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Von Empörung zu Erkenntnis – ein Blick auf den deutschen Diskurs über Migration

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von Horst Schulte

Lesezeit: 4 Min.

Der Kanzler neigt zu Aussagen, die nicht jedem gefallen. Es gibt jene, die stets etwas finden, das nicht zu ihren hochmoralischen Maßstäben passt. Sie werden wohl einwenden, ein Bundeskanzler dürfe das Offensichtliche nicht einfach aussprechen. Natürlich verpacken sie das eleganter, denn der Ton ihrer Kritik muss stets die eigene moralische Überlegenheit spiegeln. Grüne und Linke beherrschen dieses Spiel meisterhaft.

Ich erinnere mich an eine Äußerung des damaligen AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen – heute stellvertretender Vorsitzender der Werteunion –, die 2017 für Empörung sorgte. Auf dem AfD-Parteitag sagte er: „Wenn ich an einem Samstagmittag im Zentrum meiner Stadt unterwegs bin, mit offenen Augen – wissen Sie, was ich dann sehe? Ich sehe noch vereinzelt Deutsche.“

merz meuthen wahrnehmung
merz meuthen wahrnehmung

Damals reagierte ich empört, im festen Glauben, hier spreche der blanke Rassismus. Heute sehe ich in dieser Szene eher ein Symptom: die rhetorische Zuspitzung eines Gefühls, das längst in breitere Schichten eingesickert war – und das man allzu leichtfertig der rechten Ecke überließ. Man schaue heute auch auf Sachsen-Anhalt. Eine aktuelle Umfrage sieht die AfD dort bei 40 %!


Frühe/ältere Aussagen

JahrAussageKontext / Quelle
ca. 2001„Solange er mir nicht nahekommt, ist’s mir egal.“Über Klaus Wowereit nach dessen Coming-out. Später als unsensibel kritisiert. Wikipedia
1997Stimmte gegen Gesetz zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der EheWurde von Frauenrechtsgruppen stark kritisiert. Campact.de
2006Lehnte Gleichbehandlungsgesetz abZeigt laut Kritiker:innen ein traditionelles Frauenbild. Campact.de

Solche Aussagen sind ein gefundenes Fressen – offensichtlich übrigens auch für NGO’s oder Aktivistengruppen wie Campact.

Im Oktober 2019 wurde Campact der steuerliche Status als gemeinnützige Organisation entzogen. Grund: Es wurde beanstandet, dass die Kampagnenstruktur von Campact zu sehr „allgemeinpolitisch“ sei und nicht in klar definierte, gesetzlich geregelte gemeinnützige Zwecke passe. Wir wissen, dass die amtierende Regierung zahllose NGO’s auf dem Kieker hat und den Verfassungsschutz mit einer in meinen Augen überzogenen Überwachung beauftragt hat.


Neuere / jüngste Aussagen

JahrAussageKontext / Quelle
2023„Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“Aussage über Asylbewerber; löste heftige Kritik aus. Stern.de
2024„Little Pashas“In einer Talkshow über muslimische Schüler*innen und Eltern. Livemint.com
2025„Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle.“Über israelische Angriffe auf den Iran – löste diplomatische Empörung aus. Focus.de
2025Bezeichnung der israelischen Flagge als „Judenfahne“Wurde als antisemitisch kritisiert. taz.de
2025Vergleich der Regenbogenflagge mit einem „Zirkuszelt“Kritik an queerer Symbolik. Süddeutsche.de

Und dann noch das (aus „Welt“):

bei einer Pressekonferenz in Potsdam bei einer Frage nach der Strategie gegen die AfD auf die Migrationspolitik verwiesen. Dort sei man „sehr weit“, sagte Merz und ergänzte: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen.“ Die Äußerung wurde in sozialen Netzwerken stark kritisiert, viele Nutzer werteten sie als Ablehnung von Migranten.


„Stark kritisiert“ trifft es kaum. Das linksgrüne Meinungsmilieu hat wieder einmal (nicht nur auf den „neueren SM-Kanälen“) die Nerven verloren. Dabei beschreibt Merz nichts Exotisches, sondern eine Wahrnehmung, die weite Teile der Bevölkerung teilen.

Wenn ein grüner Politiker aus Berlin versucht, das wegzuerklären, indem er auf den hohen Anteil (40 %) von Menschen mit Migrationshintergrund in seiner Stadt verweist, mag das statistisch stimmen. Es ändert nichts daran, dass viele in anderen Regionen dieses Landes ein anderes Alltagsbild haben. Und genau darin liegt die Spannung, die linksgrüne Politik so gern moralisch zu übertünchen versucht.

Vielleicht ist das eigentliche Problem nicht, dass jemand das Offensichtliche ausspricht, sondern dass zu viele es nur noch durch die Filter der Empörung hören. In der politischen und medialen Mitte hat sich ein Reflex eingenistet, jede unbequeme Beschreibung gesellschaftlicher Veränderungen als Verdacht zu behandeln. Dabei sind Wahrnehmungen keine Parolen, sondern Signale: Indikatoren eines Landes, das nach Orientierung sucht. Wer sie vorschnell moralisch bewertet, verliert den Kontakt zu jenen, die sie äußern – und damit auch den Boden, auf dem Demokratie gedeiht.


Horst Schulte

Herausgeber, Blogger, Amateurfotograf

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe auf dem Land.

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Artikelinformationen

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4 Gedanken zu „Von Empörung zu Erkenntnis – ein Blick auf den deutschen Diskurs über Migration“

  1. „Wenn ein grüner Politiker aus Berlin versucht, das wegzuerklären, indem er auf den hohen Anteil (40 %) von Menschen mit Migrationshintergrund in seiner Stadt verweist, mag das statistisch stimmen. Es ändert nichts daran, dass viele in anderen Regionen dieses Landes ein anderes Alltagsbild haben. Und genau darin liegt die Spannung, die linksgrüne Politik so gern moralisch zu übertünchen versucht. „

    Ich verstehe das nicht! Willst du damit sagen, dass „in anderen Regionen“ Menschen mit Migrationshintergrund nur als Touristen, aber nicht als Anwohner da sind? Und was ist in diesem Kontext das „andere Alltagsbild“? Bin verwirrt…

    Den „grünen Politiker“ aus Berlin hab ich nicht mitbekommen, wohl aber unseren CDU-Bürgermeister, der sich von Merzens Äußerung ausdrücklich distanziert hat.

    Mich stört auch dieser ständige Bezug auf Parteien und „Ideologien“. Da verschwindet so langsam jegliches Bewusstsein von „richtig“ und „falsch“ – ist ja alles nur Ideologie, reines Narrativ! Sowas wie Ethik, Anstand – ja wozu das denn? Mir scheint, viele (und eben auch Merz) nehmen innerlich nur noch Bezug auf so etwas wie ein „gefühltes gesundes Volksempfinden“ – eines, das ich als ausgesprochen ungesund empfinde!

    Wenn es ums „Straßenbild“ geht, verstehe ich, dass Drogenabhängige, die sich vor aller Augen die Spritze setzen und besoffen herumliegende Obdachlose und andere Gestrandete, den Passanten nicht gefallen, vielleicht auch mal Angst machen.

    Aber ALLEIN EIN AUSSEHEN, das einen Migrationshintergrund vermuten lässt, also Haare und Hautfarbe – DAS soll irgendwie das Stadtbild verschlechtern? Ich bin wirklich nicht verdächtig, ständig unreflektiert mit Schimpfbegriffen um mich zu werfen, aber wie anders soll man das nennen als: Rassismus?

    Und das in einem Deutschland, das wirklich dringend auf den Zustrom vor Migranten angewiesen ist, wenn wir nicht komplett verelenden wollen! (Gesundheitsbereich, Pflege, Gastro, Bau, auch Wissenschaft…). Das alles wünscht man sich, aber „im Stadtbild“ sollen sie dann nicht auftauchen, weil „unbequem“? Und man soll das nicht mal in der rechten Ecke verorten dürfen, weil es nicht nur wenige sind, die so denken?

    Eine Frau aus dem gärtnerischen Bekanntenkreis (aus ehem. Ostberlin) hat sich drüber aufgeregt, dass die Läden in der Neuköllner Sonnenallee (=Zentrum arabischer Einwanderer) arabische Aufschriften tragen. Sofern sie dafür eintritt, dass die auch deutsche Schilder haben sollten, geht das gerade noch so hin, nicht aber, wenn sie die alle „nicht im Straßenbild haben“ wollte.
    Und ich frage mich, warum so etwas überhaupt problematisch sein soll, schließlich fanden und finden Touristen so etwas wie „China-Town“ auf ihren Weltreisen immer toll!

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