Politiker können reden. Und sonst so?

HS230625

Horst Schulte

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Wenn ich mich krank füh­le, geh ich zum Arzt. Viel­leicht nut­ze ich die Mög­lich­keit, mir danach eine zwei­te Mei­nung ein­zu­ho­len. In der Regel reicht mir die Dia­gno­se mei­nes Haus­arz­tes. Ich ver­las­se mich dar­auf, dass er mich an einen Spe­zia­lis­ten über­weist, falls er es für erfor­der­lich hält. Ihr wisst schon: Ver­trau­ens­ver­hält­nis und so. Wie­so ver­dammt, kommt dann stünd­lich, gefühl­te vier­und­zwan­zig­mal am Tag, die Mei­nung eines neu­en Exper­ten in den Medi­en vor? Immer zum glei­chen The­ma: Corona.

Überforderung allenthalben

Dass Wis­sen­schaft­ler ihren per­ma­nen­ten Erkennt­nis­ge­winn ver­ar­bei­ten, viel­leicht auch mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren müs­sen, habe ich ja noch ver­stan­den. Aber ist es nötig, drei­und­acht­zig Mil­lio­nen Men­schen in die­sen Pro­zess mit ein­zu­be­zie­hen? War­um bekom­men die Medi­en es nicht hin, sich auf einen ein­zi­gen Wis­sen­schaft­ler zu ver­stän­di­gen, der uns neue Erkennt­nis­se zum The­ma mög­lichst ver­ständ­lich vor­trägt? Jetzt wäre die Chan­ce da. Schließ­lich gibt es den neu­en Gesund­heits­mi­nis­ter, der als Wis­sen­schaft­ler voll im The­ma ist. „Also“… wenn ich es mir rich­tig über­le­ge: viel­leicht soll­te der Pres­se­spre­cher von Lau­ter­bach die Kom­mu­ni­ka­ti­on über­neh­men? Das könn­te aller­dings poli­tisch pro­ble­ma­tisch wer­den, weil der näm­lich noch von Spahn ein­ge­stellt wur­de. Nicht, dass der die Inven­tur­er­geb­nis­se anzweifelt…

Wir leben jetzt fast zwei Jah­re mit die­ser Pan­de­mie. Die Som­mer­zeit gab uns Hoff­nung, dass alles wie­der wie frü­her wer­den könn­te. Jetzt füh­len sich vie­le von uns in einer Art von Dau­er­me­lan­cho­lie gefan­gen. Ich mag mir nicht aus­ma­len, wie es sein muss, in sol­chen Zei­ten als alter Mensch allein in der Woh­nung oder im Alten­heim zu hocken und kaum noch etwas mit­zu­be­kom­men. Ich hal­te es für mög­lich, dass sich in man­cher­lei Hin­sicht die­je­ni­gen leich­ter tun, die im Pan­de­mie­ver­lauf irgend­wann damit begon­nen haben, die wider­sprüch­li­chen Aus­sa­gen von Medi­en, Exper­ten und Poli­ti­kern zu ignorieren. 

Bundestagsdebatte

Ich hin­ge­gen habe mir heu­te einen Teil der Bun­des­tags­de­bat­te ange­hört. Natür­lich war ich dar­auf vor­be­rei­tet, dass die Hir­n­is der AfD gewal­tig für (Miss-)Stimmung sor­gen wer­den. Mei­ne Erwar­tun­gen wur­den nicht ent­täuscht. Ste­fan Brand­ner, AfD, fand die Debat­te um die Sitz­ver­tei­lung im Bun­des­tag kin­disch. Irgend­wie ist sie das auch. Aller­dings pass­ten sei­ne „Argu­men­te“ auch in die­ses Bild. Er warf, ohne ihren Namen zu nen­nen, der FDP-Ver­tei­di­gungs­exper­tin, Agnes Strack-Zim­mer­mann vor, dass sich einer sei­ner AfD-Freun­de von ihr sexu­ell beläs­tigt gefühlt hät­te. Vor­her hat­ten FDP-Leu­te erzählt, was sie sich alles an Beschimp­fun­gen und ras­sis­ti­schen Tira­den von AfD-Leu­ten hät­ten anhö­ren müssen. 

Nee, neben sol­chen Men­schen will man nicht sit­zen. Soll­ten wir nicht das Ple­num ein wenig umge­stal­ten? Da wer­den auf­grund der höhe­ren Per­so­nen­zahl nach den Wah­len ja bestimmt Dezi­bel­wer­te erreicht, die dem Ner­ven­kos­tüm der Abge­ord­ne­ten nicht gera­de för­der­lich sein dürf­ten. Viel­leicht soll­te man über­le­gen, in Schich­ten zu arbei­ten oder die phy­si­sche Anwe­sen­heit neu zu orga­ni­sie­ren? Es gibt doch so viel­fäl­ti­ge Erfah­run­gen mit Home­of­fice-Lösun­gen. Man könn­te über neue Prä­senz­lö­sun­gen nach­den­ken. Was den Schü­le­rin­nen und Schü­lern zuge­mu­tet wird, müss­ten Abge­ord­ne­te ja eben­falls können. 

Wir haben nun einen Kri­sen­stab für Coro­na. Dar­auf sind Scholz und Lau­ter­bach glei­cher­ma­ßen stolz. Ich habe regis­triert, dass Prof. Stre­eck jetzt mit Prof. Dros­ten Hand in Hand arbei­tet. Unter Füh­rung eines Gene­rals der Bun­des­wehr. Das muss schon aus Sicher­heits­grün­den sein. Es hat den Anschein, als hät­te die Inven­tur des Karl Lau­ter­bach nicht für Klar­heit gesorgt. Er blieb bei der Pres­se­kon­fe­renz dabei, dass wir zu wenig Impf­stoff für die kom­men­den Mona­te haben. Sei­nen Erläu­te­run­gen moch­te ich ab einem bestimm­ten Zeit­punkt nicht mehr fol­gen. Bes­ser gesagt, ich konn­te es nicht mehr! Ich fürch­te, das The­ma wird für Lau­ter­bach noch zum ech­ten Desas­ter. Aber weni­ger wegen des angeb­lich feh­len­den Impf­stoffs, son­dern eher, weil die CDU sich die­ses Kol­le­gen­bas­hing ver­bit­ten wird. Die Revan­che wird furcht­bar wer­den. Da kennt die Uni­on kein Pardon. 

Haste was, biste was

Ach, wäre es schön, wenn wir noch mal nor­ma­le Zei­ten hät­ten. Die AfD wäre nicht im Bun­des­tag. Die AfD-Funk­tio­nä­re und ihre Jün­ger schwa­dro­nie­ren gern dar­über, dass in ande­ren Par­tei­en Men­schen arbei­ten, die nicht über Schul- und Bil­dungs­ab­schlüs­se ver­fü­gen. Wahr­schein­lich stimmt es, dass die AfD im Ver­gleich mehr Leu­te mit hohen Bil­dungs­ab­schlüs­sen in ihren Rei­hen hat, im Ver­hält­nis zu ande­ren Par­tei­en. Ich habe mir anhand der Bun­des­tags­da­ten­bank die Arbeit gemacht, dies zu ver­glei­chen. Das Ergeb­nis war, dass es in allen Par­tei­en Men­schen mit ganz ver­schie­de­nen Abschlüs­sen gibt. Die Schul- und Bil­dungs­ab­schlüs­se sind in Sum­me ver­gleich­bar, und zwar unter Ein­schluss der AfD. Ich habe mir die Vita eines der aus mei­ner Sicht schärfs­ten Red­ner der AfD bei Wiki­pe­dia ange­se­hen. Der Mann hat eine exqui­si­te Aus­bil­dung genos­sen. Er besitzt den Dok­tor­ti­tel und hat habi­li­tiert. Er ver­fügt über eine gedie­ge­ne musi­sche Aus­bil­dung und trotz­dem erin­nern sei­ne Reden mich an übels­te Nazi­pro­pa­gan­da. Der Mann ist aus mei­ner kri­ti­schen Per­spek­ti­ve ein intel­li­gen­ter Mensch mit beein­dru­cken­den rhe­to­ri­schen Fähigkeiten. 

Generalsekretäre mit Ambitionen und Hingabe

Wenn poli­ti­sche Geg­ner die Qua­li­fi­ka­ti­on von Politiker:innen der einen oder ande­ren her­aus­stel­len, geschieht das häu­fig nicht in posi­ti­ver Absicht. Wir erle­ben das lei­der immer wie­der. Ich weiß, dass Kevin Küh­nert, der neue SPD-Gene­ral­se­kre­tär, begon­ne­ne Stu­di­en nicht abge­schlos­sen hat. Er ist schon sehr früh poli­tisch aktiv gewe­sen, so dass ich mir vor­stel­len könn­te, dass ihm die Belas­tung zu hoch war. Es soll ja Men­schen geben, die sich voll in ein Enga­ge­ment (Sport, Ehren­amt oder eben Poli­tik) rein­hän­gen und es rein zeit­lich nicht mach­bar schien, dazu auch noch ein Stu­di­um abzu­schlie­ßen. Die Fra­ge, die sich stellt, ist am Ende doch die, wel­che Wir­kung jemand an dem Platz, an dem er tätig ist, ent­fal­ten und wie man die Arbeit danach bewer­ten kann. Viel­leicht ist es kein Zufall, dass es bei lin­ken Par­tei­en mehr Stu­di­en­ab­bre­cher gibt als bei den rech­ten Par­tei­en. Es fal­len einem gleich eini­ge popu­lä­re Namen ein, die mit die­sen Vor­be­hal­ten umzu­ge­hen gelernt haben müssen. 

Ich glau­be, wer kon­ser­va­tiv geprägt ist, wird sich nicht auf Expe­ri­men­te ein­las­sen, die sei­ne beruf­li­che Zukunft gefähr­den. Gegen mei­ne The­se spricht aller­dings die bis­he­ri­ge Vita von Paul Zie­mi­ak. Der CDU Gene­ral­se­kre­tär hat Rechts­wis­sen­schaf­ten stu­diert, aber sein Stu­di­um eben­falls nicht abge­schlos­sen. Danach hat­te er es mit Unter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on pro­biert und auch die­ses Stu­di­um ohne Abschluss abgebrochen.

Heu­te habe ich bei den „Erst­re­den“ der neu­en Abge­ord­ne­ten im Bun­des­tag beson­ders hin­ge­hört. Ich fand es manch­mal fast ein wenig rüh­rend, mit wel­chem Idea­lis­mus und Begeis­te­rung die Reden gehal­ten wur­den. Ein Bei­spiel dafür habe ich euch mal herausgepickt. 

Man muss ihrem Vor­trag nicht zustim­men, um sich an die­sem Enthu­si­as­mus zu erwär­men. Hof­fent­lich kann sie das mög­lichst lan­ge beibehalten. 

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

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4 Gedanken zu „Politiker können reden. Und sonst so?“

  1. Juri Nello 470 18. Dezember 2021 um 21:08

    Mehr pas­siert auch nicht. Erstaun­lich, dass sie sich bei den Lin­ken bedankt. Einem Olaf Scholz wür­de das nie­mals passieren.
    Ah, es geht um den Para­dig­men­wech­sel. Geän­dert hat sich bei Hart­zIV nichts, außer dem Namen und das es kei­ne Infla­ti­ons­an­pas­sung geben wird.
    Was die Klei­ne sonst vor­bringt ist lei­der nichts als hei­ße Luft. Hät­te die SPD Lust drauf, die sozia­le Fra­ge zu klä­ren, hät­te sie dazu seit 20 Jah­ren Gele­gen­heit dazu gehabt. Das will sie aber gar nicht, wie auch kei­ne ande­re deut­sche Par­tei. Es ist viel „effi­zi­en­ter“ Arme ein­fach zu ver­wal­ten, als Per­spek­ti­ven zu schaffen.
    Ich gebe der noch 2 Jah­re bis sie mit den ört­li­chen Ener­gie­kon­zer­nen zusam­men speist und nur noch mit Scham an das Video denkt.

  2. Juri Nello 470 19. Dezember 2021 um 12:19

    Das muss nicht zwin­gend immer was mit Kor­rup­ti­on zu tun haben. An der Basis wer­den sich vie­le noch red­lich mühen, aller­dings sind hier die flie­ßen­den Sum­men auch nicht son­der­lich hoch. Ab gewis­sen Posi­tio­nen, wo man dann neben­bei im Vor­stand und Auf­sichts­rat meh­re­rer Fir­men und Pro­jek­te dabei ist, sieht das schon ganz anders aus. Spä­tes­tens dort sind die Kipp­punk­te des Sys­tems überschritten.

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