Wodurch könn­te der Rassismus, dem sich so vie­le Menschen hin­ge­ben, geheilt werden?

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Ganz bestimmt nicht durch Menschen wie den amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten.

In den USA wer­den vie­le Menschen den Ansprüchen ihrer Nation nicht gerecht. Dabei fußen die mas­si­ven Proteste auf dem schwe­ren Fehlverhalten eines wei­ßen Polizisten und von drei sei­ner Kollegen. Aber angeb­lich sind bru­ta­le Übergriffe von wei­ßen Polizisten auf den schwar­zen Teil der US-Bevölkerung an der Tagesordnung. 

Darüber empört sich die gan­ze Welt. Die Chinesen zei­gen in ihren staat­li­chen gelenk­ten Medien genüss­lich die gewalt­tä­ti­gen Proteste in den USA. 

Es geht dabei aber bei alle­dem nicht nur um das Verhalten die­ser Polizisten. Auch die gewalt­tä­ti­gen Chaoten, die die «Gelegenheit» für zahl­lo­se Gesetzesübertretungen nut­zen, son­dern um die Rolle des US-Präsidenten. Donald Trump ver­hält sich nicht so, wie Menschen sich poli­ti­sche Führer in Krisenlagen wün­schen wür­den. Stattdessen kreuzt er, wie gewohnt, die Klinge mit sei­nen zahl­rei­chen Gegnern. Und er droht sei­ner­seits mit der Anwendung von Gewalt. Er will das US-Militär gegen sei­ne eige­nen BürgerInnen ein­set­zen. Das wei­ße Haus lässt er immer stär­ker durch Absperrungen gegen Demonstranten schützen. 

Politische Führer mit erheb­li­chen Mängeln

Durch die aktu­el­len Erfahrungen neh­men die Zweifel an sei­ner Fähigkeit zu, sein Land ver­ant­wor­tungs­voll zu füh­ren. Er bemüht sich nicht dar­um, die gespal­te­ne Nation zu einen, son­dern sei­ne Rhetorik ist auf Spaltung zuge­schnit­ten. Denjenigen, denen es immer noch an Beweisen fehlt, dass die­ser Mann untrag­bar und mit sei­nem Amt völ­lig über­for­dert ist, kann ich ange­sichts des von Trump gezeig­ten aus­ge­präg­ten Narzismus bloß noch mit Kopfschütteln begegnen.

Die Zustimmung für Trump fällt bei Umfragen wei­ter und es meh­ren sich auch in sei­ner repu­bli­ka­ni­schen Partei die kri­ti­schen Stimmen. Darunter befin­den sich auch bedeu­ten­de Leute. Ob die Demonstrationen etwas Positives bewir­ken wer­den, bleibt abzu­war­ten. Ich per­sön­lich bin in die­ser Hinsicht wenig opti­mis­tisch. Schließlich ist der Rassismus in den USA der­art tief in die­ser Gesellschaft ver­an­kert, dass die struk­tu­rel­len Änderungen nicht ein­fach von­stat­ten gehen werden. 


Rassismus gibt es über­all auf die­ser Welt. Insofern hät­ten vie­le Nationen Grund genug, sich die­ses Phänomens per­ma­nent vor­zu­neh­men und die struk­tu­rel­len Voraussetzungen her­aus­zu­ar­bei­ten und zu bekämp­fen. Bei uns exis­tiert par­al­lel zum Rassismus ein seit eini­gen Jahren wie­der stär­ker zuneh­men­der Antisemitismus. Scheinbar haben sich vie­le damit abge­fun­den, dass Synagogen, jüdi­sche Schulen und Einrichtungen von der Polizei bewacht wer­den müs­sen. Das dürf­te so nicht sein. 

Rassismus und Antisemitismus ent­larvt das eige­ne Menschenbild

Ich fürch­te, dass die Zunahme des Antisemitismus in Deutschland nicht «nur» mit dem erstar­ken der völ­kisch-natio­na­len Gruppen im Land oder der AfD zu erklä­ren ist. Wahrscheinlich spielt die star­ke Zuwanderung aus mus­li­mi­schen Ländern dabei eine nicht zu unter­schät­zen­de Rolle. Das ist eben­so tra­gisch wie bedau­er­lich. Da flie­hen Menschen vor Krieg und Gefahr in unser Land, weil sie für sich und ihre Familien ein bes­se­res und vor allem siche­res Leben wün­schen und den­ken oft­mals doch nicht im Traum dar­an, unse­re Werte zu tei­len. Schlimmer noch, sie grei­fen Menschen an, die in ihrer Kultur seit lan­ger Zeit zu Todfeinden erklärt wur­den. Und vie­le von uns schau­en sprach- und hilf­los dabei zu, obwohl wir mit unse­rer Geschichte wahr­haf­tig genug Anlass hät­ten, dage­gen laut auf­zu­ste­hen und die­se Menschen in die Schranken zu wei­sen. Nur – wie soll man in die­ser Gemengelage eine posi­ti­ve Veränderung herbeiführen? 

Ich neh­me an, dass man­cher fürch­tet, sich sofort einer neu­en Verdächtigung (Hater, Ausländerfeind, Nazi – irgend­was in die­ser Art) aus­zu­set­zen, bevor über­haupt etwas Positives ent­ste­hen könn­te. Sagen wir näm­lich, dass ein Teil des «neu­en» Antisemitismus durch Zuwanderung ins Land gekom­men ist, wird man gleich in eine Schublade gesteckt. Verteidigt man aber die Position der Palästinenser oder plä­diert z.B. für eine Zweistaatenlösung, gilt man ganz schnell als Antisemit. Die Kritik am Staat Israel und sei­ner Regierung soll­te eben­so mög­lich sein, wie die Kritik an der der­zei­ti­gen ame­ri­ka­ni­schen oder an von mir aus auch an unse­rer eige­nen Regierung. Aber das krie­gen wir nicht hin.

Es gibt eine Menge Aufpasser und Spalter in unse­rem Land. Brückenbauer schei­nen aus­ge­stor­ben zu sein.

Mir berei­tet es ziem­lich star­kes Missvergnügen, wenn inzwi­schen sogar unse­re Comedians (ich könn­te eini­ge nament­lich auf­zäh­len), uns dar­in unter­rich­ten, wie unser Gesellschafts- und Menschenbild aus­zu­se­hen hat. 

Kabarettisten und Comedians leben von Überzeichnungen und vom poin­tier­ten Aufzeigen von gesell­schaft­li­chen Gegenpolen. Aber mir wird’s wirk­lich zu viel, wenn mit­ten in einer Spaß-Show ein so gewal­ti­ge Themen wie sexua­li­sier­te Gewalt gegen Frauen, Rassismus oder Antisemitismus behan­delt werden. 

Vorhandenes Problembewusstsein

Es ist näm­lich nicht so, dass in unse­rem Land kein Problembewusstsein für all die­se Dinge vor­han­den wäre. Sonst gin­gen sich näm­lich nicht so vie­le (allein in den ver­damm­ten sozia­len Hetzwerken) stän­dig an die Fehle. Alle Versuche, die wahr­ge­nom­me­nen gesell­schaft­li­chen Missstände auch in unse­rem Land in den Griff zu krie­gen, sol­len also nicht gefruch­tet haben!? Es gibt sol­che Aussagen aber sind sie halt­bar? Ist zum Beispiel die beruf­li­che Gleichberechtigung von Frauen infra­ge gestellt, weil sie wäh­rend der Corona-Krise die Hauptlast der Betreuung der Kinder tru­gen, wäh­rend Kitas und Schulen geschlos­sen sind? Oder wird die­se nicht immer noch eher durch ungleiche/​schlechtere Bezahlung gleich­wer­ti­ger Jobs untermauert?

Wenn schwar­ze BürgerInnen davon erzäh­len, wie sie mit «all­täg­li­chem» Rassismus in Deutschland kon­fron­tiert sind, beschämt mich das. Ich weiß nicht, wie ich das Gefühl anders nen­nen soll­te. Nur, wer das tut, macht es nach Ansicht man­cher Zeugen wie­der falsch. Und auch das ver­ste­he ich. Es ist nicht damit getan, sich betrof­fen zu füh­len, weil Schwarze davon erzäh­len, von Weißen wegen sei­ner Hautfarbe belei­digt oder kör­per­lich atta­ckiert wor­den zu sein. 

Richtig wäre es viel­mehr, wenn wir jede Gelegenheit dazu nut­zen wür­den, uns ein­zu­mi­schen. Wie oft gibt es sol­che Gelegenheiten? Ich habe in mei­nen fast 67 Lebensjahren wenig Möglichkeit dazu gehabt. Aber ja, ich habe sie wahr­ge­nom­men! Ich habe mich mit Bekannten und Kollegen gestrit­ten. Das blieb nicht immer fol­gen­los. Trotzdem bedau­re ich es nicht, mich klar posi­tio­niert zu haben. Ich habe Leute zurecht­ge­wie­sen (nein! nicht bloß im Internet), die sich ras­sis­tisch oder unver­schämt gegen Menschen nicht deut­scher Herkunft geäu­ßert haben. Aber was ändert das am Großen und Ganzen? 

Kurze Dialoge mit Wirkungstreffern

Dann gibt es die­se hin­ter­fot­zi­gen Dialoge, die viel­leicht auch vie­le von Ihnen ken­nen wer­den. Sie kom­men mit Menschen kurz­fris­tig in Kontakt. Vielleicht beim Arzt im Wartezimmer, mit einem Handwerker oder bei einer flüch­ti­gen Begegnung. Plötzlich macht einer eine all­ge­mei­ne blö­de Bemerkung über Merkel oder unse­re Regierung oder ist stink­stie­fe­lig zu einem, der wie ein Zuwanderer aus­sieht. In einem Fall habe ich es mit einem zu tun, der nicht ras­sis­tisch klingt, der aber zu denen gehört, die wir als Wutbürger so schät­zen gelernt haben. Bei bei­den soll­te man was sagen, den­ken Sie? Nun es kommt dar­auf an. Normalerweise hal­te ich mich in die­sem Fall zurück, weil ich ein paar Minuten spä­ter wie­der weg bin. Was inter­es­siert mich die­ses blö­de Gequatsche? Vielleicht ist das falsch? Schließlich weiß ich ja nicht, wie der Mensch ansons­ten so drauf ist. Vielleicht hat er nur einen schlech­ten Tag und ist sonst nicht so… 

Wenn Menschen es mit Rassisten zu tun bekom­men, muss das nicht zwangs­läu­fig mit gewalt­sa­men Übergriffen zu tun haben. Die Boshaftigkeit mit der Menschen ande­re Menschen auf­grund ihrer Hautfarbe ange­hen, ist bodenlos. 

Lichter- und Menschenketten brin­gen nicht genug

Wenn man aber wegen man­cher Schilderungen rat­los ist und öffent­lich danach fragt, war­um und wie die­ses Denken von Menschen Besitz nimmt, stößt man auf merk­wür­di­ge Reaktionen. Schon die Frage kann – bewusst oder nicht – so aus­ge­legt wer­den, als wol­le man auf die­se Art die Existenz von Rassismus klein­re­den oder sogar bestreiten. 

Lichter- und Menschenketten wer­den uns von die­sen Übeln nicht befrei­en. Wir müs­sen mehr machen. Wir brau­chen kei­nen poli­tisch orga­ni­sier­ten Widerstand gegen dum­mes Gerede, Gesten oder alle Formen von ver­ba­ler und natür­lich phy­si­scher Gewalt. Wir brau­chen ein Bewusstsein, das von Mensch zu Mensch reicht.

Es braucht in vie­len Fällen gar nicht viel Mut, um ein Stopp-Signal gegen Rassisten und Antisemiten zu set­zen. Nötig ist aber, dass es getan wird. Auf Gesetze und die Polizei dür­fen wir uns allei­ne nicht ver­las­sen. Die Gesellschaft ins­ge­samt muss ihren Teil der Verantwortung tragen!

Kann Rassismus durch Widerspruch geheilt wer­den? Wahrscheinlich nicht. Aber er muss bekämpft und auf die­se Weise nie­der­ge­drückt werden.

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2 Gedanken zu „Wodurch könn­te der Rassismus, dem sich so vie­le Menschen hin­ge­ben, geheilt werden?“

  1. Der Rassismus ist ja uralt in den USA.
    Letztes Jahr jähr­te sich doch m.E. zum 100.ten Mal ein Schleifen eines schwar­zen Stadtteils, auf­grund eines Gerüchts, das tags zuvor ver­brei­tet wurde.

    Ich hat­te vor etwa 3 Jahren ein umfang­rei­ches Buch von Neurowissenschaftler Robert Sapolsky zum Thema gele­sen, so etwa 850 Seiten.
    Was ich behal­ten habe, ist, daß es beim Menschen «Voreinstellungen» gibt , qua­si von den ers­ten Lebensjahren her. Man reagiert dadurch zunächst mal instink­tiv ablehnend.
    Die Korrektur muss in den fol­gen­den Lebensjahren durch die Ratio erfol­gen, durch Nachdenken und Überdenken.
    Also har­te Arbeit!!
    Wer will die­se von sich aus leis­ten? Wieviele? Trotz vie­ler Frustrationen, die man im Leben aus­hal­ten muß.
    Wenn über­haupt, kann sich da nur etwas im Verlaufe von Jahrhunderten ändern.
    In der Zwischenzeit müs­sen wir bestimm­te Dinge hin­neh­men und sie anschau­en, Kommentieren und irgend­wie damit umge­hen lernen. 

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