Warum soll ich mich über diese Leute aufregen, hab ich mir einzureden versucht. Nur, weil sie politisch anders ticken als ich? Wenn auch die Abweichung der Ansichten 180° beträgt und selbst dann, wenn mir manches von dem, was diese Leute von sich geben, beinahe körperliche Schmerzen bereiten, Demokraten müssen schon was aushalten.
Die meisten von uns wollen nicht gegen hehre demokratische Regeln verstoßen. Wenn Rosa Luxemburg und andere freiheitsliebende Menschen zum Beispiel die Gedanken von der Freiheit Andersdenkender entwickelt und auch selbst praktiziert haben, dürfen wir uns ruhig darauf besinnen und eben jene Toleranz zeigen, die bei manchen aus der Mode gekommen zu sein scheinen. Das fällt in den Zeiten der „sozialen Medien“ vielleicht noch schwerer als im wirklichen Leben.
Ignorierte Lebensleistung
Es scheint nicht fair zu sein, die Lebenserfahrungen und Sorgen von Menschen zu ignorieren, in deren Leben man selbst keinen Einblick hat. Menschen fühlen sich vernachlässigt, unbeachtet oder nicht ernst genommen. Solche Gefühle kennt man nicht nur in Ost-Deutschland. Sie existieren genauso auch im Westen. Dass die AfD 1/4 aller Wählerstimmen abgreifen konnte, hat mit diesen Dingen wohl auch aber nicht nur zu tun. Wenn 3/4 der Ost-Deutschen demokratische Parteien wählen, sollte niemand davon sprechen, dass die Demokratie im Osten noch nicht angekommen sei.
Frust und Nöte überhört
Die Wahlerfolge in Brandenburg und Sachsen beflügeln die AfD. Sie waren erwartet worden und zum Glück wurde die Partei nicht stärkste politische Kraft. Andererseits wäre dies vielleicht nur das vorweggenommen worden, was uns in der Zukunft noch bevorstehen könnte. Schließlich wird die Regierungsbildung durch den im Vorfeld der Wahl vorgenommenen Ausschluss möglicher Koalitionen nicht einfach. In Sachsen werden die Grünen sich schwertun mit ihrer Forderung nach einem früheren Kohleausstieg, um nur ein Thema zu nennen, das nicht leicht zu lösen sein dürfte. Die Arbeit beider neuen Koalitionen, bestehend aus nunmehr drei Parteien.
Die Arbeit der Regierung wird sich in Brandenburg und Sachsen schwieriger gestalten, die Opposition wird ihren Beitrag leisten. Die AfD wird weiter blockieren und stören, ein konstruktives Arbeiten wird das ohnehin Schwierige noch schwieriger gestalten. So ist keinesfalls ausgemacht, ob in fünf Jahren in den Augen der BürgerInnen eine positive Bilanz erzielt worden ist. Mit anderen Worten: Das wenige Positive, das es nach dem Wahlabend zu berichten gibt, ist, dass die AfD nicht stärkste Kraft wurde. Die Arbeit in beiden Ländern wird durch die destruktive Politik, die die AfD betreibt, noch schwieriger werden und ob sich unter diesen Voraussetzungen eine höhere Zufriedenheit der Leute einstellen wird, die etwas verändert sehen wollen, ist mehr als fraglich.
Demokratie? Wozu?
Es ist leicht, sich vorzustellen, dass die Jagd auf die anderen Parteien („Wir werden sie jagen“), von der Gauland schon seit 2017 faselt, nun noch intensiver wird. Konstruktiver, soviel steht fest, wird die AfD auch mit noch mehr Stimmen nicht werden. Dazu hat die AfD zwar das Personal aber nicht den Willen. Das Programm dafür fehlt außerdem in weiten Teilen. Ich meine nicht nur das noch immer fehlende Rentenkonzept.
So richtig konstruktiv wird die AfD erst nach der Machtergreifung. Hoffentlich sind sich die WählerInnen der Partei bewusst, was das konkret bedeutet. Ich fürchte, viele derjenigen, die die AfD wählten, meinen es gar nicht gut mit der Demokratie. Allerdings werden sie kaum eine Vorstellung davon haben, was die Aufgabe der Demokratie auch für sie persönlich bedeuten würde. Mit einem Gewinn an Lebensqualität oder höherer Anerkennung irgendwelcher Lebensleistungen wird das gewiss nicht einhergehen, dafür vermutlich jedoch mit der Aufgabe der persönlichen Freiheit, an die sich mancher nach dreißig Jahren ja vielleicht trotz allem gewöhnt haben könnte.
Lösungen finden
Ich habe Demokratie gelernt, lerne sie noch heute und wünschte manchmal, das könnte man von allen WählerInnen behaupten. Die, die ich meine, sind ein paar Jahrzehnte im Hintertreffen. Das sagen sie zum Teil von sich selbst. Oder jedenfalls erklären manche Wissenschaftler das merkwürdige Verständnis von Demokratie damit. Eine sächsische Ministerin wagt so etwas unmittelbar vor den Wahlen zu sagen. Wenn das die SPD mal nicht ein, zwei Prozente gekostet hat.
Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die Ost-Deutschen unzufrieden sind mit dem, was sich aus den von Kohl so blumig beschriebenen Perspektiven im Alltag ergeben hat. Ich finde ja: jedes Traumpaar erlebt im Alltag Ernüchterung, die nichts zwangsläufig zur Scheidung führen muss.
Mich hat von allen Punkten, die die politisch Verantwortlichen erwischt haben, nicht jeder überzeugt. Wer die Demokratie durch irgendwas ganz und gar Unbestimmtes ersetzen will, stößt auf unnachgiebigen deutlichen Widerstand. Ganz bestimmt stehe ich mit dieser Meinung in einer mächtigen, geschlossenen Phalanx, die natürlich auch Ost-Deutschland einschließt.
Rassismus
Wenn nur noch zwei Busse am Tag fahren, die jungen Leute wegziehen, es im Dorf keine Bäcker und keine Metzger mehr gibt, ist das so schlimm, dass man als WählerIn dort die Partei wählt, die die Demografie als eines der schlimmsten Nachkriegsverbrechen betrachtet, das die Systemparteien dem Land aufgebürdet haben. Solche krusen Thesen vertritt die Führung dieser Partei. Unsäglich!
Warum sind die Reaktionen so vieler Leute (Politik, Medien, soziale Netzwerke) auf die Wahlergebnisse krass? Die AfD hat doch bloß ungefähr 1/4 der Stimmen erhalten. Nur jede/r vierte Wähler/in hat der Partei ihre Stimme gegeben. Außerdem gab es schließlich gute Gründe dafür, Rassismus und Disruption (schönes neues Alltagswort!) allen demokratischen Kräften vorzuziehen und der AfD die Stimme zu geben.
Einer dieser beiden großartigen und nach vorgestern so beflügelten Co-Vorsitzenden hatte in seiner großen Weitsicht lange bevor es überhaupt einen Grund gab, moralische Verfehlungen eines Mitgliedes unserer Nationalmannschaft für möglich gehalten und faselte etwas von der Nachbarschaft mit dem Fußballer, die in Deutschland keiner eingehen wolle. Nach den heutigen Meldungen, besannen sich einige Denkfreunde des Co-Vorsitzenden dieser ernsten Worte und geben zu Bedenken, das Deutschland sich solche Nachbarn nicht leisten könne. Verurteilen steht häufig am Anfang eines Prozesses und nicht an seinem Ende. Immerhin schaffen die Rassisten mit ihren „Einlassungen“ so Klarheit.
Ethnisch-homogen
Der Wahlsieg hat sie sicher beflügelt, die Freunde einer ethnisch-homogenen Bevölkerung, von der Gauland im brandenburgischen Wahlkampf geredet hat. Da stehen manche Nachbarn nicht auf der Rechnung, mögen sie noch so Deutsch sein. In ihrer Denke werden sie nie Deutsche.
Zukunftsperspektiven dieser Art sind unerfreulich. Warum haben das 1/4 der WählerInnen in Ostdeutschland dafür keine Antenne, sondern reagieren mit ihrem Kreuz nichts weiter als Frust ab? Unverantwortlich, undemokratisch und seelenlos ist es auch. Jedenfalls ist das mein Urteil über die Auswirkungen dieses Handelns.
Da mögen die Probleme, die vor sich gerade vor uns auftürmen (übrigens Ost wie West), noch so groß, noch so bedeutend sein und vielen zum Überfluss wie ein Eisberg scheinen, weil die Probleme zum größten Teil im Verborgenen liegen. Für manche meiner Gesinnungsfeinde ist diese Art von Meinungsfreiheit übrigens genau diejenige, die man ihren Urhebern am liebsten in die Fresse stopfen würde. Soviel noch zur Dialogbereitschaft mancher AfD-Wähler.
Für mich sind sie arme kleine Würstchen, die sich ihren Ku-Klux-Klan-Arier-Fantasien verbunden fühlen!
Dass die AfD-Wähler nicht erkannt haben sollen, was sie mit ihrer Entscheidung am Sonntag dem ganzen Land antun, ist kaum vorstellbar. Hätten diese Leute genau auf die Töne das Führungspersonal dieser Partei gehört, die wieder und wieder angeschlagen werden, hätten sie sich eigentlich anders entscheiden müssen. Aber sie wollten es anders. Dafür haben Sie Kritik verdient aber nicht meine Toleranz.
Diesen Satz verstehe ich nicht! Du meinst es wohl sarkastisch, aber dennoch entspricht zumindest „Disruption“ nicht dem, was viele AFD-Wähler sich wünschen. Die wollen doch genau das Gegenteil: Dass alles so bleibt bzw. wieder wird, wie es einmal war.
Kürzlich gelesen, dass es den Rechten gelungen sei, die ursprünglichen Adressaten der Kritik (die Konzerne, die Treuhand, böse Wessis…) auszutauschen und das Ressentiment gegen Flüchtlinge und Migranten zu richten. Übliche Sündenbockmethode und dass das funktioniert, ist ein Elend!
An der Blödheit der Menschen, die glauben, ohne Zuzügler wäre alles in Ordnung, könnte ich verzweifeln! Und viele, die sich Linke nennen, tun mit ihrer „Identitätspolitik“ viel dafür, dass sich dieses Ressentiment eher verstärkt als abschwächt.
Das war Sarkasmus. Und Disruption ist ebenso wie Rassismus natürlich nicht das, was AfD – Wähler sich wünschen. Aber es ist das, was aus Ihrer Haltung entstehen wird. Rassismus ist ohnehin Programm bei diesen Leuten und Disruption ist das, was sie in unserer Demokratie anrichten werden. Insofern ist die AfD eine Alternative zum verhassten Alt-Parteiensystem. Die Leute, die sie gewählt haben, wollen (wie einige der Führer der Partei) die Demokratie abschaffen. Sie reden drumherum. Aber darum geht es ihnen längst.
Es ist einigermaßen verstörend, dass die Mechanismen, wie Menschen auf solch eine Linie gebracht werden, immer noch gut funktioniert. Maß und Mitte gehen verloren. Die Reaktionen auf die Veränderungen zeigen den Verlust an demokratischen Prinzipien leider auch bei den anderen. Auch bei Linken.
Ich bin in meiner Ansicht der Verhältnisse derzeit noch sehr, sehr gespalten.
Ich persönlich halte die Menschen hier im Osten nicht für dumm und denke, entscheidend sind hier in Sachsen bei den Wählern nicht die Fakten, sondern Emotionen. Und diese für die Wahl nicht unerheblichen Gefühle haben m.E. nach ihrem Ursprung schon in der Zeit, die lange vor der Wende liegt.
Ich kann mich an einen Bericht erinnern, in welchem Ostdeutsche erzählten, wie sie sich als Deutsche 2. Klasse fühlten. Wenn in Urlaubsgebieten D-Mark zahlende Gäste bevorzugt behandelt wurden, wenn über Marktsystem und triste Städte in der DDR die Augenbrauen hochgezogen wurden, wenn „Care-Pakete“ zu Weihnachten aus dem reichen Westen zu den Bedürftigen kamen……
Ich würde das Ganze unter den Begriff „Demütigung“ einordnen. Und ich selbst kenne Demütigungen innerhalb meiner Glaubensgemeinschaft. Und ich sage von mir, ist diese Wunde einmal geschlagen, hört sie nie wieder auf zu bluten. Und leider, wenn auch schwächer werdend, geht dieser Konflikt in die Folgegeneration ein.
Und auch die AfD wird als Schmuddelpartei 2. Klasse diffamiert, was zu einer Solidarisierung der „Ausgegrenzten“ führt, wo es noch eine offene Rechnung zu begleichen gilt. Ich denke, diese Taktik der Diffamierung der Volksparteien war der falsche Weg.
Und da richtet sich mein Vorwurf an den politischen Betrieb wie auch an die Volksparteien, die immense Gelder an Beraterfirmen raushauen, um Sachverhalte zu analysieren. Das müsste doch für gut bezahlte Profis möglich sein, den Ursachen hier näher auf den Grund zu gehen. Wobei ich nicht weiß, leisten die Beraterfirmen einfach nur schlechte Arbeit oder sind die Verantwortlichen in den Parteien nur unfähig/uneinsichtig/Unwillens, die gelieferten Ergebnisse richtig umzusetzen.
Aber eins ist mir auch klar. Die Vergangenheitsaufklärung- und bewältigung können nur die Ostdeutschen selbst leisten. Ein evtl. schmerzhafter Prozess, den selbst, wenn wir es wollten, ihnen leider nicht abnehmen können.
Bevormundung würde nicht funktionieren. Und dass der Westen ggü. dem Osten arrogant auftritt, ist gar nicht zu bestreiten. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, dass die hohe Zustimmung für die AfD gewissermaßen in der Solidarisierung Gedemütigter liegen könnte. Die AfD wird ausgegrenzt. Daran besteht kein Zweifel. Aber stimmt es auch, dass die BürgerInnen Ostdeutschlands ausgegrenzt und gedemütigt werden? Das ist doch sehr pauschal.
Mein Vater (*1922, +2003) war fünf Jahre lang in russischer Kriegsgefangenschaft. Er hat sich während dieser Zeit mit Kurt Kramer, einem Mann aus Freiberg (Sachsen) so sehr angefreundet, dass sie bis zu ihrem Tod über die DDR-Grenze hinweg eng verbunden geblieben sind. Meine Eltern waren in den 70ern in Freiberg. Dazu gehörte es, dass meine Mutter auch die Pakete gepackt hat, die du erwähnt hast. Wir hatten nie das Gefühl, dass die Inhalte als Demütigung aufgefasst wurden. Das Gegenteil war der Fall. Mein Vater und Herr Kramer haben sich nach der Grenzöffnung wiedergesehen. Davor war seine Frau in den 70er Jahren bei uns. Sie war zu dieser Zeit bereits Frührentnerin und durfte deshalb ausreisen. Der Sohn von Herrn Kramer lebt seit 1989 im Westen und besucht meine Mutter ziemlich regelmäßig. Auch diese Geschichten gibt es. Ich kann nicht glauben, dass all diese Sachen den Demütigungserfahrungen der Menschen im Osten zugerechnet werden müssen.
Die andere Seite ist, dass ich persönlich diese Erfahrungen überhaupt nicht nachvollziehen kann, weil ich dort nicht gelebt habe. Abgesehen davon gab es (leider) in keinem anderen Land eine Wiedervereinigung. Dass viele Menschen finden, nicht auf Augenhöhe behandelt zu werden, ist schlimm und manch eine Erfahrung mag als Demütigung empfunden worden sein. Bloß glaube ich nicht daran, dass die politische Wahl mancher Ost-Deutscher an den Verhältnissen etwas ändert. Im Gegenteil. Die AfD ist eine Bude für destruktives Denken.
Hallo @Horst, mein Kommentar sollte nicht dafür stehen, das alle AfD-Wähler aus vergangener Demütigung heraus diese Partei gewählt haben. Vielleicht betrifft es nur 5%, oder 10% oder was auch immer für %te der AfD-Wähler. Das Leben ist bunt und viele Mosaiksteinchen ergeben ein Bild. Ich wollte ein kleines Steinchen zu dem Puzzel hinzufügen.
Das Freundschaften, von denen du erzählst, nicht an politischen Grenzen scheitern, das ist großartig. Vielleicht liegt darin ein guter und zukünftiger Weg.
Ich war beeindruckt von Peter Maffay, der gestern bei Sandra Maischberger zu Gast war. Es ging um die Aussöhnung von scheinbar unvereinbaren Positionen in der Gegenwart bzw. eigentlich darum, wie man die Konfrontation umgehen kann. Die Wähler der AfD repräsentieren eine der Gruppen. Maffay schlug vor, gemeinsame Zukunftsziele zu definieren, die im Interesse unserer Kinder und Enkel bearbeitet werden sollen. Das heißt, wir schauen nicht auf die Gegenart und die heutigen Ärgernisse, die uns entzweien, sondern auf die Zukunftsprojekte, die vor allem Zukunft sichern. Da liegt natürlich ein gemeinsames Ziel.
Gerade, weil es heute kaum noch Vorbilder zu geben scheint (vor allem nicht in der Politik) wäre eine solche pragmatische Herangehensweise gut. Nur glaubt die AfD nicht an den menschgemachten Klimawandel. Damit fällt wohl eines dieser allgemeinen Zukunftsziele von vornherein aus. Außerdem werden viele finden, dass es nicht ausschließlich um die Zukunft der Menschen gehen kann, sondern dass wir beispielsweise unsere Infrastruktur oder die Bildung nicht in der Weise vernachlässigen dürfen, nur um die „schwarze Null“ zu realisieren.
Wenn soviel vernachlässigt wurde (sogar der Wald hat diesbezüglich Nachholbedarf), müssen künftige Generationen erst einmal den Mist aufräumen, den wir hinterlassen haben. Wenn man so will ist die fehlende Einsicht, dass Sparen durchaus nicht nur positive Seiten hat, ja auch schon so etwas wie eine Demütigung aller Leute, die sich längst Sorgen um die Zukunft machen. Die Politik denkt – wie viele Wirtschaftsunternehmen leider auch – nur in kurzfristigen Abschnitten. Die einen wegen der Wahlen, die anderen wegen der Quartalszahlen.