Die Tinte unter dem UN-Migrationspakt ist noch nicht trocken, da legen EU und OECD einen Bericht vor, der ein paar Aussagen enthält, die die Diskussion über den Migrationspakt weiter befeuern werden.
Der Bericht besagt, dass in den OECD-Ländern durchschnittlich 25% der dort lebenden Migranten im Billiglohnsektor arbeiten. In Deutschland sind es 40%!
Das ist wohl nicht nur für die TAZ ein gefundenes Fressen. Die Klage über diese vermeintliche Schieflage wird erfahrungsgemäß das Lager der Dauerempörten von Links und Rechts in Wallung bringen. Allerdings aus unterschiedlichen Gründen.
Die Rechten werden dies als Bestätigung ihrer Sorge verstehen, dass der Migrationspakt keineswegs so unverbindlich ist, wie die Befürworter es unablässig behauptet haben. Die anderen werden dafür plädieren, dass den Migranten unverzüglich die Rechte eingeräumt werden, die ihnen zustehen (laut Migrationspakt!!).
Soviel zur Wirkung des Paktes!
Es soll unter den Migranten, die hier leben, Menschen geben, die keine Jobs finden, die ihrer eigentlichen Qualifikation entsprächen. Deshalb hebt UN-Generalsekretär Angel Guerría natürlich sogleich den Finger und fordert die betreffenden Länder (also auch uns) dazu auf, mehr auf die Ausschöpfung der Potenziale der Migranten zu achten.
Ganz so halt, wie das im völlig unverbindlichen UN-Migrationspakt gewünscht wird.
Den klügsten Satz überhaupt findet – was sonst? – ein EU-Vertreter. Der EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos erklärte:
Es ist absolut wichtig für unsere Volkswirtschaften und Gesellschaften, dass die Integration von Immigranten funktioniert.
Tolle Idee, das. Aber natürlich nicht zu Billiglöhnen!
Die sind, wie wir erfahren mussten, unangemessen. Ja, und die riechen ja doch stark nach Ausbeutung.
Solchen Leuten ist es gleichgültig und deshalb keines Wortes wert, dass es in unserem Land seit Jahren Millionen von Arbeitnehmern gibt, die sich in diesem größten Billiglohnsektor Europas mit Niedriglöhnen zufrieden geben müssen, weil es nur Dank der SPD überhaupt einen Mindestlohn gibt. Und diesen bekommen nicht einmal alle Betroffenen.
Da fährt unsere Frau Bundeskanzler extra nach Marrakesch um diesen im Land so umstrittenen Pakt persönlich mitzuunterschreiben.
Jede kritische Beurteilung des UN-Migrationspaketes hinsichtlich seines Wirkungsgrades war also vollkommen berechtigt. Das beweist die taz aufs Trefflichste. Sie hat die moralisierende und am Ende normative Wirkungsweise des Paktes mit ihrem gestrigen Beitrag ausdrücklich bestätigt.
Und zwar ohne Rücksicht auf Verluste! Es gibt Menschen, denen bei solchen Forderungen einfach die Sicherungen durchbrennen.
Hey Horst, ich finde, du sitzt da der Panikmache der Rechten etwas zu sehr auf! Der zitierte Vergleich wäre auch ganz ohne Migrationspakt bemerkenswert, denn WARUM ist das so, dass ausgerechnet im Uns-gehts-doch-so-gut-Land und „Wirtschaftsmotor der EU“ Migranten beruflich deutlich schlechter stehen als anderswo? Wäre das nicht eher Anlass, die Gründe zu erforschen und sich – ganz ohne Zwang – daran zu versuchen, die Chancen der Migranten zu verbessern? Auch und gerade als im-Herzen-Sozialdemokrat?
Ganz spontan fallen mir die langwierigen Verfahren zur Anerkennung höherer Ausbildungen aus anderen Ländern hierzulande ein. Könnte es nicht sein, dass diese mehr auf „Abwehr“ als auf „Integration“ konfiguriert sind?
Warum Einheimische im Niedriglohnsekter stecken, keine derzeit verwendbaren Ausbildungen haben oder anderweitige Hindernisse der Verbesserung ihrer Erwerbssituation entgegen stehen, ist sehr gut erforscht. Dass es die Agenda 2010 überhaupt gab und der Niedriglohnsektor so gewachsen ist, war politischer Wille, um das Land „globalisierungsfit“ zu machen, bzw. als Exportnation weiter zu reüssieren.
Unter ganz normalen Gerechtigkeits- und erst recht Integrationsgesichtspunkten wäre doch anzustreben, dass Migranten mit Bleiberecht das Schicksal der Einheimischen teilen: sie also perspektivisch (!) genauso viele Besserverdiener wie Mittelschichtler wie Prekäre und Hartz4er stellen, wie es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Ja warum denn nicht? (zu erringen bei vergleichbaren Chancen, was auch einige Fördermaßnahmen mit umfasst.)
Natürlich entfaltet auch so ein Pakt seine moralische Wirkung – aber ich kann das (jedenfalls in Bezug auf diese Fakten) nicht schlecht finden.
Vielleicht ist es zu einfach, die gegen den Migrationspakt vorgebrachte Skepsis als Übernahme rechter Positionen zu sehen? Ich teile deinen Einwand, dass die hohe Zahl der mit Almosen abgespeisten Migranten, nichts Gutes über das Land aussagt. Der Vorbehalt gilt aber auch für Millionen deutscher Arbeitnehmer. Wenn Migranten schlechter gestellt werden, ist das etwas, wogegen wir uns wenden sollten, wie überhaupt gegen die Ausbeutung von Menschen durch ein System, das aus den Fugen gerät. Bloß tun wir uns keinen Gefallen, wenn wir diese Diskussion, wie in diesem Fall, anhand der Migranten führen. Zum einen weise ich vor genau dieser Frage auf den Zusammenhang mit dem Migrationspakt hin. Er gibt Regeln vor, an die wir uns nicht halten sollen – so die Aussage unserer Regierung. Dass das nicht stimmt, belegt das Beispiel eindrucksvoll.
Es ist doch nicht so, dass ich für Billiglöhne plädiere. Es soll gerecht zugehen – und zwar für Migranten und für Deutsche. Ich verstehe nicht, weshalb das überhaupt Thema wird. Keine andere europäische Nation hat derart viele Flüchtlinge aufgenommen (in absoluten Zahlen, meine ich). Die Probleme, die uns diese Großzügigkeit beschert hat, sind so groß, dass unsere Demokratie unter Druck geraten ist. Und dann fangen linke Zeiten an, die Intentionen des Migrationspaktes genau in der Weise vorzutragen, wie die deutsche Rechte es hören möchte. Das ist einfach dumm. Das heißt nicht, dass das Thema nicht angesprochen werden soll. Aber doch nicht auf diese plumpe Art und Weise. Gegen Billiglöhne und den entstandenen Niedriglohnsektor insgesamt muss vorgegangen werden und zwar mit allem, was die uneinige Bürgerschaft überhaupt aufbieten kann. Stattdessen protestieren wir lieber gegen die Braunkohle, die übrigens in unserer Region im Moment noch einige Tausend sehr gut bezahlter Jobs ermöglicht. Wenn diese wegfallen, geht hier das Licht aus. Dann sieht es hier bald aus, wie im Ruhrgebiet. Und was passiert dann mit den Migranten? Wie soll das funktionieren? Da nutzen Zeigefinger und moralische Ansprüche überhaupt nichts. Ganz im Gegenteil. Leider bringt genau diese – oft auch übertriebene moralische Argumentation viele überhaupt erst in Rage. Wenn man nicht selbst davon betroffen ist, kann man das leicht machen.
Ich hab erst jetzt den TAZ-Artikel gelesen und wundere mich: da ist ja mit keinem Wort vom Migrationspakt die Rede! Hätte jetzt erwartet, dass die TAZ irgend einen Artikel daraus zitiert und Maßnahmen einfordert… ist aber nicht so. Nicht mal die zitierten EU-Funktionäre am Ende des Artikels (=Allgemeinplätze) nehmen Bezug darauf!
Eine bloße Statistik find ich nun wirklich nicht schlimm – die Info schadet ja niemandem, sie regt sogar an, dankbar zu sein, dass bei uns so viele Migranten prekäre Jobs annehmen. Wenn mir was geliefert wird, ist das fast nie mehr ein „Einheimischer“….
Mein Punkt ist nicht klar geworden. Sorry dafür. Ich habe die taz nicht dafür kritisieren wollen, dass sie das Thema aufgenommen hat. Ich wollte anhand dieses Beispieles belegen, wie der angeblich so unverbindliche Migrationspakt in den Gesellschaften wirken wird.
1.) Ein Missstand wird „aufgedeckt“, der mit dem Thema Migration zu tun hat.
2.) Es gibt zwar keine verbindliche Regel aber die Chance, sich auf den Migrationspakt zu beziehen
3.) Der moralische Druck in der Öffentlichkeit wird mittels anderer Medien und vermutlich im nächsten Schritt einiger NGO’s aufgebaut.
4.) Auftrag und Forderung an die Gesellschaft: Das könnt ihr so nicht lassen, die Quote der Migranten, die „ordentlich bezahlt“ werden, muss in der nächsten Statistik höher liegen.
Ich weiß, dass du mein Argument schon verstanden hast. Aber du glaubst nicht daran, dass der Pakt diese Wirkung entfaltet. Ich schon.
Das alles bedeutet ja keineswegs, dass ich der Ansicht bin, dass an solchen Quoten nicht bearbeitet werden soll. Im Gegenteil. Migration erfordert solche Selbstverständlichkeiten. Aber wehe uns, wenn die Krise durch die Durchsetzung der Digitalisierung unseren Arbeitsmarkt erreicht und dabei die Einheimischen noch schlimmer als jetzt schon auf der Strecke bleiben. Ich meine nicht zugunsten der Migranten. Aber in den Augen der Rechten.