Presse-​Palaver zum Nachteil der Annalena Baerbock

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Wie sehe ich auf den Fall der Annalena Baerbock? Diese Dinge ste­hen für mich fest:

  1. Baerbock ist als Kanzlerkandidatin geschei­tert, sie ist chancenlos
  2. Die Berichterstattung der Medien hat dar­an einen min­des­tens eben­so gro­ßen Anteil wie Baerbock selbst
  3. Es bestä­tigt die Verkommenheit und Brutalität der Debatten, vor­nehm­lich im Internet und über­haupt in der Gesellschaft

Diejenigen, die mei­nen Befund (1) für ver­früht hal­ten, mögen bit­te einen Blick auf die Umfragewerte wer­fen. Vielleicht sind wir uns zumin­dest dar­in einig, dass Aktualität und Perspektive abso­lut erwar­ten las­sen, dass sich der Trend ver­fes­ti­gen wird. Für Union und die FDP (Wunschkonstellation Laschets) wird es nicht reichen. 

Ich glau­be, die Grünen und ihre Spitzenkandidatin hat­ten gegen die bra­chia­le Gewalt der Reaktion von Anfang an kei­ne fai­re Chance. Ich benut­ze den Begriff Reaktion ganz bewusst, weil ich vie­les, was da an Kommentaren gekom­men ist, nicht bloß dem Dilettantismus des Baerbock-​Teams zuschrei­ben kann. 

Wenn bekann­te Journalisten (im In- und Ausland) in den Grünen Unterstützer von Linksradikalen sehen ist das schon star­ker Tobak. Da klingt der Vorwurf, dass sie die Lebensrealität der Menschen im Land nicht zur Kenntnis näh­men, im Vergleich eher harm­los. Gemeint sind damit ver­meint­lich „fal­sche” Debatten, wie etwa die um Gender- und Identitätspolitik. Das Thema bedient Sahra Wagenknecht eini­ger­ma­ßen pro­mi­nent und zielt damit nicht expli­zit auf die Grünen ab. 

Ich habe mir bei Baerbocks Kandidatur wenig Gedanken dar­über gemacht, ob sie der gro­ßen Aufgabe einer Kanzlerschaft über­haupt gewach­sen wäre. Dafür habe ich in den ver­gan­ge­nen Jahrzehnten immer wie­der ganz neue Gesichter auf dem poli­ti­schen Parkett erlebt, die mich posi­tiv aber auch nega­tiv über­rascht haben. 

Als Willy Brandt zurück­trat und Helmut Schmidt das Amt des Kanzlers über­nahm, beglei­te­te Schmidt nicht nur Wohlwollen. Im Gegenteil. Er war nicht beliebt, und ich konn­te die Skepsis ver­ste­hen. Willy Brandt galt vie­len in der dama­li­gen Zeit als das abso­lu­te Ideal eines Politikers.

Wie jeder, der die­sen Mann vor­her in ande­ren Ämtern erlebt hat. Als sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Kanzler war er nicht mei­ne Wunschbesetzung. Dass Helmut Schmidt in der Rückschau einer der popu­lärs­ten Kanzler wur­de, konn­te man damals nicht abse­hen. Dass er in sei­ner Partei nicht erst 1982 den Rückhalt sei­ner Partei ver­lo­ren hat­te, stellt noch ein­mal eine ganz ande­re Dimension dar.

Kiesinger bekam eine Backpfeife für sei­ne Verstrickungen im NS-​Regime. Beate Klarsfeld war wohl nicht die ein­zi­ge Gegnerin die­ses unpo­pu­lä­ren Kanzlers. Die Konservativen dürf­ten damals die mas­si­ven Vorbehalte der Linken gegen die­sen Kanzler wohl eher nicht geteilt haben. 

Von außen gese­hen war Angela Merkel trotz ihrer bereits über vie­le Jahre erwor­be­nen Kenntnisse des ver­ein­ten deut­schen Politikzirkus ein noch „unbe­schrie­be­nes” Blatt. In ihrer Partei war die Sichtweise offen­bar eine völ­lig ande­re. Jedenfalls fie­len ihre Ambitionen auf frucht­ba­ren Boden. Für die Union waren die dama­li­gen Entscheidungen zumin­dest ein Paradigmenwechsel auf Zeit. Ob sich eine Kanzlerinnenschaft in abseh­ba­rer Zeit wie­der­ho­len könn­te, ver­mag kei­ner zu sagen. Die Zahl von Frauen im Bundestag war schon höher. 

Ich mache einen gewag­ten Schlenker zum Personaltableau der AfD. Stellt euch einen klei­nen Moment vor, irgend­ei­ner von die­sen Leuten gewahr­te eine Chance auf die Kanzlerschaft. Sagen wir, der Name des hoch­ge­bil­de­ten und sicher sehr klu­gen AfD-​Abgeordneten Dr. Curio kom­me ins Spiel. Dr. Curio hat pro­mo­viert und ist habi­li­tiert. Daneben hat Dr. Curio Kunst stu­diert (Komposition und Kirchenmusik). Ich kom­me nicht damit klar, dass die­ser gebil­de­te, intel­li­gen­te und erfah­re­ne Mensch eine so natio­na­lis­ti­sche, aus­län­der­feind­li­che und zutiefst illi­be­ra­le Haltung ver­tritt, dass sie mich und mei­ne klei­ne hei­le Welt im Mark erschüt­tern könn­te. Jedenfalls, wenn er eine Machtposition errei­chen würde.

Einem sol­chen Mann wür­de man viel­leicht per se eher zutrau­en, ein Land wie Deutschland zu füh­ren. Schließlich ver­fügt er über poli­ti­sche Erfahrung und ich wür­de davon aus­ge­hen, dass er ein füh­rungs­er­fah­re­ner Stratege ist. Seine Reden im Bundestag schei­nen das zu bestä­ti­gen, so erschre­ckend und absto­ßend ich per­sön­lich sie auch finde. 

Ich neh­me an, dass die­ser Vergleich eini­ger­ma­ßen schräg ankommt. Aber denkt bit­te ein­mal dar­über nach, auf­grund wel­cher Fehler die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock kam­pa­gnen­ar­tig ver­hin­dert wur­de und ob die ober­fläch­li­chen Schlussfolgerungen, die uns die Umfrageergebnisse mel­den, stand­hal­ten sollten.


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2 Gedanken zu „Presse-​Palaver zum Nachteil der Annalena Baerbock“

  1. Ich den­ke gera­de dar­über nach, ob die min­der­geis­ti­ge Kampagne von CDU/​CSU und noch wei­ter rechts gegen Baerbock und die Grünen und die dus­se­li­ge kri­tik­lo­se media­le Begleitung die­ser Kampagne durch die Medien nicht doch eine gewis­se Wirkung auf mich hat:

    Ich mei­ne, viel­leicht mache ich ja einen Rückzieher von mei­ner Entscheidung, bei der anste­hen­den Bundestagswahl nicht zu wäh­len – und wäh­le die Grünen.

    Vielleicht macht es ja doch Sinn, auf die­se Weise ein stär­ke­res Gegengewicht gegen­über dem grob­schus­ter­nen Mist zu bil­den, den die ande­ren Parteien in den Bundestag ent­sen­den werden.

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