Reden wir oder reden wir nicht?

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Es ist ein­leuch­tend, was Sascha Lobo in sei­ner aktu­el­len Spie­gel – Kolum­ne schreibt:

Im Gegen­teil ist es schwie­rig gewor­den, auch nur ent­fernt poli­tisch ver­steh­ba­re Äuße­run­gen zu tref­fen, ohne teil­wei­se hef­ti­gen Wider­spruch zu ern­ten. Es erscheint schwer glaub­haft, dass rie­si­ge Men­schen­men­gen das Jahr 2018 in einer zu har­mo­ni­schen Social-Media-Umge­bung ver­bracht haben sollen. 


Sascha Lobo: Das Arsch­loch­pro­blem der sozia­len Medi­en – Kolum­ne – SPIEGEL ONLINE

Einer­seits sor­gen sich vie­le dar­um, dass die Demo­kra­tie durch die sozia­len Netz­wer­ken – - ent­ge­gen ursprüng­li­chen Vor­stel­lun­gen – nicht gestärkt, son­dern kaputt­ge­macht wird. Das soll unter ande­rem mit­hil­fe so genann­ter Bots und Fil­ter­bla­sen von­stat­ten­ge­hen. Und wer weiß, was da noch alles kommt? Dass Goog­le+ bald ver­schwin­den wird, ist ein schwa­cher Trost! Es wird neue Medi­en geben, die nicht zwangs­läu­fig die Pri­vat­sphä­re und die Rech­te der Nut­zer bes­ser schüt­zen werden.

Bots und Filterblase

Dabei ist es doch hin­sicht­lich des tech­ni­schen Scha­ber­nacks genau­so wie Lobo schreibt. Wer sich poli­tisch äußert, macht schnell die Erfah­rung, dass er/​sie sich eben nicht behag­lich in sei­ner Fil­ter­bla­se ein­ge­rich­tet hat, son­dern dass die­se durch­aus (und zum Glück!) Men­schen ent­hält, die mit der eige­nen Sicht auf die Din­ge nicht ein­ver­stan­den sind. Ist das nicht gut so? Und ja, Streit gibt es genug – trotz und wegen Bots und Fil­ter­bla­sen. Die Zor­ni­gen und Streit­be­rei­ten ster­ben nicht aus! Sonst wäre es doch auch total lang­wei­lig. Es muss ja nicht dazu kom­men, dass man – wie ich – die Ein­la­dung zu einer auf Inter­net­kri­mi­na­li­tät spe­zia­li­sier­ten Poli­zei­sta­ti­on erhält und man den Besuch nur mit eini­ger Über­zeu­gungs­ar­beit abwen­den kann. Es hat­te jemand einen ande­ren beschul­digt, beschimpft und belei­digt. Ich soll­te bei der Ermitt­lung der Iden­ti­tät des „Täters“ bei­tra­gen. Ich konn­te glaub­haft machen, dass ich die­se Per­son gar nicht kann­te. Der Aus­flug nach Köln blieb mir des­halb erspart.

Bot- und Fil­ter­bla­sen­jä­ger sind doch eigent­lich sehr für­sorg­li­che Zeit­ge­nos­sen. Sie möch­ten uns davor beschüt­zen (eigent­lich vor uns selbst!?), irgend­wel­chen Rat­ten­fän­gern (vor­zugs­wei­se von rechts) in die Arme zu lau­fen. Als ob wir sol­che Auf­pas­ser brauchten!

Aber Poli­ti­ker, vie­le dar­un­ter sind Anwäl­te, glau­ben, dass wir selbst nicht in der Lage dazu sind, uns unser eige­nes Bild zu machen. Man braucht juris­ti­schen Sach­ver­stand, glau­ben die ver­mut­lich. In die­ser nach mei­ner Emp­fin­dung so kom­pli­ziert gewor­de­nen Welt sind wir unbe­darf­ten Leser im Inter­net etli­chen Gefah­ren schutz­los aus­ge­lie­fert. Auch Abmah­nun­gen, die von irgend­wel­chen Anwalts­kanz­lei­en immer noch als erkleck­li­ches Zubrot betrach­tet wer­den dür­fen. Übri­gens auch des­halb, weil der Gesetz­ge­ber sei­nen Job nicht rich­tig macht!

Selbstbestimmung + freie Meinungsäußerung

Ich will nicht bestrei­ten, dass es die­se hilfs­be­dürf­ti­ge Kli­en­tel tat­säch­lich gibt. 

Aber füh­len wir uns eigent­lich per­sön­lich ange­spro­chen, wenn sol­che Sze­na­ri­en gezeich­net wer­den? Vor allem stellt sich die Fra­ge danach, ob wir jemals den Wunsch hat­ten, von Poli­ti­kern und Geset­zen bevor­mun­det, sprich beschützt, zu wer­den? Die Leu­te, die mit den sozia­len Netz­wer­ken nichts oder wenig am Hut haben oder die sich ihnen sogar, aus guten und nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den, aus­drück­lich ver­sa­gen, wer­den hef­tig nicken. Vie­le der akti­ven Nut­zer von Social Media blei­ben da ver­mut­lich kopf­schüt­telnd zurück.

Wir soll­ten nicht auf­ge­ben dar­an zu glau­ben, dass sich die Din­ge bes­sern kön­nen. Schließ­lich ist die Lern­kur­ve so gewal­tig (#Neu­land), dass ein wenig Geduld (mit uns selbst) schon Sinn macht.

Ande­rer­seits gibt es eine gro­ße Anzahl von ech­ten und ein­ge­bil­de­ten Netz – Kapa­zi­tä­ten, die uns not­falls täg­lich die­se neue Welt erklä­ren könn­ten. Ich bin eif­ri­ger Schü­ler sol­cher Leu­te. Ich ver­ge­be mir nichts dabei. Auch nicht, wenn ich schon mal etwas Fal­sches lerne.

Einer Fil­ter­bla­se habe ich mich nie, jeden­falls nicht bewusst, aus­ge­setzt. Ich ach­te auf mei­ne Freun­des­lis­te – sie atmet. Die geheim­nis­vol­len Algo­rith­men sind auch nur so mäch­tig wie wir es durch unser Ver­hal­ten zulas­sen. Mir sind die Freunde/​innen aus mei­ner Freun­des­lis­te zwar durch­aus sym­pa­thi­scher als anony­me Quäl­geis­ter. Aber ich lese ganz bewusst jeden Tag auch Arti­kel und Kom­men­ta­re, die mir ganz schön auf den Nerv gehen.

Guter Beitrag des Präsidenten

Die Weih­nachts­an­spra­che des Bun­des­prä­si­den­ten fand ich gut. Nicht über­wäl­ti­gend aber gut. Gab es je eine, die anspre­chend gewe­sen wäre? Ich erin­ne­re mich nicht. Doch an eine. Das war aber kei­ne Weih­nachts­an­spra­che. Es war die Rede von Richard von Weiz­äcker, die er 1985 zur 40jährigen Been­di­gung des 2. Welt­krie­ges gehal­ten hat. Sie hat blei­ben­den Ein­druck bei mir hinterlassen. 

Wir sind aber auch so ver­dammt ver­wöhnt! Wir glau­ben, dass jeder Preis­trä­ger eines Poet­ry Con­tests es bes­ser drauf hat, als so ein lang­wei­li­ger Wür­den­trä­ger. Und es ist auch was dran, wenn man­che sagen, dass inzwi­schen eben ja doch alles schon mal gesagt wor­den wäre. 

Kein Wun­der also, wenn sich in sozia­len Medi­en Leu­te auch über die Fra­ge in die Wol­le bekom­men, ob Stein­mei­er denn nun Recht hat­te, wenn er in sei­ner Weih­nachts­re­de anreg­te, dass wir wie­der mehr mit­ein­an­der ins Gespräch kom­men soll­ten. Die Ant­wort war häu­fig ausweichend. 

Er, Stein­mei­er, sei der schlech­tes­te Bun­des­prä­si­dent ever, noch schlech­ter als Gauck. Und das wäre ja fast kaum vor­stell­bar gewe­sen. Die­ser „Geist“ ist Trumpf bei vie­len, die sich in den sozia­len Medi­en tum­meln. Auch wenn etwas Rich­ti­ges gesagt wird, ist es sogleich ent­wer­tet. Und zwar nur, weil „der Fal­sche“ es gesagt hat. Ich fin­de es arm­se­lig, obwohl mir ähn­li­che Gefüh­le nicht gänz­lich unbe­kannt sind. Sagen Trump, Gau­land oder Orban wirk­lich immer das Fal­sche? Bin ich über­haupt noch dazu bereit, eine ande­re Mei­nung anzu­hö­ren und noch viel weni­ger die­se auch zu bedenken?

Das führt alles zu nichts. Außer zu Unfrie­den und Streit. 

Weil ja die Zeit der guten Vor­sät­ze ist, wäre es doch nicht schlecht, wenn klei­ne Ein­sichts­fort­schrit­te bis über Sil­ves­ter ins neue Jahr hin­ein, geret­tet wer­den könnten.

Ich wün­sche Ihnen jeden­falls alles Lie­be zum Jah­res­wech­sel. Kom­men Sie gut ins neue Jahr. Wir lesen uns.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Reden Steinmeier

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4 Gedanken zu „Reden wir oder reden wir nicht?“

  1. „Die­ser „Geist“ ist Trumpf bei vie­len, die sich in den sozia­len Medi­en tum­meln. Auch wenn etwas Rich­ti­ges gesagt wird, ist es sogleich ent­wer­tet. Und zwar nur, weil „der Fal­sche“ es gesagt hat. “

    Das hab ich get­weetet, weil so wahr! Wenn nun Leu­te kom­men, die auch wei­ter lesen, kom­men Trump et al als Bei­spie­le – und ich wet­te mal, damit bist du wie­der­um bei eini­gen „abge­hakt“. Das ist die­ses idio­ti­sche Schwarz-Weiß-Den­ken, das sich so unsäg­lich breit gemacht hat – ich den­ke auch wegen all­zu hoher Kom­ple­xi­tät und „Info-Over­flow“, was bei vie­len dazu führt, es sich halt „im Kopf ein­fach zu machen“.

    Dabei ist ja schon beein­dru­ckend, wie Trump so man­che alte lin­ke For­de­rung erfüllt – dann ists aber auch wie­der nicht recht! Sie­he TTIP, sie­he Abzug aus Syri­en, sie­he „USA kann/​will nicht mehr Welt­po­li­zist sein“. Hat man all das etwa nur gefor­dert, weil sowie­so sicher schien, dass es „nicht durch­setz­bar“ gewe­sen wäre?

  2. ClaudiaBerlin 131 29. Dezember 2018 um 15:56

    Die Welt­ge­schich­te bie­tet immer Über­ra­schun­gen – ich war ja per­plex, dass die Kur­den nun Assad gegen Erdo­gan zu Hil­fe geru­fen haben, und die syri­sche Armee jetzt dort Stel­lung bezo­gen hat. Schon irre – aber bes­ser als wenn die Tür­kei ein­mar­schie­ren wür­de, den­ke ich mir,

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