Es ist ein Bild, das uns unter die Haut geht: Paviane, voller Leben und Energie, werden im Nürnberger Tiergarten getötet, weil ihre Gruppe zu groß geworden ist. Ihr Fleisch landet am Ende bei Löwen, Tigern, Mähnenwölfen und Buntmardern. Wer das liest, gibt sich gern bestürzt. Ich war keine Ausnahme!
Doch sofort stellt sich die Frage: Warum trifft uns diese Nachricht härter als das, was Tag für Tag in Schlachthöfen geschieht – millionenfach, routiniert, meist ohne Aufschrei? Und auch darüber werden wir informiert (Tönnies sag ich nur).
Vielleicht ist es anders, weil Paviane auch in ihrer permanenten Aufgeregtheit sympathisch sind. Zwar sind sie keine Menschenaffen, evolutionär sind sie trotzdem vergleichsweise nah bei uns. Sie schauen uns an wie entfernte Verwandte, und schon regt sich in uns ein Unbehagen. Christian Buggisch spricht vom „Niedlichkeits-Index“. Ein schönes, treffendes Wort. Wir spüren: Es macht eben einen Unterschied, ob wir in die Augen eines Affen sehen oder ob wir ein Schweineschnitzel betrachten – so klug Schweine auch sein mögen.
Aber so einfach ist es nicht. Es geht nicht nur um den Charme eines Tieres, sondern auch darum, ob wir es als Individuum wahrnehmen oder als Teil eines Systems – des Zoos, der Landwirtschaft, der „freien Natur“. Paviane im Gehege sind sichtbar, greifbar, nah. Schweine verschwinden im Verborgenen.
Die Entscheidung des Zoos folgt einer eigenen Logik: Populationsmanagement klingt nüchtern, fast technokratisch. Überpopulation, Inzucht, Leiden sollen verhindert werden. Klingt vernünftig, beinahe alternativlos. Aber dürfen wir so reden, wenn es um Leben geht? Dürfen wir den Schalter umlegen und sagen: „Bis hierhin und nicht weiter“?
Hinter dieser Episode steckt ein viel größeres Dilemma. Unser Verhältnis zu Tieren ist widersprüchlich bis ins Mark. Wir streicheln den Hund, besuchen den Zoo, schwärmen von der Artenvielfalt – und essen abends Steak. Wir lieben und wir nutzen. Wir empören uns, wenn Tiere vor unseren Augen sterben, und zucken mit den Schultern, wenn es unsichtbar geschieht.
Manche stellen sich dieser Doppelmoral, hinterfragen ihren Fleischkonsum, fordern Tierrechte. Andere richten sich gemütlich im Schweigen ein. Beides ist zutiefst menschlich. Doch der Fall im Nürnberger Tiergarten legt den Finger in eine Wunde: Nach welchen Kriterien bemessen wir eigentlich den Wert des Lebens? Wer entscheidet, welches Tier Schutz verdient – und welches nicht?
Vielleicht sollten wir aufhören, das Thema nur auf Zoos zu schieben. Die Paviane sind kein Einzelfall, sondern ein Spiegel. Sie zwingen uns, unser eigenes Handeln zu betrachten – unser Konsumverhalten, unsere Sehnsucht nach Nähe zu Tieren, unsere Bereitschaft, Unangenehmes auszublenden.
Und vielleicht – nur vielleicht – sollten wir dieser kleinen, nagenden Stimme in uns mehr Raum geben. Der Stimme, die uns sagt: Sei ehrlicher zu dir selbst.
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