Einen Tag später sind wir klüger, etwas. Aber nicht alle.

Soll ein Kinderlied aus ideo­lo­gi­schen Gründen umge­tex­tet und von einem Kinderchor vor­ge­tra­gen wer­den? Oma Gate WDR

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Für Linke besteht die Oma-​Kinderchor-​Geschichte nur aus einer Kontroverse zwi­schen Links und Rechts. Klar, wer da Recht hat­te. Die (Rechten) kön­nen sich aber auch was anstellen.

Manche sti­li­sie­ren heu­te das, was ges­tern pas­siert ist, zum Kampf der deut­schen Rechten gegen die ande­ren. Andere erklä­ren, in her­ab­las­sen­dem Tonfall, eben­falls heu­te – also eine Ewigkeit spä­ter -, dass wir alle zum Jahresende noch nun beka­men, was wir ver­dient hät­ten. Wieder ande­re erklä­ren klein­tei­lig, wie der zeit­li­che Ablauf die­ses Shitstorms war und wie die Rechten erneut unter Beweis stel­len konn­ten, wie gewinn­brin­gend sie ihre Sicht der Dinge in den sozia­len Medien plat­zie­ren konnten.

Missverständnis Satire

Viele zei­gen sich zer­knirscht: „Wie konn­te das nur so eska­lie­ren?” Schließlich hand­le es sich doch nur um Satire. Dass es immer häu­fi­ger Missverständnisse bei sati­ri­schen Beiträgen oder Sendungen gibt, muss uns zu den­ken geben. Lagerübergreifend.

WDR – Intendant, Tom Buhrow, hat sich in einer von WDR2 kur­zer­hand ange­setz­ten kur­zen Sondersendung an die ZuhörerInnen gewandt. Er bezeich­ne­te das vom Dortmunder Kinderchor gesun­ge­ne Lied als Fehler („ohne Wenn und Aber”) und ent­schul­dig­te sich. 

Es gibt aber Leute, die fan­den – wie sie dies ja aus Prinzip und Berechnung immer tun -, dass man sich nicht selbst ent­schul­di­gen kön­ne, son­dern um Entschuldigung bit­ten müs­se. Ja, wenn die­se Menschen nur halb­wegs so sen­si­bel mit ihren eige­nen Worten wären… 

Der Streit um ein Kinderlied, das zu poli­ti­schen (ideo­lo­gi­schen) Zwecken umtex­tet wur­de, nah­men die Gegner des Öffentlich-​Rechtlichen Rundfunks zum Anlass, erneut die Abschaffung des Öffentlich-​Rechtlichen Rundfunks zu verlangen. 

Zwangsgebühr

Die Rechten (viel­leicht nur nur) for­dern dies schon lan­ge. Sie kom­men bei den Öffentlich-​Rechtlichen Sendern nicht gut weg. Ihre Forderung begrün­den sie natür­lich anders. Sie nut­zen für ihre „Argumentation” einer­seits die Zwangsgebührenabgabe einer­seits, die sich sub­jek­tiv ver­schlech­ter­te Programmqualität ganz all­ge­mein, vor allem jedoch die poli­ti­sche Einseitigkeit der Sender (Systempresse) zunut­ze. Dass die Sender noch immer auf einen gro­ßen Vertrauensvorschuss in der Bevölkerung ver­wei­sen kön­nen, igno­rie­ren die rech­ten, gele­gent­lich auch lin­ken, Gegner des ÖR Rundfunks nicht.

Zum Glück wer­den sie sich noch ein Weilchen gedul­den müs­sen, bis jemand vom Format (sic?) eines Boris Johnson sol­che Weichenstellungen (BBC) anhand neu­er Mehrheitsverhältnisse ermög­licht. Deutschland ist zum Glück auch noch nicht so weit wie Frankreich. Dort arbei­ten vie­le (Gelbwesten und Gewerkschaften) mit Hochdruck dar­an, Macron zu stür­zen. Weil sie sei­ne Rentenreform Mist fin­den. Viele Deutsche schau­en auf die Entwicklung mit viel Sympathie. Weil: „Die Franzosen las­sen sich nicht alles gefal­len”. Die wie­der­um schei­nen sich auf die Zukunft ohne Macron zu freu­en. Vielleicht haben noch nicht alle rea­li­siert, dass die­se Marine Le Pen hei­ßen wird.

Tucholskys Erbe

Dass Kurt Tucholsky Generalvollmacht für Satire in Deutschland spä­tes­tens mit Einführung des Internets und der Sozialen Netzwerke nicht mehr gilt, haben wir ges­tern nicht zum ers­ten Mal erfahren. 

Der Twitter-​Gigant Ruprecht Polenz ver­such­te sich in einer aus­glei­chen­den Erklärung: „Es ist eigent­lich nicht schwer zu ver­ste­hen: kein Enkel soll­te sei­ne Oma „Sau“ nen­nen, in wel­chem Zusammenhang auch immer.” Ich per­sön­lich hat­te mei­ne Mutter (87) und mei­ne Schwiegermutter (95) vor Augen, als mein Blutdruck wegen die­ser Unverschämtheiten (Umweltsau, Nazisau) bedroh­lich anzu­stei­gen schien. 

Weil ich ja raus bin bei Facebook und Twitter, muss­te mei­ne Frau als Blitzableiter für mei­ne ange­le­se­ne Empörung her­hal­ten. Sie schau­te mich zunächst ver­ständ­nis­los an, denn sie beschäf­tigt sich gesun­der Weise wenig mit dem, was das Internet und mich beschäf­tigt. Als ich ihr das Lied vor­spiel­te, waren wir uns aber einig. Ist das Satire, frag­te ich Sie. „Ja”, mein­te sie. „Allerdings ziem­lich mie­se”. Darauf haben wir uns verständigt. 

Ich habe mich spä­ter hin­ge­setzt und die Aufregung noch ein biss­chen stu­diert. Schließlich schrieb ich dann für Sie die­sen Beitrag.

Was ist nun heu­te, einen Tag nach die­ser Schlacht, mein Fazit aus dem viel­leicht letz­ten Shitstorm-​Tiefpunkt die­ses Jahres? Wirklich alle „Internetgrößen” von Links und Rechts, auch die Von- Oben-​Herab-​Kommenden haben sich geäu­ßert. Kaum eine war aus mei­ner Sicht son­der­lich erbau­lich oder klug. Die Maßstäbe ver­rut­schen, auch mei­ne eigenen.

Grassierende Blödheit

Die im Netz gras­sie­ren­de Blödheit bleibt jeden­falls hoch­an­ste­ckend. Ich konn­te ges­tern noch jeden ver­ste­hen, der sich über den Liedtext auf­ge­regt hat, denn ich habe mich emo­tio­nal mit­rei­ßen lassen. 

Wir wis­sen zwar, dass man Debatten so nicht füh­ren soll­te. Aber wir machen es trotz­dem immer und immer wie­der. Gestern hat­ten wir es ver­mut­lich mit einem Ausreißer zu tun. Im Schatten der Empörung konn­ten Forderungen nach der Absetzung des WDR – Intendanten und die Entlassung eines jun­gen Provokateurs, der als frei­er Mitarbeiter beim WDR Social-​Media-​Dienst arbei­tet, plat­ziert wer­den. Berufsverbote für Menschen, die für man­che ver­zeih­li­che Fehler gemacht haben, für ande­re aber unver­zeih­li­che. Wie weit sind wir gekommen?

Neue Rechte

Das alles macht in mei­nen Augen deut­lich, wie ver­häng­nis­voll Internetdebatten sind. Die unbe­dach­te, rück­sichts­lo­se Verstärkung rechts­na­tio­na­ler (um kei­ne stär­ke­re Vokabel zu nut­zen) Multiplikatoren, müs­sen uns besorgt machen, denn sol­che Leute ver­fol­gen ihre nie­der­träch­ti­gen und destruk­ti­ven Zielsetzungen. Es geht ihnen nicht um Anstand, um die Ehre ihrer Großmutter oder Mutter, sie glau­ben, sie könn­ten uns ver­ar­schen und uns vor ihren Karren span­nen. Schaut auf die Klickzahlen bei Youtube, Facebook, Twitter etc. Autoren von der Neuen Rechten bekom­men für ihre Beiträge mehr Klicks und Likes als bür­ger­li­che oder lin­ke Publikationen. Für die­ses Phänomen gibt es zwar halb­wegs ein­leuch­ten­de wis­sen­schaft­li­che Erklärungen, befrie­di­gend sind die­se für mich aller­dings nicht.


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