Wie viel Verständnis ist richtig? Wo liegen die Grenzen?

stroke="currentColor" stroke-width="1.5" stroke-linejoin="round" stroke-linecap="round" /> 6 Kommentare

Warum soll ich mich über die­se Leute auf­re­gen, hab ich mir ein­zu­re­den ver­sucht. Nur, weil sie poli­tisch anders ticken als ich? Wenn auch die Abweichung der Ansichten 180° beträgt und selbst dann, wenn mir man­ches von dem, was die­se Leute von sich geben, bei­na­he kör­per­li­che Schmerzen berei­ten, Demokraten müs­sen schon was aushalten. 

Die meis­ten von uns wol­len nicht gegen heh­re demo­kra­ti­sche Regeln ver­sto­ßen. Wenn Rosa Luxemburg und ande­re frei­heits­lie­ben­de Menschen zum Beispiel die Gedanken von der Freiheit Andersdenkender ent­wi­ckelt und auch selbst prak­ti­ziert haben, dür­fen wir uns ruhig dar­auf besin­nen und eben jene Toleranz zei­gen, die bei man­chen aus der Mode gekom­men zu sein schei­nen. Das fällt in den Zeiten der „sozia­len Medien” viel­leicht noch schwe­rer als im wirk­li­chen Leben.

Ignorierte Lebensleistung

Es scheint nicht fair zu sein, die Lebenserfahrungen und Sorgen von Menschen zu igno­rie­ren, in deren Leben man selbst kei­nen Einblick hat. Menschen füh­len sich ver­nach­läs­sigt, unbe­ach­tet oder nicht ernst genom­men. Solche Gefühle kennt man nicht nur in Ost-​Deutschland. Sie exis­tie­ren genau­so auch im Westen. Dass die AfD 1/​4 aller Wählerstimmen abgrei­fen konn­te, hat mit die­sen Dingen wohl auch aber nicht nur zu tun. Wenn 3/​4 der Ost-​Deutschen demo­kra­ti­sche Parteien wäh­len, soll­te nie­mand davon spre­chen, dass die Demokratie im Osten noch nicht ange­kom­men sei. 

Frust und Nöte überhört

Die Wahlerfolge in Brandenburg und Sachsen beflü­geln die AfD. Sie waren erwar­tet wor­den und zum Glück wur­de die Partei nicht stärks­te poli­ti­sche Kraft. Andererseits wäre dies viel­leicht nur das vor­weg­ge­nom­men wor­den, was uns in der Zukunft noch bevor­ste­hen könn­te. Schließlich wird die Regierungsbildung durch den im Vorfeld der Wahl vor­ge­nom­me­nen Ausschluss mög­li­cher Koalitionen nicht ein­fach. In Sachsen wer­den die Grünen sich schwer­tun mit ihrer Forderung nach einem frü­he­ren Kohleausstieg, um nur ein Thema zu nen­nen, das nicht leicht zu lösen sein dürf­te. Die Arbeit bei­der neu­en Koalitionen, bestehend aus nun­mehr drei Parteien. 

Die Arbeit der Regierung wird sich in Brandenburg und Sachsen schwie­ri­ger gestal­ten, die Opposition wird ihren Beitrag leis­ten. Die AfD wird wei­ter blo­ckie­ren und stö­ren, ein kon­struk­ti­ves Arbeiten wird das ohne­hin Schwierige noch schwie­ri­ger gestal­ten. So ist kei­nes­falls aus­ge­macht, ob in fünf Jahren in den Augen der BürgerInnen eine posi­ti­ve Bilanz erzielt wor­den ist. Mit ande­ren Worten: Das weni­ge Positive, das es nach dem Wahlabend zu berich­ten gibt, ist, dass die AfD nicht stärks­te Kraft wur­de. Die Arbeit in bei­den Ländern wird durch die destruk­ti­ve Politik, die die AfD betreibt, noch schwie­ri­ger wer­den und ob sich unter die­sen Voraussetzungen eine höhe­re Zufriedenheit der Leute ein­stel­len wird, die etwas ver­än­dert sehen wol­len, ist mehr als fraglich. 

Demokratie? Wozu?

Es ist leicht, sich vor­zu­stel­len, dass die Jagd auf die ande­ren Parteien („Wir wer­den sie jagen”), von der Gauland schon seit 2017 faselt, nun noch inten­si­ver wird. Konstruktiver, soviel steht fest, wird die AfD auch mit noch mehr Stimmen nicht wer­den. Dazu hat die AfD zwar das Personal aber nicht den Willen. Das Programm dafür fehlt außer­dem in wei­ten Teilen. Ich mei­ne nicht nur das noch immer feh­len­de Rentenkonzept. 

So rich­tig kon­struk­tiv wird die AfD erst nach der Machtergreifung. Hoffentlich sind sich die WählerInnen der Partei bewusst, was das kon­kret bedeu­tet. Ich fürch­te, vie­le der­je­ni­gen, die die AfD wähl­ten, mei­nen es gar nicht gut mit der Demokratie. Allerdings wer­den sie kaum eine Vorstellung davon haben, was die Aufgabe der Demokratie auch für sie per­sön­lich bedeu­ten wür­de. Mit einem Gewinn an Lebensqualität oder höhe­rer Anerkennung irgend­wel­cher Lebensleistungen wird das gewiss nicht ein­her­ge­hen, dafür ver­mut­lich jedoch mit der Aufgabe der per­sön­li­chen Freiheit, an die sich man­cher nach drei­ßig Jahren ja viel­leicht trotz allem gewöhnt haben könnte.

Lösungen finden

Ich habe Demokratie gelernt, ler­ne sie noch heu­te und wünsch­te manch­mal, das könn­te man von allen WählerInnen behaup­ten. Die, die ich mei­ne, sind ein paar Jahrzehnte im Hintertreffen. Das sagen sie zum Teil von sich selbst. Oder jeden­falls erklä­ren man­che Wissenschaftler das merk­wür­di­ge Verständnis von Demokratie damit. Eine säch­si­sche Ministerin wagt so etwas unmit­tel­bar vor den Wahlen zu sagen. Wenn das die SPD mal nicht ein, zwei Prozente gekos­tet hat.

Es hält sich hart­nä­ckig das Gerücht, dass die Ost-​Deutschen unzu­frie­den sind mit dem, was sich aus den von Kohl so blu­mig beschrie­be­nen Perspektiven im Alltag erge­ben hat. Ich fin­de ja: jedes Traumpaar erlebt im Alltag Ernüchterung, die nichts zwangs­läu­fig zur Scheidung füh­ren muss. 

Mich hat von allen Punkten, die die poli­tisch Verantwortlichen erwischt haben, nicht jeder über­zeugt. Wer die Demokratie durch irgend­was ganz und gar Unbestimmtes erset­zen will, stößt auf unnach­gie­bi­gen deut­li­chen Widerstand. Ganz bestimmt ste­he ich mit die­ser Meinung in einer mäch­ti­gen, geschlos­se­nen Phalanx, die natür­lich auch Ost-​Deutschland einschließt.

Rassismus

Wenn nur noch zwei Busse am Tag fah­ren, die jun­gen Leute weg­zie­hen, es im Dorf kei­ne Bäcker und kei­ne Metzger mehr gibt, ist das so schlimm, dass man als WählerIn dort die Partei wählt, die die Demografie als eines der schlimms­ten Nachkriegsverbrechen betrach­tet, das die Systemparteien dem Land auf­ge­bür­det haben. Solche kru­sen Thesen ver­tritt die Führung die­ser Partei. Unsäglich!

Warum sind die Reaktionen so vie­ler Leute (Politik, Medien, sozia­le Netzwerke) auf die Wahlergebnisse krass? Die AfD hat doch bloß unge­fähr 1/​4 der Stimmen erhal­ten. Nur jede/​r vier­te Wähler/​in hat der Partei ihre Stimme gege­ben. Außerdem gab es schließ­lich gute Gründe dafür, Rassismus und Disruption (schö­nes neu­es Alltagswort!) allen demo­kra­ti­schen Kräften vor­zu­zie­hen und der AfD die Stimme zu geben. 

Einer die­ser bei­den groß­ar­ti­gen und nach vor­ges­tern so beflü­gel­ten Co-​Vorsitzenden hat­te in sei­ner gro­ßen Weitsicht lan­ge bevor es über­haupt einen Grund gab, mora­li­sche Verfehlungen eines Mitgliedes unse­rer Nationalmannschaft für mög­lich gehal­ten und fasel­te etwas von der Nachbarschaft mit dem Fußballer, die in Deutschland kei­ner ein­ge­hen wol­le. Nach den heu­ti­gen Meldungen, besan­nen sich eini­ge Denkfreunde des Co-​Vorsitzenden die­ser erns­ten Worte und geben zu Bedenken, das Deutschland sich sol­che Nachbarn nicht leis­ten kön­ne. Verurteilen steht häu­fig am Anfang eines Prozesses und nicht an sei­nem Ende. Immerhin schaf­fen die Rassisten mit ihren „Einlassungen” so Klarheit.

Ethnisch-​homogen

Der Wahlsieg hat sie sicher beflü­gelt, die Freunde einer ethnisch-​homogenen Bevölkerung, von der Gauland im bran­den­bur­gi­schen Wahlkampf gere­det hat. Da ste­hen man­che Nachbarn nicht auf der Rechnung, mögen sie noch so Deutsch sein. In ihrer Denke wer­den sie nie Deutsche. 

Zukunftsperspektiven die­ser Art sind uner­freu­lich. Warum haben das 1/​4 der WählerInnen in Ostdeutschland dafür kei­ne Antenne, son­dern reagie­ren mit ihrem Kreuz nichts wei­ter als Frust ab? Unverantwortlich, unde­mo­kra­tisch und see­len­los ist es auch. Jedenfalls ist das mein Urteil über die Auswirkungen die­ses Handelns.

Da mögen die Probleme, die vor sich gera­de vor uns auf­tür­men (übri­gens Ost wie West), noch so groß, noch so bedeu­tend sein und vie­len zum Überfluss wie ein Eisberg schei­nen, weil die Probleme zum größ­ten Teil im Verborgenen lie­gen. Für man­che mei­ner Gesinnungsfeinde ist die­se Art von Meinungsfreiheit übri­gens genau die­je­ni­ge, die man ihren Urhebern am liebs­ten in die Fresse stop­fen wür­de. Soviel noch zur Dialogbereitschaft man­cher AfD-Wähler.

Für mich sind sie arme klei­ne Würstchen, die sich ihren Ku-​Klux-​Klan-​Arier-​Fantasien ver­bun­den fühlen!

Dass die AfD-​Wähler nicht erkannt haben sol­len, was sie mit ihrer Entscheidung am Sonntag dem gan­zen Land antun, ist kaum vor­stell­bar. Hätten die­se Leute genau auf die Töne das Führungspersonal die­ser Partei gehört, die wie­der und wie­der ange­schla­gen wer­den, hät­ten sie sich eigent­lich anders ent­schei­den müs­sen. Aber sie woll­ten es anders. Dafür haben Sie Kritik ver­dient aber nicht mei­ne Toleranz.


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6 Gedanken zu „Wie viel Verständnis ist richtig? Wo liegen die Grenzen?“

  1. „Außerdem gab es schließ­lich gute Gründe dafür, Rassismus und Disruption (schö­nes neu­es Alltagswort!) allen demo­kra­ti­schen Kräften vor­zu­zie­hen und der AfD die Stimme zu geben.”

    Diesen Satz ver­ste­he ich nicht! Du meinst es wohl sar­kas­tisch, aber den­noch ent­spricht zumin­dest „Disruption” nicht dem, was vie­le AFD-​Wähler sich wün­schen. Die wol­len doch genau das Gegenteil: Dass alles so bleibt bzw. wie­der wird, wie es ein­mal war. 

    Kürzlich gele­sen, dass es den Rechten gelun­gen sei, die ursprüng­li­chen Adressaten der Kritik (die Konzerne, die Treuhand, böse Wessis…) aus­zu­tau­schen und das Ressentiment gegen Flüchtlinge und Migranten zu rich­ten. Übliche Sündenbockmethode und dass das funk­tio­niert, ist ein Elend!

    An der Blödheit der Menschen, die glau­ben, ohne Zuzügler wäre alles in Ordnung, könn­te ich ver­zwei­feln! Und vie­le, die sich Linke nen­nen, tun mit ihrer „Identitätspolitik” viel dafür, dass sich die­ses Ressentiment eher ver­stärkt als abschwächt.

  2. Ich bin in mei­ner Ansicht der Verhältnisse der­zeit noch sehr, sehr gespalten. 

    Ich per­sön­lich hal­te die Menschen hier im Osten nicht für dumm und den­ke, ent­schei­dend sind hier in Sachsen bei den Wählern nicht die Fakten, son­dern Emotionen. Und die­se für die Wahl nicht uner­heb­li­chen Gefühle haben m.E. nach ihrem Ursprung schon in der Zeit, die lan­ge vor der Wende liegt.

    Ich kann mich an einen Bericht erin­nern, in wel­chem Ostdeutsche erzähl­ten, wie sie sich als Deutsche 2. Klasse fühl­ten. Wenn in Urlaubsgebieten D‑Mark zah­len­de Gäste bevor­zugt behan­delt wur­den, wenn über Marktsystem und tris­te Städte in der DDR die Augenbrauen hoch­ge­zo­gen wur­den, wenn „Care-​Pakete“ zu Weihnachten aus dem rei­chen Westen zu den Bedürftigen kamen……

    Ich wür­de das Ganze unter den Begriff „Demütigung“ ein­ord­nen. Und ich selbst ken­ne Demütigungen inner­halb mei­ner Glaubensgemeinschaft. Und ich sage von mir, ist die­se Wunde ein­mal geschla­gen, hört sie nie wie­der auf zu blu­ten. Und lei­der, wenn auch schwä­cher wer­dend, geht die­ser Konflikt in die Folgegeneration ein.

    Und auch die AfD wird als Schmuddelpartei 2. Klasse dif­fa­miert, was zu einer Solidarisierung der „Ausgegrenzten“ führt, wo es noch eine offe­ne Rechnung zu beglei­chen gilt. Ich den­ke, die­se Taktik der Diffamierung der Volksparteien war der fal­sche Weg.

    Und da rich­tet sich mein Vorwurf an den poli­ti­schen Betrieb wie auch an die Volksparteien, die immense Gelder an Beraterfirmen raus­hau­en, um Sachverhalte zu ana­ly­sie­ren. Das müss­te doch für gut bezahl­te Profis mög­lich sein, den Ursachen hier näher auf den Grund zu gehen. Wobei ich nicht weiß, leis­ten die Beraterfirmen ein­fach nur schlech­te Arbeit oder sind die Verantwortlichen in den Parteien nur unfähig/​uneinsichtig/​Unwillens, die gelie­fer­ten Ergebnisse rich­tig umzusetzen. 

    Aber eins ist mir auch klar. Die Vergangenheitsaufklärung- und bewäl­ti­gung kön­nen nur die Ostdeutschen selbst leis­ten. Ein evtl. schmerz­haf­ter Prozess, den selbst, wenn wir es woll­ten, ihnen lei­der nicht abneh­men können.

  3. Hallo @Horst, mein Kommentar soll­te nicht dafür ste­hen, das alle AfD-​Wähler aus ver­gan­ge­ner Demütigung her­aus die­se Partei gewählt haben. Vielleicht betrifft es nur 5%, oder 10% oder was auch immer für %te der AfD-​Wähler. Das Leben ist bunt und vie­le Mosaiksteinchen erge­ben ein Bild. Ich woll­te ein klei­nes Steinchen zu dem Puzzel hinzufügen. 

    Das Freundschaften, von denen du erzählst, nicht an poli­ti­schen Grenzen schei­tern, das ist groß­ar­tig. Vielleicht liegt dar­in ein guter und zukünf­ti­ger Weg.

🧘 In der Ruhe liegt die Kraft.

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