Die Familie wusste, dass die Söhne den in der vierten Generation geführten Hotel-Restaurant-Betrieb nicht weiterführen würden. Das jetzige Inhaber-Ehepaar ist über die übliche Altergrenze längst hinweg. Beide haben sich die Rente mehr als verdient.
Gestern lasen wir in unserem Regionalheftchen, dass der Betrieb Mitte Mai geschlossen wird.
Ich griff gleich zum Telefonhörer, um meine Mutter zu informieren. Die wusste es auch schon, denn gleich nach der Begrüßung sagte sie: „Hast du schon gehört, dass…“ Ja, leider… Meine Schwester wusste es ebenfalls schon. Alle zeigten sich betroffen.
Mein Vater war in einem Haus gegenüber dem Restaurant geboren und aufgewachsen. Er war mit dem Vater des heutigen Inhabers eng befreundet. Meine Familie väterlicherseits hat dort so gut wie alle Fest gefeiert – ob Geburtstage, Jubiläen, Todesfälle oder Hochzeiten und Tauffeiern.
Meine Frau und ich haben dort unsere Hochzeit gefeiert und meinen 50. Geburtstag. Es gibt nur schöne Erinnerungen.
Ende der 60er Jahre habe ich mich nach dem Stenografie-Kurs dort einige Male mit meinem Vater getroffen. So musste ich meinen langen dunklen Nachhauseweg nicht allein mit dem Rad zurücklegen. Mein Vater hatte auf diese Art einen kleinen Vorwand, um dort ein paar Kölsch zu trinken. Essen hatte damals für mich noch nicht die Bedeutung wie in späteren Jahren. Aber während dieser Abende bestellte mein Vater mir ein Schnitzel mit Pommes. Für mich war das damals etwas besonderes, denn in dieser Zeit gab es bei uns zu Hause selten Fleisch und schon gar keine Pommes. Das hatte in erster Linie damit zu tun, dass wir für diesen Luxus kein Geld hatten. Meinen Vater hindert das aber nicht daran, mir an diesen Abenden diese Freude zu machen. Denn ein großes paniertes Schweine-Schnitzel mit Pommes war mir eine sehr große Freude.
Meine Eltern besuchten in diesen Jahren für zwei Wochen einen alten Freund in die damalige DDR – was eine absolute Ausnahme war. Mein Vater war seit der russischen Kriegsgefangenschaft, also über viele Jahrzehnte, mit dem Mann befreundet. Er lebte mit seiner Familie nahe bei Dresden. Die freundschaftliche Beziehung wurde per Briefwechsel über all die Jahre aufrechterhalten. Seine Ehefrau hat uns, weil sie aufgrund eines gesundheitlichen Problems vorgezogen in Rente gehen konnte, besucht und dieses war nun der Gegenbesuch meiner Eltern in Freiberg.
Während dieser zwei Wochen musste ich „essenstechnisch“ versorgt werden. Ich machte damals in einem ortsansässigen großen Unternehmen, das leider 1980 nach über 70 Jahren in Konkurs ging, eine Lehre. Während der Mittagspause, die eine Stunde lang dauerte, fuhr ich schnell in besagtes Restaurant. Bis heute gibt es dort wochentags einen verbilligten Mittagstisch. Das habe ich damals anderen Alternativen vorgezogen. Schließlich hätte ich auch bei einer meiner vielen Tanten zum Mittagessen sicher etwas abbekommen.
Ihr könnt an diesen paar Geschichten sehen, dass die Beziehung zu diesem Restaurant schon eng war. Dabei gibt es in unserem Städtchen durchaus andere Restaurants und Lokale – auch damals schon.
Meine Vermutung kann ich nicht belegen. Aber ich glaube, dass sich für dieses beliebte Restaurant mit der Einführung des Euro Elementares verändert hat. Wir selbst und auch viele Bekannte und Freunde gingen mit einem Mal aufgrund der stark gestiegenen Preise viel weniger auswärts essen als vorher. Früher waren wir ein-/zweimal, manchmal auf häufiger, im Monat in Lokalen zum Essen. Das hat sich gravierend verändert. Ich denke, dass das nicht nur bei uns der Fall gewesen ist.
So müssen wir uns also damit abfinden, dass unser Lieblingsrestaurant geschlossen wird. Ich hörte, dass weder eine Verpachtung des Objekts noch der Verkauf erfolgreich verlaufen sind. Ungeachtet dessen, was das für die Eigentümer heißen mag. Für uns wird es im schlimmsten Fall dazu kommen, dass wir an einem leeren Gebäude vorbeifahren und uns nur die Erinnerung an alte und schöne Zeiten in diesem Restaurant bleiben wird.
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