Russland, Ukraine, USA

Realitätsverweigerung? Verheugen, die USA und der Ukrainekrieg: Eine irritierende Verkürzung

13. Juni 2025

2 Kommentare

Günter Verheugen, lang­jäh­ri­ger EU-​Kommissar und SPD-​Mitglied, zeich­net in sei­nem Vortrag ein düs­te­res Bild der aktu­el­len geo­po­li­ti­schen Lage. Er kri­ti­siert die west­li­che Russlandpolitik seit dem Ende des Kalten Krieges scharf, warnt vor nuklea­rer Eskalation und for­dert eine Rückkehr zu einer koope­ra­ti­ven euro­päi­schen Friedensordnung. Im Zentrum sei­ner Argumentation steht die These, dass der Krieg in der Ukraine Ausdruck eines „geo­po­li­ti­schen Stellvertreterkriegs“ sei – und die USA ein stra­te­gi­sches Interesse an der Schwächung Russlands hät­ten. Wennschon, dann müss­te es wohl „hat­ten“ bzw. gehabt haben hei­ßen. In der Ära Trump ist Verheugens alt­lin­ke Beschreibung ein­fach nur grotesk.

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Er spricht, wie vie­le das heu­te noch immer tun, die angeb­li­che, nur lei­der nicht ver­brief­te Zusage der USA an Russland von Anfang der 1990er Jahre an, dass die NATO kei­ne Anstalten zur Ost-​Erweiterung machen wer­de. Statt auf Beweise greift er auf Anekdotisches zurück:

„Es ist rich­tig und in dem letz­ten Gespräch, das ich mit Hans-​Dietrich Genscher hat­te, ein Jahr bevor er starb, hat er mir es noch ein­mal bestä­tigt: Es ist so gewe­sen, dass im Zusammenhang mit der deut­schen Einigung Gorbatschow die Zusage gemacht wor­den ist, dass die NATO sich nicht nach Osten aus­deh­nen wür­de. Es ist rich­tig, dass das nicht ver­trag­lich fixiert wor­den ist. Wenn dar­in ein Vorwurf liegt, dann ist es der Vorwurf, dass Gorbatschow uns geglaubt hat.

Verheugen im YouTube-Vortrag

Gemeinsam mit dem US-​Außenminister ver­kün­det er, dass der Westen bei allen anste­hen­den Verhandlungen und Gesprächen selbst­ver­ständ­lich Rücksicht auf die stra­te­gi­schen Interessen der Sowjetunion neh­men wird. „Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-​Verteidigungsgebiet aus­zu­deh­nen nach Osten“, erin­nert sich Genscher spä­ter. „Das gilt übri­gens nicht nur in Bezug auf die DDR, die wir nicht ein­ver­lei­ben wol­len, son­dern das gilt ganz gene­rell.“ Tage spä­ter beim Besuch in Moskau wird James Baker noch ein­mal auf die­se Zusicherung zurück­kom­men. Er und sei­ne Mitarbeiter wis­sen: Nur so wird sich eine Tür für Verhandlungen über­haupt erst öff­nen. Und ihre Strategie geht auf.

Jack Matlock, 1990, US-​Botschafter in Moskau: „Ich erin­ne­re mich an Bakers Worte: „Sie müs­sen nicht gleich ant­wor­ten, aber den­ken Sie dar­über nach. Angenommen, die NATO dehnt sich nicht wei­ter nach Osten aus, kei­nen Zentimeter: Wäre es dann nicht bes­ser für die zukünf­ti­ge Stabilität der Welt, wenn Deutschland in die NATO ein­ge­bun­den wäre und Amerika wäre wei­ter­hin mili­tä­risch in Europa prä­sent? Gorbatschow ant­wor­te­te: „Jede NATO-​Erweiterung nach Osten wäre selbst­ver­ständ­lich inak­zep­ta­bel. Aber ich ver­ste­he, was Sie mei­nen. Und ich will gründ­lich dar­über nachdenken.“

Quelle

Das Problem: Verheugens Vortrag ist in sich nicht stim­mig. Verheugen blen­det zen­tra­le Aspekte aus – allen vor­an die Tatsache, dass die Ukraine kein blo­ßes Objekt ist, son­dern Subjekt. Sie wur­de über­fal­len. Sie wehrt sich. Und sie tut das nicht auf Geheiß aus Washington, son­dern aus dem exis­ten­zi­el­len Zwang her­aus, sich zu ver­tei­di­gen. Der Zusammenbruch des Warschauer Paktes eröff­ne­te den USA alle Möglichkeiten, ihre impe­ria­lis­ti­sche Politik zu betrei­ben. Dass dies im geschicht­li­chen Kontext über­ra­schen­der­wei­se ohne krie­ge­ri­sche Auswirkungen von­stat­ten­ging, war ein ech­ter Glücksfall für unse­re Welt. 

Dieses eben­falls über­lie­fer­te Zitat aus der Vergangenheit wird gern verschwiegen:

Ich erin­ne­re mich an die Diskussion im Konferenzraum des Weißen Hauses. Wir stel­len Gorbatschow die Frage: Glauben Sie, dass jedes Land wäh­len darf, wel­chem Sicherheitsbündnis es sich anschlie­ßen will? Und er sag­te: Ja, natür­lich.

James Baker

Irritierend ist Verheugens Analyse, wenn man Elemente davon mit der aktu­el­len Politik Donald Trumps ver­gleicht. Der US-​Präsident hat wie­der­holt signa­li­siert, er wol­le die US-​Unterstützung für die Ukraine dras­tisch kür­zen oder gar been­den. Er ver­sprach sogar, den Krieg „in 24 Stunden zu been­den“ – frei­lich ohne zu erklä­ren, wie. Trump steht für eine iso­la­tio­nis­ti­sche Agenda. „America First“ heißt eben nicht „Europa sichern“. Wenn Verheugen recht hät­te mit sei­ner geo­po­li­ti­schen Lesart, dann müss­te Trump der größ­te Befürworter die­ses Krieges sein. Das ist er aber nicht, wie wir inzwi­schen sicher wissen.

Verheugen ist ein Veteran euro­päi­scher Politik. Sein Ruf ver­dient Respekt. Aber sei­ne Sicht auf den Ukrainekrieg ist eine unzu­läs­si­ge Vereinfachung. Sie stützt sich auf eine Alt-​Linke Lesart des Imperialismus, die die Komplexität der Gegenwart nicht mehr erfasst. Putin wird dar­in zum Getriebenen, zum Reagierenden. Die NATO zur Provokateurin. Und die USA zum Strippenzieher, dem alles in die Hände spielt.

Das ist bequem, aber falsch. Es ist ein Krieg mit Opfern, kein Schachspiel mit Figuren. Und wer das nicht mehr erkennt, hat sich vom Geist der Aufklärung ver­ab­schie­det, den er so ger­ne beschwört. Verheugen plä­diert für eine gesamt­eu­ro­päi­sche Friedensordnung unter Einbeziehung Russlands – nicht als Vasall der USA, son­dern als sou­ve­rä­ner Akteur mit gleich­be­rech­tig­tem Status. Dann soll­te ihm die Politik Trumps doch zupasskommen.

HS230625


Horst Schulte, Blogger und politisch interessierter Rentner aus dem Rheinland. Schreibt mit Leidenschaft über Gesellschaft, Medien und Zeitgeschehen – pointiert, kritisch und mit Herz.

2 Gedanken zu „Realitätsverweigerung? Verheugen, die USA und der Ukrainekrieg: Eine irritierende Verkürzung“

  1. Bis vor kur­zem habe ich Verheugens Meinung noch voll und ganz unter­stützt, inzwi­schen sehe ich das auch etwas dif­fe­ren­zier­ter. Unerträglich fin­de ich aller­dings zum einen die Kriegsgeilheit, ins­be­son­de­re der Grünen, und den Versuch eini­ger Politiker (Baerbock, Hofreiter, Strack-​Zimmermann und eini­gen ande­ren), die Bevölkerung mit ihrem Russenhass zu infiltrieren. 

    Nicht „die Russen“, haben den Krieg begon­nen, son­dern der impe­ria­le Machthaber Putin mit sei­nen Schergen Lawrow und Co. Ich bin auch der Meinung, dass wir, zumin­dest in der Nach-​Putin-​Ära, wie­der ver­su­chen soll­ten Beziehungen zu Russland auf­zu­bau­en und das nicht nur aus wirt­schaft­li­chen Gründen.

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Kategorie: Politik

Schlagworte: Russland Ukraine USA Verheugen

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