Wie schön. Warum mein Ehrgeiz zur Selbstoptimierung unterentwickelt ist

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Wie sehr schwarz-weiß Bil­der nach­hal­tig beein­dru­cken kön­nen, lässt sich durch vie­le Bei­spie­le bele­gen. In mei­nem Fall war es Mel­vil­les Queequeg, der mein Gefühl für Ästhe­tik (sogar trotz feh­len­der Far­be) für mein Leben geprägt hat. Men­schen mit Tat­toos ste­cke ich seit damals in eine Schub­la­de. Für mich wären sie nicht infra­ge gekom­men. Ich fin­de es gera­de­zu erschre­ckend, wie infla­tio­när die­se Kunst Ein­zug in unser glo­ba­les Leben genom­men hat. Ganz sel­ten war ich posi­tiv beein­druckt davon. Ich glau­be, es han­del­te sich aus­schließ­lich um jun­ge, hüb­sche Frau­en, deren Tat­toos mei­ne Vor­be­hal­te kurz­zei­tig über­la­gert haben.

Es kann sein, dass mei­ne Angst vor Schmer­zen dabei eine Rol­le spielt. Ich weiß von Bekann­ten, dass die Pro­ze­dur schmerz­haft ist und dass Kom­pli­ka­tio­nen vor­kom­men. Schon allein die­se Aus­sich­ten haben mich abge­hal­ten. Wahr­schein­lich hat mei­ne Ein­stel­lung auch mit dem Alter zu tun. So ganz stimmt das aller­dings nicht, denn auch in mei­ner Alters­klas­se gibt es unglaub­lich vie­le Täto­wier­te. Mein Alter und mei­ne Sozia­li­sie­rung auf­’m Land könn­ten eine Rol­le spie­len. Mei­ne Frau hat übri­gens eine bei­na­he deckungs­glei­che Einstellung. 

In unse­rem Freun­des­kreis tra­gen weder sie noch er Tat­toos. Das heißt was, wenn man weiß, dass mehr als jeder fünf­te Erwach­se­ne in Deutsch­land nach Medi­en­be­rich­ten heu­te ein Tat­too hat. 

Die Süd­deut­sche Zei­tung stellt fest: „Ent­ge­gen vie­len Kli­schees lässt der Kör­per­schmuck kei­nen Rück­schluss auf Bil­dungs­ni­veau oder Beruf zu.“ Wäre das also ein für alle Mal geklärt. Ich mei­ne, wenn die SZ das schreibt… Eine Stu­die besagt übri­gens, was Wun­der, das genaue Gegen­teil. Das kann uns nach unse­ren Erfah­run­gen in der Pan­de­mie wenigs­tens nicht mehr überraschen!

Ita­lie­ner sind unter uns Euro­pä­ern die mit den meis­ten Tat­toos. Es gibt sogar Sta­tis­ti­ken, die aus­sa­gen, dass die Schwe­den und Dänen die­je­ni­gen sind, die ihre Tat­toos am meis­ten bereu­en. Von den deut­schen Tat­too­t­rä­gern bedau­ern 25 %, dass sie sich eines ste­chen lie­ßen. Wow, was für ein hoher Anteil von Zweiflern! 

In Deutsch­land gibt es 7000 Tat­too – und Pier­cing­stu­di­os, die einen Umsatz von 50 Mil­lio­nen Euro erwirt­schaf­te­ten. 20.000 Men­schen waren im Jahr 2014 in die­ser Bran­che beschäf­tigt. Auch sie gehört lei­der zu den Leid­tra­gen­den die­ser Pan­de­mie. Ich erwäh­ne dass, weil mei­ne hoch­in­di­vi­du­el­le Abnei­gung gegen „den Kult“ nicht in der Absicht auf­ge­schrie­ben wird, die­sen Men­schen zu scha­den. Das The­ma gehört aber mit zu einer Ent­wick­lung, die ich beach­tens­wert fin­de. Außer­dem hat­te ich immer den Ein­druck, dass täto­wier­te Men­schen mit einem gesun­den Selbst­ver­trau­en aus­ge­stat­tet sind und sie des­halb über spie­ßer­haft geäu­ßer­ten Atti­tü­den stehen.

In mei­nem Alter hat sich die Spreu vom Wei­zen getrennt. Ich glau­be, die aller­meis­ten in mei­nem Alter wer­den begrif­fen haben, was sie sich mit die­sem fal­schen Zau­ber ange­tan haben. Aller­dings gibt es ja auch längst den „neu­en“ hei­ßen Scheiß. Immer mehr Leu­te las­sen sich vom Schön­heits­chir­ur­gen behan­deln. Es gibt Län­der (Vene­zue­la), in denen ganz jun­ge Mäd­chen ihren Schön­heits­idea­len frö­nen und sich nicht ent­blö­den, einem Trend nach­zu­ei­fern, den ich ehr­lich gesagt noch weni­ger mag als Tattoos. 

Schön­heit ist auch nur ein Markt. Jeder ist sei­nes Glü­ckes Schmied. 1981 wur­den allein bei Dou­glas bun­des­weit 140 Mil­lio­nen Euro für Schön­heit aus­ge­ge­ben, 2000 waren es schon 2,1 Mil­li­ar­den Euro und 2018 3,3 Mil­li­ar­den Euro. Die Gesamt­um­sät­ze aller Spe­zia­lis­ten „nur“ für Kos­me­tik­pro­duk­te belie­fen sich in Deutsch­land in 2018 auf 14 Mil­li­ar­den Euro! Der welt­wei­te Umsatz betrug 210 Mil­li­ar­den Euro. 

Im Jahr 2017 gab es nach Schät­zun­gen welt­weit 10,7 Mil­lio­nen schön­heits­chir­ur­gi­sche Ein­grif­fe. Es gibt eine Umfra­ge nach der sich ca. 1/​3 der Befrag­ten vom exis­tie­ren­den Schön­heits­ide­al unter Druck gesetzt fühl­ten. Zwei Drit­tel wür­de gern etwas an ihrem Aus­se­hen ändern. Face­lif­tings gibts in einer Span­ne von 5000 bis 10000 Euro, eine Brust­ver­grö­ße­rung von 4500 bis 8500 Euro. 

Das Schön­heit immer im Auge des Betrach­ters liegt, klingt erst mal toll. Aber auch das bele­gen älte­re Unter­su­chun­gen: Gut­aus­se­hen­de Men­schen sind in ihren Beru­fen erfolg­rei­cher als ande­re. Der Druck zur Selbst­op­ti­mie­rung exis­tiert also nicht bloß durch Insta­gram und den gan­zen Quatsch!

Was ist eigent­lich die Bot­schaft, wenn ein so genann­ter Jour­na­list 30 – 60 ope­ra­ti­ve Ein­grif­fe inner­halb eines defi­nier­ten Zeit­rau­mes an sich vor­neh­men lässt und dar­über in einem deut­schen TV-Pri­vat­sen­der Abend­fül­len­des berich­tet? Das sol­len bit­te die ent­schei­den, die sich sowas anschauen. 

Dass der Mann in die von mir hoch­ge­schätz­te WDR-Talk­show „Köl­ner Treff“ ein­ge­la­den wird und er dort sei­ne Selbst­ver­stüm­me­lungs­or­gi­en ein­ge­hend erläu­tern darf, hal­te ich für kri­tik­wür­dig. Ich dach­te zuerst (und das ist wirk­lich ehr­lich so gewe­sen!) Mickey Rour­ke wäre zu Gast. 

Nee, der Jen­ke wars. Bestimmt wer­den sich ein paar jun­ge und mit­tel­al­te Leu­te mit Hang zur Selbst­op­ti­mie­rung an sei­nem Han­deln ein Bei­spiel neh­men und ein paar Tau­sen­der in die Opti­mie­rung ihres „Insta­gram-Auf­tritts“ inves­tie­ren. Ob das dem Bil­dungs­auf­trag von öffent­lich-recht­li­chen Sen­dern entspricht? 

Mich trös­tet, dass die Spen­den­be­reit­schaft in Deutsch­land im ver­gan­ge­nen Jahr erneut gestie­gen ist. Die Deut­schen gaben 5,4 Mil­lio­nen Euro an Spen­den. Man kann sein Geld auch für Sinn­vol­les raushauen.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.
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