Ein Jahr nach einem bemerkenswerten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts scheint sich eine Frage mit wachsender Dringlichkeit zu stellen: Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch das, wofür wir ihn bezahlen – ein Garant für Vielfalt, Fairness und demokratische Aufklärung?
Genau darum ging es in einem Gespräch zwischen Prof. Dr. Rieck und dem Medienanalysten Roland Schatz, dessen Firma Media Tenor seit über 30 Jahren die Berichterstattung von ARD, ZDF und Deutschlandfunk unter die Lupe nimmt. Und was diese Langzeitbeobachtung zutage fördert, ist mehr als nur ein Rauschen im Blätterwald. Es ist eine tektonische Verschiebung journalistischer Maßstäbe – und eine Ohrfeige für den Anspruch auf Objektivität.
Die Sache mit der Vielfalt
Das erwähnte Urteil stärkte das Recht jedes einzelnen Beitragszahlers zu erfahren, wie das Programm zustande kommt – nicht nur, wofür das Geld ausgegeben wird. Eine beachtliche Wende. Und doch: Die Realität bleibt ernüchternd. Roland Schatz und sein Team zeigen auf, wie sich Berichterstattung seit Jahrzehnten einseitig entwickelt – insbesondere im Bereich der Wirtschaft, Politik und gesellschaftlicher Entwicklungen.
Statt Ausgewogenheit herrscht oft Monokultur: mehr Kündigungen als Neueinstellungen, mehr Pleiten als Gründungen, mehr Konvergenz als Kontroverse. Die Darstellung scheint geprägt von einer selektiven Wahrnehmung, die nicht den Tatsachen, sondern einer redaktionellen Brille folgt.
Dass die Vorwürfe sich mit all dem decken, was wir aus dem rechten politischen Spektrum seit Jahren hören, fällt auf. Ich hoffe, nicht nur mir. Es werden Charts präsentiert, die einen wissenschaftlichen Hintergrund der dargelegten Erkenntnisse belegen sollen. Bei mir befördern diese nun wahrlich nicht neuen Vorhaltungen eher Misstrauen. Weniger gegen ZDF und ARD, sondern gegen die, die sich dem allgemeinen Jammern über die Qualitätsverluste des ÖRR jederzeit bereitwilligst anschließen. Möglicherweise bin ich zu unsensibel für solche Wahrheiten, weil ich mein Wissen doch zum großen Teil aus ÖRR beziehe. Schon doof, werden manche sagen. Glaubt mir, ich bin gegenüber jedweder Nachricht skeptisch und bin bisher damit gut gefahren.
Wirtschaft – das ungeliebte Kind?
Familienunternehmen bzw. ihre Verbandsfunktionäre äußern sich in allen Medien kritisch über den wirtschaftlichen Zustand des Landes. Aber dann höre ich, dass eine Umfrage unter 908 deutschen Familienunternehmern folgendes zutage brachte: Das ZDF gilt als wirtschaftsfeindlichster Sender. 53 % der Befragten gaben das so an – kein kleiner Befund. Die ARD folgte mit 30 %. Private Sender rangierten weit dahinter – aus Sicht der Unternehmer immerhin „neutraler“. Die dazu vorgelegten Charts (s. Video) belegen die merkwürdige schiefe Bilanz, die ich (also permanenter Nutzer der ÖRR) nicht wirklich nachvollziehen kann.
Das Unbehagen zeigt sich in Zahlen: Während in Deutschland in großem Maßstab neue Arbeitsplätze entstehen und Start-ups gegründet werden, vermitteln die öffentlich-rechtlichen Sender das Bild einer Wirtschaft im freien Fall. Negativität als redaktionelles Prinzip? Ein Vorwurf, der schwer wiegt. Und der soll ausweislich solcher Charts vor allem auf Berichte des ÖRR zureffen. Das halte ich für lächerlich. Insbesondere dann, wenn es um KI geht, sind die Nachrichten (auch die aus unabhängigen Quellen) doch von ganz anderer Natur. Als ob die medienübergreifende Fixierung auf negative Nachrichten ein Phänomen wäre, das wir nur vom ÖRR kennen.
Politik in Schieflage
Auch die politische Berichterstattung kommt nicht ungeschoren davon. Positionen von SPD, Grünen und Linkspartei würden laut Analyse deutlich häufiger und positiver dargestellt als ordnungspolitische Konzepte von CDU, FDP oder anderen liberal-konservativen Akteuren. Die Gründe? Man müsse, so Schatz, nur auf die parteipolitische Zusammensetzung vieler Redaktionen schauen.
Es gibt auch Meldungen von ganz anderer Seite, die besagen, dass unsere Wirtschaft nicht gut läuft und uns deshalb einiges Ungemach ins Haus steht. Es sind keineswegs links- oder grün orientierte Medien, die von diesen Zeiten berichten. Von solchen Experten wie Roland Tichy (früher Chef der Wirtschaftswoche) möchte ich gar nicht erst anfangen. Wie passen dessen penetranten Vorhaltungen zur schlechten Lage unserer Wirtschaft zum Vorwurf der Einseitigkeit des linken Spektrums? Völlig verrückt.
Der Vorwurf: Wer als Journalist politisch klar verortet ist, berichtet nicht mehr neutral. Das ist vermutlich nicht falsch. Aber die Empfehlung der Neutralität trifft alle Journalisten gleichermaßen, nicht nur solche im links-grünen Lager.
Wenn Kontrolle durch Rundfunkräte oder Verwaltungsräte versagt – weil diese selbst nicht mit Daten versorgt werden – bleibt das System blind für seine eigenen Verzerrungen, behauptet Herr Schatz.
Ob die Feststellung des Versagens nicht eher auf eine politische Orientierung von Schatz zurückzuführen ist? Ich finde, die Frage ist erlaubt.
Die Pandemie als Lackmustest
Ein besonders aufschlussreiches (und tendenziöses!) Beispiel: die Berichterstattung zur Corona-Pandemie. Laut Media Tenor wurde fast ausschließlich auf eine Expertenstimme gesetzt – Christian Drosten. Alternative Stimmen, wie etwa der Virologe Hendrik Streeck, blieben marginalisiert.
Der Vorwurf: Die Sender agierten wie Pressesprecher – nicht wie Journalisten. Ein Selbstgeständnis von ZDF-Moderator Claus Kleber („Wir waren Pressesprecher, keine Journalisten“). Das hat Kleber so nicht gesagt! Schatz stilisiert den markigen Satz aber als Beweis für seine Haltung zur Bericherstattung. Etwas komplexer scheint mir die Lage damals dann doch gewesen zu sein. Schatz macht die Behauptung zur tragischen Fußnote in der Chronik eines medialen Ausnahmezustands.
Schatz hat das Zitat, das angeblich genau aus der von Turi2 angesprochenen Veranstaltung stammen soll, ein wenig »überspitzt« – sprich griffiger formuliert. So hat Kleber das nach meine Recherchen nicht gesagt.
Such einmal selbst auf der entsprechenden Website der Heraeus-Bildungsstiftung nach diesem Zitat…

„Mit dem Zweiten siehst du…?“
Roland Schatz schlägt vor, den berühmten Slogan des ZDF umzudichten. Etwa in: „Mit dem Zweiten landen wir wieder im Tal der Ahnungslosen.“
Ein bitteres Bonmot – aber eines, das in vielen Ohren nicht ohne Resonanz bleibt. Denn Vertrauen, einmal verloren, ist schwer zurückzugewinnen.
Ausblick: Reform oder Resignation?
Was folgt daraus? Die Forderung nach regelmäßiger Rechenschaft der Sender, nach einer neuen Struktur journalistischer Verantwortung und – ja – nach personellen Konsequenzen. Wenn Programmdirektoren und Chefredakteuren keinen Kurswechsel einleiten, müsse man eben anderen das Steuer überlassen. So der Tenor.
Es geht nicht um Demontage, sondern um Wiederherstellung – einer journalistischen Glaubwürdigkeit, die mehr als ein Pflichtprogramm ist. Und um die schlichte Erkenntnis:
Demokratie braucht Medien, denen man vertrauen kann, finde ich. Das gilt allerdings gleichermaßen für die, die uns mit solchen Denkanstößen konfrontieren.
Wenn man gewisse Sendungen verfolgt (Lanz, Miosga und Co.) finde ich die Auswahl der häufigen Gäste wirklich nicht nur auffällig, sondern unmöglich.
Und diese Gäste werden nie einem Faktencheck unterworfen oder mal wirklich hart angegangen. Somit sind solchen Sendungen sinnlos und verbreiten nur unkommentiert deren Schwachfug.
@_Su: Ich sehe mir Lanz oft an und frage mich fast genauso oft, warum ich das mache. Leider gibt es keine schlüssige Antwort. Die Gäste sind aus meiner Sicht weniger das Problem. Vielmehr sind es z. B. diese beifallheischenden Blicke, die Lanz, nachdem er seine Gemeinheiten herausgelassen hat, seinen Claqueuren (meist Journalisten) zuwirft. Die Themen finde ich oft interessant. Und nicht selten gelange ich über die Sendung zu neuen Erkenntnissen, die zumindest meinen Horizont etwas erweitern. Manchmal frage ich mich allerdings auch, warum ich mir das antue. Wahrscheinlich bin ich einer von denen, die Georg Schramm (emotionale Pissrinne) damals gemeint hat…
https://www.youtube.com/watch?v=QsSJz6UtqzQ