War es Solidarität? Ist Solidarität zeitlich befristet?

Wel­chen Ein­sich­ten und Über­zeu­gun­gen folgt Soli­da­ri­tät? Sind es Gefüh­le oder eher das Resul­tat einer Mei­nungs­bil­dung, die auf sehr unter­schied­li­che Art und Wei­se zustan­de kommt?

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In der „Süd­deut­schen Zei­tung“ lese ich, dass „Ver­bän­de“ sich dafür ein­set­zen, dass Deutsch­land wie­der mehr Flücht­lin­ge auf­nimmt. Es gebe freie Kapa­zi­tä­ten und die seit 2015 ange­kom­me­nen Geflüch­te­ten sei­en inzwi­schen gut inte­griert. Gibt es im Land die dafür nöti­ge Soli­da­ri­tät mit Flüchtlingen?

Was meint die Mehrheit?

Ich glau­be, eine Mehr­heit unse­rer Bevöl­ke­rung [ 1 ], [ 2 ], [ 3 ], [ 4 ] beur­teilt das inzwi­schen anders. Jeden­falls mit grö­ße­rer Skep­sis. Ich schlie­ße das übri­gens nicht aus Umfra­gen oder ver­öf­fent­lich­ten Stim­mungs­bil­dern, son­dern vor allem dar­aus, wie sich Mei­nungs­bild­ner eher sel­ten in den auch rar gewor­de­nen Medi­en­be­rich­ten zum The­ma posi­tio­nie­ren. Viel­leicht liegt das an Coro­na, also dar­an, dass wir im Land genug „eige­ne“ Pro­ble­me haben.

Appelle reichen jedenfalls nicht aus

Heri­bert Prantl, SZ, erin­ner­te in einer Kolum­ne zum Welt­flücht­lings­tag am 20.6. dar­an, wie sich die Hal­tung der Poli­ti­ker und vie­ler Deut­scher seit 2015 (auch wegen Coro­na) ver­än­dert hat. Und er stellt die Fra­ge: Refu­gee lives don’t mat­ter? Sei­nen Ver­gleich zwi­schen der gro­ßen Soli­da­ri­tät zu Beginn der Coro­na-Kri­se und dem Ver­hal­ten vie­ler Deut­scher in der Flücht­lings­kri­se fin­de ich berech­tigt. Wir haben erlebt, wie es mit der Halb­werts­zeit von Soli­da­ri­tät in Zei­ten von Coro­na bestellt ist. War­um soll das bei dem ande­ren The­ma anders laufen?

Solidarität, entstanden durch Angst

Nach­dem wir die Bil­der aus Ber­ga­mo gese­hen hat­ten, war das Erschre­cken über das Leid der Men­schen groß. Viel­leicht zum ers­ten Mal in der Mensch­heits­ge­schich­te war über alle Gren­zen hin­weg die Bereit­schaft erkenn­bar, alte, kran­ke und schwa­che Men­schen vor der Coro­na-Bedro­hung zu beschüt­zen. Die Mehr­heit schütz­te die Min­der­hei­ten, und sie war bereit, dafür finan­zi­el­le und per­sön­li­che Opfer zu bringen. 

Men­schen schei­nen zu unbe­ding­ter Soli­da­ri­tät fähig, und zum Glück nicht nur in der pla­ka­ti­ven, oft nur behaup­te­ten Form, die wir aus poli­ti­schen State­ments kennen.

Es geht jetzt um die Soli­da­ri­tät mit den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, es geht um die Tat­sa­che, dass Deutsch­land fest an der Sei­te der Ver­ei­nig­ten Staa­ten steht, und unein­ge­schränkt, ich beto­ne das, unein­ge­schränk­te Soli­da­ri­tät übt.

Ger­hard Schrö­der, „Unein­ge­schränk­te Soli­da­ri­tät“ | Politik

Es wäre schön, wenn Soli­da­ri­tät weni­ger stark vom Grad der per­sön­li­chen Betrof­fen­heit oder direk­ten und indi­rek­ten Bedro­hung abhän­gig wäre. Selbst dann, wenn ande­re Men­schen in gro­ßer Not sind, schaf­fen ande­re es, weg­zu­se­hen und sich still zu verhalten. 

Flüchtlingsschicksale

Man­che bekom­men es sogar hin, mit wider­wär­ti­gen, schä­bi­gen Wor­ten das Schick­sal von Flücht­lin­gen zu „kom­men­tie­ren“ und sich über die Flücht­grün­de ver­ächt­lich zu machen. Die Par­al­le­len zwi­schen Flücht­lings­geg­nern und Coro­na-Leug­nern sind wahr­schein­lich nicht ganz zufäl­lig. Die Leu­te, die mit ihrer ach so alter­na­ti­ven (und angeb­lich auf Frei­heit aus­ge­leg­ten) Welt­sicht um Aner­ken­nung ihrer Über­zeu­gung kämp­fen, haben nicht nur gemein­sam, sich als Kämp­fer gegen den Main­stream (Fake News) behaup­ten zu wol­len, ihnen ist vor allem ihr Ego­is­mus gemein. Blöd, dass es genau die­ser Ego­is­mus ist, der sie in mei­nen Augen so absto­ßend wir­ken lässt und ihre zum Teil schon nach­voll­zieh­ba­ren Argu­men­te entwertet.

Egoismus ist eine fiese Eigenschaft

Sie glau­ben, ihre per­sön­li­che Exis­tenz und die ihrer Gesin­nungs­ge­nos­sen habe Vor­rang. Viel­leicht ste­hen des­halb so vie­le von ihnen auf Trump und sol­che miss­ver­ständ­li­chen Sprü­che wie „Ame­ri­ca first“. 

Die Soli­da­ri­täts­be­reit­schaft ver­än­dert sich offen­bar, wenn die eige­ne Gesund­heit und die der Liebs­ten in Gefahr gerät. Kann man die­ses Ver­hal­ten dann über­haupt noch als Soli­da­ri­tät bezeich­nen oder ist das nicht eher ein Anzei­chen für Ego­is­mus und eine Art von Selbsterhaltungstrieb?

Das haben wir in der Coro­na-Kri­se gelernt. Trotz­dem gab es wäh­rend der Coro­na-Kri­se eine Rei­he von Hand­lun­gen, die ich als sehr unso­li­da­risch bezeich­ne. Dazu zäh­le ich die zügi­gen, vor allem unab­ge­stimm­ten Grenz­schlie­ßun­gen (selbst inner­halb der EU) und das Zurück­hal­ten von Hilfs­ma­te­ri­al (Mas­ken u.s.w.). Waren das Anzei­chen dafür, das der Begriff Soli­da­ri­tät in ande­rem Kon­text viel­leicht ganz falsch gewählt war? 

Mit Narrativen leben, die verbreitet werden, auch wenn sie nicht überzeugen 

Wie kann man von Gesell­schaf­ten wie der unse­ren heu­te erwar­ten, noch mehr Flücht­lin­ge ins Land zu holen? Ers­tens haben wir vor allem in den letz­ten fünf Jah­ren viel mehr getan, als alle es unse­re euro­päi­sche Nach­barn getan haben. Sie waren nicht dazu bereit zu hel­fen. Deutsch­land hat gehol­fen und dafür den Zorn vie­ler Euro­pä­er auf sich gezogen. 

Oder wie muss ich die Nar­ra­ti­ve vom deut­schen Allein­gang ver­ste­hen und die Vor­hal­tung an die Kanz­le­rin, den Zusam­men­halt inner­halb der EU zer­stört zu haben (Brexit!)? Nun, ich ken­ne natür­lich die gan­ze Geschich­te. Und es ist wahr, dass lan­ge zu viel gar nichts (Stich­wort: Ita­li­en, Lam­pe­du­sa) und dann eben unab­ge­stimmt gesche­hen ist. Wer hat sich eigent­lich mit der Fra­ge beschäf­tigt, wel­che Alter­na­ti­ve zu den ja angeb­lich zum Teil sogar rechts­wid­ri­gen Ent­schei­dun­gen unse­rer Regie­rung die sich anbah­nen­de Kata­stro­phe ver­hin­dert hätte? 

Menschen in Not – Kirchen

Sich für Men­schen in Not ein­zu­set­zen, ist etwas Groß­ar­ti­ges. Das Han­deln ent­spricht dem christ­li­chen Men­schen­bild, das ande­re gele­gent­lich so gern für sich pro­kla­mie­ren. Aber was, wenn es wirk­lich drauf ankommt? Die AfD aber auch vie­le Kon­ser­va­ti­ve außer­halb rechts­extre­mer Grup­pie­run­gen kri­ti­sie­ren das Enga­ge­ment der evan­ge­li­schen Kir­che, die sich aktiv mit viel Geld für die Flücht­lings­ret­tung im Mit­tel­meer enga­giert hat. Das fin­de ich rich­tig und alter­na­tiv­los. Wir sehen, wel­che Absich­ten die EU und ihre Mit­glieds­staa­ten ver­fol­gen. Es ist so beschä­mend, aber es funktioniert. 

Vie­le Deut­sche wol­len kei­ne Flücht­lin­ge mehr im Land auf­neh­men. Lei­der blei­ben auch die Leu­te, die nach wie vor bereit dazu sind, wei­te­re Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men still. Viel­leicht liegt es an den feh­len­den Ant­wor­ten auf die vie­len Fra­gen, die mit der Migra­ti­on zusammenhängen? 

Unser Herz ist weit. Aber unse­re Mög­lich­kei­ten sind endlich.

Bun­des­prä­si­dent Gauck: Rede zum Tag der Deut­schen Ein­heit – DER SPIEGEL

Was, wenn wir unsere Kapazitäten überfordern – Im Krankenhaus ist es schnell zu erkennen, wenn die Kapazitätsgrenzen erreicht sind. Wie ist das bei der Aufnahme von Flüchtlingen?

Stimmt es, dass die Hun­der­tau­sen­den, die seit 2015 nach Deutsch­land kamen, gut inte­griert sind? 

Wenn die Hälf­te aller Flücht­lin­ge, die seit 2015 zu uns gekom­men sind, eine Arbeit gefun­den hat, wüss­te ich gern, ob es sich um regu­lä­re Arbeits­ver­hält­nis­se han­delt oder ob die­se durch staat­li­che Sub­ven­tio­nen ali­men­tiert sind und wie lan­ge dies noch der Fall sein wird.

Viele Fragen

  1. Was ist mit den Fami­li­en? Wie sind die­se unter­ge­bracht und aus wel­chen Mit­teln wer­den die­se Men­schen unter­stützt? Ich ver­las­se mich ungern auf Infor­ma­tio­nen, die von „Ver­bän­den“ lan­ciert wer­den, die damit natür­lich ihrer Poli­tik Nach­druck ver­lei­hen möchten. 
  2. Was pas­siert, wenn wir wirk­lich vor einer gro­ßen Kri­se (Coro­na) am Arbeits­markt ste­hen und die Sozi­al­kas­sen über­las­tet werden? 
  3. Wie lan­ge wird es dau­ern, bis rech­te Fana­ti­ker erneut durch die Stra­ßen zie­hen und behaup­ten, Flücht­lin­ge näh­men ihnen die Arbeit weg? 
  4. Wie ist es unter die­sen Umstän­den um den inne­ren Frie­den im Land bestellt?
  5. Wie tief­grei­fend ist die Ver­un­si­che­rung im Land, wenn Flücht­lin­ge und Migran­ten sich so mas­siv und abfäl­lig im Sti­le der BLM-Bewe­gung über Deutsch­land und sei­ne auto­chtho­ne Bevöl­ke­rung äußern?
  6. Wir ken­nen das alles. Aber dies­mal könn­ten die Aus­wir­kun­gen viel ver­hee­ren­der sein als je zuvor in unse­rer Nach­kriegs­ge­schich­te. Wer berei­tet die Gesell­schaft dar­auf vor? 
  7. Wer infor­miert sie wahr­heits­ge­mäß über die Kos­ten, die den Staat dau­er­haft belasten? 
  8. Ist unser Land in der Lage, die­se Men­schen zu befä­hi­gen, sich selbst und ihre Fami­li­en zu unterhalten? 
  9. Wie lan­ge wird der Pro­zess dau­ern und ist es ange­sichts der Dau­er sol­cher Inte­gra­ti­ons­leis­tun­gen ver­ant­wort­bar, noch viel mehr Men­schen ins Land zu holen?

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Corona Flüchtlinge Solidarität

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