Eine Beobachtung an meinem persönlichen Altwerden stört mich besonders. Es ist ein zunehmender Hang zur Sentimentalität. Früher ™ habe ich mich lustig darüber gemacht, wenn ältere Leute feuchte Augen bekamen, nur weil sie Schicksalschläge als TV-Zuschauer frei Haus geliefert bekamen. Das hatte doch nun mal überhaupt nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Gefühlsduselei halt. Genau diese Gefühlsduselei überkommt mich immer häufiger, und ich hasse es.
Aber es gibt in unserer Realität leider genug Anlässe, mindestens feuchte Augen zu bekommen. Bei mir ist es in manchen Fällen, ich kann es nicht anders beschreiben, eine Mischung aus Sentimentalität und fürchterlichem Zorn. Ich ertrage es kaum, wenn ich misshandelte, kranke und hungernde Kinder sehe. Solche Gefühlsregungen gehen an keinem vorbei. Egal, wie er sonst so drauf sein mag.
Und dann gibt es diese Momente, in denen mich die Medienwelt fassungslos macht. Nicht, weil ich nicht wüsste, wie sie funktioniert – im Gegenteil, vielleicht gerade deshalb.
Seit Tagen geistern Fotos von ausgemergelten Kindern aus Gaza durch die Nachrichten. Bilder, die so unerträglich sind, dass sie eigentlich alles sagen, was man wissen muss. Und doch drehen wir uns nicht um das, was sie zeigen, sondern um die Bilder selbst. Wir sehen Gaza, das unermessliche Ausmaß an Leid und einen Grad an Zerstörung, wie wir uns diesen nur mithilfe von Dokumentationen oder Hollywood auszumalen in der Lage sind. Wir werden förmlich gezwungen, Stellung zu beziehen. Die historische Schuld belastet den einen mehr, die andere weniger. Aber wir sehen, dass hier jedes menschliche Maß überschritten ist. Das Vorgehen der israelischen Regierung und ihrer Armee ist durch rein gar nichts zu rechtfertigen!
Natürlich, die Debatte darüber, ob Bilder echt sind, ist wichtig. Aber die entscheidende Frage ist doch: Dürfen solche Bilder – so symbolträchtig, so schmerzhaft – das ganze Leid einer Region in einem einzigen Gesicht verdichten?
Ich glaube, ich weiß, wie Medien ticken. Es sind die drastischen, die spektakulären Bilder, die auf Titelseiten landen. Weil sie Aufmerksamkeit erzeugen. Weil sie uns aus der Komfortzone reißen – ja, gelegentlich sogar ehrliche Tränen auslösen. Aber da ist auch immer die Gefahr: zu vereinfachen, zu übertreiben, zu manipulieren.
Ein Junge, dessen Fotos jetzt um die Welt gehen, war vorerkrankt. Ist das ein Zufall? Oder zeigt der „normale“ Hunger nicht genug, um die Welt wachzurütteln? Warum müssen es fast immer Kinder sein, die zum Symbol erhoben werden? Vielleicht, weil wir Erwachsene so abgestumpft sind, dass nur noch ein leidendes Kind unser Herz erreicht.
Und was sagt das über uns aus?
Die Wahrheit ist: Die Katastrophe in Gaza war schon lange vor diesen Fotos unerträglich. Vor über einem Jahr berichtete die „Zeit“ eindrücklich darüber – mit dem nüchternen Titel „Hunger“. Kaum einer hat hingesehen. Jetzt, mit diesen Bildern, schaut die Welt plötzlich hin. Das ist gut.
Aber: Es heiligt nicht jedes Mittel. Auch nicht, wenn der Zweck so dringend ist.
Mich verstört, wie zynisch und menschenverachtend die Deutungsschlacht um diese Fotos inzwischen geworden ist. Wenn ich den Parteien (Pro und Contra Israel) zuhöre, wird mir übel. Und doch glaube ich, dass Medien sich dieser Debatte stellen müssen – selbstkritisch, ohne den Blick vom eigentlichen Skandal abzuwenden: dass Menschen in Gaza verhungern. Welches Übermaß an Hass wird in den Bewohnern von Gaza seit dem Krieg der Israelis ausgelöst worden sein, Menschen, die alles verloren haben? Nicht nur ihr Hab und Gut. Israel hat mit seinem Vorgehen in Gaza und dem Westjordanland für terroristischen Nachwuchs gesorgt. Soviel ist sicher. Vielleicht ist es ja dieses Bewusstsein, welches die Regierung weitermachen lässt. Ich bin überzeugt davon, dass es schon lange nicht nur das Ziel Israelis ist, die Hamas zu zerstören.
Es ist ein schmaler Grat, auf dem Journalisten oft wandeln. Ich weiß nicht, ob ich an ihrer Stelle immer die richtigen Entscheidungen treffen würde. Aber ich weiß, dass es unser aller Aufgabe ist, hinzusehen – und nicht erst dann, wenn uns ein Bild ins Herz schneidet.
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