Frankreich: Dann eben in fünf Jahren ?

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Emmanuel Macrons Partei En Marche wur­de erst 2016 eigens für den Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich gegrün­det. Mit ande­ren Worten: der hof­fent­lich neue fran­zö­si­sche Präsident ver­fügt in der Nationalversammlung über kei­ne Hausmacht. Welches Ergebnis die dem­nächst erfol­gen­den Wahlen (11. und 18. Juni) zur Nationalversammlung brin­gen wer­den, ist offen. Damit ist unklar, wel­che Mehrheiten Macron für sei­ne Politik errin­gen kann und…

Emmanuel Macrons Partei En Marche wur­de erst 2016 eigens für den Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich gegrün­det. Mit ande­ren Worten: der hof­fent­lich neue fran­zö­si­sche Präsident ver­fügt in der Nationalversammlung über kei­ne Hausmacht.

Welches Ergebnis die dem­nächst erfol­gen­den Wahlen (11. und 18. Juni) zur Nationalversammlung brin­gen wer­den, ist offen. Damit ist unklar, wel­che Mehrheiten Macron für sei­ne Politik errin­gen kann und wie vie­le Sitze die neu gegrün­de­te Partei dann haben wird.

Weder die Konservativen noch die Sozialisten besit­zen auf­grund schlech­ter Politik das Vertrauen der Bevölkerung. Das wird sich ver­mut­lich auch bei den Wahlen zur Nationalversammlung ent­spre­chend nie­der­schla­gen. Die Parteien haben in chro­no­lo­gisch lücken­lo­ser Reihenfolge eine schlech­te Hand bei der Führung des Landes bewie­sen. François Hollande galt zuletzt als der unpo­pu­lärs­te Präsident aller Zeiten.

Alles wird gut – auch ohne Reformen?

Aber ist das so ein­fach? Können wir der Politik die Schuld geben oder ste­hen wir in Europa und anders­wo nicht vor Problemen, die häu­fig eher aus unwil­li­gen, über­sat­ten sozi­al­staat­lich orga­ni­sier­ten Gesellschaften erwach­sen sind als aus der angeb­li­chen Unfähigkeit kor­rup­ter Eliten?

Wie steht es heu­te um unse­re Bereitschaft, selbst für uns ver­ant­wort­lich zu sein? Uns soll­te klar sein, dass das Ideal des „für­sorg­li­chen Staates” ein Hirngespinst war und ist.

Über 20% Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern Europas

Die wirt­schaft­li­che Lage Frankreichs ist seit Jahren pre­kär. Die Arbeitslosigkeit beträgt seit 2009 jeweils immer zwi­schen 9 und 10%, bei den Jugendlichen beträgt die Quote im März 2017 23,7%. Europa kann auch dar­an zer­bre­chen, dass es sich über Jahre mit die­ser Situation „arran­giert” hat. Politik und Wirtschaft mögen die Bedeutung für die Zukunft der betrof­fe­nen Länder durch­aus rich­tig ein­schät­zen. In Sonntagsreden scheint es so. Geändert hat sich an die­sem zen­tra­len Punkt, der wie kaum ein ande­rer, die Zukunft Europas mar­kiert, kaum etwas. Die jun­gen Leute (<30) in Frankreich wen­den sich an extre­me Parteien – nach Links wie Rechts. Warum das so ist, liegt auf der Hand. Das ande­re, spe­zi­fisch deut­sche Problem an die­ser Ecke, sei hier der Vollständigkeit hal­ber erwähnt: Macht der Senioren: Rentnerrepublik Deutschland. Alte ent­schei­den die Wahlen – WELT | Quelle

Kampf um Reformen

Einmal davon abge­se­hen, dass ich der Agenda-Politik Schröders falsch fand, wird die schon bru­ta­le Reform-Verweigerung der Franzosen nicht dafür sor­gen, dass es dort in wirt­schaft­li­cher Hinsicht sobald bes­ser wird. Zuletzt hat Hollandes Regierung mit stark „abge­mil­der­ten” Teilreförmchen Schiffbruch erlitten.

Ja, die Franzosen las­sen sich sowas nicht gefal­len. Aus dem Mund der Linken und Gewerkschaften in Deutschland schwingt stets Bewunderung mit. Kritische Äußerungen sind nicht zu vernehmen.

Professor Bofinger, einer unse­rer Wirtschaftsweisen, hat kürz­lich in einer Talkshow gesagt, dass die Agenda 2010 „mas­siv über­schätzt” wür­de. Zutreffend sei aller­dings, dass der „Druck auf die Löhne” in Deutschland zum wirt­schaft­li­chen Aufschwung unse­res Landes bei­getra­gen habe. Die Erzählungen, die poli­ti­sche Parteien um die Agenda gesell­schaft­lich eta­bliert haben, sind fak­tisch an den Haaren her­bei­ge­zo­gen. Angebliche Einsparungen waren nicht aus­zu­ma­chen. Das zeigt ein flüch­ti­ger Blick auf die Entwicklung der deut­schen Sozialetats seit der Einführung der Agenda.

Ist es dem­nach nicht äußerst zwei­fel­haft, den Franzosen die glei­che „Rosskur” ver­ord­nen zu wol­len, wie das Teile unse­rer Regierung offen­sicht­lich nach wie vor im Kopf haben? Unsere Regierung ver­ord­net Staaten wie Griechenland eine har­te Sparpolitik. Das Austerität kon­tra­pro­duk­tiv wirkt, hat man in Berlin noch immer nicht verstanden.


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Ich hof­fe, Emmanuel Macron wird die­se Stichwahl gegen die rechts­ra­di­ka­le Kandidatin Le Pen gewinnen.

Die Frage ist nur: was wird danach in Frankreich pas­sie­ren? Hat Macron genug Zeit in 4 Jahren den Turnaround zu schaf­fen? Hat er die rich­ti­gen Konzepte oder spricht nicht sei­ne Vita dafür, dass er das Heil sei­nes Landes in sei­nem neo­li­be­ral gepräg­ten Kredo suchen wird?

Frankreich geht es gut! 

Ist das die Formel, die die poli­ti­schen Eliten in eini­gen Jahren der Anpassung und des schäu­men­den Verdrusses vie­ler Menschen im Land, pro­pa­gie­ren wol­len? Dann gin­ge es in Frankreich mit eben­so plat­ten wie fal­schen Behauptungen zu wie heu­te bei uns.

Werden sie dabei ver­ken­nen, dass die fran­zö­si­sche Gesellschaft wäh­rend die­ser neo­li­be­ra­len Neuausrichtung schwe­ren Schaden genom­men hat? Das wird zwangs­läu­fig der Fall sein.

Politische Positionen Macrons im Wahlkampf 2017:

Macron for­dert einen Abbau von Regulierungen für Unternehmen. Er möch­te das Arbeitsrecht auf grund­sätz­li­che Normen beschrän­ken sowie die 35-Stunden Woche bei­be­hal­ten, wobei die Branchen und Unternehmen fle­xi­ble­re Arbeitszeiten aus­han­deln kön­nen sol­len. Macron plant den Aufbau eines uni­ver­sel­len Rentensystems, das die 37 spe­zi­el­len Rentensysteme ersetzt und glei­cher­ma­ßen für Beamte wie Angestellte gilt. Er will die Beibehaltung des Renteneintritts mit 62 Jahren oder nach 42 Jahren Beitragszahlungen bis 2022 garan­tie­ren. Arbeitslosenunterstützung for­dert er auch für Selbstständige und Freiberufler sowie für Arbeitnehmer, die selbst kün­di­gen. Sie soll jedoch ent­zo­gen wer­den kön­nen, bei Ablehnung von akzep­ta­blen Arbeitsangeboten oder feh­len­dem Engagement bei der Arbeitssuche. Er plant die Streichung von 120.000 Beamtenstellen, außer in Hospitälern. In sozia­len Brennpunkten for­dert er mehr Lehrer- und Polizistenstellen.

Macron will die öffent­li­chen Ausgaben bin­nen 5 Jahren um 60 Mrd. € redu­zie­ren durch Einsparungen im Gesundheitswesen (15 Mrd. €), bei den Gebietskörperschaften (10 Mrd. €), bei den Staatsausgaben (25 Mrd. €), durch Senkung der Arbeitslosigkeit (10 Mrd. €). Er plant Investitionen in Höhe von 50 Mrd. €, davon 15 Mrd. € für Aus- und Weiterbildung, 15 Mrd. € für den öko­lo­gi­schen und ener­ge­ti­schen Wandel sowie jeweils 5 Mrd. für die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen, das Verkehrswesen und die Modernisierung der öffent­li­chen Verwaltung. Er will die Unternehmenssteuern von 33,3 % auf 25 % sen­ken und plant eine Reform der Vermögenssteuer, die Kapital, das inves­tiert wird, von der Besteuerung aus­nimmt, außer Immobilieneinkünfte. Macron bezeich­ne­te Deutschlands Handelsüberschuss als nicht mehr trag­bar. Macron möch­te die Abhängigkeit Frankreichs von der Atomenergie ver­min­dern. Einen Ausstieg aus die­ser lehnt er ab. Er for­dert ein umwelt­freund­li­ches Steuersystem, um eine Wirtschaft mit nied­ri­gem CO2-Ausstoß zu erreichen

Macron for­dert eine schnel­le­re Bearbeitung von Asylverfahren, zur Ermöglichung einer zügi­gen Ausbildung und Integration für Personen mit Asylrecht und einer zügi­gen Abschiebung von Personen ohne Asylrecht

Macron tritt für eine Demokratisierung der Europäischen Union und gemein­sa­me Institutionen für die Eurozone ein. Er for­dert die Einrichtung eines Budgets der Eurozone in Höhe von meh­re­ren 100 Mrd. € für Investitionen, das von einem Parlament der Eurozone legi­ti­miert und kon­trol­liert und von einem Minister für Wirtschaft und Finanzen der Eurozone gesteu­ert wer­den soll. Er möch­te das Schengener Abkommen bei­be­hal­ten und for­dert die Verstärkung von Frontex durch 5.000 neue Grenzbeamte an den EU-Außengrenzen sowie ein gemein­sa­mes Informationssystem für bes­se­ren Austausch bei der Bekämpfung von orga­ni­sier­tem Verbrechen und Terrorismus.

Quelle: Wikipedia

Die Rechten lauern in Frankreich!

Aber in Frankreich wird das so nicht lau­fen. Nicht nur, dass die Franzosen in man­cher­lei Hinsicht total anders drauf sind als wir. Macron wird sich dar­über hin­aus schwer tun, für sei­ne Pläne die erfor­der­lich Unterstützung in der Nationalversammlung zu erhal­ten. Das ist absehbar.

Die Frage ist, ob sich Allianzen für die Umsetzung von Reformen wie damals in Deutschland fin­den las­sen oder ob den eta­blier­ten Parteien, die soeben ihre Präsidentschaftskandidaten nicht durch­brin­gen konn­ten, das Hemd näher ist als die Hose sein wird?

Ich kann die Lage in Frankreich nicht ein­schät­zen. Einerseits soll­ten sich auf­grund der anhal­ten­den wirt­schaft­li­chen Misere des Landes und der mas­si­ven Bedrohung durch Le Pens rechts­ra­di­ka­len FN all­mäh­lich auch neue Allianzen schmie­den lassen.

In Deutschland ist dies zu Beginn die­ses Jahrhunderts ja auch wegen der all­ge­mei­nen Einsicht in die pre­kä­re wirt­schaft­li­che Lage des Landes pas­siert. Andererseits sind die Egoismen der dort exis­tie­ren­den poli­ti­schen Parteien viel­leicht stär­ker vor­han­den. Zumal man dort um die aus­ge­präg­ten Empfindsamkeiten in der Bevölkerung bei Einschnitten im Sozialbereich weiß. Deshalb scheint es man­cher eher oppor­tun, auf die Chance zum eige­nen Vorteil zu setzen.

Das wür­de mei­nes Erachtens aber hei­ßen, dass – wenn es die­ses Mal noch nicht klappt – in fünf Jahren die Zeit der Rechtsradikalen in Frankreich end­gül­tig gekom­men ist. Dafür spre­chen die anhal­ten­den Probleme des Landes und Europas, die ja kei­nes­wegs „nur” aus wirt­schaft­li­chen Schwierigkeiten bestehen.

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5 Gedanken zu „Frankreich: Dann eben in fünf Jahren ?“

  1. Wenn das mal nichts ist… Gerade auf tages​schau​.de gelesen:
    Zwei Tage vor dem Finale der fran­zö­si­schen Präsidentenwahl haben Greenpeace-Aktivisten ein Banner gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen am Eiffelturm ange­bracht. Auf dem gel­ben Transparent sind die fran­zö­si­schen Revolutionswerte „Frieden, Gleichheit, Brüderlichkeit” zu lesen.
    Epilog: „Nur Menschen, die selbst fried­lich sind, kön­nen auch poli­ti­schen Frieden bewirken.”
    ‑Franz Alt *1938 (Journalist)

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