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Die konservative Revolution des Herrn Dobrindt hat mich an eine Debatte erinnert, die nicht lange zurückliegt und die brotlos verlief

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von Horst Schulte

∼ 7 Min. Lesezeit

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Frank Schirrmacher wurde 2011 für seine angebliche Missinterpretation der Grundaussagen von Charles Moore im „Daily Telegraph“ in der deutschen Presse kritisiert. Ich habe mir beide Artikel noch einmal durchgelesen.

Es ist sehr interessant, wie sich in diesen wenigen Jahren das Blatt erneut gewendet hat. Ich meine vor allem die Einbrüche vieler linker Parteien in Europa, den Brexit und zuletzt solche irren Versuche aus CSU-Kreisen (Dobrindt ist nicht allein zu Haus) eine völlig überflüssige Renaissance des Konservativismus herbeizuführen. Letzte wohl auch nur aus dem einen Grund, der AfD wenigstens ein paar Zentimeter ihres ideologischen Grundwassers abzugraben.

Die Hoffnung Moores (s. zweiter Absatz des Zitates) hat sich erfüllt. Die Dummheit der Linken hat den Konservativismus gerettet. Ohne jeden Zweifel. Die speziellen Auswirkungen der Flüchtlingskrise in Deutschland spielte dabei vermutlich, wenn überhaupt, sogar nur eine kleine Rolle.

Was die Notlage der Eurozone betrifft, könnte dies von einem linken Propagandisten als Satire über die Funktionsweise von Geldmacht entworfen worden sein. Eine einzelne Währung wird erstellt. Eine einzige Bank kontrolliert es. Keine demokratische Institution mit irgendeiner Autorität wacht darüber, und wenn die Kredite der Zone in Schwierigkeiten geraten, müssen sich die gewählten Regierungen fast jeder Demütigung fügen, anstatt dass Banker verletzt werden. Was ist mit den Arbeitern? Sie müssen ihre Arbeitsplätze in Porto und Piräus und Punchestown und Poggibonsi verlieren, damit die Bankiers in Frankfurt und Bürokraten in Brüssel problemlos in ihren Betten schlafen können.
[…]  Man muss immer beten, dass der Konservatismus, wie so oft in der Vergangenheit, durch die Dummheit der Linken gerettet wird. Das blinde Vertrauen der Linke in den Staat macht ihre Mittel schlimmer als nutzlos. Aber der erste Schritt besteht darin, zu erkennen, wie viel Boden wir verloren haben und dass möglicherweise nicht mehr viel Zeit bleibt, um es zu schaffen.

Quelle   Ich fange an zu denken, dass die Linke vielleicht recht haben könnte – Telegraph – Auszug des legendären Textes von Charles Moore, einem hochangesehenen Journalisten mit streng konservativen Überzeugungen.

 Ich fange an zu denken, dass die Linke vielleicht recht haben könnte – Telegraph – Auszug des legendären Textes von Charles Moore, einem hochangesehenen Journalisten mit streng konservativen Überzeugungen.

(Hervorhebung durch mich)

Die Dreh- und Angelpunkt der damaligen Debatte waren die Auswirkungen der Finanzkrise und die gewaltigen gesellschaftlichen Defizite, die sich nicht mehr verbergen ließen. Samt und Sonder waren sie konservativ-liberalen Überzeugungen geschuldet. Und nach der Krise hat sich diese Mühsal, locker und flockig fortgesetzt und erneuert. Wir stecken im Tal der Tränen fest und die nun schon einige Jahre andauernde Beruhigung „der Märkte“ wird von denen, die mit ihrem Doktor in Volkswirtschaft immer alles einzuschätzen und zu übersehen vorgeben, von Beginn an entweder mit fast staatszersetzender Skepsis (Youtube) oder beliebig wirkender Langmut kommentiert. Richtig weiß eben keiner, wie oder ob man die Fehlentwicklungen – ohne einem vorhergehenden Armageddon noch mal in den Griff bekommt.

Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik. So abgewirtschaftet sie schien, sie ist nicht nur wieder da, sie wird auch gebraucht. Quelle   Frank Schirrmacher – Bürgerliche Werte: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“ – Feuilleton – FAZ

Frank Schirrmacher – Bürgerliche Werte: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“ – Feuilleton – FAZ

Die Linken haben nichts draus gemacht. In Deutschland soll, so das SPD-Narrativ- die Beteiligung an Großen Koalitionen eine bzw. die Entschuldigung für das sein, was nun ist. Ob die Erneuerung gelingen kann? Einige wollten Hartz IV zugunsten eines Grundeinkommens abschaffen. Der Vorschlag wurde von Parteivize, Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz, der immer für die Agenda – Politik Schröders eintrat, einkassiert. Die anderen werden, so glaube ich, kuschen. Mich erinnerte dieses Zucken an das Strohfeuer, in dem sich schon Martin Schulz gesonnt hatte. Wer keine Konzepte für derart komplexe Vorhaben vorzuweisen hat, der soll bitteschön die Fresse halten. Hermann Gröhe (CDU) bringt es auf den Punkt:

“Wer die Abschaffung von Hartz IV fordert, muss auch eine taugliche Alternative vorschlagen.“ Abstrakte Systemdebatten, so Gröhe, seien arbeitslosen Menschen keine Hilfe. Quelle   Hartz IV: Ideen der SPD verschrecken die Wirtschaft

Hartz IV: Ideen der SPD verschrecken die Wirtschaft

Nach dem Bankrott des ehemaligen Ostblock und der zwangsläufigen Auflösung des Warschauer Paktes schien sich das für mich robustere und vor allem aggressivere Bündnis von Kapitalismus und Konservativ – Liberalen endgültig durchgesetzt zu haben. Dann kam die Finanzkrise und den Menschen wurden die Augen geöffnet. Nicht nur die Millionen von direkt Betroffenen hatten scheinbar eine klare Haltung dazu, wie es weitergehen sollte. Was wollte Obama, was wollen die EU-Staaten nicht alles tun, damit sich diese Dinge nicht wiederholen würden. Was danach geschehen ist, ist so mickrig und deshalb ebenso wirkungslos, dass man auf all dies nur mit Angst reagieren kann. Das ist die Lage! Die meisten haben aufgegeben. Sie haben verstanden, dass gegen die Macht des Geldes kein Kraut gewachsen ist. Das war natürlich vor der Finanzkrise schon allen klar. Aber vielleicht waren die Auswirkungen des Fiaskos die letzte Chance der Nationalstaaten etwas in ihrem Sinne und natürlich für ihre Menschen zu erreichen – gegen die, die alle Macht beanspruchen und die mit diesem Verhalten nicht unschuldig an dem sind, was wir als Hauptursache für die neue Völkerwanderung ausgemacht haben. Aber das Kapital ist ein flüchtiges Tier. Wenn es den wirklich Reichen (es sollen so viele ja nicht sein hier in Deutschland) der Gegenwart zu blöd wird, packen sie ihre Sachen und verlegen ihre Firmensitze irgendwo anders hin.

„Die Stärke der Analyse der Linken“, so schreibt der erzkonservative Charles Moore im „Daily Telegraph“, „liegt darin, dass sie verstanden haben, wie die Mächtigen sich liberal-konservativer Sprache als Tarnumhang bedient haben, um sich ihre Vorteile zu sichern. ,Globalisierung‘ zum Beispiel sollte ursprünglich nichts anderes bedeuten als weltweiter freier Handel. Jetzt heißt es, dass Banken die Gewinne internationalen Erfolgs an sich reißen und die Verluste auf jeden Steuerzahler in jeder Nation verteilen. Die Banken kommen nur noch ,nach Hause‘, wenn sie kein Geld mehr haben. Dann geben unsere Regierungen ihnen neues.“
Quelle · Bürgerliche Werte: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“ – Feuilleton – FAZ

Bürgerliche Werte: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“ – Feuilleton – FAZ

Die Auswirkungen haben Moore und Schirrmacher in ihren Artikeln schon ganz richtig beschrieben. Aber was sind schon Worte?!

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