Zwischen Hoffnung und Verantwortung: Gibt Gates’ Klima-Appell uns Neuorientierung?

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Es gibt Momente, in denen das große Ringen um Zahlen und Szenarien zur Farce wird. Wir zählen Grad Celsius und Millimeter Niederschlag, während das eigentliche Ziel – das menschliche Überleben in Würde – aus dem Blick gerät. Bill Gates erinnert uns in seinem umfangreichen Klima-Essay daran, dass die entscheidende Kennziffer nicht die globale Durchschnittstemperatur ist, sondern die Lebensqualität der Menschen. Er fordert, dass sich unsere Strategien nicht an abstrakten Grenzwerten, sondern an konkreten Verbesserungen für das Leben der Ärmsten messen lassen müssen.

Gates spricht als Pragmatiker, nicht als Prediger. Er weiß, dass sich Klimaziele nicht durch moralische Appelle, sondern durch Innovation und kluge Politik erreichen lassen. Seine Forderung, den sogenannten „Green Premium“ – also den Preisaufschlag für saubere Technologien – auf null zu senken, ist ein Aufruf zur Ehrlichkeit. Wenn saubere Energie, nachhaltige Landwirtschaft und CO₂-freie Industrie nicht nur ethisch richtig, sondern auch wirtschaftlich vernünftig sind, wird Wandel zur Selbstverständlichkeit. Ich glaube, man könnte es das „alte“ Credo der Grünen nennen.

Doch es ist bezeichnend, wie reflexartig Teile der konservativen Öffentlichkeit auf Gates’ Worte reagieren. US-Präsident Trump – und ihm nicht unähnliche Stimmen wie Focus-Kommentator Ulrich Reitz – versuchen, den Text als Relativierung der Klimakatastrophe zu deuten. In Wahrheit tut Gates das Gegenteil: Er befreit die Debatte von der lähmenden Dichotomie zwischen Weltuntergang und Leugnung. Er ruft uns dazu auf, klüger zu handeln, statt lauter zu schreien.

Sein Memo ist kein Abgesang auf die Dringlichkeit, sondern ein Versuch, sie zu erden. Es erinnert daran, dass Klimapolitik nicht nur ein Kampf um irgendwelche Werte ist, sondern um Menschen. Das Kind im Südsudan, das an Durchfall stirbt, weil Überschwemmungen die Trinkwasserversorgung zerstören, ist genauso Teil der Klimarechnung wie das E-Auto in München. Diese Perspektive zu verlernen, wäre der eigentliche Rückschritt.

Deshalb ist es höchste Zeit, jenen wieder Rückhalt zu geben, die den Mut hatten, das Thema nicht nur zu verstehen, sondern auf die Straße zu tragen. Menschen wie Luisa Neubauer und die unzähligen Aktivistinnen und Aktivisten, die über Jahre hinweg für konsequenten Klimaschutz kämpften und nun verspottet, kriminalisiert oder diffamiert werden. Sie sind nicht die Störenfriede, sondern das moralische Rückgrat einer Gesellschaft, die zwischen Bequemlichkeit und Angst schwankt.

Wenn Gates von „Innovation“ spricht, meint er nicht nur Technologie, sondern auch den Mut zur neuen politischen Logik: Klimaschutz als Menschenschutz. Wer diese Verbindung begreift, wird verstehen, dass die Lösung nicht in Dogmen, sondern in einer Kultur der Zusammenarbeit liegt – zwischen Forschung, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft.

Das Ziel ist so einfach wie gewaltig: Jeder Mensch, egal wo geboren, soll in einer lebenswerten Umwelt leben können. Dazu braucht es keine Apokalypse-Rhetorik, sondern Beharrlichkeit, Weitsicht – und das Vertrauen, dass Fortschritt kein Feind des Klimas sein muss. Vielleicht sogar Radwege in Peru. Aber Menschen wie Herr Reitz vom Focus scheinen Kampfbegriffe wichtiger als das Nachdenken über die eigene Position zu sein.

Bill Gates hat den Rahmen neu gesteckt. Es liegt an uns, ihn mit Haltung zu füllen.

P.S.: Bei Rivva und in anderen Aggregaten habe ich kaum einen Artikel über das Thema gefunden. Vielleicht war ich zu spät oder hab’s übersehen. Oder besteht wirklich so wenig Interesse an diesem Thema? Das ist hoffentlich eine Fehlinterpretation meinerseits.

Ehrlich gesagt, war dieser Gedanke, den Mann hier anklingen lässt, auch mein erster, als ich von Gates Memo las. Die Tech-Bros mischen die Welt auf und tun das, was der Orangene mit Wohlwollen vernimmt. Aber so ist es eben nicht.

Michael Mann to Bill Gates: You can’t reboot the planet if you crash it – Bulletin of the Atomic Scientists

Wenn Maslow heute noch leben würde, würde er vermutlich die Schlussfolgerung unterstützen, dass jedes Problem eine technische Lösung zu haben scheint, wenn Technologie das einzige Werkzeug ist, das man zur Verfügung hat. Und das ist eine treffende Charakterisierung des „Tech-Bro”-zentrierten Denkens, das heute in der öffentlichen Umweltdebatte so weit verbreitet ist. Es gibt kein besseres Beispiel dafür als Bill Gates, der gerade diese Woche mit der Veröffentlichung eines 17-seitigen Memos, das die Verhandlungen auf dem bevorstehenden internationalen Klimagipfel COP30 in Brasilien beeinflussen soll, das Konzept des schlechten Timings neu definiert hat.

Quelle

Ein anderes Bild zeigte sich hingegen beim Thema Klimaschutz. Während 25 Prozent der Befragten dazu tendieren, dass Maßnahmen zum Klimaschutz in Deutschland zu weit gingen, gingen für 27 Prozent die Maßnahmen nicht weit genug.

Tagesspiegel


Horst Schulte

Herausgeber, Blogger, Amateurfotograf

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe auf dem Land.

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