Der Kanzler neigt zu Aussagen, die nicht jedem gefallen. Es gibt jene, die stets etwas finden, das nicht zu ihren hochmoralischen Maßstäben passt. Sie werden wohl einwenden, ein Bundeskanzler dürfe das Offensichtliche nicht einfach aussprechen. Natürlich verpacken sie das eleganter, denn der Ton ihrer Kritik muss stets die eigene moralische Überlegenheit spiegeln. Grüne und Linke beherrschen dieses Spiel meisterhaft.
Ich erinnere mich an eine Äußerung des damaligen AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen – heute stellvertretender Vorsitzender der Werteunion –, die 2017 für Empörung sorgte. Auf dem AfD-Parteitag sagte er: „Wenn ich an einem Samstagmittag im Zentrum meiner Stadt unterwegs bin, mit offenen Augen – wissen Sie, was ich dann sehe? Ich sehe noch vereinzelt Deutsche.“

Damals reagierte ich empört, im festen Glauben, hier spreche der blanke Rassismus. Heute sehe ich in dieser Szene eher ein Symptom: die rhetorische Zuspitzung eines Gefühls, das längst in breitere Schichten eingesickert war – und das man allzu leichtfertig der rechten Ecke überließ. Man schaue heute auch auf Sachsen-Anhalt. Eine aktuelle Umfrage sieht die AfD dort bei 40 %!
Frühe/ältere Aussagen
| Jahr | Aussage | Kontext / Quelle |
|---|---|---|
| ca. 2001 | „Solange er mir nicht nahekommt, ist’s mir egal.“ | Über Klaus Wowereit nach dessen Coming-out. Später als unsensibel kritisiert. Wikipedia |
| 1997 | Stimmte gegen Gesetz zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe | Wurde von Frauenrechtsgruppen stark kritisiert. Campact.de |
| 2006 | Lehnte Gleichbehandlungsgesetz ab | Zeigt laut Kritiker:innen ein traditionelles Frauenbild. Campact.de |
Solche Aussagen sind ein gefundenes Fressen – offensichtlich übrigens auch für NGO’s oder Aktivistengruppen wie Campact.
Im Oktober 2019 wurde Campact der steuerliche Status als gemeinnützige Organisation entzogen. Grund: Es wurde beanstandet, dass die Kampagnenstruktur von Campact zu sehr „allgemeinpolitisch“ sei und nicht in klar definierte, gesetzlich geregelte gemeinnützige Zwecke passe. Wir wissen, dass die amtierende Regierung zahllose NGO’s auf dem Kieker hat und den Verfassungsschutz mit einer in meinen Augen überzogenen Überwachung beauftragt hat.
Neuere / jüngste Aussagen
| Jahr | Aussage | Kontext / Quelle |
|---|---|---|
| 2023 | „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“ | Aussage über Asylbewerber; löste heftige Kritik aus. Stern.de |
| 2024 | „Little Pashas“ | In einer Talkshow über muslimische Schüler*innen und Eltern. Livemint.com |
| 2025 | „Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle.“ | Über israelische Angriffe auf den Iran – löste diplomatische Empörung aus. Focus.de |
| 2025 | Bezeichnung der israelischen Flagge als „Judenfahne“ | Wurde als antisemitisch kritisiert. taz.de |
| 2025 | Vergleich der Regenbogenflagge mit einem „Zirkuszelt“ | Kritik an queerer Symbolik. Süddeutsche.de |
Und dann noch das (aus „Welt“):
bei einer Pressekonferenz in Potsdam bei einer Frage nach der Strategie gegen die AfD auf die Migrationspolitik verwiesen. Dort sei man „sehr weit“, sagte Merz und ergänzte: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen.“ Die Äußerung wurde in sozialen Netzwerken stark kritisiert, viele Nutzer werteten sie als Ablehnung von Migranten.
„Stark kritisiert“ trifft es kaum. Das linksgrüne Meinungsmilieu hat wieder einmal (nicht nur auf den „neueren SM-Kanälen“) die Nerven verloren. Dabei beschreibt Merz nichts Exotisches, sondern eine Wahrnehmung, die weite Teile der Bevölkerung teilen.
Wenn ein grüner Politiker aus Berlin versucht, das wegzuerklären, indem er auf den hohen Anteil (40 %) von Menschen mit Migrationshintergrund in seiner Stadt verweist, mag das statistisch stimmen. Es ändert nichts daran, dass viele in anderen Regionen dieses Landes ein anderes Alltagsbild haben. Und genau darin liegt die Spannung, die linksgrüne Politik so gern moralisch zu übertünchen versucht.
Vielleicht ist das eigentliche Problem nicht, dass jemand das Offensichtliche ausspricht, sondern dass zu viele es nur noch durch die Filter der Empörung hören. In der politischen und medialen Mitte hat sich ein Reflex eingenistet, jede unbequeme Beschreibung gesellschaftlicher Veränderungen als Verdacht zu behandeln. Dabei sind Wahrnehmungen keine Parolen, sondern Signale: Indikatoren eines Landes, das nach Orientierung sucht. Wer sie vorschnell moralisch bewertet, verliert den Kontakt zu jenen, die sie äußern – und damit auch den Boden, auf dem Demokratie gedeiht.



Ich verstehe das nicht! Willst du damit sagen, dass „in anderen Regionen“ Menschen mit Migrationshintergrund nur als Touristen, aber nicht als Anwohner da sind? Und was ist in diesem Kontext das „andere Alltagsbild“? Bin verwirrt…
Den „grünen Politiker“ aus Berlin hab ich nicht mitbekommen, wohl aber unseren CDU-Bürgermeister, der sich von Merzens Äußerung ausdrücklich distanziert hat.
Mich stört auch dieser ständige Bezug auf Parteien und „Ideologien“. Da verschwindet so langsam jegliches Bewusstsein von „richtig“ und „falsch“ – ist ja alles nur Ideologie, reines Narrativ! Sowas wie Ethik, Anstand – ja wozu das denn? Mir scheint, viele (und eben auch Merz) nehmen innerlich nur noch Bezug auf so etwas wie ein „gefühltes gesundes Volksempfinden“ – eines, das ich als ausgesprochen ungesund empfinde!
Wenn es ums „Straßenbild“ geht, verstehe ich, dass Drogenabhängige, die sich vor aller Augen die Spritze setzen und besoffen herumliegende Obdachlose und andere Gestrandete, den Passanten nicht gefallen, vielleicht auch mal Angst machen.
Aber ALLEIN EIN AUSSEHEN, das einen Migrationshintergrund vermuten lässt, also Haare und Hautfarbe – DAS soll irgendwie das Stadtbild verschlechtern? Ich bin wirklich nicht verdächtig, ständig unreflektiert mit Schimpfbegriffen um mich zu werfen, aber wie anders soll man das nennen als: Rassismus?
Und das in einem Deutschland, das wirklich dringend auf den Zustrom vor Migranten angewiesen ist, wenn wir nicht komplett verelenden wollen! (Gesundheitsbereich, Pflege, Gastro, Bau, auch Wissenschaft…). Das alles wünscht man sich, aber „im Stadtbild“ sollen sie dann nicht auftauchen, weil „unbequem“? Und man soll das nicht mal in der rechten Ecke verorten dürfen, weil es nicht nur wenige sind, die so denken?
Eine Frau aus dem gärtnerischen Bekanntenkreis (aus ehem. Ostberlin) hat sich drüber aufgeregt, dass die Läden in der Neuköllner Sonnenallee (=Zentrum arabischer Einwanderer) arabische Aufschriften tragen. Sofern sie dafür eintritt, dass die auch deutsche Schilder haben sollten, geht das gerade noch so hin, nicht aber, wenn sie die alle „nicht im Straßenbild haben“ wollte.
Und ich frage mich, warum so etwas überhaupt problematisch sein soll, schließlich fanden und finden Touristen so etwas wie „China-Town“ auf ihren Weltreisen immer toll!
@ClaudiaBerlin: Vielen Dank für deinen ausführlichen und differenzierten Kommentar.
Ich meinte, dass Berlinerinnen und Berliner mit Migration vermutlich länger vertraut sind – das Thema ist ja in der Stadt schon weit vor 2015 präsent gewesen. Wenn ich allerdings Berichte lese, etwa von Henryk M. Broder, über das Leben in Kreuzberg oder Wilmersdorf, dann kommen mir auch Zweifel, wie gut das Zusammenleben tatsächlich auch dort funktioniert. Broder ist eben, wie er ist – ein alter Zyniker, der derzeit wieder Rückenwind hat. Doch die veränderte Stimmung im Land hat sicher nicht nur mit solchen Meinungsbildern zu tun, sondern mit Entwicklungen, über die man immer noch kaum offen sprechen darf. Die Reaktionen von Grünen und Linken auf die jüngsten Äußerungen von Friedrich Merz zeigen das sehr deutlich. Ich finde das bedrückend, weil es den gesellschaftlichen Graben weiter vertieft.
Mir scheint, es geht weniger um starre Ideologien, sondern um die Weigerung, die Lage im Land ehrlich zu betrachten. Viele finden die Verhältnisse vielleicht normal – und verstehen nicht, dass andere das anders empfinden. Diese Debatten begleiten uns seit Jahrzehnten, spätestens seit 2015 wieder lauter. Wer auf Missstände hinweist, wird schnell in die rechte Ecke gestellt. Das hilft niemandem und vergiftet den Diskurs.
Ich erinnere mich manchmal an meine Kindheit, als ich mit Begeisterung Raumpatrouille Orion sah. Im Vorspann hieß es: „Es gibt nur noch die Menschheit und ihre Kolonien im Weltraum.“ Diese Idee von Einheit und Gemeinsamkeit habe ich mir lange bewahrt. Doch mit der Zeit wurde klar, dass die Realität komplexer ist – Menschen leben Freiheit und Verantwortung sehr unterschiedlich.
Wenn heute zwei Drittel aller Geflüchteten dauerhaft vom Sozialstaat leben, wirft das Fragen auf: Wohin führt das? Und wie glaubwürdig ist das politische Narrativ, wir seien auf Migration angewiesen? Ich glaube, viele Menschen – Migranten eingeschlossen – erleben die Situation als schwierig. Wer keine Perspektive findet, gerät leicht ins Abseits, manchmal auch in problematische Milieus. Das hat weniger mit Herkunft als mit sozialer Wirklichkeit zu tun.
Deutschland steht wirtschaftlich und gesellschaftlich unter Druck, und es fehlt an tragfähigen Konzepten, um Integration wirklich gelingen zu lassen. Stattdessen wird weiter mit moralischen Maßstäben argumentiert – und die politischen Lager entfernen sich immer weiter voneinander. Das frustriert viele, mich eingeschlossen.
Wenn sich daran nichts ändert, könnten wir politische Bündnisse erleben, die vor Jahren undenkbar schienen. Der Gedanke erschreckt mich – und doch halte ich ihn inzwischen für möglich.
@Horst Schulte: Immerhin hat gerade jemand von der CDU gesagt, sie wollten im nächsten Wahlkampf die AFD als Hauptgegner behandeln und „die Unterschiede zwischen AFD und CDU herausarbeiten“. Das ist dringlich nötig!
Was wirklich schlimm ist, ist das „in einen Topf werfen“ von Migranten und Flüchtlingen. Ja, es gibt Integrationsprobleme mit Letzteren, aber sowas wie die „Stadtbild-Klage“ meint immer auch Migranten, die sich zu Recht diskriminiert fühlen. Ich habe über 20 Jahre in Kreuzberg gelebt, dessen östlicher Teil türkisch dominiert war (und noch immer ist). Mir hat das Stadtbild dort gefallen, es gab und gibt Läden, Märkte und Waren, die im „biodeutschen“ Teil nicht zu haben waren – sehr toll! Eine echte Bereicherung.
Und seit Längerem gibts nun die „arabische“ Straße Sonnenallee in Berlin – na und? Da posten grade Leute Stadtbilder davon und empören sich über „Berlin“ – als wäre Berlin nicht eine riesige Metropole, in der es alle Arten von Vierteln gibt, auch sehr elegante, reiche, saubere – und alles dazwischen. Und ja, mich „empört“ das, denn es ist so offensichtlich, dass sie nur stänkern wollen (und ihrem Hass auf alles Fremde Ausdruck geben). Es zwingt sie ja niemand, in die Sonnenallee zu gehen, Berlin ist groß!
In meinem direkten Umfeld gibt es zwei Flüchtlingsunterkünfte – und keinerlei Ärger. Man bemerkt sie nicht mal, sie bevölkern auch nicht den zentralen Platz. Gelegentlich sah ich zweimal um die Ecke welche in einer kleinen Schlange anstehen. Hat mich interessiert, was es dort gibt: eine Art Arbeitsvermittlung…
„Und wie glaubwürdig ist das politische Narrativ, wir seien auf Migration angewiesen?“
Jede Baustelle hier in der Gegend wird (optischer Eindruck) mehrheitlich von Migranten betrieben, man trifft sie in der Notaufnahme, im Pflegeheim und auch wirklich viel als Ärzte im Krankenhaus und sogar selbstständig. Unsere Gesellschaft altert, die Boomer gehen in Rente oder sind es schon – schau dir die „Bevölkerungspyramide“ an, die spricht lange schon Bände!
Dass zu viele Flüchtlinge zu lange Sozialhilfen beziehen IST ein Problem, an dem man arbeiten muss. Gegen den bandenmäßigen Missbrauch wird jetzt immerhin vorgegangen. Das große Problem sind derzeit aber garnicht die Flüchtlinge aus Irgendwo, sondern der Zustrom aus der Ukraine, der gerade wieder ansteigt. Diese Leute sehen nicht aus, wie man sich „Migranten“ vorstellt, aber sie bekommen den Großteil der Sozialleistungen. Grade gelesen: Auch das Vorhaben, ihnen statt Bürgergeld/Grundsicherung nurmehr Leistungen nach dem Asylbewerberleistungegesetz zu zahlen, brächte keine echte Verbesserung, ganz im Gegenteil (hier mal lesen).
Wie läuft es denn bei Euch mit den Geflüchteten?
„Es gibt nur noch die Menschheit und ihre Kolonien im Weltraum.“
Ich war großer Raumpatrouille-Fan, hab sogar ein Klebebuch mit Bildern gestaltet! 🙂
Zur Idee eines finalen Zustands „in Einheit und Gemeinsamkeit“ hab ich gerade ein ganz großartiges Gespräch eines Philosophen mit einer KI gehört, das klar macht, dass es das niemals geben kann, ja nicht mal geben darf! Erstaunlich und hörenswert.
@ClaudiaBerlin: Deine Kritik an Merz ist nachvollziehbar, in Teilen sicher auch berechtigt. Trotzdem finde ich, man sollte den Kontext bedenken: Die umstrittene Äußerung fiel während eines Interviews. In solchen Situationen sind differenzierte Formulierungen nicht immer leicht möglich. Ich fand die Worte des Bürgermeisters von Neukölln zum Thema übrigens deutlich überzeugender und ausgewogener.
Ich fürchte, wir werden die AfD früher oder später in Regierungsverantwortung sehen. Die Ursachen liegen auf der Hand: Wir gehen mit Populismus ungeschickt um – und das ist kein rein deutsches Problem.
Deine Erfahrungen aus Kreuzberg klingen nach Offenheit und gelebter Toleranz. Das verdient Respekt, auch wenn man es nicht in jedem Punkt teilen muss. Die entscheidende Frage ist doch: Wie geht eine Gesellschaft mit denen um, die weniger tolerant sind – und ihre Ablehnung offen ausleben? Das Ignorieren oder Ausgrenzen dieser Gruppen hat jedenfalls nichts verbessert. Ich kenne inzwischen viele (immer mehr!), die ernsthaft erwägen, ihr Kreuz bei der AfD zu machen. Das ist bitter – aber Realität.
Ich glaube, unser Land tut sich mit gelebter Vielfalt schwer, vor allem, weil der Staat seiner Integrationsaufgabe nicht gerecht wird. Wir reden seit Jahren über eine „Leitkultur“, ohne sie greifbar zu machen. Und ja, ich empfinde es anders als du: Mich irritiert es, wenn ganze Stadtviertel wirken, als wäre man nicht mehr in Deutschland. Wer andere Kulturen erleben will, kann das überall auf der Welt tun – aber Integration sollte auch sichtbare Spuren hinterlassen.
Viele Flüchtlinge sind schlicht nicht bereit oder in der Lage, sich einzufügen – und der Staat fordert zu wenig ein. Wenn die Polizei gegen Ausschreitungen vorgeht, werden die Beamten schnell zur Zielscheibe der Empörung. Strafen bleiben mild, Urteile folgen spät. Das untergräbt jedes Vertrauen in die Durchsetzungskraft des Rechtsstaats.
Wir wären deutlich weiter, wenn Gesetze konsequent angewendet und Ausnahmen reduziert würden. Das gilt auch für den Sozialstaat: Es ist unrealistisch zu glauben, dass die Milliarden, die wir in den letzten Jahren verteilt haben, dauerhaft verfügbar bleiben. Die Ansprüche steigen, das Verständnis für notwendige Kürzungen sinkt.
Natürlich brauchen wir Zuwanderung – aber eben die richtige. Wie viele Menschen hier leben, die nie am Arbeitsmarkt teilnehmen werden, weil sie nicht können oder nicht wollen, wird häufig verdrängt. Wenn zwei Drittel der Zugewanderten dauerhaft auf Sozialleistungen angewiesen sind, ist das ein strukturelles Problem, kein statistischer Zufall.
Politiker wie Reul sprechen diese Missstände an und werden sofort als „rassistisch“ abgestempelt, wenn sie Begriffe wie „Clankriminalität“ verwenden. In so einem Klima kann man kaum noch offen über Lösungen reden. Ich habe ehrlich gesagt kaum noch Hoffnung, dass sich daran bald etwas ändert. Zu weit sind die Gräben, zu festgefahren die Überzeugungen. Und trotzdem – lösen können wir es nur gemeinsam.