Mein Leid, Dein Leid, unser Leid

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von Horst Schulte

Lesezeit: 7 Min.

Täglich lese ich davon, wie mies Menschen (frem­der Herkunft und ande­rer Hautfarbe) in unse­rem Land behan­delt wer­den. Die Meldungen beschrän­ken sich nicht auf die Berichte über kon­kre­te Missstände, son­dern sie sind mit Bewertungen und mit mas­si­ven Vorwürfen gegen Deutschland und die Deutschen ver­bun­den. Mich macht das trau­rig. Aber was hilft’s? Multi-Kulti ist ent­we­der ein idea­li­sier­ter Begriff oder zum Kampfbegriff der Nationalisten mutiert.

Wenn von Deutschen, wahl­wei­se von Kartoffeln oder Krauts die Rede ist, meint das nichts ande­res als die Nachkommen der Nazis. Politisch kor­rekt müss­te es wohl auto­chtho­ne Bevölkerung hei­ßen. Das scheint den meis­ten egal zu sein. Oft genug stim­men Linke, weil Sie’s natür­lich immer bes­ser wis­sen als alle ande­ren, in die­sen Kanon ein, nicht sel­ten über­neh­men sie in die­sem Chor der Selbstbezichtiger die ers­te Stimme.

Behandle Menschen so, wie du selbst behan­delt wer­den möchtest

Die Rumänen und Bulgaren, die seit vie­len Jahren nach Deutschland kom­men, wer­den aus­ge­beu­tet und sind so mies unter­ge­bracht, dass «man» sich schämt. In mei­nem Namen pas­siert das nicht, sag ich mir. Ich kau­fe mein Fleisch nicht im Supermarkt oder beim Discounter. «Ja, das muss man sich halt auch leis­ten kön­nen», ist die Antwort, die man dar­auf prompt bekommt. 

Ich soll mich schä­men, weil irgend­ein Kapitalist aus den den ArbeiterInnen zuge­mu­te­ten Lebensumständen Kapital schlägt? Ich hab mich doch ein­ge­rich­tet in die­sem System. Mein Leben lang habe ich es schei­ße gefun­den und jetzt, 66 Jahre alt, rede ich immer öfter davon, wie dank­bar ich bin, in die­sem Land leben zu kön­nen (nicht nur wegen Corona). Es mag ande­re Begründungen als mei­ne geben. Aber so den­ken vie­le doch – oder?

Die Migranten sol­len sich weh­ren aber auch dar­an den­ken, wie leicht Porzellan zer­schla­gen wird. 

Es ist trau­rig, dass wir – alle mit­ein­an­der – in die­sem Land, die­se Machenschaften hin­neh­men. Mir soll kei­ner erzäh­len, er hät­te noch nie davon gehört. Dass Migranten, die in Deutschland einen hohen Bevölkerungsanteil (15%) reprä­sen­tie­ren, sich nicht anders ver­hal­ten als die auto­chtho­ne Bevölkerung es tut, sagt etwas aus. Was das genau sein könn­te, ist schwer zu sagen. Vielleicht liegt es am man­gel­haf­ten Solidaritätsbewusstsein? Wer hat uns dazu gezwun­gen, es abzu­le­gen. Warum hat es sich gegen­über frü­her ™ so ver­än­dert. Das wird doch immer behauptet. 

Es wur­den in den letz­ten Jahrzehnten Geschäftsmodelle ent­wi­ckelt und eta­bliert, die dar­auf basie­ren, Menschen aus­zu­beu­ten. Die Geschäftsmodelle basie­ren nicht auf einer ech­ten Geschäftsidee, son­dern auf die Ausbeutung von Menschen. Und das im 21. Jahrhundert. Manche wun­dern sich dar­über, dass die paar Sozialisten immer noch für eine ande­re, bes­se­re Gesellschaft kämp­fen. Schnell empö­ren sich die Leute dar­über, dass es auto­no­me Gruppen gibt, die zu die­sem Zweck Gewalt anwen­den. Ich rede nicht der Gewalt das Wort. Manchmal ver­ste­he ich jedoch die Gefühlslage vie­ler des­il­lu­sio­nier­ter Menschen, die es nicht wahr­ha­ben wol­len, wohin unse­re Welt sich ent­wi­ckelt. Wir bil­den uns ein, die Sklaverei abge­schafft zu haben und erlau­ben Zustände wie bei Paketdiensten, Frischedienstleistern oder Schlachthöfen? Wir bekla­gen uns, weil die gro­ßen Kaufhäuser ver­schwin­den, Arbeitsplätze ver­lo­ren gehen und ver­wais­te Innenstädte dro­hen. Alles nicht schön. Aber es liegt nicht nur an fal­schen Entscheidungen der Vorstände, der Politik. Nein, letzt­lich liegt es bei uns.

Wir brau­chen Erntehelfer und Arbeiter für Schlachthöfe

Spargel ste­chen, Erdbeeren ern­ten, Tiere schlach­ten und aus­ein­an­der­schnei­den, Häuser bau­en, Häuser repa­rie­ren und was weiß ich nicht noch alles? Dafür brau­chen wir in Deutschland Menschen aus EU-Ländern, in denen das Monatseinkommen einen Bruchteil des­sen aus­macht, das in Deutschland (noch) üblich ist. Personenfreizügigkeit heißt das Zauberwort. Das ist eines der Pfunde, das die EU in ihren Brexit-Verhandlungen mit Premier Johnson auf gar kei­nen Fall auf­ge­ben will. Aber nicht nur, weil Art. 45, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu den Kernerrungenschaften der EU (Vier Grundfreiheiten) zählt, son­dern weil dies angeb­lich zum Wohlstand Deutschlands bei­trägt. Da ist es wie­der: die­se Verallgemeinerung. «Deutschland geht es gut». Sicher, es gibt vie­le Deutsche, denen es gut geht. Aber die Zahl derer, denen es nicht gut geht, wächst. Immer weiter. 

Die EU-Administration, unse­re Regierung und die meis­ten unse­rer Parteien behaup­ten immer schon, all die­se Dinge der Bevölkerung zugu­te kämen. Es fällt etwas für uns ab. Das will ich nicht bestrei­ten. Und wenn es nur die höhe­ren Steuereinnahmen für den Staat sind. Von denen – so hört man – pro­fi­tie­ren wir ja alle. Wenn man sagt, dass sich die Superreichen viel zu wenig an der Finanzierung unse­res Geheimwesens betei­li­gen, wird dafür als Neider oder gleich als Sozialist abge­tan. Wie ist es mög­lich, dass einer, der aus­schließ­lich von sei­nem Kapital lebt, kei­ne Einkommensteuer (42%), son­dern nur die sehr viel nied­ri­ge­re Kapitalertragssteuer (25%) bezahlt?

Aus mei­ner Sicht geht es dar­um, dass nicht nur natio­na­le, son­dern auch vie­le EU-Regeln die Kapitalisten rei­cher machen und dass dafür gesorgt wird, dass die­ser Reichtum auf jede erdenk­li­che Art und Weise absi­chert wird. 

Wer hat was davon, wenn Menschen mies behan­delt werden?

Dazu gehö­ren die Bilder, über die wir uns jetzt (mal wie­der) beklagen.

Der Binnenmarkt stärkt die Wirtschaft und in einer idea­len Welt könn­te man sagen, dass alle Menschen in die­sem Raum von den Maßnahmen pro­fi­tie­ren wür­den. Wer zum Zynismus neigt, wird jetzt sagen: Auch die Bulgaren, Rumänen oder Polen pro­fi­tie­ren, schließ­lich kom­men sie nur aus die­sem Grund nach Deutschland. Außerdem ist es doch eine Win-Win-Situation! Die Unternehmen pro­fi­tie­ren und die Häuslebauer, Erdbeer – und Stangenspargel – Kunden pro­fi­tie­ren von güns­ti­ge­ren Preisen. Viele von uns tun das. 

Leute wie Herr Tönnies zie­hen (kurz­fris­tig) den Ärger der Nation auf sich, weil er dafür gesorgt hat, dass unse­re Schlachtplatten so «preis­wert» sind, unse­re Grillhähnchen und das Grillgut, das wir für ein gelun­ge­nes Wochenende ein­fach brau­chen. Er tat nur das, was jeder «gute Kaufmann» gut, er hat die Produktionsbedingungen der Nachfrage «ange­passt». Der Nachfrage ange­mes­se­ne Preise sind nur zu erzie­len, in dem Ausbeutung im ganz gro­ßen Stil prak­ti­ziert wird. Ich erin­ne­re mich noch, als der dama­li­ge Chef der Bundesagentur für Arbeit einen neu­en Paketdienst gegrün­det hat. Die vor­ge­se­he­nen Löhne waren Hungerlöhne. In der Öffentlichkeit wur­de der Mann mas­siv dafür kri­ti­siert, dass sein Geschäftsmodell auf Ausbeutung beru­he. Wie vie­le sol­cher Betrieb mag es inzwi­schen in Deutschland wohl geben? Wer jetzt Mindestlohn ruft, der soll sich an die Möglichkeiten erin­nern, die Gerhard Schröder mit sei­ner Schleusenöffnung, Agenda 2010 genannt, geschaf­fen hat. 

Marktüblich, weil wir nichts dage­gen unternehmen

Sehr gut, könn­te man sagen, dass wir in durch Corona der Brutalität solch markt­üb­li­cher Schikanen auf die Schliche gekom­men sind. Dass die­se Art von Wirtschaften von bestimm­ten poli­ti­schen Parteien in Deutschland stets geför­dert wur­de, bringt die Gewissheit, dass die­se schreck­li­chen Dinge kein Ende fin­den. Das geht wei­ter. Und wir dür­fen uns dann wie­der erre­gen. Das ist doch auch schon mal was. Das ist das ein­zi­ge Versprechen, das wir erhal­ten werden.

Die Parteien, die wirk­lich etwas für die Menschen tun und gegen die­se grau­en­haf­ten Umstände kämp­fen, wer­den wei­ter abge­straft. Ich spre­che von der SPD!

Wenn ich von Hunderten Millionen von Wanderarbeitern lese, die haupt­säch­lich in China aber auch außer­halb Chinas (Italien) arbei­ten, um für ihre Familien das Lebensnotwendige zu erar­bei­ten und was ihnen wider­fährt, kann man das ver­mut­lich nicht im Ansatz mit den Lebensumständen der Bulgaren und Rumänen ver­glei­chen, die von Tönnies und sei­ner Industrie aus­ge­beu­tet wer­den. Es macht aller­dings sicht­bar, wie groß die Menschenverachtung des kapi­ta­lis­ti­schen Systems ist. Wenn schon die Kommunisten sowas tun… Nur ist unser Anteil an der Entwicklung in China mög­li­cher­wei­se ja auch grö­ßer als wir glau­ben. Welche nahe­lie­gen­den Zusammenhänge mit den Auswüchsen des west­li­chen Kapitalismus gibt es? All die ver­län­ger­ten Werkbänke und Join Venture, die von west­li­chen Unternehmen dort seit Jahrzehnten eta­bliert wur­den, wer­den nicht fol­gen­los geblie­ben sein.


Horst Schulte

Herausgeber, Blogger, Amateurfotograf

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe auf dem Land.

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Artikelinformationen

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10 Gedanken zu „Mein Leid, Dein Leid, unser Leid“

  1. Beim Besuch der Discounter schaue ich mir immer die lan­gen Fleischtheken an und bin wirk­lich davon ange­ekelt, wie extrem BILLIG das alles ist. Dazwischen mini­ma­le Angebote «bio» – Hackfleisch (das vega­ne ist teu­rer), Gulasch, Rumsteak – das wars! 

    Ich glau­be nicht dar­an, dass «wir» an die­sen Zuständen schuld sind. Wäre das Fleisch z.B. 30 bis 50% teu­rer, wür­den es die meis­ten immer noch kau­fen. (Vielleicht nicht ganz so oft, doch geht der Trend und die Gesundheitsempfehlungen sowie­so in die­se Richtung). Es könn­te in bes­se­ren Rahmenbedingungen für Mensch und Tier her­ge­stellt werden. 

    Der Punkt ist: dann wäre es auf dem «Weltmarkt» nicht mehr so konkurrenzfähig!

    In Deutschland sinkt der Fleischkonsum:
    https://​www​.fleisch​wirt​schaft​.de/​w​i​r​t​s​c​h​a​f​t​/​n​a​c​h​r​i​c​h​t​e​n​/​F​l​e​i​s​c​h​k​o​n​s​u​m​-​D​e​u​t​s​c​h​e​-​e​s​s​e​n​-​i​m​m​e​r​-​w​e​n​i​g​e​r​-​3​6​419

    Aber der Export boomt:

    fleischwirtschaft.de—BRÜSSEL Fleischverkäufe in Drittstaaten legen im ers­ten Halbjahr 2019 um fast zwölf Prozent zu. Neuer Rekordwert deu­tet sich an.
    https://​www​.fleisch​wirt​schaft​.de/​w​i​r​t​s​c​h​a​f​t​/​n​a​c​h​r​i​c​h​t​e​n​/​E​U​-​F​l​e​i​s​c​h​h​a​n​d​e​l​-​D​e​r​-​E​x​p​o​r​t​-​b​o​o​m​t​-​4​0​046

    Die Produzenten ver­dre­cken hier die Landschaft (Gülle, Emissionen), beu­ten die Arbeiter aus und «Tierwohl» ist den meis­ten egal – um immer mehr Fleisch nach drau­ßen zu exportieren. 

    Ob ich es noch erle­ben wer­de, weiß ich nicht, aber das wird ein Ende haben. Nicht ganz bald, aber spä­tes­tens, wenn das Laborfleisch mas­sen­pro­du­ziert und erschwing­lich wird. 

    Corona hat immer­hin dazu bei­getra­gen, dass jetzt über mehr Regulierungen der Produktionsbedingungen nach­ge­dacht wird. Mal schau­en, ob wenigs­tens IRGEND ETWAS dabei her­aus kommt.

  2. Ganz im Gegenteil zu dir bin ich bereit, für den ers­ten Laborfleischburger 20 Euro zu bezah­len – um das noch pro­bie­ren zu können.

    Verstehe nicht, war­um Leute so spon­tan dage­gen sind. Es ist ja kein «che­mi­sches» Fleisch, son­dern aus ent­nom­me­nen Zellen in Nährflüssigkeit indus­tri­ell «erbrü­te­tes». In Israel sind sie im Wettlauf um das ers­te rich­ti­ge Steak ganz vor­ne dran, weil sie dort auch dran arbei­ten, die rich­ti­ge Muskelfaserstruktur und Fettanteil mit rein zu bekommen!

    Das ist dann zwar weder vegan noch vege­ta­risch, son­dern rich­ti­ges Fleisch, aber es müs­sen kei­ne Tiere mehr dafür ster­ben. Die Zellen kön­nen leben­di­gen Tieren ent­nom­men wer­den, ohne dass sie lei­den. Und es braucht am Ende natür­lich bei wei­tem nicht mehr so vie­le – lies mal:

    https://​www​.gruen​der​sze​ne​.de/​f​o​o​d​/​a​l​e​p​h​-​f​a​r​m​s​-​i​n​t​e​r​v​i​e​w​-​s​t​e​a​k​-​i​n​-​v​i​t​r​o​?​i​n​t​e​r​s​t​i​t​ial

    Stell dir vor, das gan­ze Elend mit dem Soja-Anbau fürs Tierfutter wäre vorbei.… !!!

    Ich bin kei­ne Vegetarierin, son­dern esse noch ab und zu «bes­se­res» Fleisch – habe aber eine län­ge­re Zeit mal «vegan» aus­pro­biert, was sehr sehr lehr­reich war. Auf mei­nem Veggieblog heißt es nicht umsonst immer schon im Untertitel «vege­ta­risch, vegan, fle­xi­ta­risch – Hauptsache, die Richtung stimmt». 

    Ich will uns Verbraucher nicht frei spre­chen, son­dern habe ledig­lich mei­nem Pessimusmus Ausdruck gege­ben. Der Exportanteil ist von ’95 bis 2019 von 13% auf 48% gestie­gen – da fürch­te ich ein­fach, es ist denen egal, ob wir hier­zu­lan­de weni­ger Fleisch essen., das gleicht der Weltmarkt aus.

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