Es war hart, fast brutal, wie in Thüringen die politischen Gegnerschaften aufeinander prallten. In den Beiträgen rechter Blogs wie Tichys Einblick oder Achse des Guten singen die Autoren das Lied vom Niedergang der parlamentarischen Demokratie, die mit Hilfe „willenloser Erfüllungsgehilfen linksgetrickter Eliten“ die „Parteienautokratie“ einführen.
Das sind die gleichen Leute, die penetrant eine Äquidistanz mancher deutschen Parteien zu rechten und linken Extremisten (AfD und Linkspartei) einfordern. Sie sehen auch keine Notwendigkeit sich von den Taten zu distanzieren, die von rechtsextremen Mördern begangen wurden. Wenn von einem Zusammenhang zwischen Worten und Taten die Rede ist, macht sich ein Henryk M. Broder im Gegenteil darüber lustig, dass dann ja guten Worten auch gute Taten folgen müssten. So kann man die Intelligenz aller Beteiligten beleidigen. Seltsam, dass das bei den Rechten keiner merkt.
Vergleiche
Wie kommt man nur auf die Idee, die Linkspartei, die Thüringen fünf Jahre hindurch anerkannt gut regiert hat, mit der AfD auf eine Stufe zu stellen? Genau das passiert in rechten Medien (nicht erst seit gestern) aber am laufenden Band.
Es fällt auf, dass diese LeserInnen eine besondere Nähe und Sympathie zu den Faschisten der Höcke – Partei zeigen, dafür aber die Linkspartei zur Hölle wünschen. Im Gegeneinanderaufrechnen sind sie äußerst kreativ. Ihre LeserInnen nehmen jeden Tipp begierig auf und gehen gelegentlich soweit, die Opfer zwischen 1933 und 1945 gegen diejenigen aufzurechnen, die Stalins – Regime gefordert hat. Sogar die Verbrechen, die unter der SED-Herrschaft geschehen sind, werden für Vergleiche mit den Opfern der „Fliegenschiss“-Ära herangezogen. Sie haben nichts aus unserer Geschichte gelernt.
Linksextremisten sind so schlimm, das Schlimmste überhaupt – nicht nur in Thüringen
Das sind die gleichen, die mit Inbrunst darüber streiten, ob nun Rechts- oder Linksextremismus schlimmer ist. Jedem Vorfall folgt eine neue Diskussion darüber, dass der Linksextremismus viel schlimmer sei. Eine Einigung darüber, dass jede Art von Extremismus in unserem Land nichts zu suchen hat, findet nie, nicht einmal im Ansatz, statt. Ein Blick auf die Statistik wäre lehrreich. Aber die sind bekanntlich ja gefälscht.
Wahrscheinlich wird der neue Ministerpräsident Kemmerich derjenige mit der kürzesten Amtszeit. Gestern ins Amt gewählt, heute sagte er, dass sein Rücktritt „unumgänglich“ sei.
Vielleicht war der Mann gestern so überrascht davon, dass er durch die AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten wurde, dass er deshalb auf die Frage, ob er die Wahl annimmt, mit JA geantwortet hat? Oder er ist halt durch und durch FDP und nimmt, was er kriegen kann.
Einen Tag später hat ihn die Einsicht in Person seines Bundesvorsitzenden eingeholt: das kann nichts werden! Wie könnte er die nötigen Mehrheiten erhalten, ohne auf die Stimmen der AfD bauen zu können? Unter diesen Voraussetzungen hätte er von Linkspartei, Grünen und SPD nämlich gar nichts zu erwarten.
Nicht nur Curio ist noch schlimmer
Die AfD reagiert heute angepisst. Ja, so ist das. Nicht jeder Tag endet mit einem Freudenfest. Heute noch auf hohen Rossen, morgen durch die Brust geschossen. Also, Feuer aus allen Twitter-Rohren:
Es wird zu Neuwahlen kommen und – machen wir uns nichts vor – im schlimmsten Fall wird die Höcke – Partei noch einmal zulegen. Es ist unwahrscheinlich, dass die CDU von dem Desaster, an dem sie die Mitverantwortung trägt, profitieren kann. Vielleicht fliegen FDP und Grüne bei diesen Neuwahlen aus dem Parlament. Das Szenarium ist scheint heute wahrscheinlich.
Provokationsgeschäft in Thüringen
Dann stellen sich die Verhältnisse noch einmal anders. Die AfD wird die Entwicklung zwar mit viel Häme aber doch auch mit provozierender Gelassenheit begleiten. Sie wird die Chance nutzen, die etablierten Parteien, die unserer Demokratie durch ihr kaum zu heilendes Verhalten einen Bärendienst erwiesen haben, am Nasenring durch die Manege zu führen.
Jetzt wäre es wichtig, dass die Kanzlerin mit der Parteivorsitzenden zunächst einmal dafür sorgt, dass die „Werte-Union“ als Partei in der Partei ihr Wirken einstellt.
Nicht zuletzt den Auftritten des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen ist die Misere der CDU zuzuschreiben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Thesen, die Maaßen vertritt, der CDU zuträglich waren, eher wohl ihrer Konkurrenz am rechten äußeren Rand. Maaßen und seine Mitstreiter in dem nationalkonservativen Haufen sollten von der CDU kaltgestellt werden. Polenz, der ehemalige Generalsekretär der CDU hat das klar gefordert. Die so genannte „Werte-Union“ kann ja ihren eigenen Verein gründen oder am besten gleich in die AfD eintreten. Maaßen wäre dort jedenfalls gut aufgehoben. Er kann ja mit Sarrazin einen Aufnahmeantrag stellen.
Demokratie in Gefahr
Ich fürchte, rückgängig wurde das Theater, das gestern unter tosendem Beifall von der AfD in Thüringen veranstaltet wurde, nicht gemacht. Denn der Schaden für die Demokratie ist da. Das Desaster zeigt u.a., wie unsicher viele Politiker sind, wenn es entweder um den eigenen Machterhalt geht oder um das Ausloten und Bewerten der Bereitschaft in unserer Gesellschaft, mit Faschisten irgendwie doch zusammenarbeiten zu sollen. Dass das nicht ganz klar ist, sagt etwas aus über den Zustand unserer Demokratie.
Bild von Susanne Jutzeler, suju-foto auf Pixabay
Die Klagerufe der AfD dürften doch reine Heuchelei sein, denn für mich steht leider nur ein Sieger der letzten 24 Stunden fest: die AfD
Es ist ihr gelungen das gesamte System zu ihren Gunsten zu manipulieren. Von einer überrumpelten bürgerlichen Mitte in Thüringen, die plötzlich den Ministerpräsidenten stellt, über pflichtgemäß beleidigte Linke, bis zu einem aufschreienden Politikestablishment. Jeder, aber wirklich jeder hat vorhersehbar reagiert. Wie ein Automatismus, den Höcke nur noch in Gang setzen musste. Und das macht es vielleicht noch schlimmer. Man musste nicht mal ein brillanter Politikstratege sein, es hat eine einfache Finte ausgereicht. Die AfD hat ein Spiel gespielt, ohne Risiko, aber vor allem ohne die Möglichkeit zu verlieren.
Hätte Kemmerich „nein“ gesagt, hätte Höcke grinsend behauptet, ja, aber er hätte ja konstruktive Politik machen wollen. Hätte Kemmerich regiert, dann nur von Höckes Gnaden. Geworden ist es die dritte Option, in der sich die AfD wieder auf die liebgewonnene Opferrolle zurückziehen kann, die all ihre Vorurteile zu belegen scheint. Neuwahlen wären zweifellos allein deshalb eine schlechte Idee, weil ein Höcke, der jetzt schon vor Kraft kaum laufen kann, noch einmal zulegen dürfte.
Und die Einfachheit, mit der ihm das gelungen ist, hinterlässt bei mir einen Eindruck von Fassungslosigkeit. Ich glaube leider, dass es der AfD in 24 Stunden gelungen ist, dem System einen irreparablen Schaden zuzufügen. Und mangelnde Bereitschaft daraus zu lernen, lässt mich befürchten, dass das erst das Vorspiel gewesen sein könnte.
Auch, wenn ich persönlich hier ja eine etwas andere Haltung zu den Vorgängen formuliert habe, der Eindruck, den diese Farce im Land und außerhalb hinterlässt, ist schlecht. So als seien alle mit verhältnismäßig einfachen Voraussetzungen bereits überfordert. Als hätte man diese Rochade der AfD einschließlich deren Wirkung nicht voraussehen können.
Gerade deshalb, weil jetzt alle davon reden, dass die Demokratie einen schweren Schaden erlitten hat, ist genau das (hoffentlich) nicht der Fall. Wenn man allerdings der Meinung ist, dass die Ausgrenzung einer gewählten Partei in dieser Art und Weise nicht fortgesetzt werden sollte, wäre schon was gewonnen. Die Hysterie mit der solche politischen Vorgängen begegnet wird, ist eher das Problem. Die AfD nutzt das für sich aus. Ich bin noch bei der Frage, ob ich die Partei (nicht einige ihrer Funktionäre) wirklich als faschistisch benennen soll. Einerseits habe ich keine Lust, irgendwann mal eine Gesellschaft vorzufinden, die mit den Werten, für die sie einst gestanden hat, nichts mehr gemein hat, andererseits kann es auch nicht sein, dass wir allesamt Bereitschaft zeigen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Etwas mehr Mäßigung und demokratisches Grundverständnis täte allen gut.