Wir sterben alle. Aber «der Tod» bleibt ein Tabu

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Dass angesichts der großen ökonomischen Verwerfungen, die Corona verursachen wird, unmögliche Fragen zu Tod und Leben gestellt werden, war abzusehen.

Die Opposition zieht mit. Es gibt nur die schein­bar unver­meid­li­chen Einsprüche. Etwa der­art, dass die Richtung stim­me aber die Maßnahmen noch nicht weit genug gin­gen. Christian Lindner, FDP, emp­fiehlt recht­zei­tig eine Exit-Strategie zu erar­bei­ten, Alexander Gauland, AfD, fehlt gene­rell eine Strategie und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) fin­det, dass wei­te­re Maßnahmen fol­gen müssen. 

Wirtschaft und Gesellschaft

Von Herrn Professor Heiner Flassbeck erfuh­ren wir, dass die gehan­del­ten Summen zur vor­läu­fi­gen Unterstützung von Wirtschaft und Gesellschaft wahr­schein­lich nicht aus­rei­chend wären. Viele von uns haben so eine Ahnung, dass das viel­leicht stim­men könn­te. Flassbeck nutzt die Gelegenheit, den Erfolg der «Schwarzen Null» zu hin­ter­fra­gen. Flassbeck ist der Meinung, Scholz sol­le sich das Selbstlob spa­ren. Schließlich sei­en die Handelsbilanzüberschüsse vie­ler Jahre vor allem zulas­ten der ande­rer Euro-Länder erwirt­schaf­tet worden. 

Nun ist die­ser Umstand schon längst in der Diskussion. Ich fra­ge mich schon seit Jahren, ob Politik und Wirtschaft irgend­ein Interesse dar­an haben könn­ten, an den Ursachen für die­ses Ungleichgewicht zuguns­ten unse­rer Nachbarn etwas zu ändern. Das ist im Moment aller­dings auch ziem­lich nebensächlich.

Neue Schulden

Wahr ist, dass der Staat durch die Zinspolitik der EZB über alle Möglichkeiten ver­fügt, über die gigan­ti­schen Geldmengen hin­aus, Mittel zur Abwendung der schlimms­ten Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft zur Verfügung zu stel­len. Flassbeck sind die Bedingungen, die die Regierung für Mittelanforderer defi­niert hat, nicht ein­fach genug. Er schlägt vor, für einen Zeitraum von 3 oder 6 Monaten all denen Geld zur Verfügung zu stel­len, die Corona-beding­te Verdienstausfälle hät­te. Die Größenordnungen lie­ßen sich, so Flassbeck, leicht fest­stel­len, etwa unter Einbeziehung der Unternehmen.

Anträge werden online gestellt und online bearbeitet

Es ist von Bedeutung, wel­che Zeit es dau­ert, um an Geld her­an­zu­kom­men. Insofern wäre eine auch zeit­lich befris­te­te ein­fa­che Maßnahme sinn­voll. Ich lern­te heu­te in einem WDR-Interview mit Wirtschaftsminister Pinkwart, FDP, dass in NRW ab Ende die­ser Woche Mittel online bean­tragt und bear­bei­tet wer­den. Die Auszahlungen der nöti­gen Gelder wür­den dann evtl. bereits Ende nächs­ter Woche erfol­gen. Ich schät­ze, dass die­ser Zeitablauf auch durch alter­na­ti­ve Ansätze nicht wesent­lich zu ver­kür­zen sein wird. Insofern wür­de ich dafür plä­die­ren, die Dinge jetzt wie geplant umzu­set­zen, um dann zu sehen, ob mehr Finanzmittel not­wen­dig sind. Wir wer­den uns wohl einig dar­über sein, dass die Frage vor allem davon abhän­gig ist, wie lan­ge die Ausnahmesituation andau­ern wird.

Wie wirksam kann die Risikogruppe geschützt werden? 

Während Regierungen bis­her welt­weit alles unter­neh­men, um die Menschen zu schüt­zen, die zu von Medizinern als Risikogruppe bezeich­net wer­den und dafür buch­stäb­lich alles ris­kie­ren, regen sich Stimmen, die einen Paradigmenwechsel for­dern. Sie stel­len, wie Roger Köppel, SVP und Weltwoche-Herausgeber, unge­niert die Frage, wie teu­er ein Menschenleben sein dür­fe. Köppel gehört von jeher zu den Trump-Bewunderern. Insofern über­rascht es auch nicht, dass er Trumps jüngs­te Aussagen zu den Maßnahmen gegen den Coronavirus mutig fin­det. Trump ver­tritt neu­er­dings die Meinung, dass nicht die Wirtschaft kaputt gehen dür­fe, nur um ein paar Menschenleben zu ret­ten. Diesen Mut respek­tie­re er sehr, so Köppel. 

Frag ihn nicht nach dem Tod

Mich erin­nert das an eine Jahre zurück­lie­gen­de Diskussionen dar­über, bis zu wel­chem Alter Menschen eine neue Hüfte erhal­ten soll­ten. Der Homo Oeconomicus tickt anders als ande­re Menschen. Die Frage ist des­halb auch nicht neu. Aber die Wirkung, die von sol­chen Überlegungen aus­geht, wie Trump oder Köppel sie damit auf­wer­fen, hat noch ein­mal eine völ­lig ande­re Dimension.

Man müs­se, so Köppel, den Menschen rei­nen Wein ein­schen­ken. Es müs­se nach einem Mittelweg gesucht wer­den. Für all­fäl­li­ge Entscheidungen wür­den Kompromisse nötig sein. Man müs­se sich der «mora­li­schen Weste» ent­le­di­gen und die Frage beant­wor­ten, wie viel ein Menschenleben kos­ten dürfe. 

Wie viel sind wir bereit zu opfern an Wohlstand … Wirtschaft, um einer zum Glück jetzt noch unbe­stimm­ten Zahl Menschen das Leben zu ret­ten zum Teil auch Menschen mit begrenz­ter Lebenserwartung […]

Roger Köppel, SVP Mitglied und Weltwoche-Herausgeber

Was für eine Zumutung

Köppel erkennt, was er vie­len Leute mit die­ser Überlegung zumu­tet. Aber ver­tritt die ganz bru­ta­le Form von Sozial-Darwinismus, von dem ich hoff­te, er sei aus moder­nen Gesellschaften ver­schwun­den. Aber inzwi­schen habe ich begrif­fen, dass er auch bei uns in Deutschland sei­ne Anhänger hat. Und zwar nicht nur unter denen, die unso­li­da­risch und aso­zi­al auf ihre spe­zi­el­le Art und Weise ver­such­ten, ihr gerin­ge­res Krankheitsrisiko in der Gestalt so genann­ter Coronapartys zu proklamieren.

Der Soziologe Harald Welzer hat kürz­lich bei «Markus Lanz» dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Coronakrise ein neu­es Kapitel eröff­net hät­te. Erstmals in der Geschichte hät­te welt­weit die Mehrheit der Menschen Maßnahmen zum Schutz einer gefähr­de­ten Minderheit getrof­fen. Das ist ein über­ra­schen­der Befund über den ich eine Weile nach­ge­dacht habe. Leider bedeu­tet die­se und zunächst ein­mal völ­lig zutref­fen­de posi­ti­ve Sicht nicht, dass alle Menschen die­se Maßnahmen mit­tra­gen. Vor allem dann nicht, wenn sie durch die unab­seh­ba­re Dauer der Krise einen so exor­bi­tant hohen Preis haben könnte.

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8 Gedanken zu „Wir sterben alle. Aber «der Tod» bleibt ein Tabu“

  1. Erstaunlich, wie das Thema zur Zeit an ganz unter­schied­li­chen Ecken auftaucht!

    Heute mor­gen fand ich im Connection-Blog die­sen Artikel: 

    Corona und die Angst vor dem Tod

    den ich gleich mal aus­führ­lich kom­men­tiert habe. Da gehts auch dar­um, die Alten nicht wei­ter zu schüt­zen – aber mit «spi­ri­tu­el­ler» Argumentation. 

    Antworten
    • Ich habe dort bei con­nec­tion auch kom­men­tiert, aber wie­so den Link anfüh­ren und nicht zunächst über horsts Gedanken resümieren? 

      Antworten
  2. Lieber Horst, ein aus­ge­spro­chen guter Beitrag, der ins Mark der Menschlichkeit und der Gesellschaft trifft. Vielleicht ist das nicht ganz o.K. was ich jetzt dazu schrei­be, aber ich den­ke, in dem Wissen der Empfindlichkeit in der jetzt jeder lebt, wer­den auch schon mal über­schäu­men­de Emotionen nach­sich­tig geduldet.

    1. Was ist pas­siert, dass in die­ser neu­en Nachkriegs-Gesellschaft weder
    a) Vorsorge für ein Durchhalten in einer finan­zi­el­len Notsituation von 2–4 Monaten getrof­fen wur­de, sowohl als Familie wie auch als «ehr­ba­rer Kaufmann»
    b) was ist pas­siert das der Staat meint, er müs­se in so einer Not-Situation inner­halb 2 Wochen ALLE retten?

    Was ist denn das für ein Versorgungsdenken? Wo bleibt vor­aus­schau­en­de Eigenverantwortung? Für sich selbst und Familie?
    Hätte ich was zu sagen, ich hät­te bis­her noch kei­ne Cent locker gemacht.
    Das heißt aber nicht, das ein SOZIAL-Staat den hel­fen muss, die Hilfe WIRKLICH brauchen.

    «Was sind wir bereit zu opfern an Wohlstand ….. für Menschen mit begrenz­ter Lebenserwartung?»

    Ein Müsli Riegel? Oder,- 6 Millionen? Die Schweizer haben ja da auf­grund ihrer Neutralität, was in die­sem Zusammenhang ein fast schon etwas faden Beigeschmack fin­det, nicht so viel Kollektiverfahrung wie Deutschland. Dieses Gedankengut über­haupt in die Welt zu set­zen ist fatal für nach­fol­gen­de Krisen, die die jetzt noch jun­gen Menschen als Lösungsmöglichkeit für kom­men­de schwe­re Zeiten in Betracht zie­hen könnten.

    Aber ich könn­te mir auch vor­stel­len das Hr. Köppel, soll­te er nach 6 Tagen an der Beamtungsmaschine mal wie­der selbst­stän­dig atmen kön­nen ( was ich weder ihm noch irgend­ei­nem Menschen auf die­ser Welt wün­sche),- danach viel­leicht eine etwas ande­re Sicht der Dinge hat. Als derzeit. 

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