Würde ich mich als linken Blogger bezeichnen, wäre das in den Augen mancher Leser wohl gelogen. Trotzdem triggern mich Medienmeldungen, die meine politische Haltung eher weit links verorten würden. Es sind nicht die klassischen Partei-PR-Texte, die mich auf die Palme bringen, sondern diese selbstzufriedene Mischung aus bürgerlicher Attitüde, rechtsliberaler Schlagseite und Springer-Sound, die mir zuverlässig den Puls hochjagt.
Nehmen wir den jüngsten „WELT‑Kolumnistengipfel“, diesen Jahresrückblick, der allen Ernstes so genannt wird und in dem sich Dorothea Siems, Don Alphonso, Henryk M. Broder und ein paar weitere Hauskolumnisten gegenseitig als Deutungs-Elite bestätigen. Es ist diese Pose des über den Dingen schwebenden „Wir haben’s schon immer gewusst“, die mich wahnsinnig macht. Man sitzt da im bequemen Studiosessel, diagnostiziert großflächig gesellschaftliche Schieflagen, verteilt Spitzen gegen alles, was links von der eigenen Komfortzone liegt – und verkauft das als schonungslose Analyse des Jahres 2025. Die Selbstinszenierung als letzte Bastion der Vernunft ist dabei so dick aufgetragen, dass sie eher nach Kabarett als nach Journalismus klingt.
Noch mehr Würgereiz erzeugt allerdings die Parallellektüre der Kolumne von Kristina Schröder mit dem Titel „Was wir uns künftig nicht mehr leisten können“. Schon die Überschrift ist eine Einladung, in eine ganz bestimmte Richtung zu denken: Nicht etwa, was wir uns gesellschaftlich nicht leisten können, wenn wir Armut, Abstiegsängste und marode Infrastruktur weiter ignorieren, sondern welche Leistungen des Sozialstaats dringend auf den Prüfstand gehören. Es ist die klassische Umkehrung: Nicht oben gibt es ein Finanzierungsproblem, sondern unten sind die Ansprüche zu hoch. Dass es eine extrem ungleiche Vermögensverteilung gibt, dass Steuerpolitik über Jahrzehnte Umverteilung nach oben organisiert hat – geschenkt. Im Zentrum stehen jene Transferleistungen, die sich schlecht wehren können, weil sie für viele nur abstrakte Posten im Haushalt sind.
Mich triggert daran weniger der Inhalt im engeren Sinne – dass Konservative den Sozialstaat stutzen wollen, ist keine Überraschung – als die moralische Verpackung. Es klingt, als sei es verantwortungsvoll, hart und nüchtern, wenn man bei den Schwächsten anfängt zu sparen. Wer auf Ungleichheit, Erbschaften und Vermögenssteuern hinweist, gilt dagegen schnell als Ideologe. Das ist die eigentliche Volte: Wer für Umverteilung nach unten argumentiert, ist angeblich „linksdogmatisch“, wer Umverteilung nach oben verteidigt, verkauft sich als Realist mit Taschenrechner. Dieses Framing macht mich wütend, weil es die Debatte so verengt, dass am Ende nur noch darüber gestritten wird, welche Löcher im Netz wir uns „nicht mehr leisten“ können – nicht, wie groß das Netz sein müsste.
Hinzu kommt eine Medienlogik, die auf maximale Reizung setzt. Wenn Springer einen „Kolumnistengipfel“ inszeniert, dann ist das nicht nur Selbstbespiegelung, sondern auch ein bewusstes Spiel mit Triggern. Man weiß sehr genau, dass bestimmte Sätze in linken und liberalen Milieus körperliche Reaktionen auslösen. Migration, Sozialstaat, Identitätspolitik – das sind nicht nur Themen, das sind Reizworte. Die Kolumnisten liefern pointierte, oft gönnerhafte Sätze, und in den sozialen Medien explodieren dann Empörung, Spott und Entrüstung. Die Klicks stimmen, die Abo-Logik auch, und ganz nebenbei wird die eigene Leserschaft in ihrer Weltsicht bestätigt: Wir hier, die Klarblicker; dort draußen, die Realitätsverweigerer.
Für mich als jemanden, der sich nur ungern ein politisches Label anklebt, ist das ein Dilemma. In dem Moment, in dem ich öffentlich auf diese Texte reagiere, sehen viele: Aha, da schimpft ein Linker auf die Springer-Presse. Dass ich an anderen Stellen konservative Argumente nachvollziehen kann, etwa bei Fragen institutioneller Stabilität oder bei Kritik an symbolpolitischen Nebenschauplätzen, geht im Lärm unter. Empörung hat keine Graustufen. Das Netz sortiert: bist du dafür oder dagegen, bist du „Team Sozialstaat“ oder „Team Leistungsgerechtigkeit“, „woke“ oder „Boomer“. Auf diese Weise wird jeder Versuch einer differenzierten Positionierung systematisch plattgewalzt.
Vielleicht ist genau das der Punkt, an dem mein Würgereflex produktiv werden kann. Wenn mich ein Text so triggert, dass ich laut fluche und meine Frau mich zur Mäßigung auffordert, ist das ein Signal: Hier ist ein Widerspruch, der tiefer sitzt als bloße Meinungsverschiedenheit. Es geht um unterschiedliche Vorstellungen von Solidarität, von Verantwortung, von dem, was eine Gesellschaft zusammenhalten soll. Ich muss dann aufpassen, nicht im Tonfall derer zu enden, die ich kritisiere – selbstzufrieden, gönnerhaft, von oben herab. Besser wäre es, den eigenen Impuls offenzulegen: Ja, mich macht das wütend, und zwar aus genau diesen Gründen.
Vielleicht brauche ich dafür ein eigenes Format: ein „Triggerprotokoll“, in dem ich Texte wie den „Kolumnistengipfel“ oder Schröders Sozialstaats-Kolumne seziere, statt nur den spontanen Würgereflex zu beschreiben. Wo genau wird ausgeblendet, wo umgedeutet, wo rhetorisch getrickst? Welche Weltbilder stehen dahinter, und welche blinden Flecken bringen sie mit? Wenn ich diese Fragen präzise stelle, muss ich mich nicht als „linken Blogger“ etikettieren. Dann reicht es, als jemand zu schreiben, der nicht bereit ist, die Verschiebung der politischen Debatte in Richtung sozialer Kälte und medialer Selbstgerechtigkeit achselzuckend hinzunehmen.


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