. Ich nahm Anlauf und … Mist! Ich blieb hän­gen und fiel fast aufs Gesicht. Das war nicht wei­ter schlimm, aber der Sturz raub­te mir den Vorteil. Mein Vater hat­te mich am Schlafittchen.

Ich erin­ne­re mich nicht dar­an, wie die anschlie­ßen­de Standpauke aus­fiel. Schlagen war kein Erziehungsmittel mei­ner Eltern. Ich weiß noch, dass es spä­ter vier‑, viel­leicht fünf­mal Situationen gab, in denen mein Vater die Beherrschung ver­lor und mir eine geklatscht hat. Das war später.

Im 1. Schuljahr von einem Lehrer eine Ohrfeige bekom­men, weil ich nicht auf­ge­passt hat­te. Damals (Anfang der 60er Jahre) war das noch ganz nor­mal. Nicht für mei­nen Vater. Er fuhr – mit dem Rad – zur Schule und hat dem Lehrer die Meinung gesagt. So war das. Dieser Lehrer und ich sind kei­ne Freunde gewor­den. Als er sich, ich war schon in der 4. Klasse, den Arm brach, lern­te ich im Blitzverfahren, wie sich Schadenfreude anfühlt.

Die Geschichte geht noch wei­ter: Nachdem Papa mich also gestellt hat­te, folg­te die Ansage: «Ab ins Bett!»

Wenig spä­ter kam mei­ne Mutter nach Hause und frag­te sofort: «Wo ist der Jong?» «Im Bett!» ant­wor­te­te Papa ein wenig zu harsch. «Wie im Bett, was ist denn pas­siert?». Ich erin­ne­re mich dar­an, dass ich Spaß hat­te, dass die bei­den jetzt Knatsch hat­ten. Schlimmes Kind!

Am nächs­ten Morgen war alles wie­der gut.

Lass deinen Gedanken freien Lauf


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.


13 Gedanken zu „Die Milch kocht über“

  1. Danke für die inter­es­san­te Geschichte. Ich habe den berühm­ten Sonnenhof, auf dem mein Vater leb­te, nicht mehr erlebt. Nachdem der Sonnenhof der Braunkohle zum Opfer fiel, leb­te ich spä­ter auf dem Lindenhof in Oppendorf. Für mich inter­es­san­te, nie gese­he­ne Fotos.

    Grüsse aus der Schweiz 

  2. Na ich bin sehr ange­tan von die­ser Story und den Fotos eines Hauses, an dass ich mich sogar noch gut erin­nern kann. Hier und am nahe gele­ge­nen sog. OT-Gelände such­ten wir als Jungs das „gro­ße wei­te Abenteuer“. Es war für uns schon erwas Besonderes, wenn wir mit dem Rädchen von Geddenberg bis hier hin (!) gera­delt waren, „fern der Heimat“!
    Tolle Aufnahmen und ein tol­ler Bericht, lie­ber Heimatforscher Horst. Ich füh­le mich um gut 50 Jahre zurück ver­setzt. Übrigens wur­de einer der Bewohner des Sonnenhofes, Fredi Holtkott einer unse­rer Clique auf dem Gymnasium. Lange ist es alles her und doch so fest in guter Erinnerung. 

  3. Ja natür­lich lie­ber Horst. Ich erin­be­re mich an die lan gezo­ge­ne Rampe, die im Bogen nach unten führ­te. Mein Vater ver­mu­te­te immer, dass dort Züge nach unten fah­ren soll­ten, oder fuh­ren um dan irgend­wo unter­ir­disch zu ver­schwin­den. Ich weiß nicht ob es wahr war oder nur eine aben­teu­er­lische Vermutung über den Bau der Organisation Todt. 

    Ich erin­ne­re mich auch noch an zwei silo­ar­ti­ge Rundtürme im unte­ren Teil der Schlucht. Man Horst, ist das lan­ge her. Mir wird ganz warm ums Herz, wenn ich alle Erinnerungen wie­der durch­le­be. Du hast einen gro­ßen Anteil „Schuld“ daran. 

    Übrigens soll­ten wir im Rahmen von Bergschadensrenovierung für eine Zeit in das Haus des ehe­ma­li­gen Tierartzt Dr. Meier an der Bergheimer Strasse zie­hen. Kurz bevor Rheinbraun das Haus für uns bezugs­fer­tig hat­te, lehn­te mein Vater es ab dort­hin zu zie­hen. Er tat das mit den Worten: „Nee Kenger, dat los­se mer blie­ve, do kum­me mer nie mie erus.“ Er zrsute der Rheinischen nicht, obwohl er dort arbei­te­te. Meine Schwester und ich wären ger­ne dort­hin gezogen. 

  4. Da ging mei­ne Frau immer rodeln, als sie noch sehr jung war.

    Da oben sind mir noch Frengers mit den Schafen ein Gedanke wert und es gab noch den Rosenhof.

    Es kom­men so vie­le alte Erinnerungen, je mehr man dar­über nach­denkt. Und ein Auto haben wir auch lan­ge nicht gehabt. Als ich zum Impfen ins Kreishaus nach BM muss­te, saß ich dabei auf dem Fahrrad-Gepäckträger mei­ner Mutter.Über die Bergheimer Strasse ging es in etwa wo heu­te die Grubenrandstrasse ver­läuft nach Bergheim. Auf der Rückfahrt kamen wir ins Gewitter. Das ver­ges­se ich mein Lebtag nicht. Mama stram­pel­te, was das Zeug hielt um die etwa 8 km mit Muskelkraft und „Gepäck“ zu bewältigen. 

Mehr lesen aus dieser Kategorie

Diesmal ging der Kelch in Form von Starkregen nicht an uns vorbei.
Unwetter Starkregen

Bedburg

Diesmal ging der Kelch in Form von Starkregen nicht an uns vorbei.

Kann man’s wissen?
IMG 4180

Bedburg

Kann man’s wissen?

☀️ Jeder Tag ist ein neuer Anfang.