An vielen Orten der Welt zeigen sich die Kontraste von Postkartenidylle und Menschenschwärmen: Influencer bringen Bilder ins Netz, die bald zur Last für die Orte selbst werden – sie werden überlaufen, verdrängt, entfremdend. Auch die Reisen zu den Traumorten bedeuten oft mehr, als die Wanderschuhe zu schnüren oder das Fahrrad zu satteln. Christian Buggisch hat mögliche solche Szenarien und vergleichbare Beispiele für diesen leider weithin als normal empfunden, aber letztlich auch kollektiven Wahnsinn eindrucksvoll beschrieben.
Wir sind Teil des Problems – und sollten das bedenken und ruhig häufig auch darüber schreiben
Fotos, Gondeln, Seilbahnen, Schiffe (große und kleine) sowie der als Selbstverständlichkeit empfundene veritable Komfort wurden Bestandteile eines gewaltigen Kollateralschadens für unsere Welt.
Regulierung wäre eine Möglichkeit, dieser Entwicklung beizukommen. Sie greift allerdings nur dann, wenn die damit einhergehende Bürokratie nicht zu Ablehnung führt. Online-Tickets und Park‑&‑Ride‑Systeme zeigen an überlaufenen Orten, dass steuernde Eingriffe möglich und eben auch nötig sind, um zumindest ein gewisses Gleichgewicht wiederherzustellen.
Mallorca ist überall: Wenn Wasser knapp wird und Sommer ewig scheint
Mallorca ächzt unter rund 20 Millionen Touristinnen und Touristen jährlich – vor 20 Jahren waren es nur 8 Millionen. Das hat Folgen: Wasserverbrauch steigt dramatisch – von durchschnittlich 100 l für Einheimische auf 180 l pro Tourist:in, Luxusgäste kommen gar auf das 10- bis 20-fache. Die touristische Saison dehnt sich von Ostern bis Oktober. Thomas Gigold schreibt in seinem Blog von einer Doku, die ich dieser Tage bei Phoenix gesehen habe. Sie trägt den Namen „Wer rettet Mallorca?” Video hier in der ARD-Mediathek.
Die Klimakrise als Verstärker – und Weckruf
Immer längere und zunehmend heiße Sommer begünstigen den Overtourism. Wasser wird knapp, Ökosysteme gestresst, Ressourcen überfordert. Wir brauchen Konzepte, die nicht nur touristische Lust, sondern auch Klimagerechtigkeit und Bewahrung vereinen. Wie gut verstehe ich die Menschen auf Mallorca, die aufgrund der Entwicklung – vor allem nach der Pandemie – so nicht mehr weitermachen wollen (und können!).
Lösungsansätze im Einklang mit dem Klima
- Zeitliche und räumliche Streuung fördern: Neben intensiven Sommermonaten auch Nebensaison attraktiv machen – mehr Klimafreundlichkeit, weniger Druck auf Umwelt. Allerdings: Die Zahl der Touristen muss parallel zu solchen Maßnahmen unbedingt geregelt (limitiert) werden. Wikipedia
- Wasser-Fairness einfordern: Höhere Abgaben für Luxusgäste, Wassermanagement, Transparenz über Verbrauch – so wird Ressourcenverbrauch bewusst steuerbar.
- Datenbasierte Overtourism‑Steuerung: Tools wie Crowdsensing, Indexes oder Sensorik können helfen, Besucherströme zu steuern – klug, anonym und wirksam. arXiv
- Partizipation statt Profit: Einbindung der lokalen Gemeinschaft in Entscheidungsprozesse – Tourismuspolitik darf nicht von wirtschaftlichen Interessen allein diktiert werden. Wikipedia
- Wandel statt Wachstum: Diversifizierung touristischer Angebote, etwa sanfter, klimafreundlicher Tourismus – anstatt immer nur mehr zu wollen, sollten wir besser sein.
Wenn die Berge oder Meere „rufen”, tut das der Natur nur so lange nichts, bis die Grenzen des Tourismus nicht überschritten werden. Wer würde das Beispiel von Mallorca wohl nicht kritisch sehen und auch Verständnis für die Mallorquiner aufbringen, die sich das nicht weiter gefallen lassen wollen?
Menschen mögen Luftveränderung. Wenn diese mit der schönsten Zeit des Jahres – also dem Urlaub – zusammenfällt, ist alles tippitoppi – sofern wir die Natur nicht ersticken. Overtourism ist kein unvermeidbares Schicksal, sondern in diesen Zeiten eher so etwas wie ein Riss im Spiegel unserer Verantwortung. Mit Maß, Verantwortung und ein wenig Mut lässt sich dieser Riss heilen – für die Natur, das Klima und die Generationen danach. Meine Frau und ich haben über 10 Jahre gar keinen Urlaub mehr gemacht. Aber das hatte andere Gründe als Rücksicht auf die Natur.
Maßstäbe können verrücken, Menschen neigen dazu, ihr eigenes Wohlbefinden über alles zu stellen. Aber die Verantwortung für unseren Planeten haben wir – die Menschheit. Natur, Tiere und Pflanzen haben keine Chance, wenn wir nicht mitspielen.
Besonders einprägsam fand ich in der erwähnten Mallorca-Reportage das Bild eines Sandhaufens, mit dem gezeigt wurde, wie stark sich die touristische „Besatzungszeit“ der Insel seit der Pandemie verändert hat. Vor Corona gab es einen klaren Höhepunkt: einen schmalen, hohen Sandgipfel, der die Hauptsaison symbolisierte, wenn Touristenschwärme die Insel bevölkerten. Heute ragt dieser Gipfel zwar immer noch auf – doch er ist zu einem breiten Plateau geworden. Die Zahl der Besucher bleibt nun über viele Monate hinweg konstant hoch, anstatt sich nur auf die Hauptsaison zu konzentrieren.
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