Migration erfordert Toleranz und gegenseitigen Respekt

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Wer macht sich kei­ne Sorgen über die poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Verfassung unse­res Landes? Und zwar nicht nur ange­sichts der bevor­ste­hen­den Bundestagswahlen am nächs­ten Sonntag. Dabei steht doch fest, dass die aktu­el­le auch die neue Regierung sein wird.

Die Frage, ob die AfD mit 8 oder 15% in den nächs­ten Bundestag ein­zieht, ist schon wich­tig. Es wäre schon eini­ger­ma­ßen frus­tig, wenn die­se rechts­extre­me Partei stärks­te Oppositionspartei wür­de. Wie auch immer, ich bin davon über­zeugt, dass unse­re Demokratie das verkraftet.

So ver­gif­tet der Wahlkampf von allen Seiten geführt wur­de, so klar ist, dass die­se Partei schon allein auf­grund ihrer inter­nen Zerrissenheit und ihres merk­wür­di­gen bis anstö­ßi­gen Personals weder auf Bundes- noch – wie wir ja zum Teil schon mit­er­lebt haben – auf Landesebene etwas bewe­gen wird.

Ein Störfaktor im Politikbetrieb – mehr wird die­se Partei nicht sein. Und im nächs­ten Bundestag ist der „Zauber” ver­flo­gen und die Rechten wer­den wie­der unter „Sonstiges” in den Ergebnislisten geführt werden.


Wir soll­ten uns den wirk­lich drän­gen­den Fragen der Gesellschaft widmen.

Türkischstämmige Wählerinnen und Wähler

Eine davon ist, war­um es offen­bar so vie­le stört, wenn sich (tür­ki­sche) Migranten (teil­wei­se unan­ge­mes­sen) kri­tisch über Deutschland äußern. Fallen die­se auf­fäl­li­gen Empfindlichkeiten zusam­men mit der von der AfD ver­stärk­ten Fremdenfeindlichkeit und sagt sie etwas über unser Verhältnis zur Migration ins­ge­samt aus? Wer in den sozia­len Netzwerken unter­wegs ist, der kennt die­se Varianten die­ser „Universalformel”, die vie­le mög­li­cher­wei­se schon selbst in Diskussionen mit oder über Türken ver­wen­det haben. Sie lau­tet sinngemäß:

„Wenn ihr Erdogan so toll fin­det, war­um seid ihr noch hier in Deutschland und nicht in der Türkei?”

Mich macht es stink­sauer, wenn tür­ki­sche Migranten dem Befehl aus Ankara fol­gen und nicht mal mehr ihrer eige­ne Wahlentscheidung tref­fen, son­dern statt­des­sen dem Boykottaufruf „ihres Präsidenten” (gegen die Feinde der Türkei) folgen.


Keine Kritik ertragen

Woran liegt es, dass auch ich auf Kritik an Deutschland so emp­find­lich reagie­re. Und zwar ins­be­son­de­re dann, wenn sie von tür­ki­schen Migranten kommt? Haben sie mit ihrer Kritik denn unrecht, oder fin­de ich gene­rell, dass Migranten kei­ne Kritik an Deutschland und den Deutschen zu üben haben? Was wür­de letz­te­res über mich aus­sa­gen? Wenn wir Deutsche uns die­se Frage selbst ein­fach mal stel­len wür­den kämen wir viel­leicht ein Stück vor­an und wüss­ten, wor­an wir mit uns sind.

Es ist leicht her­aus­zu­fin­den, dass es unter Wutbürgern und AfD-​Sympathisanten vie­le gibt, die an den Institutionen und deren Vertretern und an der deut­schen Politik kein gutes Haar las­sen. Was ist der Unterschied bei­spiels­wei­se zwi­schen denen und den tür­ki­schen Migranten, die ihrem Präsidenten Erdogan hul­di­gen und Deutschland aus ver­schie­de­nen Gründen für alles mög­li­che (Reaktionen auf Gesi-​Park-​Demos, Massenmord an Armeniern, man­geln­de Unterstützung/​Zuspruch nach dem Putsch, Abbau des Rechtsstaates, Einflussnahme auf Referendum, Antwort auf Nazi-​Vorwürfe etc. etc.) hart kritisieren?


Sind mei­ne Vorbehalte gegen die kras­se Art vie­ler Türken nicht die Ausnahme, son­dern ein Indiz dafür, dass vie­le Deutsche gar nicht dazu bereit sind, Einwanderern (zumal tür­ki­schen) emo­tio­nal auf Augenhöhe zu begegnen?

In die­sem Fall brau­chen wir uns gar nicht dar­über zu wun­dern, wenn Migranten sich in mode­ra­ter bis aggres­si­ver Tonlage über Diskriminierungserfahrungen bekla­gen? Besonders laut äußern sich die Türken. Dabei waren sie über Jahre die Gruppe von mus­li­mi­schen Migranten, die am wenigs­ten auf­ge­fal­len ist. Erdogan hat ihnen, wie man lesen kann, ein neu­es „Selbstvertrauen” gege­ben. Das Selbstvertrauen ver­mut­lich, wel­ches ihnen die Deutschen in den letz­ten Jahrzehnten wäh­rend ihrer Fronarbeit geraubt zu haben scheinen.

Das sind Auslegungen unse­res Zusammenlebens auf die das nur Menschen kom­men, die nichts Gutes im Schilde führen.

Es ist frus­trie­rend, dass AKP-​Funktionäre mit Lügen und Scharfmacherparolen bei ihren tür­ki­schen Migranten über­haupt lan­den kön­nen. Andererseits kann es in der Tat um das Selbstbewusstsein man­cher Türken in Deutschland nicht son­der­lich gut bestellt sein, wenn sie die­sen Stichwortgebern sol­che Plattheiten abnehmen.

Ergebenheit

Damit soll die „Ergebenheit” gegen­über Erdogan zu erklä­ren sein?! Die offi­zi­el­le Lesart: Erdogan hat den Türken in der Diaspora seit lan­ger Zeit den Rückhalt (ein Selbstwertgefühl) ver­mit­telt, auf den man von deut­scher Seite ver­geb­lich gewar­tet hat­te. Solche simp­len Geschichten erklä­ren die befremd­li­che Verbundenheit mit einem Mann, der hier­zu­lan­de in den letz­ten Jahren immer kri­ti­scher betrach­tet wird.

Warum haben vie­le Deutsche die Erwartung, dass Einwanderer sich mit Kritik an ihrem Staat zurück­hal­ten. Zumal dann, wenn die­se Kritik in der­ma­ßen unflä­ti­ger Form vor­ge­tra­gen wird, wie es von Regierungsmitgliedern der Türkei vor­ex­er­ziert wird!

Wir for­dern von Migranten, dass sie sich den Sitten und Gebräuchen die­ses Land anpas­sen sol­len. Das Fremdwort für Anpassung heißt jedoch nicht Integration, son­dern Assimilation.

Wir erin­nern uns, dass Erdogan in einer Rede in Köln die­se als Todsünde bezeich­net hat. Dabei bedeu­tet Assimilation wört­lich über­setzt nicht mehr als „Anpassung”.

Immer wenn von Integration und Integrationsbemühungen gespro­chen wird, ist eigent­lich Assimilation (Anpassung!) gemeint. Genau die­se erwar­ten wir von „den Fremden”. Der Begriff ist aber wenig popu­lär, des­halb hört man ihn in die­sem Zusammenhang so selten.

Erst wenn die­ser anspruchs­vol­le­re Vorgang nach Generationen abge­schlos­sen wur­de, ist auch der Prozess der Integration abge­schlos­sen. Dazu gehört – nach guter alter deut­scher Sitte – die Klappe zu hal­ten. Jedenfalls, immer dann, wenn es ums Ganze geht.

Assimilation

Ich ver­mu­te ganz stark, dass so die Vorstellung der meis­ten Menschen in den Mehrheitsgesellschaften aus­se­hen wird. Nur passt sie weder zu einer sagen wir moder­nen Idee von Integration und – gar nicht über­ra­schend – nicht zu dem, was Erdogan sich von sei­nen poten­zi­el­len Wählerinnen und Wählern in der Diaspora ver­spricht. Die alte Verbundenheit zum Heimatland soll mög­lichst eng blei­ben. Es geht also weni­ger um den Erhalt von kul­tu­rel­len Eigenarten als viel­mehr um knall­har­te poli­ti­sche Interessen.

Den Erfolg die­ser Politik Erdogans kön­nen wir inzwi­schen in Deutschland besich­ti­gen. Dass mit vie­len Türken in die­sen Zeiten dar­über über­haupt nicht mehr zu reden ist, ist sym­pto­ma­tisch für eine gefähr­li­che Fehlentwicklung.

Dabei leben vie­le Türken ver­mut­lich gern in Deutschland. Nur die kul­tu­rel­len und gesell­schaft­li­chen Eigenarten sind ihnen nicht nur fremd geblie­ben – sie leh­nen sie glatt­weg ab.


Höchstwahrscheinlich ist die Eskalation im Verhältnis der Türkei zu Deutschland nicht hin­rei­chend scharf von den Problemen zu tren­nen, vor die jede Gesellschaft gestellt ist, die mit der Integration von Menschen aus frem­den Kulturkreisen kon­fron­tiert ist.

Sind wir tat­säch­lich über­rascht davon, dass unse­ren per­sön­li­chen Erfahrungen zum Trotz, auch per­sön­li­che Ressentiments im Schatten des Konfliktes mit dem Erdogan-​Regime hoch­kom­men? Was bedeu­tet es für unser Land, dass nach all den Jahren Migration auf unter­schied­lichs­tem Erfolgsniveau ins­be­son­de­re Türken aus der 3. Generation Türken ihre nega­ti­ve Haltung zu unse­rer Gesellschaft am kras­ses­ten demonstrieren?

Welche Rolle spie­len dabei die stil­lo­sen und wider­li­chen Beleidigungen und Vorwürfe aus Ankara? Wie gut wäre es in die­ser Situation, mit tür­ki­schen Freunden und Bekannten spre­chen zu kön­nen und wie sehr wür­de das die Chancen ver­bes­sern, sich gegen­sei­tig bes­ser ver­ste­hen zu kön­nen und sich eines gemein­sa­men Verständnisses die­ser mul­ti­kul­tu­rel­len Gesellschaft zu ver­si­chern. Ich sehe momen­tan kei­ne Chance dafür, das hin­zu­be­kom­men. Die ein­ge­tre­te­ne Sprachlosigkeit erstickt sol­che Versuche schon im Keim.

AKP Funktionäre in Deutschland

Medien, Freude und Bekannte zeich­nen ein nega­ti­ves Bild der gegen­sei­ti­gen Beziehungen. Es ist auf­fal­lend, dass trotz aller Kommunikationsmöglichkeiten (Internet, sozia­le Netzwerke) es auch denen schwer fällt, mit migrier­ten Türken ins Gespräch zu kom­men, die poli­ti­sche Ämter haben und im Bundestag ver­tre­ten sind. Mir sind die Bilder im Kopf, bei denen bei­spiels­wei­se in Neukölln Türken an Parteiständen der gro­ßen Parteien wort­los vor­bei­lau­fen. Sie sind weder bereit, ein Gespräch auf­zu­neh­men noch ein Prospekt anzu­neh­men. Erdogans Kampagne ver­fängt also in wei­te­ren Teilen der tür­ki­schen Community. Die Medien kom­men­tie­ren zwar die Situation, in dem sie auf die ver­än­der­te Stimmung hin­wei­sen, die ins­be­son­de­re seit dem geschei­ter­ten Putsch in der Türkei ent­stan­den ist. Auswege muss die­se Gesellschaft ins­ge­samt finden.

Was ist dar­an falsch, was die­ser AKP-​Funktionär, der sei­ne Sozialisierung in Deutschland erfah­ren hat, schrieb:

Deutschland steht am 24. September vor einer his­to­ri­schen Wahl. Erstmals nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus steht eine rechts­extre­me Partei kurz davor, dritt­stärks­te Kraft im Bundestag zu wer­den. Die Situation ist bereits jetzt zutiefst beun­ru­hi­gend für Minderheiten in Deutschland. Nahezu täg­lich wer­den irgend­wo in der Bundesrepublik gewalt­tä­ti­ge Übergriffe auf Muslime und ihre Einrichtungen verübt.

Von einem Problembewusstsein sind wei­te Teile der Politik und Medien jedoch weit ent­fernt. Es stellt sich die Frage, wie es um die Zukunft Deutschlands aus­sieht, wenn dem­nächst auch noch ver­kapp­te Nationalsozialisten im Parlament sit­zen und die Geschicke des Landes mit­ge­stal­ten.Quelle: Mustafa Yeneroğlu – “No-​go-​Area für Staatsministerin Özoğuz ist Kapitulation vor Neonazis” | LINK

Es ist ein typi­sches ankla­gen­des und weh­kla­gen­des Verhalten, wie man es von AKP-​Politikern und über­haupt von vie­len Türken immer wie­der erlebt. Mustafas Yeneroglu einen Missstand und pran­gert schlim­me Zustände in die­sem Land an. Obwohl er wohl inzwi­schen in der Türkei lebt, kommt ihm natür­lich nicht mal der Gedanke, vor der eige­nen Haustür zu keh­ren. Und dabei gibt es dort wesent­lich mehr Arbeit als hier.

Besorgniserregend ist die fort­schrei­ten­de Islamisierung der Türkei. Erdogan hat ver­an­lasst, dass Darwins Evolutionslehre von den Stundenplänen gestri­chen wird. Statt des­sen sol­len die Schüler/​innen mehr über den Dschihad erfah­ren. Ich dach­te eigent­lich, jeder Mensch auf die­ser Welt wird Grundkenntnisse die­ses von mus­li­mi­schen Terroristen ver­ein­nahm­ten und damit ver­brann­ten Begriffs besit­zen. Erdogan sieht das anders und schrei­tet sei­ner Vorstellung einer neu­en Türkei in Riesenschritten entgegen.

Was ist Demokratie für Erdogan?

Erdogan hat vor lan­ger Zeit aus einem Gedicht zitiert. Die Zeilen „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir auf­stei­gen, bis wir am Ziel sind.” wer­den heu­te als Menetekel in vie­len Medien (vor allem in rech­ten) wie­der­holt, um das eigent­li­che Ziel und die Abkehr der Erdogan-​Türkei von der Demokratie auf den Punkt zu bringen.

In die­sem Land gilt die Meinungsfreiheit! Wenn tür­ki­sche Migranten die Sorge haben, dass Deutschland sich in eine fal­sche Richtung ent­wi­ckelt und dies ent­spre­chend äußern, ist dies das selbst­ver­ständ­li­che Recht jeder Bürgerin und jedes Bürgers. Es ist selbst­ver­ständ­lich ganz unab­hän­gig davon, wel­ches unwür­di­ge Schauspiel uns dies­be­züg­lich eben in der Türkei gebo­ten wird.

Dass wir in die­ses Theater mit hin­ein­ge­zo­gen wur­den, macht bestimmt vie­le Menschen sau­er. Auch die vie­len nicht, die nicht für Erdogan demons­trie­ren würden.

Die Erdogan-​Türkei will nicht ver­ste­hen, dass wir uns anders zu demo­kra­ti­schen Grundrechten ver­hal­ten als es momen­tan in der Türkei der Fall ist. Deshalb wen­den man­che Leute in unse­rem Land schä­bigs­te Mittel der Desinformation an, die mich an ande­re tota­li­tä­re Staaten erin­nern. Sie lügen und bedie­nen sich dabei der Methoden, die ich bis­her nur von rechts­extre­men Parteien in Deutschland kannte.

Was für ein Jammerlappen:

Mit ande­ren Worten: Die deut­schen Politiker, die ihre Wahlkämpfe füh­ren, sind für sol­che Behandlungen ver­ant­wort­lich. Diejenigen, die bei der Inhaftierung eines tür­ki­schen Staatsbürgers in der Türkei über­re­agie­ren, soll­ten sich mal über die Schwierigkeiten infor­mie­ren, die Türken in Deutschland tag­täg­lich erle­ben.Quelle: Wahlkampfdebatten in Deutschland und Lügen über die Türkei – Ozan Ceyhun – Daily Sabah | LINK

Zurück ins Land der Väter

Diese gan­ze Entwicklung ist mehr als uner­freu­lich, und sie ist gefähr­lich für unser Land. Ich ver­ste­he es, wenn man­che schon for­dern, dass die Türken, die sich in unse­rem Land so vehe­ment zu Erdogan beken­nen und gleich­zei­tig tür­ki­sche Lügenpropaganda ver­brei­ten, in die Türkei aus­wan­dern sol­len. Das wäre nicht mehr als recht und bil­lig. Schließlich fin­den sie ja alles so toll, was die­ser Erdogan in ihrem Land ange­stellt hat.

Mustafa Yeneroğlu – “Wählen gehen! Politische Teilhabe stär­ken!” | Quelle


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