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Arbeiten für die Demokratie

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von Horst Schulte

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Wer hat sich nicht schon über leere Parlamentssitze in Landtagen oder im Bundestag gewundert oder gar geärgert? Es kommt deshalb vor, dass Journalisten das Thema einmal wiederentdecken und darüber berichten.

Dabei sollten sie ja wissen, was Parlamentarier dazu veranlasst, ihren Stuhl im Parlament verwaist zu lassen.

Parallel laufenden Ausschusssitzungen sind ein wichtiges Argument dafür, das Sitzplätze im Plenum leer bleiben. Unser hiesiger Bundestagsabgeordneter hatte mir vor einer Weile auf Nachfrage noch weitere Gründe genannt.

Zur Beschlussfassung des Bundestages muss die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein. Die Zahl der anwesenden Abgeordneten wird wohl nicht systematisch überprüft, sonst gäbe es diese Frage im laufenden Betrieb nicht. Es gilt das Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter. Die AfD glaubte, die anderen Parteien vorzuführen (Hammelsprung). Ich frage mich, weshalb eine simple permanente Zählung/Anwesenheitsnachweis nicht permanent zum Beispiel auf elektronischem Weg möglich sein sollte. Zur Not täte es ein Meldesystem. In Unternehmen sind diese üblich.

Wenn sich die Parlamentarier darauf verlassen können, wird die Organisation der Beschlussfassungen (parlamentarische Geschäftsführung) irgendwie klappen. Manche BürgerInnen wird das aber kaum zufriedenstellen. Das gilt bestimmt nicht nur um AfD-Mitglieder oder andere Stänkerer.


Heute erfuhr ich durch einen kleinen Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger, dass es weitere Aspekte gibt, die ich gar nicht auf dem Schirm hatte.

Schulklassenbesuche

Welchen Eindruck bekommen Jugendliche von unserer Demokratie, die mit der Schulklasse den Landtag besuchen? Vielleicht sucht der Lehrer einen Termin aus, weil sie die zu diesem angesetzte Debatte von besonderer Bedeutung ist? In diesem Fall würde die Wichtigkeit der Debatte, so unterstellt man, bestimmt auch dafür sorgen, dass das Plenum nicht (wie sonst) ziemlich leer ist. Eine Garantie dafür gibt es nicht.

Außerdem kann sich das Plenum auch willkürlich leeren. Dann nämlich, wenn AfD-Abgeordnete sprechen.

In unserem Beispiel trat der AfD-Fraktionschef ans Rednerpult, um seine „Sicht der Dinge“ darzulegen. Das Plenum war zu diesem Zeitpunkt fast leer. Vielleicht darf ich zugunsten der verschwundenen Abgeordneten sagen, dass die von der AfD vorgetragenen Themen immer die sind, die auch ich an dieser Partei so überaus schätze und die eigentlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit kein bisschen verdienen. Aber dürfen Parlamentarier sich so verhalten? Wird das ihrem Auftrag gerecht?

AfD-Parolen

„Arme Sparer, die ihr Geld verlieren, weil die Zinsen niedrig sind und alle in Betongold flüchten, die sich den Kauf von teuren Immobilien nicht leisten können und bei der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung mit Flüchtlingen konkurrieren, die nicht schutzbedürftig, sondern kriminell sind und derentwegen wir uns auf unseren Straßen und Plätzen bedroht fühlen.“

So etwa sieht die üble Kausalkette aus, die die AfD in unseren Parlamenten und bei allen Gelegenheiten verbreitet!

Es ist im parlamentarischen Alltag mehr als ein Schönheitsfehler, dass im beschriebenen Szenarium niemand da ist, der diesem bösartigen Gerede etwas entgegensetzt. Kein Widerspruch, keine Zwischenrufe.

Keiner rührt einen Finger

Alle anderen gewählten Volksvertreter lassen es zu, dass den Positionen der AfD nichts entgegengesetzt wird. Die Abgeordneten der „Alt- oder Systemparteien“ scheinen wichtigeres zu tun zu haben, als für die Kulisse im Parlament (beispielsweise unsere Schulklasse) Stellung für die Demokratie zu beziehen.

Wenn man es nicht einmal mehr für nötig hält, innerhalb unserer Parlamente für die Demokratie zu streiten, können wir das Heft des Handels ja denen übergeben, die lieber diktieren als verhandeln.

Die SchülerInnen werden ihre Lehren aus den Erfahrungen mit Ausgrenzung von politischen Gegnern ziehen. Hoffentlich sind es nicht diejenigen, für die wir, die Verantwortungsträger der älteren Generationen heute zu stehen scheinen. Wir sollten als Demokraten selbstbewusster sein und dürfen vor allem nicht glauben, dass das von allein funktioniert, was Politiker uns gern als Werte einer liberalen Demokratie anpreisen.


Im zitierten Artikel ging es konkret um die nordrheinwestfälische Landtagsdebatte für den Haushalt 2020.

Update: Link: AfD: Verfassungsgericht lehnt Eilantrag zur Beschlussfähigkeit des Bundestags ab – SPIEGEL ONLINE

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