Vorige Woche saßen wir mit einem alten Freund und seiner Familie beim Essen. Ein Sommerabend, wie er im Bilderbuch steht: warm, leicht, voller Stimmen und Gerüche. Das Essen war großartig, die Gespräche liefen wie von selbst, und immer wieder blitzten Erinnerungen an alte Zeiten auf. Ich mag solche Abende – vielleicht gerade deshalb, weil sie so selten geworden sind.
Dass wir dann doch noch bei ein paar heißen Eisen landeten, war nicht geplant. Aber – Hand aufs Herz – ich konnte es wieder einmal nicht lassen. Jeder weiß doch, dass man an einem Abend voller Leichtigkeit besser die Finger von Politik lässt. Jeder, nur eben nicht ich. Ich habe diese Regel noch nie beachtet. Immer feste drauf, koste es, was es wolle.
Wobei – so ganz egal war es mir natürlich nicht. Schließlich ging es hier nicht um irgendeinen Tischbekannten, sondern um einen Freund, den ich seit Kindertagen kenne. Seit dem Sandkasten. Zwei Jahre trennen uns, und doch ist da diese Nähe, die ich als großes Geschenk empfinde.
Eine Erinnerung tauchte auf: Vor Jahrzehnten habe ich bei einer Geburtstagsfeier mit meiner Rechthaberei fast alles ruiniert. Es tat mir später leid, oft sogar. Aber an jenem Abend nun wollte ich es anders machen. Bedachter. Behutsamer. Ich legte drei Themen auf den Tisch, die mir gerade besonders unter den Nägeln brannten: Trump, Gaza und die Causa Brosius-Gersdorf. Schon diese Auswahl hätte Zündstoff genug geboten. Doch mein Freund blieb wie immer gelassen, humorvoll, souverän – und seine Frau stand ganz selbstverständlich an seiner Seite. Sein Sohn dagegen, so bilde ich mir ein, war eher bei mir.
Und was nahm ich mit? Dass Trump keineswegs ein Dummkopf sei, sondern mit kühler Strategie auf Erfolg hinarbeite. Dass die Palästinenser letztlich selbst für ihr Elend verantwortlich seien, weil sie die Freilassung der Geiseln durch die Hamas hätten erzwingen müssen. Und dass die Hamas das Elend durch Hunger bewusst verschärft habe. Schließlich: dass Frau Brosius-Gersdorf wegen ihrer Haltung zum Abtreibungsrecht niemals Verfassungsrichterin werden dürfe. Zack. Bämm. Da stand ich nun – und wusste Bescheid.
Ich hielt mich zurück. Verblüffend genug. Später sprach ich mit meiner Frau darüber – wie so oft. Wir diskutieren leidenschaftlich, und nicht selten stehen wir uns dabei auch gegenüber. Dieses Mal aber waren wir uns einig. Welch ein Glück. Was ich an jenem Abend wohl richtig gemacht habe: Ich habe meine Überzeugungen nicht wie eine Monstranz vor mir hergetragen. Ich habe sie – ausnahmsweise – nicht für das Maß aller Dinge erklärt. Obwohl ich, insgeheim, immer noch glaube, es besser zu wissen.
Es heißt, kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Vielleicht war mein Schweigen so ein Geschenk. Vielleicht ist es gar so etwas wie Altersmilde, die langsam bei mir anklopft – ein wenig verspätet. Oder ich wollte einfach nicht riskieren, mit meinem ältesten und liebsten Freund auf unsere alten Tage wegen solcher am Ende doch unwichtigen Dinge in Streit zu geraten. Man muss nicht einer Meinung sein, um befreundet zu bleiben, wenn es manchmal auch weh tut.
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