In der Nacht klingelt es an der Wohnungstür. Eine Gruppe von Polizisten, teils in Uniform, teils in Zivil informiert den Familienvater, dass die Abschiebung aus Deutschland jetzt vollzogen werde. Die älteste Tochter wendet sich entsetzt an ihren Vater: „Das können die doch nicht machen“. „Doch, können die“, antwortet dieser. Die verängstigte Familie packt in aller Eile einige Sachen zusammen und wird von einem uniformierten Beamten darauf hingewiesen, dass ein Gepäckstück mehr als 20 kg schwer sei. Es müsse etwas ausgepackt werden. Wenn ich den Gesichtsausdruck richtig erkannt und gedeutet habe, hat es dem Polizisten Spaß gemacht, die Leute damit zusätzlich unter Druck zu setzen. Lange hat mich ein Fernsehfilm nicht mehr so gefesselt wie „Toter Winkel“ von Hans W. Geißendörfer. Die bereits erwähnte älteste Tochter der Familie entkam den Polizisten und suchte Unterschlupf bei einem Klassenkameraden. Während ihrer Flucht wurde ein Verfolger von einem LKW überfahren. Am nächsten Morgen beginnt die Geschichte mit dem Blick auf ein kleinstädtisches Idyll. Es spricht sich schnell herum, dass der Sohn eines örtlichen Geschäftsmannes bei einem Verkehrsunfall durch einen LKW getötet wurde. Die Frage danach, was der Mann nachts zu Fuß auf dieser Landstraße zu suchen hatte, löste beim Zuschauer unmittelbar einen bösen Verdacht aus. Mein erster Gedanke war, dass die Polizisten sich für ihre nächtliche Abschiebe – Aktion einige befreundete Zivilisten zur Unterstützung mitgenommen hätten… Nun ja. Nachdem die ständigen Versuche der ältesten Tochter der kosovarischen Familie telefonischen Kontakt mit ihren Eltern aufzunehmen bis auf wenige und verdächtige Textnachrichten gescheitert waren, kam in mir der schreckliche Verdacht auf, der sich im weiteren Verlauf des Films zur mörderischen Gewissheit entwickelte. Die tragische Familiengeschichte, die den Mittelpunkt dieser Geschichte bildete, hat mich schon auch in Atem gehalten. Aber die monströsen menschlichen Abgründe, die sich im Film zeigten, haben mich viel stärker bewegt. Die Fiktion war erschreckend. Meine Frau fragte, ob potenzielle Täter durch solche Filme nicht erst zu solchen Taten „inspiriert“ würden. Wer kann das ausschließen?Die Taten des NSU haben gezeigt, dass Monster existieren, die aus kruden Überzeugungen heraus Dinge tun, die sich die wenigsten von uns überhaupt vorstellen können. Die Provinznazis (alles gute Jungs) im Film haben eine komplette Familie ausgelöscht. Nachdem durch den Vater (Herbert Knaup – gut wie nie) eines Mittäters die monströse Tat aufgedeckt wurde, war die Gruppe entschlossen, auch das noch lebende letzte Mitglied der unglücklichen Familie in ihrem Naziwahns zu töten. Man wollte ja nicht mehr nur reden, sondern endlich etwas tun.
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Meine Auffassung zu „Menschliche Abgründe „Toter Winkel“ geht dahin, dass die hässlichste Seite des Menschen – speziell charakterlose, willensschwache – sich immer zeigt, wenn er Macht über andere erhält, ohne selbst Strafe zu fürchten, vollkommen unabhängig von Nationalität, Religion oder ethnische Herkunft.
Und was die Moral unserer Zeitgenossen, quasi besonders unsere heutige Jugend, betrifft:
„Zeig mir, mit wem Du gehst und ich sage Dir, wer Du bist“. Das heißt, dass man sehr gut am selbstgewählten Umgang erkennen kann, mit wem man es zu tun hat.
Das muss leider jeder, was sein Gewissen anbelangt, mit sich selber vereinbaren.
Das heißt, solche Menschen würden ihre Gewalt und Boshaftigkeit nur in solchen Gesellschaften ausleben, in denen sie sich relativ sicher sein können, dass ihnen nichts passiert? Nun ist dieser Staat in vielerlei Hinsicht aber doch immer noch wehrhaft. Er bestraft solche Menschen, wenn er ihrer habhaft wird und sperrt sie weg. Aber ich glaube, dass das gesellschaftliche Klima eine große Bedeutung hat. Unser Land hat sich in meinen Augen in dieser Beziehung negativ verändert. Das zeigen ja einerseits die Umfragen und andererseits auch die Gleichgültigkeit die zwei Jahre nach der Hochzeit der Flüchtlingskrise gegenüber menschlichen Schicksalen existiert.
In meinem Freundeskreis fanden sich keine Rechten. Darauf hätte ich gewettet. Heute weiß ich, dass es nicht so war. Die sind überall.