Die Teil­nah­me extre­mis­ti­scher Poli­ti­ker wie Ali­ce Wei­del an Talk­shows wirft die Fra­ge auf, wie viel Tole­ranz eine Demo­kra­tie auf­brin­gen sollte.

Die gest­ri­ge Dis­kus­si­on mit Ali­ce Wei­del in der ZDF-Sen­dung »Mar­kus Lanz« wirft erneut die Fra­ge auf, wie viel Tole­ranz eine Demo­kra­tie gegen­über extre­mis­ti­schen, sepa­ra­tis­ti­schen und erkenn­bar abwe­gi­gen Posi­tio­nen auf­brin­gen soll­te. Es ist unbe­streit­bar, dass Wei­dels Rhe­to­rik und ihre poli­ti­schen For­de­run­gen – etwa die Nut­zung von Begrif­fen wie »Remi­gra­ti­on«, die tief in völ­kisch-natio­na­lis­ti­sche Ideo­lo­gien ein­ge­bet­tet sind – nicht nur pola­ri­sie­ren, son­dern auch bewusst die Gren­zen des Sag­ba­ren ver­schie­ben. Ihre aggres­si­ve Ableh­nung erneu­er­ba­rer Ener­gien oder wis­sen­schaft­li­cher Dis­zi­pli­nen wie Gen­der Stu­dies zeigt zudem, wie sie gezielt Res­sen­ti­ments schürt, anstatt kon­struk­ti­ve Lösun­gen anzu­bie­ten. Die­se Fak­ten sind bekannt, wer­den jedoch von Wäh­lern und Anhän­gern der AfD igno­riert. Der Frust über die Poli­tik der eta­blier­ten Poli­tik ist offen­bar der­art ange­wach­sen, dass vie­le Men­schen ihr Heil in Lügen und Pro­pa­gan­da­an­sa­gen der Rechts­extre­men suchen. Schlim­mer noch. Sie sind für Gegen­ar­gu­men­te nicht mehr zugäng­lich. In den USA hat sich die­se Ent­wick­lung in einer zwei­ten Amts­zeit Trumps in erschre­cken­der Wei­se manifestiert.

Talk­shows wie die von Mar­kus Lanz bie­ten eine Platt­form, die nicht nur zur Mei­nungs­bil­dung bei­trägt, son­dern auch extre­mis­ti­sches Gedan­ken­gut nor­ma­li­sie­ren kann. Die media­le Insze­nie­rung sol­cher Per­sön­lich­kei­ten wie Ali­ce Wei­del ver­stärkt deren Wir­kung, da sie durch pro­vo­kan­te Aus­sa­gen Auf­merk­sam­keit gene­rie­ren. Dies führt zu einer para­do­xen Situa­ti­on: Wäh­rend Medi­en ver­su­chen, Dem­ago­gen weni­ger Raum zu geben, tra­gen sie durch ihre For­ma­te gleich­zei­tig zur Popu­la­ri­sie­rung bei.

Dabei fällt auf, dass die Ansich­ten der an sol­chen Dis­kus­sio­nen betei­lig­ten demo­kra­ti­schen Kräf­te oft nicht wirk­lich durch­drin­gen bzw. nicht über­zeu­gen. Es scheint, als ob die Argu­men­te der­je­ni­gen, die für eine offe­ne und plu­ra­lis­ti­sche Gesell­schaft ein­tre­ten, in der Laut­stär­ke und Pro­vo­ka­ti­on extre­mis­ti­scher Stim­men unter­ge­hen. Extre­mis­ten (Wolf im Schafs­pelz) wie Wei­del nut­zen gezielt ein­fa­che Schlag­wor­te und emo­tio­na­le Nar­ra­ti­ve, die sich schnell ver­brei­ten und leicht ver­stan­den wer­den kön­nen. Demo­kra­ti­sche Posi­tio­nen hin­ge­gen erfor­dern häu­fig dif­fe­ren­zier­te Erklä­run­gen und appel­lie­ren an Ver­nunft und Fak­ten – etwas, das in einem hit­zi­gen Talk­show-For­mat oft kei­nen Platz fin­det. Die Fol­ge ist ein Ungleich­ge­wicht: Wäh­rend extre­me Posi­tio­nen durch ihre Zuspit­zung Auf­merk­sam­keit auf sich zie­hen, wir­ken demo­kra­ti­sche Argu­men­te im Ver­gleich oft blass oder kom­pli­ziert.

Hin­zu kommt, dass sich vie­le Zuschau­er bereits vor Beginn sol­cher Dis­kus­sio­nen in ihren Über­zeu­gun­gen gefes­tigt haben. Wer Wei­del zustimmt, tut dies meist aus einer tief ver­wur­zel­ten Frus­tra­ti­on oder einem Gefühl der Ent­frem­dung gegen­über dem poli­ti­schen Sys­tem her­aus. Demo­kra­ti­sche Argu­men­te pral­len an die­ser Hal­tung ab, weil sie nicht emo­tio­nal genug anspre­chen oder als Teil eines »abge­ho­be­nen Estab­lish­ments« wahr­ge­nom­men wer­den. Die eigent­li­che Stär­ke demo­kra­ti­scher Wer­te – ihr Plä­doy­er für Aus­gleich, Kom­pro­miss und Viel­falt – wird in sol­chen Kon­tex­ten als Schwä­che ausgelegt.

Die Gren­zen des Sag­ba­ren ver­schie­ben sich – auch durch den Ein­fluss von Medi­en. „Vie­le Medi­en haben in den letz­ten Jah­ren ver­sucht, den Dem­ago­gen die Auf­merk­sam­keit zu ent­zie­hen“ sagt Mathi­as Döpf­ner (r.), CEO der Axel Sprin­ger SE. Tan­jev Schultz ent­geg­net im neu­en „medi­um maga­zin“ 01/​2025: „Tole­ranz zu üben, soll­te kein Akt von Blöd­heit sein.“

Quel­le

Der öffent­li­che Dis­kurs wird durch extre­me Posi­tio­nen zuneh­mend nach rechts ver­scho­ben. Dies zeigt sich beson­ders in der Akzep­tanz von Begrif­fen und For­de­run­gen, die vor weni­gen Jah­ren noch als Tabu­bruch gal­ten. Der Applaus für Wei­dels Aus­sa­gen auf Par­tei­ta­gen und ihre Nähe zu rechts­extre­men Ideo­lo­gen ver­deut­li­chen, wie sich radi­ka­le Nar­ra­ti­ve in der poli­ti­schen Mit­te ver­an­kern können.

Es stellt sich die Fra­ge, ob eine Demo­kra­tie ver­pflich­tet ist, allen Mei­nun­gen eine Büh­ne zu bie­ten – auch jenen, die ihre Grund­wer­te unter­gra­ben. Tan­jev Schultz for­mu­liert tref­fend: »Tole­ranz zu üben soll­te kein Akt von Blöd­heit sein.« Eine Demo­kra­tie muss wehr­haft sein und darf nicht zulas­sen, dass ihre Offen­heit aus­ge­nutzt wird, um destruk­ti­ve Ideo­lo­gien zu verbreiten.

Der Raum für poli­tisch extre­mis­ti­sche Sicht­wei­sen muss drin­gend geschlos­sen wer­den. Dies bedeu­tet nicht nur eine kla­re Abgren­zung durch poli­ti­sche Akteu­re und Medi­en, son­dern auch eine kri­ti­sche Refle­xi­on inner­halb der Gesell­schaft über den Umgang mit sol­chen Posi­tio­nen. Die Demo­kra­tie ist stark genug, um Mei­nungs­viel­falt zu för­dern – aber sie darf nicht zulas­sen, dass die­se Viel­falt zur Büh­ne für Het­ze und Spal­tung wird. Es ist an der Zeit, kla­re Gren­zen zu zie­hen und extre­mis­ti­schen Stim­men kon­se­quent den Reso­nanz­raum zu ent­zie­hen. Gleich­zei­tig müs­sen demo­kra­ti­sche Kräf­te Wege fin­den, ihre Argu­men­te so zu for­mu­lie­ren und zu prä­sen­tie­ren, dass sie nicht nur sach­lich über­zeu­gen, son­dern auch emo­tio­nal berüh­ren. Nur so kann ver­hin­dert wer­den, dass die Laut­stär­ke der Extre­me den Dis­kurs domi­niert und das Fun­da­ment unse­rer Demo­kra­tie wei­ter erodiert.

Es steht eine kla­re Ent­schei­dung an, die den Extre­mis­ten die Chan­ce nimmt, ihre absto­ßen­den Nar­ra­ti­ve zu ver­brei­ten. Man kann die­se Ent­schei­dung als unde­mo­kra­tisch kenn­zeich­nen. In Wahr­heit ist die Ent­schei­dung jetzt über­fäl­lig. Die kom­pli­zier­ten Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Zeit wer­den wir weder durch Lar­moy­anz noch mit einem schlech­ten Gewis­sen dar­über meis­tern, Demo­kra­tie­fein­de in die Schran­ken gewie­sen zu haben. 

mehr Infos

TV-Kri­tik zu Mar­kus Lanz: Die fak­ten­freie Wei­del-Show
Ali­ce Wei­del zu Gast bei Mar­kus Lanz: Nie­mand lügt, und Was­ser ist tro­cken – DER SPIEGEL

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Kategorie: Medien

Schlagworte: Demokratie Extremismus Medienkritik

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4 Gedanken zu „Grenzen der Toleranz: Können Talkshows ungewollt Extremismus fördern?“

  1. Juri Nello 470 7. März 2025 um 19:42

    Die Quatsch­schau ist als Enter­tain­ment­for­mat dem Ame­ri­ka der 60er ent­lehnt wor­den, da offen­bar ja kein Deut­scher in der Lage war, sich ein eige­nes For­mat auszudenken.
    Was macht die Quas­sel­schau für Sen­der attraktiv?
    Sie ist güns­tig zu pro­du­zie­ren und mit den rich­ti­gen Pro­mis und Click­bait­the­men errei­chen sie trotz­dem vie­le Leute.
    Wer guckt aller­dings sowas, wenn man sich auch gut unter­hal­ten las­sen kann?
    Es sind Bild­zei­tungs­le­ser, Rent­ner, Wut­bür­ger. Durch­schnitts­al­ter 70+. Also fast alles Leu­te, die vor­her schon radi­ka­li­siert wurden.
    Die Steu­er­satz für die Ren­te dürf­te übri­gens stark stei­gen. Es herrscht halt Sachzwang.

    Selbst wenn sich hier­zu­lan­de eine Rent­ner­ar­mee­frak­ti­on bil­den soll­te, die den Reichs­tag stür­men will, so weiss sel­bi­ger sich schon durch sei­ne Bau­sub­stanz und ‑wei­se sich dem Andrang der Geh­hil­fen zu weh­ren. Da könn­te man auch einen Kraut­hau­sen von vor 15 Jah­ren zitie­ren oder nan fragt hakt einen der letz­ten Kai­ser vom letz­ten Jahr, die trotz blau­en Blu­tes, schon im Vor­feld damit geschei­tert sind.
    Das ist eine Bedro­hung, der selbst so ein kaput­ter Vass­al­len­staat, wie der uns­ri­ge gewach­sen ist. 

    Was aber pas­siert, wenn die Leu­te, in den nun über­all aus dem Boden gestampf­ten Rüs­tungs­wer­ken ihre Spiel­zeu­ge mit nach Hau­se neh­men? Sowas kommt ja auch in den bes­ten Bun­des­weh­ren vor.
    Das eröff­net ganz neue Szenarien.

    Nein, eine Laber­schau ist viel­leicht ein Grund für man­chen Herz­kas­per, aber sicher nicht für einen Putsch.

    Soll­te sich tat­säch­lich mal ein Atten­tä­ter auf Chris­ti­an­sen, Plass­berg, Mios­ga oder Will beru­fen, so wäre das ganz sicher ein Fall für die Psych­ia­trie und nicht für die Verfassung.

  2. So sehr ich die Grund­idee ihres Arti­kels befür­wor­te gibt es doch eine Klei­nig­keit die mir betrach­tens- und damit dis­kus­si­ons­wert ist.
    Sie schreiben
    «.. wis­sen­schaft­li­che® Dis­zi­pli­nen wie Gen­der Studies ..»
    Gen­der Stu­dies mögen zwar an Hoch­schu­len ver­tre­ten sein, die Basis auf der sie begrün­det sind ist jedoch nicht wis­sen­schaft­lich son­dern ledig­lich ideo­lo­gisch begründet.
    Ent­stan­den aus eine Posi­ti­on den Anti-Femi­nis­mus zu kor­ri­gie­ren sind sie eine Kampf­an­sa­ge an alle, die Femi­nis­mus in sei­ner Extrem­form ablehnen.
    Ich bin bei­spiels­wei­se für eine abso­lu­te Gleich­be­rech­ti­gung der Frau und lebe das seit ich den­ken kann. Unse­re Toch­ter wäre nie auf die Idee gekom­men ande­re Rech­te als unser Sohn zu haben – was sich in ihrem Leben jen­seits der Fami­lie aus­ge­prägt hat. Trotz­dem erle­be ich Femi­nis­mus (und Gen­der Stu­dies!) heu­te als eine Umkehr des­sen, was frü­her schon falsch an männ­li­chem Domi­nanz­stre­ben war: Dog­ma­tik ohne Kon­zes­sio­nen und Graubereiche.
    Als Bio­lo­ge ver­tre­te ich die wis­sen­schaft­li­che The­se meh­re­rer Aus­prä­gun­gen der bei­den Grund­for­men der Geschlech­ter – es gibt Zwi­schen­for­men die in der Natur durch­aus häu­fi­ger sind als bekannt.
    Der Unter­schied zu *gen­der* ist aller­dings die nicht vor­han­de­nen META-Ebe­ne, die für Men­schen hin­zu­ge­dich­tet wur­de, um dar­aus eine Stu­di­en­rich­tung mit Beam­ten­stel­len und Pro­fes­su­ren zu generieren.

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