Schröder vergisst gleich zu Beginn ihres Essays für die „Welt“, die Motivation der 68er Bewegung zu erwähnen.
Sie bestand hauptsächlich in der Reaktion auf die brutalen Versäumnisse der bürgerlichen, konservativen Mitte. Die hatte es nämlich bis zu diesem Zeitpunkt versäumt, eine auch nur halbwegs adäquate Aufarbeitung des 3. Reiches inklusive der Inbesitznahme bundesrepublikanischer Institutionen durch ehemalige Nazis einzuleiten bzw. zu bekämpfen.
Dass dabei auch Fehler gemacht wurden … geschenkt!, Frau Schröder.
Ich möchte mir nicht vorstellen, wie dieses Land wäre, hätte es diese Jugendbewegung – und um nicht mehr handelte es sich – nie gegeben. Konservative scheinen das offenbar häufig ganz anders zu sehen.
Der Einfluss der 68er schwindet zwar, weil die damals aktiven Personen nach und nach aufs Altenteil zurückziehen. Aber die Konservativen möchten ungern auf dieses bequeme Feindbild verzichten. Anders kann ich mir die ein wenig späte Beschäftigung mit dem Einfluss der 68er auf die Politik des Landes kaum erklären.
Vielleicht ist es mangelndes Selbstbewusstsein rechtskonservativer Publizisten, was inzwischen dazu führt, dass sie in ihren Essays harmlos gegen Links wettern. Die Schlagzeilen haben es in sich, die Inhalte enttäuschen.
Ziel: die bürgerliche Mitte
Für ihr Essay wählt Schröder den Titel: „Der Kampf gegen rechts zielt auf die bürgerliche Mitte“. Im Einführungstext heißt es dann:
Die Linke hat die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ausgeweitet. Vom Staat unterstützt, wird alles bekämpft, was nicht links ist. Zugleich verharmlost man den Linksextremismus
Einführungstext von Kristina Schröder, ehemalige Bundesministerin im vorletzten Kabinett von Angela Merkel.
Bei der Union verläuft der Abschmelzungsprozess bisher weitaus weniger dramatisch als bei der SPD. Natürlich sind die Gründe unterschiedlich. Die Haltung der BürgerInnen zu den ehemaligen Volksparteien hat sich nachhaltig gewandelt.
Ob es in den 1980er Jahren die Grünen waren, in den 1990ern die Linkspartei und jetzt die AfD. Das Parteiengefüge und damit die Stimmenanteile haben sich so stark verändert, dass in Zukunft andere, vielleicht bisher kaum vorstellbare Koalitionen notwendig werden.
5 % Hürde
Ich bin lange Zeit hindurch dafür eingetreten, die 5% Hürde zu streichen, denn ich hielt das Fundament unserer Demokratie für so gefestigt, dass mich neue Bündnisse und Koalitionen nicht geängstigt hätten. Das war, bevor die Rechten in Sachsen 27% erreicht haben und dort stärkte Partei wurden.
Ja, diesen Unterschied mache ich, wenn es um die Beurteilung von Rechts und Links geht. Hätte die Linkspartei in Sachsen diesen Stimmenanteil geholt, hätte ich das wohl angesichts der historischen Hintergründe für normal gehalten und mich nicht kritisch geäußert.
Schröder meint natürlich etwas anderes, wenn sie ihren Doktorvater Prof. Falter zitiert:
„In den Augen der Bevölkerung wollen die Rechtsextremen mit schlechten Mitteln das Falsche. Die Linksextremen hingegen wollen mit schlechten Mitteln das Gute.“
Prof. Falter
Ich finde, Falter hat recht, jedenfalls was mich angeht. Dabei bestehe ich darauf, dass jede Art von Gewalt abzulehnen ist.
Extremismus
Beim Linksextremismus bin ich bereit zu differenzieren: Die G20 Randale habe ich sehr kritisch gesehen, die gewalttätigen Demos gegen Mitarbeiter Braunkohle und Polizeibeamte in unserer Region ebenso. Bei der radikalen Parteinahme von Linken zugunsten von Geflüchteten war ich mitunter weniger klar. Aber nicht, wenn es um Gewalt ging! Trotzdem: Meine Reaktion ist dann anders.
Alles, was als Rechtsextremismus einzuordnen ist, erfährt meine klare Ablehnung.
Schröder führt die gleiche Klage, die auch von rechtsradikalen Blogs und Publikationen geführt wird. Sie beschwert sich darüber, dass Linksextremismus auf die leichte Schulter genommen wird, während beispielsweise ihr ehemaliges Ministerium, nachdem es von Links (zur Klarheit: die SPD ist gemeint!) übernommen wurde, sich hauptsächlich gegen rechts engagiert.
Schröders Essay macht, obwohl dies nicht seine Absicht war, deutlich, wie verschwommen überkommene Begriffe wie rechts und links inzwischen geworden sind und wie wenig aussagefähig es ist, wenn wir noch von „politischer Mitte“ sprechen.
Immer häufiger lese ich Text konservativer Publizisten, die den Eindruck erwecken, als müsse der Konservativismus wiederbelebt werden. Jeder, der ein bisschen die Umfrageergebnisse auf Bundesebene im Blick hat, weiß doch genau, wie die Mehrheitsverhältnisse in unserem Land aussehen.
Antitotalitärer Konsens
Aus meiner Sicht muss deshalb die konservative Mehrheit im Land nicht noch weiter anwachsen. Die Grünen zähle ich natürlich zum konservativen Lager! Union, Grüne, FDP liegen bei Infratest dimap gerade bei 51%. Nimmt man die AfD hinzu wäre die Mehrheit des konservativen Lagers bereits bei mehr als 2/3 (68%). Worüber beklagen sich die Rechten also?
Natürlich, wenn sich Frau Schröder, wie andere rechte Autoren, so große Sorgen um das Konservative im Land machen, werden sie im Kopf haben, was die letzten Koalitionsverhandlungen zu Jamaika ergeben hatten. Hätte das geklappt, wäre – jedenfalls regierungsseitig – die Welt doch für sie voll in Ordnung. Aber nein, die angebliche Linksdominanz der Medien wäre ja dann immer noch vorhanden.
Wenn Schröder auf einen „antitotalitären Konsens“ der Demokraten abhebt, sollte sie doch bitte auch erwähnen, dass die SPD genau aus diesem (falschen) Grund bisher ihre Machtoption „links liegen“ gelassen hat. Wenn bald zur Debatte steht, dass andere Regierungsmehrheiten nicht mehr zu bekommen sind, wird sich die Union schon nach rechts öffnen. Im Grunde wollen Schröder und ihre konservativen Mitstreiter nämlich gar nichts anderes, als die Leute auf die neue Zeit vorzubereiten. Auf einen „antiautoriäten Konsens“ wird die Union, wenn es richtig eng werden sollte, nämlich keinen Wert mehr legen. Soviel Opportunismus trauen wir ihr schon noch zu.
Und es wird ihr vermutlich auch nicht viel anderes übrig bleiben. Die SPD steht jedenfalls wegen ihrer Misere nicht mehr zur Verfügung. Die Talfahrt ist längst nicht beendet. Das Führungspersonal bietet für andere Annahmen keinen Spielraum.
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