Woran ich mich noch erinnere

Woran erin­nern sich fast 70-​jährige? Ich mache gera­de die Probe aufs Exempel. So schwie­rig hat­te ich es mir nicht vorgestellt.

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Es ist schön, so ganz für sich, unab­hän­gig von Fristen und Terminen, in den Tag hin­ein­zu­le­ben. Das habe ich in den ver­gan­ge­nen acht Jahren nach und nach gelernt. Mein Unterbewusstsein brauch­te nach mei­nem Empfinden viel Zeit, um eine gewis­se Unruhe, die ich wäh­rend mei­nes Berufslebens fast durch­gän­gig spür­te, loszuwerden. 

Ich fand den rich­ti­gen Umgang mit dem, was man viel­leicht per­sön­li­che Freiheit nen­nen kann. Ein gro­ßes Wort für das, was ich mei­ne. Mir fehl­te sie seit dem Beginn der Schulzeit. Von Ferien und Urlauben ein­mal abge­se­hen. Selbst wäh­rend des Urlaubs habe ich nicht sel­ten gear­bei­tet. Auch ganz ohne Homeoffice sozusagen.

Endlich in Rente

Mich hat wäh­rend der vie­len Jahre mei­ner Berufstätigkeit (47) immer wie­der die Frage beschäf­tigt, war­um ich bei einer wich­ti­gen Entscheidung, die eine und nicht die ande­re Abfahrt genom­men habe. Wäre ich heu­te in der Lage, die pas­sen­den Kriterien für mei­ne Entscheidungen zwei­fels­frei zu iden­ti­fi­zie­ren oder gin­gen die Jahre so schnell vor­bei, wie ich es auch wäh­rend der letz­ten 8 Jahre in Rente emp­fun­den habe? Haben Sie ein­mal dar­über nach­ge­dacht, ob Sie nicht ganz so wich­ti­ge Ereignisse in Ihrem Leben einem Jahr, oder bes­ser noch einem Monat im ent­spre­chen­den Jahr zuord­nen kön­nen? Bei mir wäre das ganz schwie­rig. Aber ich habe damit begon­nen, eine Chronik – ganz für mich per­sön­lich – zu erstel­len. Es ist wirk­lich schwer. Weiß ich noch, wann und wo ich 1987 in Urlaub gewe­sen bin? So etwas mei­ne ich. Urlaub ist und war doch immer wich­tig. Trotzdem kann ich mich nur an weni­ge erin­nern und die­se halb­wegs zutref­fend einem Jahr oder sogar einem Monat in die­sem Jahr zuordnen.

So viele Texte

Ich blog­ge schon seit 2003. Ich habe Tausende von kur­zen und län­ge­ren Texten ver­fasst. Es gibt immer noch eini­ge weni­ge Online-​Freunde. Wir fol­gen uns gegen­sei­tig und lesen, was der bzw. die ande­re schrei­ben und kom­men­tie­ren das manch­mal. Es ist eine klei­ne Zahl von Leserinnen und Lesern, die mir bzw. mei­nem Geschreibsel die Treue gehal­ten haben; wenn man das so sagen kann. Persönlich ken­nen­ge­lernt haben wir uns wäh­rend all die­ser Jahre nicht. 

Viele mei­ner Texte sind im Nirwana ver­schwun­den. Teilweise habe ich sie gelöscht, weil wid­ri­ge Umstände mich emo­tio­nal dazu ver­an­lass­ten. Ich den­ke an die Abmahnungen wegen zwei­er Urheberrechtsverletzungen. Ein Brötchen und eine Maß (die kos­tet auf der Wies’n übri­gens heu­er 14 Euro) haben mich damals meh­re­re Tausend Euro gekostet. 

Abmahnungen für kleine Blogger

Dabei habe ich mit mei­nen ver­schie­de­nen Blogs nie Geld ver­dient. Sie waren immer rein pri­va­te Projekte ohne Shop, Werbung oder irgend­wel­che Verkaufsabsichten. Trotzdem hat­ten mich die­se Teufel beim Wickel. Bis heu­te gibt es die­se Absahner, die Gesetzeslücken und irren Quatsch der Gesetzgeber (DSGVO) aus­nut­zen und klei­ne Blogger dafür abmah­nen, weil sie Google Fonts in ihren Blogs ver­wen­den. Gaaanz böse. Da wer­den Daten (im Zweifel reicht eine IP wegen ihrer Eineindeutigkeit) in die USA über­tra­gen. Das weiß zwar gar kei­ner so ganz genau. Aber Strafe muss natür­lich sein. Schließlich sind die Datenschützer in Deutschland die Vorläufer der heu­ti­gen Klimaschützer. Da gibts kein Pardon. Deshalb kom­men wir auch so gut vor­an in die­sem Land. 

Gelernt habe ich durch das Bloggen und die teu­ren Abmahnungen auch eini­ges. Meine emo­tio­na­le Verfassung in die­ser Zeit war ange­spannt. Ich woll­te es auf­zu­ge­ben, das Bloggen. Meine Frau sprach sich dafür aus. Ich habe alle Archive gelöscht, die Texte gin­gen also kom­plett ver­lo­ren. Für den aller­größ­ten Teil wird es nicht scha­de gewe­sen sein. Allerdings hät­ten für mich per­sön­lich mei­ne Archivinhalte heu­te ange­sichts der ange­spro­che­nen Rückschau auf mein bis­he­ri­ges Leben ja auch Brauchbares ent­hal­ten können. 

Die Sinnfrage in Zeiten der Stapelkrisen

Was habe ich (damals) über die Fragen der Zeit gedacht? Ich fühl­te mich poli­tisch immer auf der rich­ti­gen Seite. Meine links­li­be­ra­le Einstellung war – ich wür­de behaup­ten – uner­schüt­ter­lich. Das hat sich geän­dert. Ich neh­me an, es hat mit der „geschenk­ten” Zeit zu tun, die ich grund­sätz­lich als gro­ßes Glück emp­fin­de. Aber ich neh­me des­halb viel­leicht die zahl­rei­chen Krisen und Fehlentwicklungen auch inten­si­ver wahr, als ich es frü­her je getan habe. Ich reagie­re anders, sehr viel emo­tio­na­ler auf die­se als das frü­her ™ mal der Fall war. Ich trös­te mich damit, dass wir uns heu­te um neue Wörter bemü­hen, um unse­re aktu­el­le Lage in Zeiten der „Stapelkrisen” halb­wegs ange­mes­sen zu erklären.

Ich fra­ge mich, was wir uns nur gedacht haben, inner­halb weni­ger Generationen die­sen Planeten so über­zu­stra­pa­zie­ren. Nun muss Elon Musk tat­säch­lich den Messias geben und uns womög­lich eine Zukunft auf dem Mars spen­die­ren. So schlimm ist es.

Datenrekonstruktion

Gespannt bin ich, ob ich mit mei­ner pri­va­ten Datenrekonstruktion zum Ziel kom­me. Diese Arbeit könn­te als ein Ergebnis her­vor­brin­gen, dass wir ganz schön oft in Urlaub waren und dabei nie Fernreisen unter­nom­men haben. Das ist weni­ger lobens­wert, als es in die­sen Zeiten denk­bar wäre. Ich bin eher so ein (kon­ser­va­ti­ver) Typ wie Altkanzler Kohl. Der fuhr in den Ferien auch gern an die glei­che Stelle. Es ist doch so schön, nach Hause zu kom­men. Und auch ein Feriendomizil kann das bei uns bewir­ken. Bei mei­ner Frau und mir, mei­ne ich. Bei mir war das aber nicht der Wolfgangsee, son­dern der Thunersee im Berner Oberland. 

Die Zeit ver­geht wahn­sin­nig schnell. Meine Mutter (1932–2023) hat mir oft erzählt, dass die Zeit immer schnel­ler ver­geht, je älter man wird. Ich weiß nicht, wann ich damit auf­ge­hört habe, die­se Weisheit nicht mehr ins Reich der Legenden zu ver­wei­sen. Längst weiß ich, dass das aber so etwas von zutrifft. Während der letz­ten Jahre habe ich manch­mal dar­über nach­ge­dacht, wie man es anstel­len könn­te, dass die Zeit weni­ger schnell vor­bei­geht. Vielleicht müss­te man ein­fach mehr mit der Zeit anfan­gen, die man als Rentner hat. Mehr rei­sen, mehr leben. Einfach von allem mehr. Aber sind die­se Rezepte ziel­füh­rend, mal abge­se­hen von mei­nem inne­ren Schweinehund, der sich wohl aus Trägheit aus Reisen und Events nie viel gemacht hat und davor erfah­rungs­ge­mäß kneift? 

Fallschirmspringen oder Bungee-Jumping

Ich dach­te dar­über nach, ob es nicht viel­leicht etwas für mich wäre, mit dem Fallschirm abzu­sprin­gen oder Bungee-​Jumping zu pro­bie­ren. Ich fand den Gedanken aus irgend­ei­nem Grund nahe­lie­gend. Schließlich wird man – so dach­te ich – die Zeit wäh­rend sol­cher Aktionen beson­ders inten­siv erle­ben. Dafür bin ich auch nicht der Richtige. Vermutlich wür­de ich das Startgeld, wenn ich mich denn zur Zahlung durch­ge­run­gen hät­te, eher ver­fal­len, als so eine Reise anzu­tre­ten. Eine sehr spe­zi­el­le Art der Prokrastination. Dabei war die nie mei­ne Methode. 


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4 Gedanken zu „Woran ich mich noch erinnere“

  1. Die Zeit rast, so kommt es mir auch vor, im oder seit dem Älterwerden (gefühlt so ab ca. 50) dazu wird die Erinnerung immer blas­ser. Bei eini­gen Dingen ver­mut­lich hilf­reich, damit der Schmerz nachlässt.

  2. Interessante Idee mit der per­sön­li­chen Rückschau. Ich behaup­te, Urlaube für mein Leben seit ich 2 war kom­plett in die Jahre ein­tra­gen zu kön­nen. Ebenso zen­tra­le, lebens­prä­gen­de Erlebnisse. Ich kann Dir sogar bei vie­len die­ser Sachen sagen, was für Kleidung ich dabei par­ti­ell getra­gen habe. Habe ich sofort vor Augen. Ist nicht immer schön, die­ses Gedächtnis zu haben, denn es macht Vergessen unschö­ner Erlebnisse schwer bis unmög­lich. Aber immer­hin ver­blas­sen die Bilder.

    Mein Blog hat die Jahre 2009–2020 selbst geschrot­tet. Dass das off­line ist, fin­de ich mehr­heit­lich nicht mehr schlimm. Tatsächlich suche ich manch­mal etwas aus alten Texten her­aus. Ich siche­re alle Texte in Word. Da kopie­re ich sie über Monate in eine Datei, bis sie mir zu groß wird. 

    Lässt Du uns an Deiner Historie teil­ha­ben? Würde ich ger­ne lesen. Wir machen auch kei­ne Fernreisen und mögen Bekanntes. Trotzdem ent­deckt man ja immer mal was Neues dabei.

    Viele Grüße
    Ines

☀️ Jeder Tag ist ein neuer Anfang.

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