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Sechs berufliche Stationen in siebenundvierzig Jahren Berufsleben ? sind echt nicht viel

Inzwischen bin ich schon eine gan­ze Weile raus. Wahrscheinlich ist es da ganz nor­mal, über die sechs Jahrzehnte nach­zu­den­ken, die das Leben und das Berufsleben bestimmt haben. Es ist schein­bar unvermeidlich,

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Inzwischen bin ich schon eine gan­ze Weile raus. Wahrscheinlich ist es da ganz nor­mal, über die sechs Jahrzehnte nach­zu­den­ken, die das Leben und das Berufsleben bestimmt haben.

Es ist schein­bar unver­meid­lich, dass Menschen (nur älte­re?) mit ihren Reminiszenzen über­wie­gend posi­ti­ve Gefühle ver­bin­den. Gott oder die Natur haben das offen­bar so ein­ge­rich­tet. Negative Erfahrungen wer­den von unse­rem Bewusstsein ver­drängt oder zumin­dest durch Positives über­la­gert. Bei mir stel­le ich das immer wie­der fest.

Nostalgie

Wenn ich etwas län­ger in mich hin­ein­hö­re kann es pas­sie­ren, dass das Negative jener Zeit sich mei­nen nost­al­gi­schen Gefühlen wie ein win­ken­der Zaunpfahl bei­mischt. Mein Lieblingsjahrzehnt waren die 1970er Jahre – wir fei­er­ten unse­re zwan­zi­ger Lebensjahre. Es gab immer noch so viel Neues und Spannendes zu erle­ben, dass die­ses Gefühl bis in die frü­hen Achtziger hin­ein­reich­te. Länger aller­dings nicht. Meine Frau und ich haben 1976 gehei­ra­tet. Vielleicht lag die Ernüchterung der 1980er Jahre, die ich an mir fest­ge­stellt habe, dar­an, dass sich nun end­gül­tig so etwas wie der Alltag ein­stell­te. Die Diskozeiten waren jeden­falls vor­bei – etwas, was unse­ren Freunden und uns gemein war.

1977 habe ich mei­nen ers­ten beruf­li­chen Wechsel voll­zo­gen. Ich hat­te nie das Bedürfnis, die Welt zu ent­de­cken oder gro­ße Abenteuer zu erle­ben. Wahrscheinlich fehlt mir das dafür nöti­ge Gen. Mein Freund erklär­te mir das mit den ein­fa­chen Worten: „Horst, du bist ein Lahmarsch”.

Bei Freunden lag der Fall ganz anders. Einer war nach sei­ner Bundeswehrzeit nach Kanada aus­ge­wan­dert, ein ande­rer (jener, der den Lahmarsch-​Spruch abge­son­dert hat) ist für ca. ein Jahr mit dem Motorrad durch Südostasien gedüst. Wieder ande­re hat es aus fami­liä­ren oder beruf­li­chen Gründen ins Ausland oder in ande­re Gegenden unse­res schö­nen Landes ver­schla­gen. Ich war immer froh, hier geblie­ben zu sein. Heimat war mir immer unge­heu­er wich­tig. Nicht erst, seit­dem ich als klei­ner Junge gelernt habe, wie schmerz­haft Heimweh sein kann – selbst wenn man sich in einem so wun­der­schö­nen Land wie der Schweiz befindet.

Lehre

Beruflich woll­te ich in mei­ner dama­li­gen Firma, in der ich schon mei­ne kauf­män­ni­sche Lehre absol­viert hat­te, nicht ewig blei­ben. Es war zwar super bequem, weil es nur ein paar Minuten dau­er­te, mit­tags zu mei­ner Mutter zum Essen zu gehen, aber die Perspektive soll­te sich dann doch etwas weiten.

Ich hat­te eine tol­le Lehrzeit. Sie begann am 1. August 1968. Ich weiß noch genau, wie die Luft roch und wie sie schmeck­te und dass ich nach dem ers­ten Feierabend zu einer wun­der­schö­nen Geburtstagsfeier gefah­ren bin. Mein Vater und eine gute Freundin unse­rer Familie hat­ten bei­de am 1. August Geburtstag. Deshalb fei­er­ten wir schon seit Jahren mit unse­ren Familien die­ses Sommerfest. Früher ™ war das Wetter ja auch immer schön… Na, oft war das so! An die­sem Tag war es das nach­weis­lich nicht wirk­lich. 😆

Sommer war noch Sommer

Damals war das mit dem Grillen (bei uns) noch unbe­kannt. Aber lecker geges­sen wur­de damals auch schon. Diese Geburtstagsfeiern waren schon auf­grund der Sommerzeit etwas beson­de­res. Die meis­ten Mitglieder unse­rer Familie haben im Spätherbst oder Winter Geburtstag. Deshalb ist der 1. August ein echt tol­les Datum.

Wir hat­ten damals zu Hause noch kein Telefon. Insofern war ich weder tech­nisch noch emo­tio­nal dar­auf vor­be­rei­tet, ab die­sem Datum stän­dig mit irgend­wel­chen frem­den Menschen am Telefon zu reden. Für mich war die­ser Tatbestand der größ­te Stressfaktor, den man sich vor­stel­len kann.

Alles ande­re ergab sich. Die Arbeit habe ich gern gemacht, die Leute waren nett. Allerdings ver­miss­te ich mei­ne Freizeit. Sehr sogar. Mit Spielen war nix mehr. Der Ernst des Lebens hat­te mich schlag­ar­tig erfasst und mein Leben ver­än­dert. Nachmittags ins Schwimmbad? Nee, Schreibtisch, Musterstube, Musterstube, Schreibtisch u.s.w. Das war jetzt mein Leben.

Montags bis frei­tags gings von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr ins Büro. Samstag und Sonntag konn­te ich aus­schla­fen. Jedenfalls, wenn ich sonn­tags mal nicht in die Kirche muss­te. Ich war 14 Jahre alt, und es wur­de getan, was Mama und Papa sag­ten. Dazu gehör­te auch der sonn­täg­li­che Kirchenbesuch. Meine Schwester und ich haben uns manch­mal erlaubt den Kirchenbesuch zu umge­hen. Wir bogen ab in die Pfarrbücherei und über­brück­ten die Zeit mit Lesen. Nach der Messe reih­ten wir uns ein in die Gruppe der Messebesucher. Aufgefallen sind wir nie – glau­be ich.

Andere Zeiten

Der Vertrieb in mei­nem Lehrbetrieb war in drei gro­ße Abteilungen unter­teilt: Verkauf Nord, Verkauf Süd und Export. Die Namen sind selbst­er­klä­rend. Zu jeder die­ser Abteilungen gehör­ten eine Menge Menschen. Im Computerzeitalter wäre ein Bruchteil vonnöten.

Verkauf Nord und Süd bestan­den jeweils aus 3 bis 4 Zimmern, die mit jeweils 3 bis 4 Personen + Lehrlinge besetzt waren. Außerdem gab es je einen Abteilungsleiter. Es gab schon eine EDV – Abteilung, in der gera­de damit begon­nen wur­de, die Rechnungen /​Fakturen per Rechner zu erstel­len. Bis dahin geschah dies in der so genann­ten Fakturenabteilung (wohl auch so ein Wort für die Liste der aus­ge­stor­be­nen deut­schen Wörter!). In die­ser Abteilung waren fast nur jun­ge Damen beschäf­tigt. Nur der Chef war ein Mann – ein Freund mei­nes Vaters übri­gens. Erst spä­ter habe ich ihn auf­grund sei­ner pri­vi­le­gier­ten Stellung doch sehr beneidet.

Zu Beginn mei­ner Lehre hat­te ich aller­dings ganz ande­re „Sorgen”. Die Bedienung des Telefons zum Beispiel. Im Büro, dem ich zuge­teilt war, saßen außer mir ein älte­rer Herr, ein mit­tel­al­ter Herr und eine jün­ge­re Dame, die ihre Lehre bestimmt eben erst been­det hat­te. Die ord­nungs­ge­mä­ße Einordnung der Kolleginnen und Kollegen nach Alter wäre mir damals ver­mut­lich noch schwe­rer gefal­len. Mit 14 hat­te ich dafür noch kei­nen Blick.

Treue und Wertschätzung

Der älte­re Herr hieß Mathias Krings. Er war etwas rund­lich und mach­te einen gemüt­li­chen und sym­pa­thi­schen Eindruck. Ich fühl­te mich dort in guten Händen. Nach drei Monaten hät­te es nor­ma­ler­wei­se gehei­ßen: nächs­te Abteilung. Ich hat­te aber das Glück, noch wei­te­re drei Monate dort blei­ben zu dürfen.

Die Kollegen waren – so wur­de mir vom Verkaufsleiter mit­ge­teilt – sehr zufrie­den und ich durf­te mich auf drei wei­te­re Monate in die­ser Abteilung freu­en. Der nor­ma­le Wechselrhythmus von drei Monaten wur­de spä­ter nicht mehr unter­bro­chen. Es gab noch eini­ge ande­re Abteilungen, in denen ich gern gear­bei­tet habe aber auch das Gegenteil.

Mathias Krings war damals 65 Jahre alt und soll­te 1968 eigent­lich in Rente gehen. Die Verantwortlichen im Unternehmen moch­ten ihn aber noch nicht gehen las­sen. Sie über­re­de­ten Mathias, wie ihn alle nann­ten, noch ein paar Jahre dran­zu­hän­gen. Als er schließ­lich in Rente ging, hat­te er fast 55 Jahre im Unternehmen gear­bei­tet. Das ist in der heu­ti­gen Zeit gar nicht mehr vor­stell­bar. Die Flexibilität, die uns weni­ger von uns selbst als von ande­rer Seite ver­ord­net wird, erlaubt sol­che Arbeitsverhältnisse nicht mehr.

Ich weiß noch, wie stolz Mathias Krings war, als er von der Geschäftsleitung für sei­ne lan­ge Treue geehrt wur­de. Einer der bei­den geschäfts­füh­ren­den Gesellschafter des Unternehmens erklär­te vor den ande­ren Kolleginnen und Kollegen, man kön­ne und wol­le nicht auf ihn ver­zich­ten und habe ihn des­halb gebe­ten, noch ein paar Jahre weiterzumachen.

Zeiten im Wandel

Klar, dass es für die Verlängerung damals gute Gründe gege­ben hat. In die­sen Jahren war es noch schwer, über­haupt Personal zu fin­den. Es herrsch­te Vollbeschäftigung. Den ers­ten mas­si­ven Einbruch am Arbeitsmarkt erleb­ten wir mit der Ölkrise in den begin­nen­den 1970er Jahren. Der Ton wur­de rau­er und lei­der ver­schlech­ter­te sich damit auch die wirt­schaft­li­che Situation des Unternehmens.

Nach einem Wechsel in der Geschäftsführung, die vom größ­ten Kreditgeber des Unternehmens, der Deutschen Bank, ange­ord­net wur­de, gab es eine Betriebsversammlung.

Dort erklär­te ein neu­er Geschäftsführer (der von mir damals als schreck­lich arro­gant emp­fun­den wur­de) der gesam­ten Belegschaft, dass im Unternehmen, das in sei­ner Blütezeit ca. 1.100 Mitarbeiter beschäf­tig­te, sehr vie­le Mitarbeiter tätig sei­en, die „für die freie Wirtschaft nicht mehr trag­bar” seien.

Das war 1976! Ja, in mei­nem belieb­ten Jahrzehnt, von dem ich heu­te noch schwär­me. 1976 haben mei­ne Frau und ich gehei­ra­tet. Aber der Niedergang mei­nes Ausbildungsbetriebes nahm sei­nen Lauf. Jeder dürf­te in sei­ner Vergangenheit so etwas Ähnliches auch erlebt haben.

Zum 1. Januar 1977 habe ich mir eine neue Arbeitsstelle gesucht. 1980 ging die Firma in Konkurs.

Danach habe ich noch in 5 ver­schie­de­nen Firmen gear­bei­tet. Meine posi­tivs­te Erfahrung stand mir noch bevor. Sie begann mit mei­nem Engagement in einem klei­nen Betrieb im September 1978. Dort habe ich mit viel Spaß und Hingabe bis 1995 gear­bei­tet, aller­dings habe ich auch viel Arbeit und Herzblut investiert.

Die Verhältnisse dort habe ich spä­ter nir­gends mehr auch nur annä­hernd wiedergefunden.


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