Es gibt zum Thema Rassismus so viele Statements und Anregungen, dass man glatt … mitmachen möchte:
APRAKU: Ich bin davon ausgegangen, dass mir vielleicht fünf Leute antworten. Und bin überrascht, wie viele das ernst nehmen und mitmachen. Das Spannendste ist, dass die Leute untereinander diskutieren. Es ist wichtig, dass Weiße lernen: Weißsein ist eine kollektive Erfahrung. Viele sagen: Ich fühle alles individuell, meine Abwehr ist individuell, dass ich mich damit nicht beschäftigen will, ist individuell – das ist es eben nicht. Deswegen ist der öffentliche Austausch gut. Die Leute merken: Krass, das Gefühl kenne ich auch. Ich bin auch überrascht, wie viele bereit sind einzugestehen, dass mit ihrer weißen Identität Schmerz einhergeht. Es ist auch eine entmenschlichte Position, weil das Weißsein mit der Entmenschlichung anderer einhergeht.
Zwei People of Color fragen Deutschland: Liebe Weiße, wie profitiert ihr von Rassismus? – Gesellschaft – Tagesspiegel
Lässt sich die „kollektive Erfahrung“ des Weißsein und der damit verbundenen Entmenschlichung aller anderen Menschen emotional überhaupt verkraften? Kann man danach ganz Mensch sein, als Weißer?
Solche Geschichten, wie die von der weißen Frau, die von einem Schwarzen im Central Park darum gebeten wurde, ihren Hund anzuleinen, demonstrieren nachdrücklich, wie krass Rassismus in der weißen Gesellschaft verankert ist! Wie entlarvend, wenn die Dame auf diese Bitte mit der Drohung reagiert, die Polizei zu rufen. Natürlich wohl wissend, dass die herbeigerufene Polizei ihr und nicht dem Schwarzen glauben wird.
Die Situation ist so einfach und klar, dass schwer widerlegbar ist, wie Weiße ihre „Vorrechte“ in den bestimmenden, weißen Teilen einer Gesellschaft verinnerlicht haben und gegenüber anderen Rassen ganz selbstverständlich und (hoffentlich) manchmal gedankenlos ausnutzen!
Anderseits finden wir in unseren Gesellschaften viele Beispiele dafür, wie über alle Rassen hinweg, gedanken- und rücksichtslos vorgegangen wird, wenn es um die Wahrung persönlicher Vorteile geht. Wen kümmert es im (reichen) Westen schon, dass Menschen in Bangladesch nicht für ihre Arbeit entlohnt werden und ihre Familien und Kinder hungern müssen? Dort werden für alle möglichen Großanbieter von Textilien (Primark, C&A, etc.) hergestellt aber durch die Corona-Krise nicht mehr abgenommen. Die Hersteller in Bangadesch bleiben nicht nur auf den fertigen Waren sitzen, sie und ihre Mitarbeiter werden nicht bezahlt.
Auch dieses skrupellose und verantwortungslose Vorgehen ist im Prinzip nur möglich, weil Menschen unsolidarisch miteinander sind. Es trifft diejenigen, die ohnehin zu den Ärmsten der Armen zählen. Ich sehe auch hier Rassismus!
Wenn der Vorwurf, also die Formulierung (siehe Zitat) zutrifft, müssen wir das Ziel, die Adressaten aller Vorhaltungen ganz massiv erweitern. Denn für diese Unmenschlichkeit sind wir heute alle, nicht nur die kolonialistisch und rassistisch geprägte Historie der Weißen verantwortlich.
Für diese Lumperei sind alle Menschen, unabhängig von ihrer Rasse, verantwortlich! Weil sie jetzt stattfindet.
Wir sind aus mangelndem Interesse aber nicht dazu bereit, solche schrecklichen Dinge zu verhindern und bzw. sie nachhaltig zu ändern. Schließlich haben sich die BürgerInnen unserer westlichen Gesellschaften, unabhängig von ihrer Rasse, einen relativen Reichtum erarbeitet. Deshalb konsumieren sie bedenkenlos Waren, die in jenen Ländern hergestellt werden, in denen die Fabriken nicht Arbeiter, sondern in meinen Augen Sklaven einsetzen.
Die, die diese Art von Geschäften machen und alle, die solche Produkte kaufen, machen sich mitschuldig. Jedenfalls, wenn ich das von Frau Apraku Gesagte einmal universell auslege. Nun wird man wahrscheinlich sagen, ob diese infame Geschäftemacherei ursprünglich von Weißen erfunden und bis in die Gegenwart von diesen „verfeinert“ wurde.
Ich kenne die Zusammensetzung der Boards nicht, die die Firmen führen und die diese Art von Geschäften normal finden. Ob das nur Weiße sind? Als Kunden für solche Textilien sind wir beteiligt (außer den wenigen, die sich explizit dagegen entschieden haben), also alle in Überfluss-Gesellschaften lebenden Menschen, unabhängig von ihrer Rasse. Da kann sich keiner herausreden! Wie steht es da mit der Verantwortung für die Entmenschlichung anderer?
Manchmal hoffe ich, dass ich einfach zu blöd bin, um bestimmte Aussagen, die im Moment getroffen werden, korrekt einzuordnen oder auch nur zu verstehen! Ich halte es nur nicht für sehr erfolgversprechend, einen neuen Dialog über Rassismus mit so furchtbaren Schuldzuweisungen zu starten. Ja, wir brauchen ein Problembewusstein und einen Erkenntnisgewinn. Dafür sind vielleicht schmerzliche Einsichten notwendig. Aber auf die Art und Weise, in der es hier versucht wird, lässt sich das nicht bewerkstelligen.
Andererseits, ich habe auch schon oft darüber nachgedacht, dass das gute Leben vieler Menschen in der ersten Welt zu Lasten derjenigen geht, die in der so genannten 2. und 3. Welt leben. Darüber gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Auch von Menschen, die viel klüger sind als ich. Vielleicht ist bisher ja nur der Beweis erbracht, dass „alles mit allem zusammenhängt“. Das gilt in unserer Gegenwart mehr als je zuvor.
Wir müssen uns fragen, wie ein gesellschaftlicher Wandel zu bewirken ist. Jedenfalls nicht, in dem man einen großen Teil der Bevölkerung bezichtigt, rücksichtslos und unbelehrbar zu sein.
Zumal dann, wenn Weiße in vielen Ländern noch eine Weile die Mehrheitsgesellschaft ausmachen. Ich glaube nicht, dass sich Menschen durch ein schlechtes Gewissen in eine gewünschte Richtung lenken lassen. Vielleicht passiert eher das Gegenteil. Die Weißen brauchen die Einsicht, dass vor allem sie es sind, die sich und ihre traditionsbeladenen Gesellschaften verändern müssen. Das geht nur gemeinsam mit allen anderen. Mehr miteinander zu reden, wäre mal ein wichtiger, guter Anfang. Einander zuhören. Aber die Vorwürfe sollten wir steckenlassen.
Obwohl die massiven Demonstrationen, an denen sich vor allem junge Leute beteiligen, vielleicht manchen signalisieren, dass jetzt die Zeit für Revolution gekommen wäre, ich schätze, die Beweggründe dieser Bewegung könnten durchaus andere sein, denn die us-amerikanischen Verhältnisse sind weder auf Deutschland, Frankreich noch England übertragbar.
„Die Weißen brauchen die Einsicht, dass vor allem sie es sind, die sich und ihre traditionsbeladenen Gesellschaften verändern müssen.“
An DER STELLE wäre doch das „wir“ viel nahe liegender gewesen als in vielen anderen Formulierungen, in denen du zum „großen Wir“ neigst“ 😉
Ich kenne diesen Widerstand, der in solchen Fällen zum „sie“ führt. Gibts auch bei „die Deutschen“.
In der Diskussion über Rassismus macht es für mich einen großen Unterschied, WER be- und anklagt.
Sind es z.B. weiße Studierende der Sozialen Arbeit, die sich in neolinken Gruppen per „Critical Whiteness“ einen Status moralischer Überlegenheit anlesen und nun alle anderen – intern machtpolitisch wirksam – mit Vorwürfen über „unbewussten Rassismus“ etc. nerven, falle ich in klare Gegnerschaft und bestehe auf dem Universalismus, prangere die Spalterei an etc. usw. (neige dennoch nicht nach rechts…)
Höre ich dann z.B. in einem Podcast genau dasselbe von einer Schwarzen, z.B. von Alica Hasters, die das Buch
„Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten“ geschrieben hat, empfinde ich Mitgefühl, teilweise Empörung, hinterfrage eigenes Denken und neige zu Solidarität.
Die derzeitige mediale Aufmerksamkeit in Sachen Rassismus wird aus meiner Sicht durchaus bei einigen dazu führen, die eigenen Meinungen und Verhaltensweisen zu hinterfragen. Andere, die schon zuvor der Meinung waren, Ausländer sollten raus und Schwarze gehörten eh nicht hierher, werden ihre Überzeugung nicht ändern – aber vielleicht wähnen sich einige von ihnen nicht mehr so sehr im Besitz der „Diskurshoheit“.
Der aktuelle Protest gegen Rassismus in den USA wird mehr als je zuvor von Weißen mitgetragen – das macht ja doch Hoffnung, dass sich etwas ändern! (Und kulturell übernehmen wir ja nach wie vor vieles von den USA, mit Verzögerung)
Peter zuliebe hab ich nicht WIR geschrieben. Zuerst stand das da, ich habs aber schnell wieder geändert. Das vereinnahmende WIR geht bei dem wichtigen Thema aber offenbar noch weniger gut als bei den anderen. Den Eindruck habe ich bisher jedenfalls gewonnen.
Du sprichst es an: Einerseits ist es gut, wenn möglichst viele Menschen die Proteste zu ihren machen, andererseits sind schrecklich viele Sektierer unterwegs. Würden WIR es nicht zu UNSERER Sache machen, kämen wir kein Stück voran. Ob eine Grundgesetzänderung da viel bewirken kann? Ich finde, deutlicher können Symbole nicht sein und das ist nicht positiv gemeint.
Interessant an dieser Diskussion finde ich, dass vor allem diejenigen, die ansonsten darüber klagen, dass Deutschland eigentlich ja keine Verfassung habe (u.s.w.), jetzt hyperventilieren, weil das Wort Rasse gestrichen werden soll. Das sagt viel über solche Menschen aus, finde ich.
Ich fürchte, Diskurshoheiten sind immer nur von äußerst begrenzter Zeit. Gut ist, dass viele nicht nur Weiße und Schwarze gemeinsam gegen Rassismus protestieren. Vielleicht stellt das das Zeichen dar, das wir solange nicht gesehen haben? Aber ich kenne unsere aufgeregte Öffentlichkeit inzwischen auch ein bisschen.
Wir arbeiten nicht konkret an Projekten, die die Dinge positiv verändern, sondern „wir“ reißen lieber unser Maul auf und empören uns. Und dann… still ruht der See.
Konstruktiv ist da kaum was. Es reicht auch nicht aus, den Weißen klar zu machen, wie ihre Ignoranz anderen zusetzt und ihnen ihr Leben verdirbt. Natürlich gibt es Menschen, die dazu in der Lage sind, sich selbst oder die gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten hinreichend zu reflektieren. Aber was ändert das für sich genommen? Abgesehen davon, fühlen sich trotz aller vorausgeschickten „Warnungen“ immer noch genug Menschen schrecklich angepisst. Sie nehmen folglich die normale Position ein. Und die ist meistens eben nicht konstruktiv.
Hast du schon mal was darüber gelesen, wie man über Antidiskriminierungsgesetze und -Bestimmungen hinaus etwas Wirksames gegen Diskriminierungen bei der Arbeits- oder Wohnungssuche anwenden könnte? Darauf sollten wir uns konzentrieren. Stattdessen geben wir uns den Reibereien hin, die gesamtgesellschaftlich vielleicht eher noch das Gegenteil bewirken. Ich hoffe, ich liege falsch.
In den USA gibt es ähnliche Werkzeuge wie in Deutschland, um gegen Diskriminierungen vorzugehen. Sie funktionieren nicht. Das sehen wir an vielen Stellen. Bildung, Gesundheitswesen, Justiz, Polizei. Überall werden Minderheiten in unterschiedlichen Abstufungen diskriminiert, wie auch hier bei uns. Asylbewerber durften lange gar nicht arbeiten (https://bit.ly/37xePCC). Menschen mit Duldungen, glaube ich, immer noch nicht. Aber viele Deutsche zerreißen sich das Maul darüber, dass diese Menschen in die Kriminalität abdriften. Überall läuft es gleich. Ungleichheit, Ungerechtigkeit und die entsprechenden Folgen und negativen Manifestationen in den Gesellschaften. Und genau das führt dann wiederum zu noch mehr Misstrauen und fehlendem Verständnis für die Belange der Minderheiten.
Ganz so pessimistisch bin ich nicht. Die „Welle“ wird vermutlich schon dazu führen, dass weniger Leute fragen, woher jemand „eigentlich“ kommt – und auch das in-die-Haare greifen wollen wird abnehmen. Das das ein Punkt ist, den Schwarze regelmäßig als Nerverei im Alltag berichten, also ist er nicht marginal (wie wir als Weiße denken könnten, denn „man meint es doch nicht böse“).
Diskriminierung bei Arbeits- und Wohnungssuche lässt sich schlecht verordnen, da Vertragsfreiheit herrscht.
Doch werden nach und nach vielleicht mehr Schwarze in den Medien und im öffentlichen Dienst vorkommen, das liegt durchaus im Rahmen des Machbaren.
Die USA, meinst du, hätten alles getan? Also meine erste Maßnahme wäre: in schwarzen Vierteln auch schwarze Polizei – und ansonsten nach Anteil in der Bevölkerung. Davon sehe ich nichts!
Ich möchte hoffen, dass gegen die Diskriminierung von Menschen wirksame Maßnahmen getroffen werden. Alles, was bisher erreicht wurde, reicht offenbar noch längst nicht aus. Vielleicht liegt das daran, dass es sich eher um Placebos (Symbole) handelt und nicht um echte Maßnahmen? Wenn ein Mensch die Wohnungen in seinem Haus nur an bestimmte Leute vermieten will, lässt sich dagegen aus meiner Sicht nur wenig machen. Wer hat schon die Mittel und auch den Mut, gegen Zurücksetzungen vorzugehen? Zumal man diese vor Gericht ja auch eindeutig beweisen müsste. Dass es überhaupt nötig ist, sich neutral zu bewerben, um nicht bei der ersten Inaugenscheinnahme einer Bewerbung „durchzufallen“ ist eigentlich schon ein Skandal. Wenn wir uns nicht anders gegen Diskriminierung zur Wehr setzen können, sind wir doch leider wirklich nicht weit gekommen. Trotz aller gutgemeinter Versuche.