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Mancher Kranke stirbt am Herzversagen seiner »Mitmenschen«

Die Flure haben nur eine gewis­se Ähnlichkeit mit denen gro­ßer Hotels. Auch sie wir­ken karg, schmuck- und irgend­wie end­los. Statt schmü­cken­der Bilder sind gro­ße Infotafeln im Krankenhaus wich­ti­ger. Den Menschen, denen man begegnet,

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Die Flure haben nur eine gewis­se Ähnlichkeit mit denen gro­ßer Hotels. Auch sie wir­ken karg, schmuck- und irgend­wie end­los. Statt schmü­cken­der Bilder sind gro­ße Infotafeln im Krankenhaus wich­ti­ger. Den Menschen, denen man begeg­net, wid­met man wenig Aufmerksamkeit. Die Gedanken sind nicht hier, sie sind woan­ders. Vor dem Eintreten ins Krankenzimmer klop­fe ich an der Tür und tre­te ohne abzu­war­ten ins Zimmer. Der Blick sucht nach dem ers­ten Eindruck der Mutter. Wie mag es ihr heu­te gehen? Hat sie die Krise von ges­tern über­wun­den? Werden wir beru­higt sein, nach­dem wir ihre ers­ten Sätze gehört haben? Ist sie ver­wirrt; erzählt sie uns Dinge aus einer Parallelwelt? Unsere Anspannung legt sich all­mäh­lich. Leider geht es ihr nicht bes­ser. Nicht so, wie wir es uns gewünscht hät­ten. Dabei hät­te sie doch schon letz­ten Samstag – nach einer knap­pen Woche – ent­las­sen wer­den sol­len. Die Entzündungswerte erlau­ben es nicht. Wir müs­sen war­ten, gedul­dig sein. Das müs­sen wir auch Mutter ver­mit­teln. Sie fühlt sich dort nicht wohl. Es war ges­tern vor einer Woche, als es ihr von einer auf die ande­re Stunde schlecht ging. Mit 91 Jahren ist sie durch eine stark fort­ge­schrit­te­ne Arthrose schon län­ge­re Zeit kein Ausbund mehr an Mobilität. Aber für ein paar Schritte durch die Wohnung und auf dem Balkon hat es immer noch gereicht. Daran ist in die­sen Stunden nicht zu den­ken. Wir muss­ten Montag letz­ter Woche ein­se­hen, dass wir nicht dar­um her­um kom­men, den Notarzt zu holen. Mittlerweile war es 2 Uhr mor­gens. Transport und Formalitäten im Krankenhaus neh­men eini­ge Stunden in Anspruch. Um 5 Uhr mor­gens waren wir end­lich wie­der zu Hause. Mutter war in guten Händen. Eine Nierenbeckenentzündung hat sie erwischt. Es hat­te sich leich­tes Fieber ent­wi­ckelt. Was für jün­ge­re und gesun­de Menschen kein Problem dar­stellt, stellt für die alte Dame eine Herausforderung dar. Im Zimmer lie­gen zwei ande­re älte­re Damen. Beide sind ver­mut­lich etwas jün­ger als Mutter. Beide sind, wie man so sagt, schlecht dran. Eine der bei­den wird meis­tens mit einem Kosenamen ange­spro­chen. Sie muss­te von einem Pflegeheim ins Krankenhaus, weil sie eine Lungenentzündung bekom­men hat­te. Besuch erhält sie sel­ten. Mit einer bedeu­ten­den Ausnahme. Ein freund­li­cher Herr, Anfang 70, besucht sie täg­lich für eini­ge Stunden. Er reist vom unge­fähr 30 km ent­fern­ten Köln mit dem Auto an. Wir kom­men schnell mit ihm ins Gespräch und erfah­ren eine Menge über die Bettnachbarin unse­rer Mutter. Sie ist dement und lebt in einem ent­spre­chen­den Heim. Sie kann durch ihre Erkrankung inzwi­schen nicht mehr spre­chen und hat gro­ße Probleme beim Schlucken. Es gibt Tage, an denen sie einen wache­ren Eindruck macht. Meist aber döst sie vor sich hin. Wir hören unver­ständ­li­che Laute. Dazwischen weint, lacht oder schimpft sie. Wenn der älte­re Herr an ihrem Bett sitzt fixiert sie ihn. Sie scheint ihn zu ken­nen. Er hält ihre Hand und strei­chelt sie. Über Mittag ist er immer da. Er füt­tert sie, benetzt ihre Lippen und führt ihr mit einer Art Spritze Flüssigkeit zu. Die bei­den sind seit Anfang der 2000er Jahre mit­ein­an­der befreun­det. Ihre vor­he­ri­gen Partner waren ver­stor­ben. Oft waren sie in den fol­gen­den Jahren zusam­men im Urlaub. Die Dame hat ein beweg­tes und nicht ein­fa­ches Leben hin­ter sicher. Sie ist Sinti und hat gemein­sam mit ihrer Mutter ein Konzentrationslager über­lebt. Und nun ist sie kom­plett auf frem­de Hilfe ange­wie­sen. Wenn mein Blick von Mutter zu dem ande­ren, zu ihrem Bett her­über­wan­der­te mach­te mich der Anblick trau­rig. Ob man die­ses Gefühl als Empathie bezeich­net? Nicht mal das weiß ich. Aber ich weiß, dass mit Sentimentalität noch kei­nem gehol­fen wur­de. Also besin­ne ich mich und freue ich mich dar­über, dass es die­sen Mann gibt. Diesen net­ten und durch­aus nicht gesun­den Mann, der jeden Tag stun­den­lang an ihrem Bett sitzt und mit ihr spricht, obwohl er kei­ne Antwort bekommt. Jedenfalls kei­ne Antwort im Sinne des Wortes. Denn dass es eine Form der Kommunikation zwi­schen den bei­den gibt, davon bin ich fest über­zeugt. Kümmert euch um die, die eure Hilfe brau­chen. Es muss nicht viel sein. Aber etwas hat jeder zu geben. 

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