Wie käme ich dazu, den Wunsch einer Berufsgruppe nach Einkommenserhöhungen und besseren Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit, Corona-Geld) zu kritisieren? Mir könnten die Einschränkungen im Personen- und Güterverkehr der Bahn ohnehin egal sein.
Ich bin Rentner und als Bahnkunde schon seit Jahrzehnten unauffällig – nein eigentlich bin ich inexistent. Ich zähle ja zu denen, die auf’m Land leben und die mit dem Auto zur Arbeit in 1 1/2 Stunden geschafft haben. Mit der Bahn bzw. öffentlichen Verkehrsmitteln hätte die Fahrt mindestens die doppelte Zeit in Anspruch genommen. Unbequem wäre es auch gewesen, weil ich mehrmals hätte umsteigen müssen.
Aber mich beschäftigt eine andere Frage. Neu ist sie nicht. Ich halte es für seltsam, dass sie diesmal in der aktuellen Debatte nicht vorzukommen scheint.
Dass Herr Weselsky CDU-Mitglied ist (und überhaupt nicht so klingt, sondern eher nach Linkspartei) und qua Amt nicht nur Wohlwollen auslöst, ist ein Stück weit normal. Einem ist der Streik sympathisch, der andere denkt an die Beeinträchtigungen für die Kunden, die dadurch ausgelöst werden.
Herr Weselsky tritt nebenbei den Beweis an, dass auch Ostdeutsche Führungspositionen im Land innehaben. Ob seine Amtsausübung insofern vorbildhaft ist, möchte ich einmal dahingestellt sein lassen.
Als Arbeitnehmer habe ich gelernt, die Sache der Gewerkschaften sei wichtig für eine Gesellschaft. Ich habe mich von einem Betriebsratsmitglied überzeugen lassen. Jahre später habe ich meine Mitgliedschaft gekündigt. Sie war mir zu teuer.
Dennoch schwebte über allem die Gewissheit, dass nur starke Gewerkschaften die Interessen der Arbeitnehmerschaft vertreten könnten.
Ausgetreten bin ich auch, weil damals der Einfluss des amtierenden Betriebsrates einen doch sehr eingeschränkten Wirkungsgrad hatte.
Haben wir nicht nur in Deutschland gedacht, der Niedergang linker Parteien hätte damit zu tun, dass sich das Selbstverständnis der Arbeitnehmerschaft stark verändert hat? Ich erinnere mich noch an jahrelang zurückliegende Äußerungen der Belegschaft der Werbe- und Digitalagentur Pixelpark AG. Man beschrieb in einem für meine Ohren sehr süffisanten Ton, dass man im Unternehmen keinen Betriebsrat brauche, weil man die infrage kommenden Dinge individuell mit der Geschäftsleitung klären würde. Als es dann Jahre später mit den Entlassungen losging, hatte sich die Einstellung dieser Leute geändert. Zur Wahrheit gehört allerdings dazu, dass auch der Betriebsrat die Entlassung vieler Mitarbeiter in der Zeit der großen Krise der New Economy Anfang der 2000-er Jahre nicht verhindern konnte.
Zu diesem Zeitpunkt war ich längst nicht mehr Mitglied einer Gewerkschaft. Trotzdem fand ich solche Äußerungen, die sich gegen Betriebsräte richteten, nicht gut.
Diesen Grundgedanken findet man IMHO in vielen Aussagen von Bahnkunden wieder. Streiks sind demnach (natürlich) legitim und wenn es nötig ist, muss das Instrument auch genutzt werden. Ob Streiks im Verlauf der Verhandlungen zwischen DB und GDL wirklich nötig waren – nun, daran möchte ich Zweifel anmelden. Schließlich nutzt die GDL das Szenarium angeblich auch dazu, der „Konkurrenzgewerksschaft“ EVG (deren Mitgliedern), zu zeigen, wo der Hammer hängt bzw. wo der bessere Platz für ihre Interessen ist.
Darin sehe ich noch nichts Verwerfliches.
Ich kritisiere jedoch die ungleichen Erfolgschancen, mit denen Verdi (trotz Größe und Bedeutung!) in Lohnverhandlungen für VerkäuferInnen eintritt. Für die spezialisierten Gewerkschaften wie Cockpit (Pilotengewerkschaft) noch die GDL (Lokführer) sind die Voraussetzungen ungleich. Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass beide Gewerkschaften in den Ferien Streiks durchgeführt haben, um so einen möglichst großen Druck auszuüben. In solchen Szenarien kann man schon einmal zu Begriffen wie Erpressung greifen.
Ich halte es für unfair, wenn angesichts dieser ungleichen Verhältnisse Verdi einfach vorgeworfen wird, aus Bequemlichkeit und mit anderen unsachlichen Begründungen, sich nicht für ihre Mitglieder einzusetzen.
Wird im Geschäft eine Kasse nicht besetzt, weil der/die KassiererIn streikt, wird diese ruckzuck neu besetzt. Was wiederum nicht nur daran liegt, dass die Qualifikation nicht mit der eines Piloten oder Lokführers vergleichbar ist, sondern auch am geringen Organisationsgrad von Aushilfen oder Teilzeitjobbern. Dass darüber hinaus die Zahl der Betriebe mit Tarifbindungen immer noch rückläufig ist, weil unsere Regierung nicht den Mut hat, etwas dagegen zu unternehmen, ist erfolgreichen Verhandlungen zugunsten der Beschäftigten ebenfalls nicht gerade zuträglich.
Gäbe es für die Pflegekräfte eine gute Gewerkschaft und einem vom Schlage des Herrn Weselsky an der Spitze, gäbe es vermutlich längst flächendeckende Streiks. Und die Verbesserung in der Pflege hätte positive Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft, vor allem natürlich auch auf die Patienten. Mit Weselskys Forderungen, die die DB inzwischen erfüllt hat, lässt sich das nicht vergleichen. Aber Weselsky lässt dennoch weiter streiken. Uneinsichtig, sture Type.
Heute Morgen nennt Weselsky die Streikenden Helden. Das hätte ich gern mal von einem Gewerkschaftsführer der Pflegekräfte gehört, nicht von Leuten, die gut bezahlte Jobs mit guten Bedingungen haben.
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