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Zwei Dinge wollen wir uns nicht vorstellen: den Krieg und Nazis an der Regierung. Es gibt vielleicht noch viel mehr, das man einfügen möchte. Aber die Punkte gehen mir immer wieder durch den Kopf. Wir wissen aus Büchern, Filmen, vielleicht sogar aus dem Schulunterricht, was damals vorgefallen ist. Dass demokratische durch autokratische Regierungen, legitimiert durch demokratische Wahlen, abgelöst werden können, wissen wir.
Mittlerweile sind fast 30 % der Wähler in Deutschland nach Umfragen bereit, an eine rechtsextreme Partei ihre Stimme zu verschenken. Die aktuelle Sonntagsfrage bei Wahlrecht.de vom 30.11.2025 ist nur ein Screenshot entfernt und doch ein Schlag in die Magengrube: Website Wahlrecht

Kaum ein Mensch auf der Welt will Krieg. Auch keinen, den Putins Russland den Ukrainern aufgezwungen hat. Er zeigt auf der anderen Seite allerdings auf, wie wenig wir in den vielen Jahrzehnten nach dem Ende des 2. Weltkrieges mit über 60 Mio. Toten gelernt haben. Die Russen scheinen die 27 Mio. Todesopfer ihrer Landsleute in diesem Krieg ebenso verdrängt zu haben wie andere Völker, die ihre eigenen leidvollen Erfahrungen mit Kriegen auf ihrem Territorium machten.
Ukraine
Vor dem Hintergrund ist es merkwürdig, wenn wir – gerade in Deutschland – die Forderung nach stärkerer Beteiligung an militärischer Unterstützung der Ukraine überhören oder alternativ brüsk zurückweisen. Wir können uns wollen uns nicht vorstellen, in einen Krieg hineingezogen zu werden. Obwohl die sogenannte hybride Kriegsführung der Russen unser Land längst einbezogen haben. Dass die AfD und ihre Anhänger den Eindruck erwecken, als sei die Haltung der Bundesregierung, die ohnehin nicht den Esprit in sich trägt, den es brauchte, unsere Interessen zu verraten, ist besonders frevelhaft. Wie man denen das abkaufen kann, bleibt mir ein unlösbares Rätsel. Wessen Interessen hier wirklich eine Rolle spielen, will ich vielleicht gar nicht wissen.
Wer nur die Kosten von Putins Krieg beklagt und seine langfristigen imperialen Ansprüche ignoriert, könnte böse überrascht werden. Es gibt Länder, die in anderem Umfang die Ukraine unterstützen (Anteil am BIP). Auch wenn die absoluten Zahlen im Vergleich zu Deutschlands Engagement überschaubar bleiben, wird an dieser Stelle wohl die wacklige Einstellung unserer Bevölkerung deutlich, auf die deutsche Politik durch Zögerlichkeit Rücksicht nimmt.
Deutschland ist nach den USA größter Unterstützer der Ukraine. Der deutsche Anteil vom BIP beläuft sich auf ca. 0,5 % pro Jahr, bei den USA liegt dieser Wert bei ca. 0,2 – bezogen auf ein Jahr. Kumuliert beträgt die US-Beteiligung ca. 0,5 % des dortigen BIP. Je nach Zählweise (inkl. Unterstützung für Geflüchtete usw.) kommt die Bundesregierung selbst auf knapp 44 Mrd. €. Das sind stattliche Werte. Allerdings soll man sich dazu immer vor Augen halten, welche Leistungen andere Unterstützer der Ukraine erbringen: Da sieht das Bild ganz anders aus – hier liegen kleinere Staaten vorn:
- Dänemark, Estland u.a.: teils über 2 % des BIP laut jüngeren Kiel-Auswertungen.
- Litauen: ca. 1,8 % des BIP
- Lettland: ca. 1,5 % des BIP
- Norwegen: rund 1,7 % des BIP (inkl. mehrjährigem „Nansen“-Programm).
Israel
Wir ringen mit der Frage, wie die israelische Regierung – geprägt von der eigenen historischen Erfahrung des deutschen Nationalsozialismus mit über sechs Millionen ermordeten Juden – die Palästinenser im ohnehin hermetisch abgeriegelten Gazastreifen nach dem 7. Oktober 2023 so behandeln konnte.
Vielen Menschen werden die Bilder menschlicher Not und einem unvorstellbaren Grades an Zerstörung als schier unerträglich empfunden haben. Doch ändern konnte niemand etwas. Die Regierungen haben auch im 21. Jahrhundert alle Befugnisse, Unheil über ihr eigenes und andere Völker zu bringen. Ob diese Regierungen demokratisch legitimiert sind oder nicht, spielt insofern keine Rolle, als keine Abstufung existiert, die das halbwegs logisch erklären würde.
Dass sich Juden in Deutschland seit Jahren nicht mehr sicher fühlen und deshalb seit Langem Einrichtungen polizeilich geschützt werden müssen ist nur ein Teil der Wahrheit. Nach der furchtbaren Attacke der Hamas am 7. Oktober 2023 erleben wir auf unseren Straßen Gewaltexzesse gegen Juden, die von hier lebenden Palästinensern ausgehen und die von linken Gruppen (insbesondere jungen Leuten) unterstützt werden. Unsere Polizei und unsere Öffentlichkeit messen diesen Entwicklungen nicht die Bedeutung zu, die diese dringend erforderlich machen würde. Das ist skandalös und einer Ignoranz geschuldet, die vermutlich ihren Ursprung in echter Feigheit hat. Dieses lange Zeit von der Gesellschaft akzeptierte Verhalten trägt auch zu dem bei, was wir in diesen Monaten täglich beklagen. Nichts scheint mehr zu funktionieren in diesem Land. Buchstäblich nichts! Bahn, Post, Schulen, Unis, Bildung, Krankenhäuser, Straßen, Brücken, Wirtschaft – geht wirklich alles den Bach herunter? Die alte Regierung hat angeblich drei Jahre gebraucht, das Land herunterzuwirtschaften. Wers glaubt. Noch weniger kann man begreifen, wie die Leute darauf kommen, dass die Merz-Regierung in 7 Monaten (länger ist sie nicht im Amt) alles auf Schick bringen könnte. Aber sie tun es! Sind wir alle doof? Und vor allem: Wohin hat sich unsere Zuversicht verpisst?
Es ist die Macht, die wir (jedenfalls in den demokratischen Staaten) unseren Vertretern auf Zeit verleihen, und diese wird ohnehin genutzt. Wir empfinden dies allerdings nur dann als besonders schmerzhaft, wenn wir unsere eigenen, persönlichen Belange infrage gestellt sehen. Corona hat dies in einer Art und Weise gezeigt, wie sich dies vor der Pandemie wohl kaum jemand hätte vorstellen können.
Die Bequemlichkeit der Nachgeborenen
Vielleicht ist das der eigentliche Skandal unserer Zeit: Wir leben (noch) im historischen Luxus, Katastrophen nur als Bildschirmeindruck konsumieren zu können. Wir schauen den Krieg wie eine düstere Serie, wir klicken den nächsten Clip, wir blättern zur nächsten Schlagzeile. Die Distanz ist verführerisch bequem.
Wir wissen – theoretisch – wie Demokratien kippen. Wir kennen die Bilder aus der Weimarer Republik, die schleichende Radikalisierung, die Normalisierung des Ungeheuerlichen. Aber unser Alltag erzählt uns eine andere Geschichte: Supermärkte sind voll, das WLAN funktioniert, der Paketbote klingelt. Aus dieser Wohlfühl-Normalität heraus wirken Warnungen vor Demokratieabbau schnell übertrieben, hysterisch, „alarmistisch“.
Gleichzeitig wächst eine Müdigkeit, die sich gern als Souveränität tarnt: Man „will das alles nicht mehr hören“, man „glaubt denen da oben sowieso nichts“. Das mag sich rebellisch anfühlen, ist aber häufig nur eine andere Form von Kapitulation. Statt uns einzumischen, ziehen wir uns innerlich zurück. In dieses Vakuum stoßen dann diejenigen vor, die einfache Antworten versprechen: die „starken Führer“, die „Schluss machen“ wollen – mit Migration, mit „Genderwahn“, mit „den Eliten“. Wir kennen diese Melodie. Wir wissen, wie sie enden kann. Und doch summen immer mehr Menschen mit.
Hinzu kommt die digitale Verstärkung: Algorithmen verstärken Empörung, nicht Vernunft. Wer heute anfängt, sich „nur mal zu informieren“, landet schnell in Echokammern, in denen Zweifel als Verrat gilt und Komplexität nur als Tarnung der „anderen“. Dass in so einem Klima eine rechtsextreme Partei zur Projektionsfläche für diffuse Unzufriedenheit wird, überrascht fast nur noch diejenigen, die sich konsequent weigern, die eigenen Fehleinschätzungen anzusehen.
Was wir trotzdem tun können
Die düstere Seite dieser Geschichte ist klar: Ja, demokratische Gesellschaften sind verletzlich, und ja, wir haben erschreckend wenig gelernt. Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Denn dieselben Mechanismen, die Macht verleihen, geben uns auch Instrumente, sie einzuhegen – wenn wir sie nutzen.
Wir sind nicht nur Zuschauer, die einem fatalistischen Drehbuch folgen. Wir sind auch diejenigen, die die Wahlzettel ausfüllen, die Demonstrationen möglich machen, die Leserbriefe schreiben, die Parteien beitreten oder austreten, die Gespräche am Küchentisch führen. Demokratie ist anstrengend, sie ist laut, langsam, widersprüchlich. Genau das ist ihr Schutz: Sie zwingt uns, Konflikte auszuhalten, statt sie mit Gewalt oder Führerfantasien „zu lösen“.
Vielleicht geht es heute weniger darum, die ganz große historische Geste zu finden, als darum, der schleichenden Abstumpfung zu widersprechen. Nicht jeden Nazi-Vergleich leichtfertig aus der Tasche ziehen – aber auch nicht verstummen, wenn Begriffe, Menschen und Institutionen gezielt vergiftet werden. Widersprechen, wenn im Freundeskreis „man wird ja wohl noch sagen dürfen“ als Rammbock gegen die Würde anderer missbraucht wird.
Verantwortung
Und wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass Verantwortung sich nicht mehr so heroisch anfühlt wie in den Geschichtsbüchern. Eher wie ein lästiger Alltagsjob: wählen gehen, auch wenn es nervt. Sich informieren, auch wenn es frustriert. Auf die Straße gehen, wenn rote Linien überschritten werden. Ab und zu die eigene Bequemlichkeit hinterfragen. Die Demokratie braucht keine Helden, sie braucht Erwachsene.
Die bittere Ironie ist, dass wir wissen, wie es schiefgehen kann – und uns trotzdem regelmäßig einreden, „so schlimm“ werde es schon nicht werden. Vielleicht ist genau das der Satz, den wir uns abgewöhnen sollten, wenn 30 % für eine rechtsextreme Partei plötzlich „normal“ aussehen sollen. Normal ist das nicht. Und es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass es auch nie so wirkt.



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